Ich habe zwei Bücher, eins ist dick und weiß und eins ist dick und schwarz. Sie passen im Regal gut nebeneinander. Das weiße habe ich vor zehn 15 Jahren angefangen und noch nicht durch, es hat aber ein Lesebändchen, so dass ich alle paar Jahre ein Stück weiterlesen kann. Und es gibt viele Fußnoten darin, dafür ist es, so glaube ich, auch bekannt. Fußnoten gibt es in dem schwarzen Buch auch so einige, ein Lesebändchen aber nicht. Deswegen habe ich es lieber am Stück gelesen.
Ich wäre ohne die Empfehlung einer Kollegin* nicht auf die Idee gekommen, Coming of Karlo zu lesen. "Lisa Kränzler erzählt mit allen Mitteln der Sprache die Geschichte verletzter Menschen in einer desperaten Welt, in der toxische Männlichkeit wie ein wildes Tier lauert und einen Charakter befällt", steht auf der Rückseite, und das kann man vielleicht so sehen, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob man "Charakter" im Deutschen inzwischen so verwendet wie "Character" im Englischen, sonst hätte ich eher "Figur" geschrieben, es sei denn, man interpretiert das so, dass eben speziell der Charakter derselben, also nicht die ganze Figur, von der toxischen Männlichkeit befallen wird.
Tatsächlich muss ich über diesen Satz, der den Roman zusammenfassen? Anteasern? Bewerben? soll, noch weiter nachdenken:
Lisa Kränzler [x]
erzählt [x]
mit allen Mitteln der Sprache [xxx]
die Geschichte verletzter Menschen [x]
in einer desperaten Welt, [x]
in der toxische Männlichkeit wie ein wildes Tier lauert [?]
und einen Charakter befällt [?]
Lauern und befallen, da bin ich mir wirklich nicht sicher. Rein auf der Handlungsebene ist es eine Coming-of-Age-Geschichte mit verliebten Teenagern, abwesenden Eltern, exzessiven Partys, Kumpelfreunden und Clubnächten. Also nichts, das ich freiwillig lesen würde. Ich möchte hier auch nicht den Inhalt referieren, kurze Zusammenfassungen und ein paar wenige Rezensionen lassen sich schnell finden.
Was mich tatsächlich beeindruckt, ist die Sprache - nicht diese erzwungen literarische Kunstsprache, und doch literarisch und künstlerisch; die Figuren und ihre Rede, innerlich und äußerlich, sind komplett künstlich und kommen einem, dennoch oder deshalb, nahe wie selten. Die Szenerie, schwäbische Provinz Anfang der 2000er Jahre, wird mit wenigen Strichen plastisch, und zwar ohne dass jemand Dialekt spricht.
Wenn das dann plötzlich doch geschieht, ist die Wirkung so unfassbar komisch, dass ich gleich wieder an das weiße Buch denken muss, S. 507, wenn der "Immigrant" spricht ("Als aine, wo alli Aabeehysli verspritzt, bin ych scho männgs Joor bekannt gse. In de Beize uff de Landstroosse han ych scho lang nimme uff d'Schissi deerfe", Sie erinnern sich bestimmt, man stirbt beim Lesen.)
In Coming of Karlo, mitten in den dramatisch kulminierenden Ereignissen und existentiellen Geworfenheiten, berichtet der Gruber Hermann von seinen Beobachtungen am See, und ich muss beim Lesen laut lachen:
Um halb Zwölfe kommt also des Mädle auf de Schteg und fängt's krakeehle a, schreit "KARLO, KARLO!", als ob's brenne dät, schtatt dass se wartet, bis er fertig isch - aber so sind se, die Jonge! Mir waret au it andersch. Koi bissle andersch ...
Zerschd hon i denkt, dass se gar it nei will ins Wasser, d'Weiber sind do zum Doil ja a bissle schreckhaft, hennt Angscht vor de Fisch oder dass a Schlang kommt oder wa woiss I ...
Ich habe das Buch vor allem als Liebesgeschichte gelesen, diese Art von Liebe, die man schon fast vergessen hat, besitzergreifend und gewaltig, toxisch männlich meinetwegen, mit diesen vergrabenen und verleugneten Gefühlen, die so gar nicht sozial erwünscht sind. Es sagt ja niemand, dass so etwas gut ausgehen muss.
Momentan wird das Buch verramscht, ich empfehle es unbedingt!
Lisa Kränzler, Coming of Karlo, Verbrecher Verlag (2019), 624 Seiten
--
*Danke! Danke!
Ich wäre ohne die Empfehlung einer Kollegin* nicht auf die Idee gekommen, Coming of Karlo zu lesen. "Lisa Kränzler erzählt mit allen Mitteln der Sprache die Geschichte verletzter Menschen in einer desperaten Welt, in der toxische Männlichkeit wie ein wildes Tier lauert und einen Charakter befällt", steht auf der Rückseite, und das kann man vielleicht so sehen, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob man "Charakter" im Deutschen inzwischen so verwendet wie "Character" im Englischen, sonst hätte ich eher "Figur" geschrieben, es sei denn, man interpretiert das so, dass eben speziell der Charakter derselben, also nicht die ganze Figur, von der toxischen Männlichkeit befallen wird.
Tatsächlich muss ich über diesen Satz, der den Roman zusammenfassen? Anteasern? Bewerben? soll, noch weiter nachdenken:
Lisa Kränzler [x]
erzählt [x]
mit allen Mitteln der Sprache [xxx]
die Geschichte verletzter Menschen [x]
in einer desperaten Welt, [x]
in der toxische Männlichkeit wie ein wildes Tier lauert [?]
und einen Charakter befällt [?]
Lauern und befallen, da bin ich mir wirklich nicht sicher. Rein auf der Handlungsebene ist es eine Coming-of-Age-Geschichte mit verliebten Teenagern, abwesenden Eltern, exzessiven Partys, Kumpelfreunden und Clubnächten. Also nichts, das ich freiwillig lesen würde. Ich möchte hier auch nicht den Inhalt referieren, kurze Zusammenfassungen und ein paar wenige Rezensionen lassen sich schnell finden.
Was mich tatsächlich beeindruckt, ist die Sprache - nicht diese erzwungen literarische Kunstsprache, und doch literarisch und künstlerisch; die Figuren und ihre Rede, innerlich und äußerlich, sind komplett künstlich und kommen einem, dennoch oder deshalb, nahe wie selten. Die Szenerie, schwäbische Provinz Anfang der 2000er Jahre, wird mit wenigen Strichen plastisch, und zwar ohne dass jemand Dialekt spricht.
Wenn das dann plötzlich doch geschieht, ist die Wirkung so unfassbar komisch, dass ich gleich wieder an das weiße Buch denken muss, S. 507, wenn der "Immigrant" spricht ("Als aine, wo alli Aabeehysli verspritzt, bin ych scho männgs Joor bekannt gse. In de Beize uff de Landstroosse han ych scho lang nimme uff d'Schissi deerfe", Sie erinnern sich bestimmt, man stirbt beim Lesen.)
In Coming of Karlo, mitten in den dramatisch kulminierenden Ereignissen und existentiellen Geworfenheiten, berichtet der Gruber Hermann von seinen Beobachtungen am See, und ich muss beim Lesen laut lachen:
Um halb Zwölfe kommt also des Mädle auf de Schteg und fängt's krakeehle a, schreit "KARLO, KARLO!", als ob's brenne dät, schtatt dass se wartet, bis er fertig isch - aber so sind se, die Jonge! Mir waret au it andersch. Koi bissle andersch ...
Zerschd hon i denkt, dass se gar it nei will ins Wasser, d'Weiber sind do zum Doil ja a bissle schreckhaft, hennt Angscht vor de Fisch oder dass a Schlang kommt oder wa woiss I ...
Ich habe das Buch vor allem als Liebesgeschichte gelesen, diese Art von Liebe, die man schon fast vergessen hat, besitzergreifend und gewaltig, toxisch männlich meinetwegen, mit diesen vergrabenen und verleugneten Gefühlen, die so gar nicht sozial erwünscht sind. Es sagt ja niemand, dass so etwas gut ausgehen muss.
Momentan wird das Buch verramscht, ich empfehle es unbedingt!
Lisa Kränzler, Coming of Karlo, Verbrecher Verlag (2019), 624 Seiten
--
*Danke! Danke!
Link zu diesem Beitrag (0 Kommentare) | Kommentieren [?]
