Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Freitag, 23. April 2010
Ein Lesebuchroman
nnier | 23. April 2010 | Topic Gelesn
Sandomir ging zum Fenster des Bahnwärterhauses.
Er sah etwas kommen.
"Ein kleiner Eisenbahnzug", sagte Sandomir, "kommt langsam näher mit einer dampfenden Lokomotive."
Dann sagte Sandomir nichts.
"Der kleine Eisenbahnzug", sagte er dann, "ist weit entfernt. Ich sehe, der Zug ist klein. Ist er klein, weil er noch weit entfernt ist? Wird er langsam größer, je näher er kommt? Oder bleibt er klein? Bleibt er aber klein beim Näherkommen, dann täuschen mich meine Augen heute früh! Egal, ob klein oder groß - ich muss die Bahnschranke runterlassen, früh genug muss sie unten sein."
Etwa ein Jahr, bevor ich offiziell des Lesens befähigt werden sollte, bekam ich ein Buch geschenkt. Auf Vorrat sozusagen, weshalb ich in der Widmung sowohl in der zweiten als auch in der dritten Person sg. angesprochen werde und diese sich ansonsten an meine Eltern richtet.

Ich hatte mich schon früh für Buchstaben und Wörter interessiert und mir das Lesen irgendwie selber beigebracht. Dazu hatten vermutlich die beiden Gabriele-Schreibmaschinen beigetragen, die es in unserem Haushalt gab.

Ich weiß nicht, wann ich das Buch dann tatsächlich zum ersten Mal gelesen habe. Woran ich mich aber sehr genau erinnere, ist das Gefühl, schon mit der ersten Seite eine ganz eigene, eigenartige Welt zu betreten, in der die merkwürdigsten Dinge vollkommen selbstverständlich sind.

Der Bahnwärter Sandomir lebt in der Landschaft Sandomir. Sein bester Freund ist ein Frosch, Herr Abendtschrey. Ein Haus ist auf der Flucht vor den Spitzbuben, die in ihm gewohnt haben. Die Spitzbuben beschimpfen einander als Klotz, Mistkäfer, Kröte, Vollbartmeerkatze, gestreifter Mausvogel, Rattenkänguruh, maskierter Sack, Schmutzgeier und Zimtbär. Ein Besucher bittet um Tee und sieben Kartoffelpuffer.

Gar nicht selbstverständlich ist dafür manches andere.

"Ich muss arbeiten. Ein kleiner Eisenbahnzug kommt langsam näher mit einer dampfenden Lokomotive. Vielleicht wird der Zug größer, je näher er kommt. Kommt er aber ganz nah bis zur Bahnschranke und ist noch immer klein geblieben, dann möchte ich auch, liebe Frau, richtig angezogen sein."

"Ab morgen", sagte er, werde ich an meiner Erfindung weiterarbeiten. Der Holzkasten, aus dem das Männlein rausspringt, öffnet sich noch zu sperrig."
Günter Bruno Fuchs heißt der Verfasser, über den ich nicht viel mehr weiß als das hier, das und das. Ganz viel zu Autor und Werk steht hier.
"Ich meine", sagte Frau Sandomir, "gibt es nicht wichtigere Dinge als einen Holzkasten, aus dem ein Männlein rausspringt?"
"Hm", machte Sandomir. Er schwieg nachdenklich. Dann sagte er zu seiner Frau: "Sag mal, wie meinst du das? Soll ich dir erzählen, was unser Kind von mir denkt? Es schreibt in sein Schulheft: Mein Vater ist erwachsen, trotzdem kann mein Vater mit den Füßen lachen, daß alle Leute in der Landschaft Sandomir vor Freude krähen. Bittesehr!"

Vermutlich muss es so sein, dass der Autor als "Außenseiter des Literaturbetriebes" und "starker Trinker" beschrieben wird. Und, natürlich: "Wenngleich seine späteren Texte im angesehenen Carl-Hanser-Verlag in München erschienen, erreichte er doch nie ein größeres Publikum, dafür galten seine Arbeiten sowohl der Raffke-Mentalität des deutschen Wirtschaftswunders wie auch den politisch bewußten Lesern nach 1967 als zu skurril. So blieb er ein Künstler für Liebhaber, der hauptsächlich andere Künstler – Graphiker wie Schriftsteller – beeinflußt hat. Eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit seinem Werk findet kaum statt."

Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung bin ich auch nicht der richtige. Ich merke schon beim Schreiben, dass die Zitate viel stärker als alles andere sind. Mir bleibt nur ein Buch, das ich alle paar Jahre hervorhole - selbstverständlich längst ausgelistet, doch antiquarisch für ein paar Cent zu bekommen, bspw. hier. Man sollte es herausklauben, aus dem Bücherkorb da ganz unten.

"Ich bin der Bahnwärter Sandomir", sagte Sandomir, "bin zweiundfünfzig Jahre alt, habe eine Frau und ein Kind, bin außerdem Erfinder. Meine Erfindung ist das Wort Zebräh. Sie verstehen: Zebräh, das Geheimwort für Zebra. Außerdem gehen alle Zweitnamen bestimmter Frühjahrsvögel auf mich zurück. Zum Beispiel: Zamzel, Frossel, Mink und Star. Den Star muss ich noch bearbeiten. Guten Nachmittag! Was haben Sie auf dem Herzen?"

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Mittwoch, 7. April 2010
WTIKAY
nnier | 07. April 2010 | Topic Gelesn
Nun bin ich doch überrascht. Ich war der Ansicht, einigermaßen darüber bescheid zu wissen, wie das im Internet so funktioniert. Fehlanzeige.

Es geht um eine seit Jahren bestehende Sicherheitslücke, von der ich neulich schon einmal im Vorbeigehen las, aber erst jetzt habe ich tatsächlich verstanden, worum es geht.*

Bisher war ich von folgendem ausgegangen: Ich rufe eine URL auf. Dabei werden in manchen Fällen ganz offen auch Parameter übermittelt, bspw. bei einer Suchanfrage der Suchbegriff - die Parameter sind das, was man hinter dem Fragezeichen in der URL sehen kann, z.B. so:

http://www.bing.com/search?q=mumien+analphabeten+diebe&form=QBLH&filt=all

Man ruft also die URL http://www.bing.com/search auf und übergibt folgende Name-Wert-Paare: Außerdem können diese Parameter auch "unsichtbar" übermittelt werden, d.h. man sieht sie nicht im URL-String; dies ist oft bei Formularfeldern der Fall. So weit, so gut. In beiden Fällen nimmt der Server diese Parameter entgegen und macht ggf. etwas damit - z.B. die Datenbank nach dem übermittelten Suchbegriff durchforsten und eine entsprechende Antwortseite generieren. So weit, so gut.

Dass mein Browser zusätzlich immer noch ein wenig über sich selbst mitteilt und auf welchem Betriebssystem er läuft, welche Bildschirmauflösung ich verwende, ob ich JavaScript aktiviert habe usw. usw. war mir auch klar. Der Server kann diese Informationen auswerten und mir damit, wenn er will, eine für diese Konfiguration optimierte Antwortseite schicken. So weit, so gut.

Schließlich und endlich gibt es die sogenannten Referrer-Informationen; d.h. wenn auf Seite A ein Link zu Seite B ist und ich diesen anklicke, dann erhält Seite B eben diese Information, woher ich gekommen bin.

Bis hierhin ist mir das alles klar, und wenn ich der Ansicht war, dass ich etwas davon verschleiern möchte, dann konnte ich es auch tun (bspw. kann man seine Browserversion für sich behalten oder eine falsche Information mitsenden). Mit kleinen Firefox-Plugins wie z.B. "Web Developer" oder "URL Params" kann man außerdem ganz gut herausfinden, welche Informationen versteckt oder offen mitgeschickt werden und diese auch manipulieren. Man kann damit übrigens lustige Dinge tun, so habe ich z.B. einmal meinen Mobilfunkprovider angewiesen, mein Guthaben jeweils um 33 Cent aufzustocken, wenn der Betrag von 7,56 EUR unterschritten wurde - denn man hatte dort auf jede serverseitige Prüfung der Formulardaten verzichtet. Eigentlich hätte ich auch mal mit negativen Zahlen herumspielen sollen.

