(1, 2, 3, 4, 5)
Nicht alles war schön. Man gab den ständig hinter einem herlaufenden Kinderhorden oft etwas Süßes, und meist waren es freundliche, niedliche Kinder, denen gab man z.B. eine Packung Bonbons und sie freuten sich und teilten, manchmal war es lustig, man hielt die Bonbontüte hin und ein freches Mädchen schnappte sie sich und rannte weg, die anderen Kinder laut protestierend hinterher. Bei manchen Fahrten durch den Wüstenstaub allerdings sah man auch ausgemergelte, abgehetzt aussehende Kinder aus dem Nichts auftauchen, in irrsinnigem Tempo hinter dem Auto herlaufen und vor Wut Steine werfen, wenn man nicht hielt.
Auch das bereitwillig angebotene "Aufpassen" aufs Auto in manchen Orten war sehr zweischneidig, hatte man doch schon von mutwillig beschädigten Fahrzeugen gehört, sofern nicht oder nicht genug gezahlt worden war.
Viele Kinder ließen sich gerne fotografieren und forderten einen sogar auf, ein Bild zu machen, wenn sie den Fotoapparat sahen. Einmal allerdings vergaß ich darüber die Mahnung aus den Reisetipps, Menschen nicht ungefragt zu fotografieren, und richtete mein Objektiv auf einen etwa zehn- bis zwölfjährigen Jungen, der einen Karren zog. Statt wie die anderen Kinder zu grinsen und zu posieren, sah dieser mich mit wutverzerrtem Gesicht an, schrie irgendetwas und schüttelte seine Faust, dass mich Schreck und Scham durchfuhren.
Schöne Motive gaben oft die Esel ab, sei es im Kreisverkehr auf der Straße in einer Stadt, sei es auf einem Eselparkplatz, einem riesigen, von einer Mauer umgebenen Areal, auf dem man, so verstand ich es, gegen Entgelt seinen Esel "parken" konnte. Händler aus dem Umland schienen davon regen Gebrauch zu machen, der Platz war voller Tiere, alles wirkte idyllisch wie im Bilderbuch, bis man auf den Wärter aufmerksam wurde. Dieser war ein Mann, dem das Böse ins Gesicht geschrieben stand, er sah ernsthaft psychisch gestört aus, sein Gesicht war rot und so boshaft, wie ich selten eines gesehen habe. Mit einem langen, dicken Holzknüppel lief er zwischen den grauen Lasttieren umher und schlug willkürlich, den Knüppel mit beiden Händen haltend, auf deren Rücken ein. Als er bemerkte, wie ich ihm entsetzt zusah, trat ein sadistisches Grinsen auf sein Gesicht. Dann knüppelte er einem Tier mit solcher Wucht genau zwischen die Augen, dass es mir beim Zusehen wehtat, der Esel kniff die Augenlider zusammen, schüttelte den Kopf und machte ein so mitleiderregendes Gesicht, dass ich es ebensowenig mit ansehen konnte wie den triumphierenden, enthemmten Gesichtsausdruck des Wärters, ich sah also zu, dass ich schnell verschwand, um nicht Anlass zu weiteren Vorführungen zu bieten.
Eine weitere Mahnung aus den Reiseführern hatte sich auf das Trinkwasser bezogen. Und da ich kein Interesse daran hatte, bei strapaziöser Hitze eine Gastroenteritis heranzuzüchten, ließ ich mich gerne dafür belächeln, bloß keine offenen Getränke zu verzehren, Früchte äußerst penibel zu schälen und sogar fürs Zähneputzen nur abgekochtes oder in versiegelten Flaschen gekauftes Trinkwasser zu verwenden. Andere Reiseteilnehmer sahen das deutlich lockerer, nahmen etwa gerne mal einen frisch gepressten Orangensaft vom Händler am Straßenrand zu sich, aßen und tranken sich überhaupt ohne Scheu durch die (zugegebenermaßen: appetitanregende) regionale Vielfalt, und so war natürlich absehbar, wer dann irgendwann erbärmlich um Gnade winseln und kotzend in der Ecke liegen musste: ich, nämlich.