Im vergangenen Jahr habe ich endlich wieder zum Lesen richtiger Bücher gefunden.
Früher kaum vorstellbar, dass ich das mal sage, denn ich habe immer für mein Leben gerne gelesen. Das ging schon vor der Schule los, ich war fasziniert von der Schreibmaschine meiner Eltern und brachte mir das Lesen und Schreiben selber bei. Seither habe ich gelesen, wann es nur ging: Wenn ich auf Kindergeburtstagen eingeladen war, verzog ich mich mit einem spannenden Buch in die Ecke. Wenn wir in den Urlaub fuhren, las ich, was in der Unterkunft zu finden war - Konsalik, Bastei-Romane, völlig egal. Ich wünschte mir jahrelang "Die drei ???" zum Geburtstag, häufte 500 Jerry-Cotton-Heftromane an, nahm auch die Auswahlbände von Reader's Digest, wenn es nichts anderes gab, und traf durch die schiere Menge zwischendurch auf richtig gute Literatur.
Eine der frühesten und zugleich beeindruckendsten literarischen Erfahrungen war "Der Bahnwärter Sandomir" von Günter Bruno Fuchs: Da merkte schon mein Grundschüler-Ich, dass hier jemand eine ganz eigentümliche, eigene Welt aufspannt, und dass die interessanten Abenteuer nicht nur im Weltraum oder bei der Verbrecherjagd stattfinden, sondern auch in einer ganz anderen Sicht auf diese Welt bestehen können.
Nicht mal der Deutschunterricht konnte mir die Freude am Lesen verderben, auch wenn ich mich an kaum ein Lektürestück erinnere, das ich damals gerne gelesen hätte: Aber das mag am Setting liegen, schließlich bin ich auch erst nach dem Schulabschluss ins Deutsche Museum gegangen und habe mir das Modell mit der Großmolkerei und Milchabfüllung angesehen, sehr interessant! - ein Jahr vorher hätte ich laut gekotzt, wenn sie uns da hingeschleppt hätten. Also sorry an Frank Wedekind und Co.
(Jedoch waren nicht mal 30 Jahre vergangen, als die Scharte ausgewetzt werden konnte, weil meine Tochter im Englischunterricht etwas zu der Kurzgeschichte "How Muster-Master Stoneman Earned His Breakfast" von Price Warung ausarbeiten musste. Ich wollte das Entstehungsdatum -1892!- kaum glauben, weil sie so modern geschrieben ist. Dieser Punkt geht klar an die Schule.)
Im todlangweiligen Studium (ja, ich bin selber schuld) traf ich immerhin auf Dostojewskij und freute mich kunst- und kulturpsychologisch über die genaue Figurenzeichnung in "Der Idiot", fühlte mich von den ersten Houellebecqs und Maxon Crumb bereichert, las parallel weiter massenhaft leichtes Zeug wie die Montalbano-Krimis von Andrea Camilleri, und so hätte das immer weitergehen können - wenn ich nicht irgendwann aufgehört hätte.
Natürlich nicht komplett: Aber plötzlich blieb ein so faszinierendes Werk wie "Unendlicher Spaß" nach 300 Seiten für Jahre neben meinem Bett liegen. Plötzlich blieb ich im ersten Band der Tagebücher von Samuel Pepys stecken, das seither in seinem Schuber vor sich hinstaubt. Hätte es nicht immer wieder etwas Tolles, Neues von Wolf Haas gegeben, wer weiß, vielleicht hätte ich das Lesen ganz verlernt. Statt dessen Serien, jahrein, jahraus - tolle Sachen gibt's da, kennen Sie netflix?
Ich räumte meine Regale aus, bestückte öffentliche Bücherschränke, stellte Bananenkisten an die Straße: Nur, weil ich das mal gelesen habe, muss ich es nicht ein Leben lang aufbewahren! Raus damit, es fühlte sich gut und richtig an, aber, aua!, kaum war sie weg, meine Poe-Gesamtausgabe, hätte ich so gerne mal wieder "Der Untergang des Hauses Usher" gelesen!
Irgendwas hat sich im letzten Jahr wieder gedreht. Ich habe einen riesigen Stapel, davon nehme ich nun tatsächlich wieder etwas in die Hand, setze mich nach Jahren sogar nachmittags mit Buch in einen Sessel und - lese. Welcome back.
Gestern abend fuhr ich raus, beendete das Jahr mit Standheizung und einem Stück "Coming of Karlo", und ich weiß schon genau, was ich heute nachmittag mache.
Früher kaum vorstellbar, dass ich das mal sage, denn ich habe immer für mein Leben gerne gelesen. Das ging schon vor der Schule los, ich war fasziniert von der Schreibmaschine meiner Eltern und brachte mir das Lesen und Schreiben selber bei. Seither habe ich gelesen, wann es nur ging: Wenn ich auf Kindergeburtstagen eingeladen war, verzog ich mich mit einem spannenden Buch in die Ecke. Wenn wir in den Urlaub fuhren, las ich, was in der Unterkunft zu finden war - Konsalik, Bastei-Romane, völlig egal. Ich wünschte mir jahrelang "Die drei ???" zum Geburtstag, häufte 500 Jerry-Cotton-Heftromane an, nahm auch die Auswahlbände von Reader's Digest, wenn es nichts anderes gab, und traf durch die schiere Menge zwischendurch auf richtig gute Literatur.
Eine der frühesten und zugleich beeindruckendsten literarischen Erfahrungen war "Der Bahnwärter Sandomir" von Günter Bruno Fuchs: Da merkte schon mein Grundschüler-Ich, dass hier jemand eine ganz eigentümliche, eigene Welt aufspannt, und dass die interessanten Abenteuer nicht nur im Weltraum oder bei der Verbrecherjagd stattfinden, sondern auch in einer ganz anderen Sicht auf diese Welt bestehen können.
Nicht mal der Deutschunterricht konnte mir die Freude am Lesen verderben, auch wenn ich mich an kaum ein Lektürestück erinnere, das ich damals gerne gelesen hätte: Aber das mag am Setting liegen, schließlich bin ich auch erst nach dem Schulabschluss ins Deutsche Museum gegangen und habe mir das Modell mit der Großmolkerei und Milchabfüllung angesehen, sehr interessant! - ein Jahr vorher hätte ich laut gekotzt, wenn sie uns da hingeschleppt hätten. Also sorry an Frank Wedekind und Co.
(Jedoch waren nicht mal 30 Jahre vergangen, als die Scharte ausgewetzt werden konnte, weil meine Tochter im Englischunterricht etwas zu der Kurzgeschichte "How Muster-Master Stoneman Earned His Breakfast" von Price Warung ausarbeiten musste. Ich wollte das Entstehungsdatum -1892!- kaum glauben, weil sie so modern geschrieben ist. Dieser Punkt geht klar an die Schule.)
Im todlangweiligen Studium (ja, ich bin selber schuld) traf ich immerhin auf Dostojewskij und freute mich kunst- und kulturpsychologisch über die genaue Figurenzeichnung in "Der Idiot", fühlte mich von den ersten Houellebecqs und Maxon Crumb bereichert, las parallel weiter massenhaft leichtes Zeug wie die Montalbano-Krimis von Andrea Camilleri, und so hätte das immer weitergehen können - wenn ich nicht irgendwann aufgehört hätte.
Natürlich nicht komplett: Aber plötzlich blieb ein so faszinierendes Werk wie "Unendlicher Spaß" nach 300 Seiten für Jahre neben meinem Bett liegen. Plötzlich blieb ich im ersten Band der Tagebücher von Samuel Pepys stecken, das seither in seinem Schuber vor sich hinstaubt. Hätte es nicht immer wieder etwas Tolles, Neues von Wolf Haas gegeben, wer weiß, vielleicht hätte ich das Lesen ganz verlernt. Statt dessen Serien, jahrein, jahraus - tolle Sachen gibt's da, kennen Sie netflix?
Ich räumte meine Regale aus, bestückte öffentliche Bücherschränke, stellte Bananenkisten an die Straße: Nur, weil ich das mal gelesen habe, muss ich es nicht ein Leben lang aufbewahren! Raus damit, es fühlte sich gut und richtig an, aber, aua!, kaum war sie weg, meine Poe-Gesamtausgabe, hätte ich so gerne mal wieder "Der Untergang des Hauses Usher" gelesen!
Irgendwas hat sich im letzten Jahr wieder gedreht. Ich habe einen riesigen Stapel, davon nehme ich nun tatsächlich wieder etwas in die Hand, setze mich nach Jahren sogar nachmittags mit Buch in einen Sessel und - lese. Welcome back.