Nun folgt Teil 2. Dass es eine "Browser-Historie" gibt, weiß jeder. Man kann die Liste der zuletzt besuchten Seiten ansehen (und dann erschrecken und schnell löschen, bevor sie jemand sieht). Und man sieht die kürzlich besuchten Links oft andersfarbig als noch nicht angeklickte dargestellt - bspw. violett anstatt blau.

Na und, dachte ich, das ist ja auch kein Problem. Im HTML bzw. CSS steht ja, wie der Browser besuchte Links darstellen soll, oder er verwendet seinen eigenen Standard. Die Seite, die mir der Server schickt, so glaubte ich, kommt erst mal "einfach so" zu mir und mein Browser "weiß" ja, wo ich zuvor schon war, deshalb färbt er die Links eben mal violett und mal blau ein.

Und das ist nicht so. Bzw. das ist nicht so harmlos. Denn es ist ganz einfach möglich, dass der Server mit einem simplen Trick die gesamte Browserhistorie ausliest!

Was das bedeutet, kann sich jeder ausrechnen: Überlegen Sie selbst mal, welches Profil aus der Kombination Ihrer Suchmaschinenabfragen, Ihrer besuchten Kontakte in "Sozialen Netzwerken", der Internetbank, der Zeitungslektüre usw. entsteht, was man über Ihre Interessen, Vorlieben und Gewohnheiten herausfinden kann, und ob die drei Personen, nach denen Sie zuletzt "geg**gelt" haben, nicht ziemlich eindeutig verraten, wer Sie selbst sind. Oder haben Sie etwa nach Ihrem eigenen Namen gesucht?

Alles weitere ist (auf englisch) hier allgemeinverständlich und hier technisch erklärt. Ein paar Lösungsvorschläge gibt's auch (unter anderem: Einfach immer den "privaten" Modus verwenden, Historie löschen).

So funktioniert es, wenn keine böse Absicht, sondern der Wille zur Aufklärung dahintersteckt. Was hingegen auf anderen Servern stattfindet, davon bekomme ich gerade eine leise Vorstellung.

--
*Unter der Überschrift "Deanonymisierung: Mozilla will Sicherheitslücke schließen"

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Montag, 22. März 2010
Wandeln Sie bitte mal Ihr Bewusstsein! Danke.
nnier | 22. März 2010 | Topic Gelesn
Der inzwischen 16 Jahre alte Deal zwischen Onlinemedien und Mediennutzern lautet eigentlich so: Wir liefern Ihnen kostenfrei Inhalte, und Sie sehen sich dafür im Umfeld Werbung an.
Das geht natürlich zurück auf den Gesellschaftsvertrag von J.J. Rousseau. (Wenn Sie persönlich sich übrigens nicht an diesen "Deal" erinnern: Ist ja auch schon sehr lange her - 16 Jahre!)
Das Perfide daran: Je medienaffiner die Nutzer sind, desto häufiger setzen sie Blocker ein. Es sind also die Nutzer mit dem größten Interesse und Verständnis für Inhalte, die den meisten Schaden verursachen.
Dumme Menschen sind zum Glück dumm und gucken Werbung an und kaufen alles. Aber wir wollen halt auch, dass die schlauen unsere Sachen kaufen! Die haben nämlich so viel Verständnis für Inhalte. Voll perfide, dass ausgerechnet die gar nicht unsere Werbung angucken. Damit richten sie den meisten, ich wage gar die Behauptung: den allermeisten, Schaden an. Ich muss gleich noch mal nachsehen, was "perfide" genau heißt.
Es kann nicht sein, dass Web-Nutzer, die zum einen Qualität einfordern und billig Produziertes zurecht ablehnen, reflexhaft abwehrend auf Werbung reagieren: 16 Prozent aller Web-Nutzer klicken sofort weiter und weg, wenn in einem Video ein Werbespot auftaucht.
Stimmt - das kann einfach nicht sein. Ich z.B. lehne Werbung nicht nur reflexhaft, sondern oft auch mit vollem Bewusstsein ab. Ich muss da wirklich mal meine Haltung überdenken. Oh - schon fertig! Ich bleibe dabei.
Notwendig ist ein Bewusstseinswandel. Wer Werbung als Belästigung wahrnimmt, sollte sich eines klarmachen:
Das mit dem falschen Bewusstsein kommt mir irgendwie bekannt vor. Werbung als Belästigung wahrnehmen - oha! Am Ende ist das alles nur vermittelt und konstruiert. Ist es ein Tisch, an dem ich sitze? Bin ich in Wirklichkeit* ein Autoreifen?
Der Deal, der auch dieses Angebot hier möglich macht, funktioniert nur, solange nicht zu viele Nutzer die Werbung verweigern. [...] Wann schalten Sie Ihren Werbeblocker ab?
Mal sehen. Aber ich lade mir mal den Spiegel-Blocker herunter.