Ich bin ein diskreter Mensch, Sie alle wissen das, aber hier muss ich doch mindestens Andeutungen machen. Stellen Sie sich bitte vor, dass meine Stoffwechselvorgänge extrem durcheinandergerieten. Ich musste deren offenbar hochtoxische Produkte in allen möglichen Aggregatzuständen auf jede physikalisch mögliche Weise von mir geben, hatte meine menschliche Würde längst drangegeben, auch die anfangs belustigten und dann nur noch fassungslos entsetzten Kommentare der Mitreisenden konnten mir nichts mehr ausmachen, und als ich irgendwann endlich dösend und zu keinem Wort mehr fähig irgendwo im Schatten lag, denn das alles hatte natürlich zu Beginn einer sehr langen Autofahrt losgehen müssen, bildete sich aus der Ursuppe meines amorphen Restgeistes ein scharf umrissener, in seiner dichotomischen Verkürzung komplexer Zusammenhänge sicher zweifelhafter, doch unwiderstehlicher Gedanke heraus. Er hatte in etwa die Form eines Fragebogens und lautete wie folgt:
Nicht alles war schön. Man gab den ständig hinter einem herlaufenden Kinderhorden oft etwas Süßes, und meist waren es freundliche, niedliche Kinder, denen gab man z.B. eine Packung Bonbons und sie freuten sich und teilten, manchmal war es lustig, man hielt die Bonbontüte hin und ein freches Mädchen schnappte sie sich und rannte weg, die anderen Kinder laut protestierend hinterher. Bei manchen Fahrten durch den Wüstenstaub allerdings sah man auch ausgemergelte, abgehetzt aussehende Kinder aus dem Nichts auftauchen, in irrsinnigem Tempo hinter dem Auto herlaufen und vor Wut Steine werfen, wenn man nicht hielt.
Auch das bereitwillig angebotene "Aufpassen" aufs Auto in manchen Orten war sehr zweischneidig, hatte man doch schon von mutwillig beschädigten Fahrzeugen gehört, sofern nicht oder nicht genug gezahlt worden war.
Viele Kinder ließen sich gerne fotografieren und forderten einen sogar auf, ein Bild zu machen, wenn sie den Fotoapparat sahen. Einmal allerdings vergaß ich darüber die Mahnung aus den Reisetipps, Menschen nicht ungefragt zu fotografieren, und richtete mein Objektiv auf einen etwa zehn- bis zwölfjährigen Jungen, der einen Karren zog. Statt wie die anderen Kinder zu grinsen und zu posieren, sah dieser mich mit wutverzerrtem Gesicht an, schrie irgendetwas und schüttelte seine Faust, dass mich Schreck und Scham durchfuhren.
Schöne Motive gaben oft die Esel ab, sei es im Kreisverkehr auf der Straße in einer Stadt, sei es auf einem Eselparkplatz, einem riesigen, von einer Mauer umgebenen Areal, auf dem man, so verstand ich es, gegen Entgelt seinen Esel "parken" konnte. Händler aus dem Umland schienen davon regen Gebrauch zu machen, der Platz war voller Tiere, alles wirkte idyllisch wie im Bilderbuch, bis man auf den Wärter aufmerksam wurde. Dieser war ein Mann, dem das Böse ins Gesicht geschrieben stand, er sah ernsthaft psychisch gestört aus, sein Gesicht war rot und so boshaft, wie ich selten eines gesehen habe. Mit einem langen, dicken Holzknüppel lief er zwischen den grauen Lasttieren umher und schlug willkürlich, den Knüppel mit beiden Händen haltend, auf deren Rücken ein. Als er bemerkte, wie ich ihm entsetzt zusah, trat ein sadistisches Grinsen auf sein Gesicht. Dann knüppelte er einem Tier mit solcher Wucht genau zwischen die Augen, dass es mir beim Zusehen wehtat, der Esel kniff die Augenlider zusammen, schüttelte den Kopf und machte ein so mitleiderregendes Gesicht, dass ich es ebensowenig mit ansehen konnte wie den triumphierenden, enthemmten Gesichtsausdruck des Wärters, ich sah also zu, dass ich schnell verschwand, um nicht Anlass zu weiteren Vorführungen zu bieten.