Gestern abend fuhr ich raus, beendete das Jahr mit Standheizung und einem Stück "Coming of Karlo", und ich weiß schon genau, was ich heute nachmittag mache.
Link zu diesem Beitrag (4 Kommentare) | Kommentieren [?]
Es gibt sehr schöne Passagen, in denen wir tief eintauchen können in's MV [Märkische Viertel; nnier] und die seltsame Schule und die späten 70er, frühen 80er... aber manches bleibt sehr kalauerhaft, zerdehnt, bemüht. Manche Teile wirken auf eine Art geschrieben, daß sie vorlesetechnisch gut von Fil performt werden könnten - beim Selberlesen macht das auch nicht soviel Spaß.
[Eine Am*zon-Rezension, nicht von mir]
Ich schreib jetzt nicht jede Klassenfahrt, die ich gemacht habe.
[Fil im Deutschlandfunk-Interview bei ca. 2:40]
Das ist dann schon schade, wenn ein Lesezeichen beiliegt und man schaut sich das an und freut sich über diesen typischen Fil-Humor: "Spielen Sie nicht mit mir, ich liebe Vampirlyrik!", das alles ist ganz toll, und so oft sagt man im Leben ja nicht: Super Lesezeichen schon mal!
Ich habe da oben geschrieben: "Nicht von mir", denn das könnte fast von mir sein. Ich bekam Die ulkigsten Kommmix fon Phil in der originalen Packpapierausgabe von einem Westberliner Freund geschenkt und bin seitdem Fanboy. Ewig später, als er die komische Inselstadt endlich mal verließ, war ich vor Freude ganz außer mir über die ersten Auftritte, denen ich beiwohnen durfte: Eine solche Humordichte auf allen Ebenen, ständig unterlaufene und übertroffene Erwartungen, Meta ohne Besserwisserattitüde, Selbstverarschung ohne Anbiederei, fröhliches Dilettieren bei großer Genauigkeit im Detail, das kannte ich aus seinen Comics und war völlig baff, dass das auf der Bühne auch möglich ist. Da könnte man 25 Fun-Freitage kondensieren und würde nicht ansatzweise so intensiv an den Synapsen gekitzelt.
Ich hätte über die Lande fahren und seinen Namen noch viel vehementer preisen mögen als mit solchen zarten Andeutungen, bloß dass dann diese alte Eifersucht zum Tragen kommt, man will den für sich alleine haben, auch wenn das schon mit den Beatles nicht geklappt hat. Die ganze Nummer: Der soll bloß nicht zu erfolgreich werden, am Ende finden ihn die Honks plötzlich auch toll und tragen Baseballkäppis, auf denen Schiggenfaggä steht, und so sitzt man missgünstig in der Falle, will immer erzählen, wie toll der ist, und ihn gleichzeitig in Zellophan wickeln, damit er bloß nie bei 7 Tage, 7 Köpfe eingeladen wird.
Schon der Umzug von der winzigen in die normalgroße Veranstaltungsstätte lässt einen da argwöhnen, missmutig starrt man auf die anderen Besucher und würde ihnen am liebsten ein Bein stellen, hier, kuck mal, Fil, ich bewahre dich davor, kommerziell zu werden!
Und man hat den ganzen Mist schon oft erlebt, wie Leute mit den falschen Sachen erfolgreich sind, ob das Penislesungen sind oder Fraktus-Konzerte, bei denen plötzlich die Massen johlen und tanzen, dabei will man doch bei solch seltener Gelegenheit von zerfurchten Grüblern und angsteinflößend Wahnsinnigen mit schwerer Kost versorgt werden, um den Alltag bis zum nächsten Mal durchzustehen: Mein Dasein wird durch Juwelen wie die Welt des Jürgen Dose bereichert, für die Massenversorgung ist die Humorindustrie mit ihrer genormten Häppchenproduktion zuständig, also geht doch bitte alle bei Bully Herbig ablachen und latscht nicht über die Trüffeln.
Dann noch die unglaublich langweilige Tastache, dass früher alles besser war: So schwer es mir fällt, das auszusprechen, aber auch meine Helden können das Niveau nicht immer halten, da lese ich gutwillig jedes neue Buch von Heinz Strunk und denke, ja, hm, ehrenwerter Versuch, aber am liebsten würde ich noch mal das Programm Mit Hass gekocht oder etwas Vergleichbares sehen.
Und damit zurück zu Fil, denn auch seine letzten Shows konnte ich ohne dunkle Flecken im Schritt verlassen und musste auch nicht mehr bei jedem neuen Didi&Stulle meine Umwelt tagelang mit debilem Grinsen und schlecht imitiertem Berliner Dialekt penetrieren, so wie das bei Höhepunkten wie Didis Höllenabenteuer einfach nicht zu vermeiden war.
Es ist vollkommen ungerecht, da erwartet man immer mehr und mehr ausgerechnet von den Leuten, die einem schon so viel gegeben haben, die sollen doch bitteschön auf eigene Kosten durchs Land reisen und vor kleinem (aber erlesenem!) Publikum Verluste erspielen, während irgendwelche Flachköpfe die Haribo-Millionen abgreifen.
Pullern im Stehn. Die Geschichte meiner Jugend ist nun nicht im Selbstverlag und nicht bei Reprodukt, sondern bei Rowohlt erschienen und zum Teil ganz interessant (genauer gesagt habe ich das Buch in einer durchwachten Nacht am Stück weggelesen). Für die nun anstehende Promotour wünsche ich ihm nicht nur weniger holprige Interviews als solche, sondern auch anständige Verkäufe, die hat er sich verdient. Vom eigentlichen Fil kommt für mich in der verdichteten Form, sei es im Comic oder auf der Bühne, deutlich mehr herüber als in den gesammelten Jugendschwänken, denn auch wenn ab und zu eine ernste Grundierung durchscheint, stehen die meisten Episoden für wenig mehr als für sich selbst. Etwas mehr Punk bzw. Entschlossenheit, dem Leser mal einen reinzuwürgen oder ansatzlos ins Absurde zu driften, hätte ich dem Buch gewünscht, in dem freundlich vor sich hingeplaudert wird und einmontierte Science-Fiction-Fantasien eher unmotiviert auftauchen (und abbrechen).
Man kann vielleicht kaum vermeiden, so ein Rowohlt-Publikum beim Schreiben immer mitzudenken. Fils Geschichte hätte ich deshalb lieber in einem Packpapierfanzine gelesen.
Trotzdem, Leute: Das Lesezeichen ist 1A!
[Eine Am*zon-Rezension, nicht von mir]
Ich schreib jetzt nicht jede Klassenfahrt, die ich gemacht habe.
[Fil im Deutschlandfunk-Interview bei ca. 2:40]
Das ist dann schon schade, wenn ein Lesezeichen beiliegt und man schaut sich das an und freut sich über diesen typischen Fil-Humor: "Spielen Sie nicht mit mir, ich liebe Vampirlyrik!", das alles ist ganz toll, und so oft sagt man im Leben ja nicht: Super Lesezeichen schon mal!
Ich habe da oben geschrieben: "Nicht von mir", denn das könnte fast von mir sein. Ich bekam Die ulkigsten Kommmix fon Phil in der originalen Packpapierausgabe von einem Westberliner Freund geschenkt und bin seitdem Fanboy. Ewig später, als er die komische Inselstadt endlich mal verließ, war ich vor Freude ganz außer mir über die ersten Auftritte, denen ich beiwohnen durfte: Eine solche Humordichte auf allen Ebenen, ständig unterlaufene und übertroffene Erwartungen, Meta ohne Besserwisserattitüde, Selbstverarschung ohne Anbiederei, fröhliches Dilettieren bei großer Genauigkeit im Detail, das kannte ich aus seinen Comics und war völlig baff, dass das auf der Bühne auch möglich ist. Da könnte man 25 Fun-Freitage kondensieren und würde nicht ansatzweise so intensiv an den Synapsen gekitzelt.
Ich hätte über die Lande fahren und seinen Namen noch viel vehementer preisen mögen als mit solchen zarten Andeutungen, bloß dass dann diese alte Eifersucht zum Tragen kommt, man will den für sich alleine haben, auch wenn das schon mit den Beatles nicht geklappt hat. Die ganze Nummer: Der soll bloß nicht zu erfolgreich werden, am Ende finden ihn die Honks plötzlich auch toll und tragen Baseballkäppis, auf denen Schiggenfaggä steht, und so sitzt man missgünstig in der Falle, will immer erzählen, wie toll der ist, und ihn gleichzeitig in Zellophan wickeln, damit er bloß nie bei 7 Tage, 7 Köpfe eingeladen wird.