--
*Hö hö.

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Mittwoch, 17. März 2010
Daniel Düsentrieb
nnier | 17. März 2010 | Topic Gelesn
"Detlef"? Da muss sich der Perlentaucher vertan haben, will man meinen, klickt drauf und wundert sich, dass die taz sich wohl auch vertan hat, wird aber langam unsicher, schaut deshalb mal kurz nach und wundert sich, dass man vom kleinen Bruder noch nichts wusste, klickt sich dann zum großen weiter und überfliegt den Artikel mit den typischen zehn Sekunden Aufmerksamkeitsspanne, schließlich sitzt man im Büro und sollte sich nicht immer ablenken lassen, dann aber bleibt man an einer Zeile hängen und rennt relativ ansatzlos in den Flur, durch die Tür, in die Toilette, und lacht dort fünf Minuten lang (mit Tränen und allem), braucht noch mal fünf Minuten, um wieder halbwegs normal auszusehen und schlurft dann mit immer noch zuckenden Mundwinkeln zurück zum Platz, denn da steht:
Die Figur Neger Negersen in der Erzählung „Subito“ (1983) von Rainald Goetz ist eine Anspielung auf Diedrich Diederichsen.

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Montag, 22. Februar 2010
Traurige Nachricht
nnier | 22. Februar 2010 | Topic Gelesn
Hier.

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Samstag, 20. Februar 2010
Der feuchte Gebieter zitiert
nnier | 20. Februar 2010 | Topic Gelesn
Nur dass es eine Hyperbel um ein Buch gibt, heißt noch lange nicht, dass es kein gutes Buch sein kann. Ihr krassen Ficker. Das ist übrigens Altgriechisch.
(Helene Hegemann oder so.)

Wo sie recht hat, hat sie recht, aber ich muss noch kurz auf die Jungautorin einschlagen, wg. Frau Radisch, obacht mal eben, ich schlage auf eine Jungautorin ein: Das Feuilleton ist blöd! Mann, ist das Feuilleton blöd! Man will eigentlich gar nicht glauben, wie blöd das Feuilleton ist!

Genug davon, ich lese gerade ein anderes Buch (Paff! Ein weiterer Schlag gegen die junge Autorin, deren Komplettauslöschung* ich als Teil des Kommandos Otto Rehhagel betreibe), es ist dick und nicht immer leicht zu lesen, wahrscheinlich auch nur kulturell zusammengesamplet aus den Beilagezetteln diverser Medikamente und einer Tenniskindheit unter Nick Bolletieri, aber wenn Sie sich hunderte von Seiten lang in einer kulturell definitiv aus dem nordamerikanischen Raum gesampleten Tennis- und Drogenwelt aufgehalten haben, wenn Sie sich also langsam an die komplex geschachtelten und mit groteskem Fachvokabular angereicherten, vor allem aber massiv adjektivgeschwängerten Zwanzigzeilensätze gewöhnt haben, beliebt auf S. 507f ein "Immigrant" bei den Anonymen Alkoholikern plötzlich wie folgt zu sprechen:
Als aine, wo alli Aabeehysli verspritzt, bin ych scho männgs Joor bekannt gse. In de Beize uff de Landstroosse han ych scho lang nimme uff d'Schissi deerfe. Deheim, im Bad isch d'Dabeete scho so wällig gse, das glaubsch gar nit. Aber denn uff aimool ... das wird ych nie vergässe. Ai Wuche no, und ych hätt niinzig Tag nimme gsoffe. Drei Moonet wär ych denn undrungge gse. Also ich hogg dehaim uff dr Schissi, verstoosch. Bi am Drugge wie allewyl, das glaubsch gar nit, und ... und bi so verstuunt gse, ych ha myne Auge nit traut. Das han ych scho lang nymme gsee, do han ych zerscht dänggt, 's Portemonnaie isch mir ins Hysli gfalle, verstoosch. By Gott, ych han dänggt, 's Portemonnaie isch mir ins Hysli gfalle. Ych kneule also aane und lueg mir die Sach im schummrige Liecht vom Hysli ganz genau aa. Ych ha myne Auge nit traut, versteend ihr, Lyt, ich kneule also näbem Haafe und lueg ganz gnau. Grad soo wie me emene Schatz in d' Auge luegt. Miini Frynd, das isch e Fraid gse, mir fäle d' Wort. Do lygt e richtig Wirschtli. E richtig Wirschtli. Feschd, spitzig und lycht krumm. Es hett ussgseh wie ne Wirschtli, gar nimme verspritzt. Graad eso als ob dr liebi Gott 's gmacht haig. Also miini Frynd, das Wirschtli hett fascht wie gläbt, Ych bi also kneule blybe und ha mym Heechere Wäse danggt, das Wäse wo fir my dr liebi Gott isch, und sit däm Tag dank ych däm Heechere Wäse uff de Kneu, am Morge, am Oobe und uff em Hysli.
Es wäre total gedankenlos und egoistisch von mir, Ihnen das vorzuenthalten, oder?