Eine weitere Mahnung aus den Reiseführern hatte sich auf das Trinkwasser bezogen. Und da ich kein Interesse daran hatte, bei strapaziöser Hitze eine Gastroenteritis heranzuzüchten, ließ ich mich gerne dafür belächeln, bloß keine offenen Getränke zu verzehren, Früchte äußerst penibel zu schälen und sogar fürs Zähneputzen nur abgekochtes oder in versiegelten Flaschen gekauftes Trinkwasser zu verwenden. Andere Reiseteilnehmer sahen das deutlich lockerer, nahmen etwa gerne mal einen frisch gepressten Orangensaft vom Händler am Straßenrand zu sich, aßen und tranken sich überhaupt ohne Scheu durch die (zugegebenermaßen: appetitanregende) regionale Vielfalt, und so war natürlich absehbar, wer dann irgendwann erbärmlich um Gnade winseln und kotzend in der Ecke liegen musste: ich, nämlich.
Ich bin ein diskreter Mensch, Sie alle wissen das, aber hier muss ich doch mindestens Andeutungen machen. Stellen Sie sich bitte vor, dass meine Stoffwechselvorgänge extrem durcheinandergerieten. Ich musste deren offenbar hochtoxische Produkte in allen möglichen Aggregatzuständen auf jede physikalisch mögliche Weise von mir geben, hatte meine menschliche Würde längst drangegeben, auch die anfangs belustigten und dann nur noch fassungslos entsetzten Kommentare der Mitreisenden konnten mir nichts mehr ausmachen, und als ich irgendwann endlich dösend und zu keinem Wort mehr fähig irgendwo im Schatten lag, denn das alles hatte natürlich zu Beginn einer sehr langen Autofahrt losgehen müssen, bildete sich aus der Ursuppe meines amorphen Restgeistes ein scharf umrissener, in seiner dichotomischen Verkürzung komplexer Zusammenhänge sicher zweifelhafter, doch unwiderstehlicher Gedanke heraus. Er hatte in etwa die Form eines Fragebogens und lautete wie folgt:
Würden Sie lieber[Weiter]
[ ] dieses noch weiter erdulden, sagen wir: ein paar Stunden, und fürderhin weiterleben wie bisher
[ ] augenblicklich sterben
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jean stubenzweig,
Samstag, 20. Juni 2009, 00:52
Nein, mir wird nicht schlecht. Ich genieße das. Das Lesen hier, meine ich.
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vert,
Samstag, 20. Juni 2009, 01:37
trösten sie sich: mich - und meine gesamte wandergruppe - hat man mal versucht, auf einer almhütte unterhalb der zugspitze mit kaiserschmarrn zu vergiften.
das kann einem also auch an orten passieren, bei denen man deutlich weniger damit rechnet. wobei es auf 2000 höhenmetern nicht viel ungelegener kommen konnte.
bei mir war schnell klar, dass ich es gut verkraften würde, aber einen mussten wir zurücklassen, der votierte in dem moment deutlich für b).
das kann einem also auch an orten passieren, bei denen man deutlich weniger damit rechnet. wobei es auf 2000 höhenmetern nicht viel ungelegener kommen konnte.
bei mir war schnell klar, dass ich es gut verkraften würde, aber einen mussten wir zurücklassen, der votierte in dem moment deutlich für b).
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nnier,
Samstag, 20. Juni 2009, 13:28
Ja, ich bin ganz froh, dass ich damals keinen Kugelschreiber zur Hand hatte und demnach noch kein Kreuz unter alles machen konnte. Denn für welche Alternative ich in jenem Moment vomitiert votiert hätte, können Sie sich ja denken.
monnemer,
Samstag, 20. Juni 2009, 13:44
Danke, dass Sie dieses Mal auf das Bilderrätsel verzichtet haben.
@vert, seltsam, die selbe Erfahrung mit Kaiserschmarrn hatte ich auch einmal. Allerdings in Niederbayern. Anscheinend ein flächendeckendes Problem.