Schon der Umzug von der winzigen in die normalgroße Veranstaltungsstätte lässt einen da argwöhnen, missmutig starrt man auf die anderen Besucher und würde ihnen am liebsten ein Bein stellen, hier, kuck mal, Fil, ich bewahre dich davor, kommerziell zu werden!
Und man hat den ganzen Mist schon oft erlebt, wie Leute mit den falschen Sachen erfolgreich sind, ob das Penislesungen sind oder Fraktus-Konzerte, bei denen plötzlich die Massen johlen und tanzen, dabei will man doch bei solch seltener Gelegenheit von zerfurchten Grüblern und angsteinflößend Wahnsinnigen mit schwerer Kost versorgt werden, um den Alltag bis zum nächsten Mal durchzustehen: Mein Dasein wird durch Juwelen wie die Welt des Jürgen Dose bereichert, für die Massenversorgung ist die Humorindustrie mit ihrer genormten Häppchenproduktion zuständig, also geht doch bitte alle bei Bully Herbig ablachen und latscht nicht über die Trüffeln.
Dann noch die unglaublich langweilige Tastache, dass früher alles besser war: So schwer es mir fällt, das auszusprechen, aber auch meine Helden können das Niveau nicht immer halten, da lese ich gutwillig jedes neue Buch von Heinz Strunk und denke, ja, hm, ehrenwerter Versuch, aber am liebsten würde ich noch mal das Programm Mit Hass gekocht oder etwas Vergleichbares sehen.
Und damit zurück zu Fil, denn auch seine letzten Shows konnte ich ohne dunkle Flecken im Schritt verlassen und musste auch nicht mehr bei jedem neuen Didi&Stulle meine Umwelt tagelang mit debilem Grinsen und schlecht imitiertem Berliner Dialekt penetrieren, so wie das bei Höhepunkten wie Didis Höllenabenteuer einfach nicht zu vermeiden war.
Es ist vollkommen ungerecht, da erwartet man immer mehr und mehr ausgerechnet von den Leuten, die einem schon so viel gegeben haben, die sollen doch bitteschön auf eigene Kosten durchs Land reisen und vor kleinem (aber erlesenem!) Publikum Verluste erspielen, während irgendwelche Flachköpfe die Haribo-Millionen abgreifen.
Pullern im Stehn. Die Geschichte meiner Jugend ist nun nicht im Selbstverlag und nicht bei Reprodukt, sondern bei Rowohlt erschienen und zum Teil ganz interessant (genauer gesagt habe ich das Buch in einer durchwachten Nacht am Stück weggelesen). Für die nun anstehende Promotour wünsche ich ihm nicht nur weniger holprige Interviews als solche, sondern auch anständige Verkäufe, die hat er sich verdient. Vom eigentlichen Fil kommt für mich in der verdichteten Form, sei es im Comic oder auf der Bühne, deutlich mehr herüber als in den gesammelten Jugendschwänken, denn auch wenn ab und zu eine ernste Grundierung durchscheint, stehen die meisten Episoden für wenig mehr als für sich selbst. Etwas mehr Punk bzw. Entschlossenheit, dem Leser mal einen reinzuwürgen oder ansatzlos ins Absurde zu driften, hätte ich dem Buch gewünscht, in dem freundlich vor sich hingeplaudert wird und einmontierte Science-Fiction-Fantasien eher unmotiviert auftauchen (und abbrechen).
Man kann vielleicht kaum vermeiden, so ein Rowohlt-Publikum beim Schreiben immer mitzudenken. Fils Geschichte hätte ich deshalb lieber in einem Packpapierfanzine gelesen.
Trotzdem, Leute: Das Lesezeichen ist 1A!
Link zu diesem Beitrag (3 Kommentare) | Kommentieren [?]
Die, äh, ich bin ... unter anderem riesiger Fan dieser ... Stilistik, dieser ... scheinbar abgebrochenen oder abgebrochenen oder ... Sie sind ja auch kein Fan von, von Hilfsverben und so und also oder der Erzähler ist es nicht und ... da gibt's Sätze, die bestehen nur aus einer Silbe ... äh ... Punkt. So. Äh ... w-w-w-w-wie würden Sie das charakterisieren, kann man sagen Phantomsätze, weil es ist ja ein, es entstehen ja Sätze im Kopf wie anderswo Bilder, oder ... äh, ist kein schöner Begriff, oder sind das virtuelle Sätze oder gibt's dafür schon ... Sie haben so was ja studiert, gibt's dafür schon bestimmte linguistische Kategorie?
Hören Sie sich z.B. das mal an: So etwas streichelt meine Synapsen, das lässt mich wohlig erschauern, da wird das Sprachzentrum massiert und man macht ein einfältiges Gesicht und sagt, mmmh, gut so, weiter so. Ich sitze da oben und lausche, und natürlich ist er ein unglaublich netter und höflicher Mensch. Man merkt das auch gleich beim Lesen, das kommt direkt durch die Bücher durch, dass da mit einer sehr freundlichen Intelligenz geschrieben wird.
Läuft zum Beispiel einer mit fetter Spiegelreflexkamera vor der Bühne hin und her, hält drauf, macht Klicklicklick, dann geht das minutenlang so, selber wird man schon ganz grantig, dann unterbricht der Autor kurz die Lesung und sagt, Entschuldigung, das irritiert mich, lacht freundlich, sagt: Ich bin ein empfindlicher Vorleser, und liest dann weiter.
Kein Künstlergetue, kein billiger Witz auf Kosten des Knipsers, und diese großartige menschliche Haltung merkt man auch in dem aspekte-Interview: Wie leicht wäre es, den fahrigen Interviewer auflaufen zu lassen oder ihm so richtig eine mitzugeben, man ist ja Erfolgsautor und muss nun wirklich nicht auf jeden Unsinn antworten. Bereiten Sie sich gefälligst vor, wenn Sie mit mir reden wollen! Aber da sitzt ein freundlicher Mensch, der versucht, die Frage zu verstehen und sie zu beantworten. Wie angenehm das ist: Ein echtes Gespräch trotz des gewohnt peinlichen aspekte-Settings im, hui!, Tattoo-Studio.
(Die zitierte Stelle ist bei 14:49)
Und da komme ich mir schon blöd vor, dass ich so kurz angebunden war, als er mich etwas gefragt hat beim Signieren: Ich hielt es für höflichen Small Talk, um über die Peinlichkeit der Situation zu helfen (denn es gibt ja kaum etwas Verdrucksteres als dieses Schlangestehen und "Können Sie bitte Für Helga schreiben") und antwortete einsilbig wie ein Stoffel.
Hören Sie sich z.B. das mal an: So etwas streichelt meine Synapsen, das lässt mich wohlig erschauern, da wird das Sprachzentrum massiert und man macht ein einfältiges Gesicht und sagt, mmmh, gut so, weiter so. Ich sitze da oben und lausche, und natürlich ist er ein unglaublich netter und höflicher Mensch. Man merkt das auch gleich beim Lesen, das kommt direkt durch die Bücher durch, dass da mit einer sehr freundlichen Intelligenz geschrieben wird.
Läuft zum Beispiel einer mit fetter Spiegelreflexkamera vor der Bühne hin und her, hält drauf, macht Klicklicklick, dann geht das minutenlang so, selber wird man schon ganz grantig, dann unterbricht der Autor kurz die Lesung und sagt, Entschuldigung, das irritiert mich, lacht freundlich, sagt: Ich bin ein empfindlicher Vorleser, und liest dann weiter.
Kein Künstlergetue, kein billiger Witz auf Kosten des Knipsers, und diese großartige menschliche Haltung merkt man auch in dem aspekte-Interview: Wie leicht wäre es, den fahrigen Interviewer auflaufen zu lassen oder ihm so richtig eine mitzugeben, man ist ja Erfolgsautor und muss nun wirklich nicht auf jeden Unsinn antworten. Bereiten Sie sich gefälligst vor, wenn Sie mit mir reden wollen! Aber da sitzt ein freundlicher Mensch, der versucht, die Frage zu verstehen und sie zu beantworten. Wie angenehm das ist: Ein echtes Gespräch trotz des gewohnt peinlichen aspekte-Settings im, hui!, Tattoo-Studio.