--
*Steht da so bei Frau R.! Ich sample das nur.

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Mittwoch, 10. Februar 2010
Perlen und Säue
nnier | 10. Februar 2010 | Topic Gelesn
Da gibt es dieses Rührstück über einen, der mal ganz böse war und der jetzt, da er sterben wird, milde und versöhnlich geworden ist. Aber früher, da war das ein Wüterich, kaum zu glauben, wie der blind draufgeschlagen hat:
Muss seine Ruhe einen verwundern? Vielleicht, wenn man Pfitzinger von früher kennt. Als er wütend wirkte. Und manchmal aggressiv.

Der Mann, der gern und ausgiebig die taz geschmäht hat, der dabei so fies sein konnte, dass sich taz-Redakteure immer wieder persönlich attackiert fühlten, [...]

Alles Bittere und Gallige hat er abgestreift. [...]

"Lob & Tadel, Perlen & Mist" kündigte er an, aber meist war es fast ausschließlich Mist, den er da in seiner Zeitung fand. Entsprechend schäumend und unduldsam fiel seine Kritik dann aus. [...]

In seinen täglichen Blogeinträgen ist viel von "reißerischen Hetzartikeln", "üblen Aufmachern" und "Journalismus unterster Schublade" die Rede. Von "Leerkopf-an-Kopf-Rennen", Kommentaren, in denen "absolut nichts drinsteht", und es gibt Kolumnen, da tippt er nur noch: "Würg!" [...]

Ist er ausnahmsweise mal zufrieden, verbucht er das für sich - er schlussfolgert dann, die Stümper in der Redaktion müssten seinen Blog gelesen und entsprechend ihr journalistisches Treiben berichtigt haben.

So war es natürlich nicht. Im taz-Intranet machten Mails mit den abgefahrensten Pfitzinger-Sottisen die Runde. Hat der Mann sie noch alle, fragten sich viele. Wer ist das überhaupt? Und woher nimmt der die Zeit, Tag für Tag seinen Ekel an dieser Zeitung ins Netz zu kotzen? [...]
Und es liest sich ja auch ganz süffig, was die Redakteurin da so schreibt, ein wenig Selbstkritik wird angedeutet, ganz verhuscht ("Und natürlich hat er nicht nur unrecht mit dem, was er da herausbellt"), aber auch hier wieder: "herausbellt", als ginge es um einen herumkläffenden Querulanten - und dann die Geschichte von der angesichts der Krankheit doch noch einsetzenden Altersmilde erzählt. Folglich kommentieren die Leute dann so:
ich finde es mutig von Dir, dass Du Hans besuchst und diesen Artikel schreibst. Schließlich war er nicht "sehr nett" zu Dir. Dir ist dennoch ein sehr empathischer Besuchsbericht gelungen. Es sind Berichte wie diese, die mir die TAZ einmalig machen.
Oder:
Schade möchte man sagen, wenn jemand derart hssserfüllt durch´s Leben geht und erst so spät Frieden findet.
Zwar hab ich nie einen seiner Ergüsse gelesen, aber ich hätte ihn spontan nicht gemocht.
Und so weiter, und dann reicht's einem langsam, denn es ist grotesk verzerrt und einfach falsch. Ich kenne Hans Pfitzinger nicht persönlich, aber eine Zeitlang hat er hier und anderswo kommentiert, und eine Zeitlang habe ich sein "tazblog" gelesen und hätte dort gerne kommentiert. (Leider gab es in seinem Blog keine Kommentarfunktion, und so fanden die kleinen, angenehmen, überhaupt nicht lauten und immer respektvollen Blogplaudereien eben anderswo statt.)