Nach Bayern nur mit Schutzimpfungen? Nur abgekochtes Bier? Man weiss ja nicht, wo sich Herr nnier letztlich den flotten Otto geholt hat.
@vert, seltsam, die selbe Erfahrung mit Kaiserschmarrn hatte ich auch einmal. Allerdings in Niederbayern. Anscheinend ein flächendeckendes Problem.
Nach Bayern nur mit Schutzimpfungen? Nur abgekochtes Bier? Man weiss ja nicht, wo sich Herr nnier letztlich den flotten Otto geholt hat.
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jean stubenzweig,
Samstag, 20. Juni 2009, 14:58
Ich habe solche Schlecht-Erfahrungen mit Gin gemacht. Das war vor gut vierzig Jahren. Und seither habe ich auch keinen mehr in mich hineingelassen. Ähnlich war's bei Eierlikör. Aber das ist etwa fünfzig Jahre her. Schon der genüßliche Ruf der Büddenwarderin – Ook nen Klötenköm? – löst einen Brechreiz aus bei mir.
nnier,
Samstag, 20. Juni 2009, 23:29
Was mir dazu alles einfällt - ich muss daraus wohl mal ein eigenes Thema machen.
damenwahl,
Samstag, 20. Juni 2009, 15:21
Die Heimsuchung durch Bakterien gehorcht tatsächlich keinen Gesetzmäßigkeiten und läßt sich praktisch nicht beeinflussen. Ich habe in Kairo über Wochen mittags im Imibiss um die Ecke Hommus, Tabbouleh und andere kalte Salate gegessen und immer ging alles gut. Nach dem Verzehr eines Caesar Salad in einem der feineren Clubs der Stadt hingegen mußte meine Begleitung mich vom Fußboden aufsuchen. ...Während andere nicht nur gelegentlich Wasser aus dem Hahn tranken, sondern dieses auch noch Flaschen abfüllten zum mitnehmen, ohne davon im mindestens beeinträchtigt zu werden.
Todessehnsucht hingegen - hatten Sie denn keine Medikamente dabei?
Todessehnsucht hingegen - hatten Sie denn keine Medikamente dabei?
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nnier,
Samstag, 20. Juni 2009, 23:26
Medikamente? Das weiß ich nicht mehr. Aber unterhalb von Arsen hätte ich's auch nicht gemacht.
Ich bin da vielleicht empfindlicher als andere, mir persönlich setzt Übelkeit jedenfalls wesentlich mehr zu als etwa Schmerzen. Andererseits erinnere ich mich auch noch gut an eine vollkommen sinnlos betrunkene Fahrradfahrt den Berg hinunter, mitten in der Nacht, ich pfiff fröhlich vor mich hin, mir war übel und wurde noch übler - gut, dachte ich, übergeben wir uns halt, hielt kurz an, brachte das hinter mich und setzte meinen Weg dann pfeifend fort. Nicht immer also meine ich in solchen Fällen, gleich sterben zu wollen, auch wenn HUALP! nie zu meinen Lieblingsgeräuschen gehören wird.
Es war damals in Marokko einfach ein existenzielles, schlimmes Gefühl der Ausweglosigkeit, es ging über Stunden bergab mit mir, und ich hätte buchstäblich meine Seele verkauft für etwas Linderung.
Ich bin da vielleicht empfindlicher als andere, mir persönlich setzt Übelkeit jedenfalls wesentlich mehr zu als etwa Schmerzen. Andererseits erinnere ich mich auch noch gut an eine vollkommen sinnlos betrunkene Fahrradfahrt den Berg hinunter, mitten in der Nacht, ich pfiff fröhlich vor mich hin, mir war übel und wurde noch übler - gut, dachte ich, übergeben wir uns halt, hielt kurz an, brachte das hinter mich und setzte meinen Weg dann pfeifend fort. Nicht immer also meine ich in solchen Fällen, gleich sterben zu wollen, auch wenn HUALP! nie zu meinen Lieblingsgeräuschen gehören wird.
Es war damals in Marokko einfach ein existenzielles, schlimmes Gefühl der Ausweglosigkeit, es ging über Stunden bergab mit mir, und ich hätte buchstäblich meine Seele verkauft für etwas Linderung.
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