(Die zitierte Stelle ist bei 14:49)
Und da komme ich mir schon blöd vor, dass ich so kurz angebunden war, als er mich etwas gefragt hat beim Signieren: Ich hielt es für höflichen Small Talk, um über die Peinlichkeit der Situation zu helfen (denn es gibt ja kaum etwas Verdrucksteres als dieses Schlangestehen und "Können Sie bitte Für Helga schreiben") und antwortete einsilbig wie ein Stoffel.
Link zu diesem Beitrag (6 Kommentare) | Kommentieren [?]
Ist das nicht traurig! Sehen Sie nur mal hin.
Wahrscheinlich renne ich offene Türen ein, und alle lächeln müde und sagen: Ja, das ist doch altbekannt, dass der Wolf Haas so tolle Sachen schreibt. Und da gibt es auf jeden Fall jemanden, der mir schon vor Jahren gesagt hat: Die Brenner-Romane solltest du mal lesen, das wäre genau dein Ding.
Und dann will man mit diesem seligen Lächeln einschlafen, und schwupp!, hört das Kapitel wieder so toll auf, dass man doch wenigstens noch das nächste lesen muss. Und schon wieder ist ein Buch durchgelesen, zum Heulen, da muss dann erst mal ein anderes her, irgendwas Normales, damit man sich nicht so sehr an diese euphorischen Zustände gewöhnt, die Schwelle wieder senken, und vor allem: Nicht so schnell alles weglesen, das muss noch lange reichen, es ist nicht mehr viel übrig, dann aber irgendwann: Jippieh, den nächsten Brenner!, und nun sehen Sie das Elend da oben.
Und vielleicht erinnern Sie sich auch noch, wie das mit den Süßigkeiten manchmal war, das hielt man einfach nicht aus, die so langsam zu lutschen, dann zerbiss man die Bonbons und schluckte das ganze Brausepulver auf einmal, damit es endlich weg ist, und ich nahm den sechsten Band heraus und las gleich weiter.
Wahrscheinlich renne ich offene Türen ein, und alle lächeln müde und sagen: Ja, das ist doch altbekannt, dass der Wolf Haas so tolle Sachen schreibt. Und da gibt es auf jeden Fall jemanden, der mir schon vor Jahren gesagt hat: Die Brenner-Romane solltest du mal lesen, das wäre genau dein Ding.
Oder er hat in den Kamillentee hineingeschaut und seine Beobachtungen gemacht. Wie es nach jedem Schluck ein bisschen weniger Tee geworden ist, und wenn die Magdalena ihm nachgeschenkt hat, war die Tasse wieder voll, sehr interessant.Ja Scheiße! Ich lese immer mal wieder ein Buch, das ist dann ein gutes Buch oder ein nicht so gutes Buch, aber nur selten im Leben kommt es vor, dass man dasitzt mit seinem Buch und denkt: Jetzt nicht so schnell lesen, damit es länger dauert, spar es dir auf, so wie früher mit den Süßigkeiten: Lieber langsam dran lutschen, dann hast du länger was davon.
Und dann will man mit diesem seligen Lächeln einschlafen, und schwupp!, hört das Kapitel wieder so toll auf, dass man doch wenigstens noch das nächste lesen muss. Und schon wieder ist ein Buch durchgelesen, zum Heulen, da muss dann erst mal ein anderes her, irgendwas Normales, damit man sich nicht so sehr an diese euphorischen Zustände gewöhnt, die Schwelle wieder senken, und vor allem: Nicht so schnell alles weglesen, das muss noch lange reichen, es ist nicht mehr viel übrig, dann aber irgendwann: Jippieh, den nächsten Brenner!, und nun sehen Sie das Elend da oben.
Er hat einen Schluck Kamillentee genommen, da war eine Stelle in der Tasse, wo man gesagt hat, jetzt ist sie noch knapp mehr als halb voll, und dann hat man einen Schluck gemacht, und dann hat man gesagt: Jetzt ist sie weniger als halb voll. Wenn man dann ganz wenig nachgeschenkt hat, war sie wieder mehr als halb voll. Und da gibt es immer die großen Theoretiker, die den Optimismus in die Welt hinaustrompeten, dass jeder normale Mensch einen Gehörschaden kriegt, und die wollen, dass man nicht zugibt, die Flasche ist halb leer. Sie wollen, dass man sagt, halb voll. Dabei gibt es halb gar nicht, das hat der Brenner ja gerade in tagelangen Tests mit seiner Kamillenteetasse herausgefunden.Ohne Witz: Ich habe gestern den fünften Brenner-Roman gelesen, Wie die Tiere, und ich habe begeisterte Selbstgespräche geführt und mich wohlig unter meiner Decke gerekelt, so schön hat sich das angefühlt, das Lesen, ich hätte Kerzen anzünden können für dieses Buch, und dann hat es auf so eine gigantisch gute Weise geendet, dass ich es mit verschleiertem Blick in den Schuber zurückgesteckt habe, und ich nahm mir vor: Jetzt freust du dich noch ein bisschen über dieses tolle Buch, dann aber wird geschlafen.
Und vielleicht erinnern Sie sich auch noch, wie das mit den Süßigkeiten manchmal war, das hielt man einfach nicht aus, die so langsam zu lutschen, dann zerbiss man die Bonbons und schluckte das ganze Brausepulver auf einmal, damit es endlich weg ist, und ich nahm den sechsten Band heraus und las gleich weiter.
Link zu diesem Beitrag (9 Kommentare) | Kommentieren [?]
2013 werden ja diese Schockfotos auf den Verpackungen eingeführt: Gammlige Zähne auf der Cola, gelbe Augen auf dem Schnaps, Furunkel auf der Bratwurst. An der Karussellkasse grüßen abgerissene Gliedmaßen, an der Tankstelle Verbrennungsopfer: It could happen to you!
Ich möchte mal einen Film drehen, herkömmliche Handlung, zwei Männer gehen essen, Kommissare vielleicht oder zwei Ausbrecher aus einem psychiatrischen Krankenhaus, die sich als viel "normaler" entpuppen als die sogenannten Normalen und unheimlich viel Herz haben, weil mit Liebe kann man alles lösen: Für mich bitte einen kleinen Salat. Ich nehme die Zucchinitarte. Und ein Wasser, bitte. Kein Kommentar dazu, keine homophoben Untertöne, kein Tusch, kein Zoom: Einfach, dass die das bestellen und essen, die Handlung soll ganz normal weiterlaufen.
Später dann, und es ist keine Männer- und Frauenklamotte mit Thomas Heinze, gehen ein paar Frauen zusammen essen, es ist aber kein Junggesellinenabschied und es sind auch nicht so Serienmörderinnen, die aber moralisch im Recht sind, weil man ja weiß, dass eigentlich das Patriarchat schuld ist: Sondern einfach, dass die zusammen essen, Boah!, Habe ich einen Hunger!, Ich könnte einen Bären fressen!, Ein Bier bitte und das Jägerschnitzel mit Pommes. Und ich nehme den Grillteller mit extra Zwiebeln.
Dazu ist es wichtig, dass das ein konventioneller Film ist, ein Tatort vielleicht oder sowas wie Rosamunde Pilcher, also man müsste konsequent vermeiden, irgendwelche Mehrdeutigkeiten oder zusätzliche Ebenen hineinzunehmen: Ich stelle hier die Fragen!, müsste es ganz normal heißen, oder: Du darfst mich nie wieder verlassen, Jeremy, versprich es mir!
Unsere Welt wird immer sicherer und gesünder. Das ist schon ein paar Jahre her, da sagte Kollege Sportskanone in die Runde: Ich sehe das nicht ein, dass ich für die Raucher mitbezahle, ich meine ich reiße mir hier den Arsch auf und mache Sport und versuche, unser Gesundheitssystem zu retten - und was tun die! Sollen sie doch sterben! Hätten ja nicht rauchen müssen! Und das lässt sich bestimmt per App ganz wunderbar quantifizieren: Die Höhenmeter mit dem Rennrad im Urlaub und die Low-Carb-Diät von 1996-2003, dann immer ausreichend Nachtschlaf und keine riskanten Sexualkontakte. Energiesparlampen nachweislich seit '98 und damit weit vor der Zwangseinführung, und der Quecksilberunfall mit der runtergefallenen Lampe wirkt sich auch nicht auf den Health-Index aus: Weil wenn du bis Ende 2012 mindestens 50% Energiesparlampen im Haushalt nachweisen kannst (Quittungen beim Energieversorger einreichen und bestätigen lassen), hast du einmal Quecksilberlunge frei oder halt 500 km mit dem Elektroauto.