Ich weiß nicht, wo anders als in einer paranoiden Redakteursphantasie man daraus einen herumkotzenden "Grantler" und "Geiferer" machen kann. Aber vielleicht bin ich ja selber so einer, schließlich habe ich hier auch schon ein-, zweimal an dieser Zeitung herumgemäkelt. Jedenfalls bin ich der Ansicht, dass man sich gegen herausgereiherten Sprachmüll wie z.B. das "Tagebuch der Carla Bruni" auch mit deutlichen Worten wehren muss - und das hat Hans Pfitzinger bravourös getan.

Und sich sonst auf so gründliche, redliche und integere Weise mit der kleinen Zeitung auseinandergesetzt, dass ich angesichts der kindisch-beleidigten Reaktionen, die man dem Artikel direkt und indirekt entnehmen kann, schlicht entgeistert bin.

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Dienstag, 9. Februar 2010
(inklusive Drogen, Sex und zynischen Menschen)
nnier | 09. Februar 2010 | Topic Gelesn
Gibt es Originalität oder nur Echtheit? Ganz Deutschland diskutiert über den Fall Hegemann!

Ehrlich jetzt, egal wo du bist: Bäcker, Straßenbahn, Tankstelle, Hermetisches Café - Millionen Deutsche fragen: Sind wir mal wieder betrogen worden, ist doch typisch, erst das Wetter, dann die Daten-CD, aber wehe, du brennst mal was selber, und jetzt die tabulose Beichte des minderjährigen Luders, lechz, was die da so schreibt ist ja un-ver-hoh-len, man müsste noch mal jung sein, denen würde man's, und in Berlin ist ja eh Sodom, sieht man ja an diesem feinen Herrn Canisius, denen würde ich die Eier aber sowas von, und diese jungen Dinger heute, die haben ja kei-ner-lei Hemmungen, wie sieht die denn eigentlich aus?























[Bilder von: http://www.bild.de/BILD/unterhaltung/kultur/2010/02/08/helene-hegemann-bestseller/debuetroman-axolotl-roadkill-plagiatsvorwuerfe.html]

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Mittwoch, 3. Februar 2010
Wer bringt mir die Liebe bei?
nnier | 03. Februar 2010 | Topic Gelesn
Schülerin, 18, vollbusig, sucht den Mann, der sie in die Geheimnisse der Liebeskunst einführt.
Ich habe damit nichts zu tun. Ich habe höchstens mal. Aber ich würde nie.



Andererseits gab es da nun mal diesen Abend, an dem ich mit einigen Mitschülerinnen in trauter Runde trefflich scherzte - das Vorrecht der Jugend, denn was ahnt man schon von dem, was später alles auf einen zukommt.



Wir scherzten über Chiffre-Anzeigen. Was wussten wir schon davon, was später alles auf einen zukommt.



"Ha ha ha, seht einmal: 'Topf, m, 45, nicht unansehnlich, sucht Deckel bis 42', wäre das nichts für dich? Ha ha ha!", man schlug sich auf die Schenkel, man fabulierte, man fantasierte. Eine, das erfuhr ich später, beließ es nicht dabei.



"Hast du schon die neuen Kontaktanzeigen im Dummen Werbeblatt gelesen? Nein? Hi hi. Lies dir die zu Hause mal durch. Und dann sagst du mir, welche meine ist. Hi hi."