Es gibt in der Zeit jede Woche eine Seite mit dem Titel Zeit der Leser, die mich auf perverse Weise fasziniert. Hier fasst sich das Bürgertum auf so schamlose Weise gegenseitig an die Pfeife, dass ich vor Rührung weinen muss. Da werden klassische Werke auf öko umgedichtet, auf dass der Bildungsbürger (hört!, hört!) kennerhaft schmunzele, bevor er das Altglas in den Allradvolvo packt und zum Recyclinghof bringt. Belanglose Kritzeleien werden auf eitelste Weise präsentiert (... entstanden während eines Seminars zur philosophischen Phraseologie bei Kierkegaard), die ewiggleichen "Wort-Schätzchen" (oder so) wiedergekäut, all das ist schon eine schwer erträgliche schwarzgrüne Gefühlssoße - das nackte Grauen aber kommt über mich, wenn ich zum Schluss mit Angstlust die Spalte "Was mein Leben reicher macht" lese.
Der Rauhreif am Morgen beim Waldspaziergang! Das freundliche Wort der Bäckereifachverkäuferin! Die Dankbarkeit in den Augen des Ausländerkindes, dem ich (kostenlos) Sprachunterricht gebe! Die guten Gespräche mit meinem alten Studienfreund Günter am Kamin bei einem Glas Rotwein! Dass mir meine Schwester immer die guten Ingwerplätzchen schickt! Wullewulle, heiteitei, jetzt aber ins Kammerkonzert. Wichsen!, würde ich da gerne mal hinschreiben, oder: Soviel saufen, dass man sich in die Hose pisst, oder: Ein Dreier mit Kristina Schröder und Ursula von der Leyen, oder: Meine Mordphantasien.
Das würde natürlich meinen Mental-Health-Index negativ beeinflussen, ich höre es schon: Das sehe ich nicht ein, dass ich für den mitbezahle, ich meine: Wir bringen hier schön das Altglas zum Recyclinghof und wärmen uns gegenseitig, und der wichst einfach, ich meine: Da waren doch seit 2013 sogar diese Schockfotos drauf mit den blauen Genitalien, ich meine: Manchmal hilft wohl nur das drastische Bild, aber selbst das anscheinend nicht in jedem Fall. Noch ein Ingwerplätzchen?
Ich möchte mal einen Film drehen, herkömmliche Handlung, zwei Männer gehen essen, Kommissare vielleicht oder zwei Ausbrecher aus einem psychiatrischen Krankenhaus, die sich als viel "normaler" entpuppen als die sogenannten Normalen und unheimlich viel Herz haben, weil mit Liebe kann man alles lösen: Für mich bitte einen kleinen Salat. Ich nehme die Zucchinitarte. Und ein Wasser, bitte. Kein Kommentar dazu, keine homophoben Untertöne, kein Tusch, kein Zoom: Einfach, dass die das bestellen und essen, die Handlung soll ganz normal weiterlaufen.
Später dann, und es ist keine Männer- und Frauenklamotte mit Thomas Heinze, gehen ein paar Frauen zusammen essen, es ist aber kein Junggesellinenabschied und es sind auch nicht so Serienmörderinnen, die aber moralisch im Recht sind, weil man ja weiß, dass eigentlich das Patriarchat schuld ist: Sondern einfach, dass die zusammen essen, Boah!, Habe ich einen Hunger!, Ich könnte einen Bären fressen!, Ein Bier bitte und das Jägerschnitzel mit Pommes. Und ich nehme den Grillteller mit extra Zwiebeln.
Dazu ist es wichtig, dass das ein konventioneller Film ist, ein Tatort vielleicht oder sowas wie Rosamunde Pilcher, also man müsste konsequent vermeiden, irgendwelche Mehrdeutigkeiten oder zusätzliche Ebenen hineinzunehmen: Ich stelle hier die Fragen!, müsste es ganz normal heißen, oder: Du darfst mich nie wieder verlassen, Jeremy, versprich es mir!
Unsere Welt wird immer sicherer und gesünder. Das ist schon ein paar Jahre her, da sagte Kollege Sportskanone in die Runde: Ich sehe das nicht ein, dass ich für die Raucher mitbezahle, ich meine ich reiße mir hier den Arsch auf und mache Sport und versuche, unser Gesundheitssystem zu retten - und was tun die! Sollen sie doch sterben! Hätten ja nicht rauchen müssen! Und das lässt sich bestimmt per App ganz wunderbar quantifizieren: Die Höhenmeter mit dem Rennrad im Urlaub und die Low-Carb-Diät von 1996-2003, dann immer ausreichend Nachtschlaf und keine riskanten Sexualkontakte. Energiesparlampen nachweislich seit '98 und damit weit vor der Zwangseinführung, und der Quecksilberunfall mit der runtergefallenen Lampe wirkt sich auch nicht auf den Health-Index aus: Weil wenn du bis Ende 2012 mindestens 50% Energiesparlampen im Haushalt nachweisen kannst (Quittungen beim Energieversorger einreichen und bestätigen lassen), hast du einmal Quecksilberlunge frei oder halt 500 km mit dem Elektroauto.
Es gibt in der Zeit jede Woche eine Seite mit dem Titel Zeit der Leser, die mich auf perverse Weise fasziniert. Hier fasst sich das Bürgertum auf so schamlose Weise gegenseitig an die Pfeife, dass ich vor Rührung weinen muss. Da werden klassische Werke auf öko umgedichtet, auf dass der Bildungsbürger (hört!, hört!) kennerhaft schmunzele, bevor er das Altglas in den Allradvolvo packt und zum Recyclinghof bringt. Belanglose Kritzeleien werden auf eitelste Weise präsentiert (... entstanden während eines Seminars zur philosophischen Phraseologie bei Kierkegaard), die ewiggleichen "Wort-Schätzchen" (oder so) wiedergekäut, all das ist schon eine schwer erträgliche schwarzgrüne Gefühlssoße - das nackte Grauen aber kommt über mich, wenn ich zum Schluss mit Angstlust die Spalte "Was mein Leben reicher macht" lese.
Der Rauhreif am Morgen beim Waldspaziergang! Das freundliche Wort der Bäckereifachverkäuferin! Die Dankbarkeit in den Augen des Ausländerkindes, dem ich (kostenlos) Sprachunterricht gebe! Die guten Gespräche mit meinem alten Studienfreund Günter am Kamin bei einem Glas Rotwein! Dass mir meine Schwester immer die guten Ingwerplätzchen schickt! Wullewulle, heiteitei, jetzt aber ins Kammerkonzert. Wichsen!, würde ich da gerne mal hinschreiben, oder: Soviel saufen, dass man sich in die Hose pisst, oder: Ein Dreier mit Kristina Schröder und Ursula von der Leyen, oder: Meine Mordphantasien.
Das würde natürlich meinen Mental-Health-Index negativ beeinflussen, ich höre es schon: Das sehe ich nicht ein, dass ich für den mitbezahle, ich meine: Wir bringen hier schön das Altglas zum Recyclinghof und wärmen uns gegenseitig, und der wichst einfach, ich meine: Da waren doch seit 2013 sogar diese Schockfotos drauf mit den blauen Genitalien, ich meine: Manchmal hilft wohl nur das drastische Bild, aber selbst das anscheinend nicht in jedem Fall. Noch ein Ingwerplätzchen?
Link zu diesem Beitrag (13 Kommentare) | Kommentieren [?]
Eins ist mal wieder typisch: Erst ist es so - dann ist es wieder anders!
Als Kind merkte man recht schnell, wenn jemand aus südsprachlichen Gefilden wie Bayern oder Österreich kam. Völlig unabhängig von dem lustigen, gesprochenen Dialekt, den eh keiner vernünftig nachmachen konnte, gab es ein untrügliches Kennzeichen: Den Artikel vor dem Namen. Sagte man standarddeutsch: Da kommt Sabine, da hinten geht Herr Krause, ich soll dich von Onkel Richard grüßen, so hieß es ab einer gewissen Sprachgrenze: Da kommt die Sabine, da hinten geht der Herr Krause, ich soll dich vom Onkel Richard grüßen. Ich hatte ein Kinderbuch (ich meine, es war der Gurkenkönig von Christine Nöstlinger), in dem das nebenbei thematisiert wurde: Da schreibt der Erzähler, ein österreichischer Junge, über die Mutti und die Gabi, seine Schwester, die ihm dann regelmäßig sagt, dass das aber Dialekt sei.
Irgendwann hört man sich in so etwas rein, dann wird es umgekehrt komisch, dann fühlt es sich auf einmal falsch und nackt an, wenn man sagt: "Daniela hat mir erzählt" oder "Ich rufe Tante Waltraud an". Natürlich nicht im standarddeutschen Raum, das wäre ja peinlich und albern, wenn man plötzlich in einer norddeutschen Hansestadt anfinge, seinem Kind zu erzählen, dass man jetzt "zum" Joachim gehen werde. Und auch in der schönsten Kuhglockenumgebung vermeide ich es, die ganzen Regionalismen nachzuplappern (auch wenn ich meine stille Freude an ihnen habe). Es käme es mir andererseits jedoch seltsam vor, zu sagen, ich ginge jetzt "zu" Hansi ins Wirthaus, und ich ertappe mich dabei, dass ich wie selbstverständlich sage: Ich bin der nnier. Hoffentlich ist das nicht so eine Anbiederei, wie wenn jemand mal ein Wochenende in der Schweiz ist und gleich mit Grüezi anfängt!
Den Wolf Haas kannte ich noch nicht. Für einen kurzen Moment überfiel mich panische Angst, es könne am Ende dieser unerträgliche "Verstehen-Sie-Haas"-Schreiber von Spiegel Online sein, aber, puh, er ist es nicht. Und ich weiß auch schon nicht mehr, wie ich auf Das Wetter vor 15 Jahren aufmerksam wurde. Die kurze Inhaltsangabe jedenfalls klang interessant - dass jemand vor 15 Jahren als Jugendlicher zum letzten Mal in seinen österreichischen Urlaubsort gefahren ist und seither die dortigen Wetterdaten jedes Tages auswendig weiß. Dass es um eine unglückliche Ferienliebe geht, stand wahrscheinlich auch dabei, mein Interesse war geweckt, das Buch bestellt, doch es kam zu spät und ich musste ohne es in meinen österreichischen Urlaubsort fahren.
An mir war das tatsächlich vorbeigegangen. Zwar erinnere ich mich daran, dass jemand mir die Brenner-Kriminalromane sehr ans Herz gelegt hatte, die, wie ich jetzt kapiere, eben auch der Wolf Haas geschrieben hat - aber ich lese Krimis nur noch sehr gelegentlich, da bin ich inzwischen etwas wählerischer oder vielleicht hat sich auch nur mein Geschmack verändert. Vor15 25 sehr vielen Jahren als Jugendlicher am österreichischen Urlaubsort dagegen las ich meine erste Handvoll Jerry Cotton und war für die nächsten Jahre damit beschäftigt, hunderte von diesen Heften zu beschaffen und zu lesen.
Diesmal lagen keine Schundkrimis in der Hütte, und so blätterte ich abends mit meiner Stirnlampe in abgelegten Bildbänden wie "Traumstraßen Europas" und "Das waren die 80er Jahre", worin übrigens der Peter Scholl-Latour in kurzen Zwischenkapiteln vor sich hindräut wie eh und je. Bloß dass es lustig ist, wenn so ein Dekadenbuch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft in den Läden liegen soll, Redaktionsschluss also vermutlich irgendwann im Sommer ist und dann während des Drucks weltgeschichtliche Umwälzungen stattfinden, die das aufwendige Werk schneller in den Ramsch befördern, als man "Makulatur" sagen kann.
Andererseits ist es eine interessante Erfahrung, noch mal die westdeutsche Perspektive von kurz davor einzunehmen: Man hätte ja wirklich nie gedacht!
Und doch war auf einmal alles anders. Genau wie jetzt wieder in Österreich! Da sagen plötzlich Leute zu einem: Ich bin Fritz. Und das ist Lisa.
Ich habe dann erst zu Hause das Buch vom Wolf Haas lesen können. Der erste Versuch endete nach ein paar Seiten damit, dass ich es genervt weglegte: Was sollte das denn? Dann aber, und das müssen Sie mir einfach glauben, musste ich mich innerlich nur ein wenig neu justieren. Ich fing noch mal von vorne an - und hatte so viel Freude wie seit langem an keinem Lesestück.
Als Kind merkte man recht schnell, wenn jemand aus südsprachlichen Gefilden wie Bayern oder Österreich kam. Völlig unabhängig von dem lustigen, gesprochenen Dialekt, den eh keiner vernünftig nachmachen konnte, gab es ein untrügliches Kennzeichen: Den Artikel vor dem Namen. Sagte man standarddeutsch: Da kommt Sabine, da hinten geht Herr Krause, ich soll dich von Onkel Richard grüßen, so hieß es ab einer gewissen Sprachgrenze: Da kommt die Sabine, da hinten geht der Herr Krause, ich soll dich vom Onkel Richard grüßen. Ich hatte ein Kinderbuch (ich meine, es war der Gurkenkönig von Christine Nöstlinger), in dem das nebenbei thematisiert wurde: Da schreibt der Erzähler, ein österreichischer Junge, über die Mutti und die Gabi, seine Schwester, die ihm dann regelmäßig sagt, dass das aber Dialekt sei.
Irgendwann hört man sich in so etwas rein, dann wird es umgekehrt komisch, dann fühlt es sich auf einmal falsch und nackt an, wenn man sagt: "Daniela hat mir erzählt" oder "Ich rufe Tante Waltraud an". Natürlich nicht im standarddeutschen Raum, das wäre ja peinlich und albern, wenn man plötzlich in einer norddeutschen Hansestadt anfinge, seinem Kind zu erzählen, dass man jetzt "zum" Joachim gehen werde. Und auch in der schönsten Kuhglockenumgebung vermeide ich es, die ganzen Regionalismen nachzuplappern (auch wenn ich meine stille Freude an ihnen habe). Es käme es mir andererseits jedoch seltsam vor, zu sagen, ich ginge jetzt "zu" Hansi ins Wirthaus, und ich ertappe mich dabei, dass ich wie selbstverständlich sage: Ich bin der nnier. Hoffentlich ist das nicht so eine Anbiederei, wie wenn jemand mal ein Wochenende in der Schweiz ist und gleich mit Grüezi anfängt!
Den Wolf Haas kannte ich noch nicht. Für einen kurzen Moment überfiel mich panische Angst, es könne am Ende dieser unerträgliche "Verstehen-Sie-Haas"-Schreiber von Spiegel Online sein, aber, puh, er ist es nicht. Und ich weiß auch schon nicht mehr, wie ich auf Das Wetter vor 15 Jahren aufmerksam wurde. Die kurze Inhaltsangabe jedenfalls klang interessant - dass jemand vor 15 Jahren als Jugendlicher zum letzten Mal in seinen österreichischen Urlaubsort gefahren ist und seither die dortigen Wetterdaten jedes Tages auswendig weiß. Dass es um eine unglückliche Ferienliebe geht, stand wahrscheinlich auch dabei, mein Interesse war geweckt, das Buch bestellt, doch es kam zu spät und ich musste ohne es in meinen österreichischen Urlaubsort fahren.
An mir war das tatsächlich vorbeigegangen. Zwar erinnere ich mich daran, dass jemand mir die Brenner-Kriminalromane sehr ans Herz gelegt hatte, die, wie ich jetzt kapiere, eben auch der Wolf Haas geschrieben hat - aber ich lese Krimis nur noch sehr gelegentlich, da bin ich inzwischen etwas wählerischer oder vielleicht hat sich auch nur mein Geschmack verändert. Vor
Diesmal lagen keine Schundkrimis in der Hütte, und so blätterte ich abends mit meiner Stirnlampe in abgelegten Bildbänden wie "Traumstraßen Europas" und "Das waren die 80er Jahre", worin übrigens der Peter Scholl-Latour in kurzen Zwischenkapiteln vor sich hindräut wie eh und je. Bloß dass es lustig ist, wenn so ein Dekadenbuch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft in den Läden liegen soll, Redaktionsschluss also vermutlich irgendwann im Sommer ist und dann während des Drucks weltgeschichtliche Umwälzungen stattfinden, die das aufwendige Werk schneller in den Ramsch befördern, als man "Makulatur" sagen kann.
Andererseits ist es eine interessante Erfahrung, noch mal die westdeutsche Perspektive von kurz davor einzunehmen: Man hätte ja wirklich nie gedacht!