Von all den Töpfen und Deckeln, Kind-kein-Hindernissen, jungen Unternehmern, junggebliebenen Alten und bildhübschen Arzthelferinnen, die nach einer großen Enttäuschung jetzt den Mann fürs Leben suchten, hob sich "Wer bringt mir die Liebe bei?" doch hinreichend ab. Und natürlich fragte ich in den Wochen darauf gelegentlich nach der Resonanz.



Sie war vor ihrer eigenen Courage erschrocken. Sie traute sich nicht, zur Geschäftsstelle des Dummen Werbeblatts zu gehen und dort ihre Chiffrenummer zu nennen. Und obwohl ich sie darauf hinwies, dass womöglich so mancher Einsender inzwischen liebeskrank und mit gebrochenem Herzen herumlaufe, ließ sie sich nicht dazu bewegen, die Ernte einzufahren, nachdem sie so mutig die Saat ausgebracht hatte.



Monate vergingen, und alles, was man in dieser Zeit in der kleinen Stadt hörte, waren eilige Schritte allüberall, gefolgt von hektischem Klappern am Briefkasten, enttäuschtem Aufstöhnen und schweren, langsamen Schritten. Daran musste ich jüngst wieder denken, denn ich las eine Seite im Zeit Magazin, die ich sonst stets achtlos überblättere.



Natürlich war mir auch früher nicht entgangen, dass hier in aufwendig gestalteten Anzeigen Elite Partner jene, die sich dafür halten, zu vermitteln trachtet: Gutsituierte, wohlgebildete Menschen, international erfahren, sicher auf diplomatischem Parkett, finanziell ungebunden, mit Doktor- und Professoren- und Adelstiteln suchen ebensolche und formulieren etwa so, wie sie es von ihren Stellenausschreibungen her ohnehin gewohnt sind.



Darüber hinaus gibt es allerdings auch einige kleine Fließtextanzeigen, so wie man sie aus dem Dummen Werbeblatt kennt. Das war mir neu. Und auch wenn die Menschen und ihre Sehnsüchte verschieden sind - als Anhänger des Pluralismus nehme ich dies immer wieder erfreut zur Kenntnis - scheint sich dort doch vornehmlich ein ganz bestimmter Typus zu tummeln.



Eine kurze Gegenprobe im Feld bestätigt den Eindruck. Die hier eingestreuten Beispiele stammen aus der Kontaktbörse des lokalen Internetportals, sind wenig kryptisch, kommen sozusagen direkt auf den Punkt, egal, ob ein "Weiser Mann", eine "Griechische" oder auch nur "unsterbliche" Frau gesucht wird, ob man "einfach nur wieder Glücklich seien" will oder "Jungs um die 50 zur Verkürzung des Winters" sucht - man trägt sein Anliegen insgesamt doch sehr direkt vor.



Im Zeit Magazin (unter der Überschrift "ER SUCHT IHN", ist aber auch schon egal) klingt es hingegen so:
Unikat mit 'er' sucht eines (<45Lj) mit 'ze' für genialen Schmusekurs statt Tor-Tour als Lebens Spur. Entschlossen zum Katzensprung?

Oder auch so:

Scharfsinnig sens. m-Wesen begehrt w-Freigeist (<45 Lj) zum interakt. Herumgeistern sowie interag. Unwesentreiben u.v.m.

Woran liegt das? Am übermäßigen Konsum von Um die Ecke gedacht? Oder wird so um die Liebe von Franz Schuh und Iris Radisch gebuhlt?

Ich jedenfalls fühle mich weder durch diese noch durch andere Annoncen angesprochen. Bis auf eine:

Zwischen 10 und 100: aufrichtiger Briefpartner gesucht. Bin 70, Witwe, gebildet, humorvoll, tolerant und vielseitig interessiert, bes. an Kulturgeschichte.
Man muss sich nur trauen, oder?

(Einmal traf ich sie noch. Was denn aus der Chiffre-Anzeige geworden sei, damals, fragte ich. "Ach, die!", sprach sie. Drei riesige Plastiktüten mit Briefen habe sie schließlich nach Hause geschleppt.)

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Dienstag, 19. Januar 2010
17,00 + 1,59 Spesen!
nnier | 19. Januar 2010 | Topic Gelesn
Isch find sz app gutt un isch find trigema gutt mache gutt T-Shirt und Blog.

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