Und doch war auf einmal alles anders. Genau wie jetzt wieder in Österreich! Da sagen plötzlich Leute zu einem: Ich bin Fritz. Und das ist Lisa.
Ich habe dann erst zu Hause das Buch vom Wolf Haas lesen können. Der erste Versuch endete nach ein paar Seiten damit, dass ich es genervt weglegte: Was sollte das denn? Dann aber, und das müssen Sie mir einfach glauben, musste ich mich innerlich nur ein wenig neu justieren. Ich fing noch mal von vorne an - und hatte so viel Freude wie seit langem an keinem Lesestück.
Link zu diesem Beitrag (8 Kommentare) | Kommentieren [?]
"Heimleiter Du / den das Spardiktat zwingt / die Reinigungskraft / schon um 5 30 Uhr..." "Ist gut, Herr Grass, hier ist Ihre Schnabeltasse." [Q, via]Dieser Twitterwitz ist handwerklich gut gemacht und bringt einiges, das an GG nerven kann, auf den Punkt. Da lasse ich die etwas billig altersdiskriminierende Schnabeltasse mal schön im Schrank.
Für denselben Witz braucht Volker Weidermann in der FAZ erheblich länger. Ich muss sagen, dass ich die Überzeile "Noch'n Gedicht" ganz lustig fand, als sie mir das erste Mal begegnete, denn aus der Kombination Heinz Erhard und Günter Grass kann ich mir durchaus zwei, drei innere Schmunzler basteln, ralla fidili!, bloß liegt dieser Witz so nahe, dass ihn inzwischen jeder gebracht hat, so dass ich bei Herrn Weidermann nicht mehr lachen musste. Dann las ich seinen Artikel und stolperte über den Gegensatz zwischen Teaser ("... das Satiremagazin 'Titanic' hätte die Persiflage eines Grass-Gedichts auch nicht besser hinbekommen") und Artikel ("Dem Satiremagazin 'Titanic' ist es gelungen, ein Gedicht unter dem Namen 'Günter Grass' im Feuilleton der 'Süddeutschen Zeitung' zu platzieren.")
Im Artikel selbst kotzt sich Weidermann dann in erwartbarer Weise über Grass und die Süddeutsche aus, walzt den Scherz in die Länge ("... dass die 'SZ' dieses besonders alberne und unglaubwürdig schlechte Gedicht unter der Überschrift 'Europas Schande' als echtes Grass-Gedicht in ihrer Samstagsausgabe publizieren würde ...") und in die Breite ("... und in aller Eile alles zusammengeschrieben, was Google zu den Suchbegriffen Griechen, Antike und Europa so hergibt, haben dann jeweils die Satzstellung leicht verschoben, die unsinnigsten Genitivkonstruktionen aneinandergereiht und fertig") und trägt so dick auf, dass es der Titanic mit Sicherheit peinlich wäre. (Nebenbei würde mich interessieren, ob die eigentlich gefragt wurden, wie sie es finden, wenn sich jemand so lustig gemein machen will: "Ich glaube, viel mehr wollte die 'Titanic' mit ihrer lustigen Aktion gar nicht zeigen. Und das ist ihr gelungen." Nein, es ist Herr Weidermann, der da etwas zeigen will und meint, dass ihm das gelungen sei.)
Vielleicht experimentiert man bei der FAZ gerade mit unterlaufenen Leseerwartungen, zumindest war ich bei diesem Stück über den sympathischen Radfahrer mit der hübschen Freundin auch ein wenig irritiert ob der verwendeten Zeitform - normalerweise werden solche neckischen Impressionen ja im Präsens verarbeitet, jede Spiegel-Reportage fängt so an, aber, nein: "In den Gärten der Nachbarn blühten die Rhododendren. Nur manchmal schlich ein Auto vorbei. Frank Hanebuth stand im Tor", als sei das alles lange her und nicht die Szenerie, in der der Journalist auf das Objekt seines Interesses trifft. Aber das nur am Rande, vielleicht wollen sie ja das versuchen, was schon bei der taz nie funktioniert hat, die Vermischung von Ressorts, Reportage und Persiflage.
Bei Twitter kräht jemand los, ha ha!, die Titanic wieder!, und alle krähen mit, der Spiegel hängt sich dran und spricht ganz nebenbei von "dürren Zeilen", die die Süddeutsche mal wieder abgedruckt habe, und wenn Weidermann behauptet: "Günter Grass wird es immer weiter treiben mit der Absurdität seiner Selbstgewissheit und das ist dann genauso lustig, wie wenn es die 'Titanic' schreibt" [Q], dann muss ich sagen: Nein, die Titanic ist lustiger, und ob aus dem Griechenland-Gedicht tatsächlich (nur) "absurde Selbstgewissheit" spricht, darüber bin ich mindestens so unsicher wie bei der Suche nach den "absurden Genitivkonstruktionen", über die sich Weidermann mit seiner Titanic-Sockenpuppe so amüsiert.
Lustig dann manche Kommentare zum FAZ-Artikel:
Verlässt man sich nur drauf, dass ein kunstvoll gedrechseltes, krampfhaft sinnbeladenes Geschwurbel nur von ihm sein könnte? Diese Geschichte bezeugt nach meinem Empfinden gleich mehreres: Nachlässige Quellenkontrolle beim SZ-Feuilleton und schlechte Qualität von Grass' Geschreibsel, welches offenbar ruckzuck imitiert werden kann. Sehr geil, Taitännick! Bravo!und
Es erfüllt mich mit großer Freude, dass die "Titanic" sich geoutet hat. Hatte ich doch für einen kleinen Augenblick die Befürchtung, dass Grass jetzt vollends den Verstand verloren hat.bzw.
Die gute Nachricht zuerst: niemand ist gezwungen, diese neuen merkwürdigen Gedichte von Grass zu lesenJa: Lachen wir mal alles weg, der alte Sack nervt, er nu wieder, und diese "Dichter" mit ihrem "Geschwurbel", ha! ha!, kann ich auch, einfach untereinanderschreiben.
Die schlechte: keiner kann's ihm verbieten....
Mich widert das nicht weniger an als ein selbstgewisser Starrkopf, der gerne moralische Noten verteilt.
Link zu diesem Beitrag (16 Kommentare) | Kommentieren [?]
Versuche, das Phänomen Sex-Appeal einfangen zu wollen, haben ja meist etwas von den Bemühungen eines älteren Herrn, der jauchzend hinter einem Schmetterling herläuft, aber zu zittrig ist, den Kescher hoch genug zu halten. [Q]Ich sehe dieses Bild vor mir wie eine Zeichnung von Sempé: Den älteren Herrn, der, die Aktentasche in der einen Hand, mit wenigen Federstrichen umrissen, in eleganter Bewegung, die Umgebung aquarellfarben hingetupft, selbstvergessen lächelnd mit dem Kescher in der anderen Hand einem Phänomen namens Sex-Appeal hinterherjagt. Allerdings habe ich auch mal Psychologie studiert und kann deshalb nicht umhin, Ihnen gewisse seelische Tatsachen zuzumuten: Das Bild, hier so unschuldig entworfen, wird durch sexuelle Unterströmungen en masse nämlich komplett weggespült. Die junge Verfasserin(!) bringt hier scheinbar willkürlich einen älteren Herrn ins Spiel, warum aber nicht eine ältere Dame oder ein tapsiges Kind, die ja ebensolche Schwierigkeiten mit dem Einfangen eines in Anführungsstrichen Schmetterlings hätten? Dieser "Schmetterling", natürlich die Verfasserin selbst (man assoziiert sanft, flatterhaft, unsicher, bedroht, aber auch verführerisch, schön, nicht zuletzt: unschuldig), dazu der "Kescher", den der ältere Herr mit sich führt und nicht "hoch genug" bekommt -
"Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht. Das Porno-Business lässt einen auf Dauer völlig verblöden", sagt der Pornostar im Interview mit B*LD.de, "es wird nur Wert drauf gelegt, die Beine breit zu machen und dann wird losgerammelt." [Q]- bitte? Ja, darauf wollte ich hinaus, das haben Sie sehr prägnant ... sagen Sie, haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen? Im Seminar vielleicht? Nicht? Ich hätte schwören können ...
Link zu diesem Beitrag (2 Kommentare) | Kommentieren [?]
Link zu diesem Beitrag (0 Kommentare) | Kommentieren [?]
... hier geht's zu den --> älteren Einträgen *
* Ausgereift und gut abgehangen, blättern Sie zurück!
* Ausgereift und gut abgehangen, blättern Sie zurück!