Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Weil wenn du heute ein Buch liest
nnier | 27. Februar 2013 | Topic Gelesn
Ist das nicht traurig! Sehen Sie nur mal hin.



Wahrscheinlich renne ich offene Türen ein, und alle lächeln müde und sagen: Ja, das ist doch altbekannt, dass der Wolf Haas so tolle Sachen schreibt. Und da gibt es auf jeden Fall jemanden, der mir schon vor Jahren gesagt hat: Die Brenner-Romane solltest du mal lesen, das wäre genau dein Ding.
Oder er hat in den Kamillentee hineingeschaut und seine Beobachtungen gemacht. Wie es nach jedem Schluck ein bisschen weniger Tee geworden ist, und wenn die Magdalena ihm nachgeschenkt hat, war die Tasse wieder voll, sehr interessant.
Ja Scheiße! Ich lese immer mal wieder ein Buch, das ist dann ein gutes Buch oder ein nicht so gutes Buch, aber nur selten im Leben kommt es vor, dass man dasitzt mit seinem Buch und denkt: Jetzt nicht so schnell lesen, damit es länger dauert, spar es dir auf, so wie früher mit den Süßigkeiten: Lieber langsam dran lutschen, dann hast du länger was davon.

Und dann will man mit diesem seligen Lächeln einschlafen, und schwupp!, hört das Kapitel wieder so toll auf, dass man doch wenigstens noch das nächste lesen muss. Und schon wieder ist ein Buch durchgelesen, zum Heulen, da muss dann erst mal ein anderes her, irgendwas Normales, damit man sich nicht so sehr an diese euphorischen Zustände gewöhnt, die Schwelle wieder senken, und vor allem: Nicht so schnell alles weglesen, das muss noch lange reichen, es ist nicht mehr viel übrig, dann aber irgendwann: Jippieh, den nächsten Brenner!, und nun sehen Sie das Elend da oben.
Er hat einen Schluck Kamillentee genommen, da war eine Stelle in der Tasse, wo man gesagt hat, jetzt ist sie noch knapp mehr als halb voll, und dann hat man einen Schluck gemacht, und dann hat man gesagt: Jetzt ist sie weniger als halb voll. Wenn man dann ganz wenig nachgeschenkt hat, war sie wieder mehr als halb voll. Und da gibt es immer die großen Theoretiker, die den Optimismus in die Welt hinaustrompeten, dass jeder normale Mensch einen Gehörschaden kriegt, und die wollen, dass man nicht zugibt, die Flasche ist halb leer. Sie wollen, dass man sagt, halb voll. Dabei gibt es halb gar nicht, das hat der Brenner ja gerade in tagelangen Tests mit seiner Kamillenteetasse herausgefunden.
Ohne Witz: Ich habe gestern den fünften Brenner-Roman gelesen, Wie die Tiere, und ich habe begeisterte Selbstgespräche geführt und mich wohlig unter meiner Decke gerekelt, so schön hat sich das angefühlt, das Lesen, ich hätte Kerzen anzünden können für dieses Buch, und dann hat es auf so eine gigantisch gute Weise geendet, dass ich es mit verschleiertem Blick in den Schuber zurückgesteckt habe, und ich nahm mir vor: Jetzt freust du dich noch ein bisschen über dieses tolle Buch, dann aber wird geschlafen.

Und vielleicht erinnern Sie sich auch noch, wie das mit den Süßigkeiten manchmal war, das hielt man einfach nicht aus, die so langsam zu lutschen, dann zerbiss man die Bonbons und schluckte das ganze Brausepulver auf einmal, damit es endlich weg ist, und ich nahm den sechsten Band heraus und las gleich weiter.

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dosron, Samstag, 2. März 2013, 01:10
Ich musste erst suchen. Aber bitte schön:
"Obwohl sie nichts von seiner polizeilichen Vergangenheit gewusst hat, hat sie sofort gespürt, dass hinter dem korrekten und ein bisschen steifen Charakter ein ganz anderer Mensch steckt. Weil natürlich, einer geschulten
Psychologin machst du keinen Herrn Simon vor, wenn du ein alter Brenner bist."

Wolf Haas, Brenner und der liebe Gott, Hoffmann und Campe Verlag, 2009

Schöne Ausgabe haben Sie da!

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nnier, Samstag, 2. März 2013, 10:55
Der Nachschlag. Ich bin schon gespannt, vor allem, weil der Erzähler am Ende des sechsten Bandes ding ding ding ding ding ding,

Es gibt eine ganz wunderschöne mit sechs bunten Hardcovern im Schuber, leider nur als teures Sammlerstück. Und erstaunlicherweise wurden einem auch mal die ersten fünf Brenner-Romane in einem Rowohlt-Sammelband geradezu hinterhergeworfen.

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hora sexta, Samstag, 2. März 2013, 15:07
Sehen Sie nur mal hin. Hab ich gemacht. Und muss zugeben, dass ich die Buchstütze ziemlich schnafte finde.

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nnier, Sonntag, 3. März 2013, 16:24
Perspektivisch verzerrt - man könnte meinen, diese Bücher seien ganz groß. Na, auf eine Art sind sie das ja auch.

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hora sexta, Sonntag, 3. März 2013, 16:38
Ah, er wieder.

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die stille, Donnerstag, 7. März 2013, 16:58
nur fünf bücher im regal? da ist doch noch platz für mehr! :-)

eins zum langsamlesen ist:

fernando pessoa, "das buch der unruhe".

mal zwei auszüge daraus:

Im Osten erhebt sich die Stadt, nur zum Teil sichtbar, fast senkrecht und erstürmt statisch das Kastell. Die bleiche Sonne umflort die unerwartete Häusermasse, die sie hier verbirgt, mit einer verschwommenen Aureole. Der Himmel ist von einem feuchtblassen Blau. Vielleicht regnet es heute wieder, doch sanfter als gestern. Der Wind scheint von Osten her zu kommen, denn mit einem Mal riecht es nach reifem Obst und Grünzeug vom nahen Markt. Auf der Ostseite des Platzes tummeln sich mehr Auswärtige als auf der Westseite. Die Rollläden der Geschäfte fallen wie gedämpfte Schüsse nach oben. Ich weiß nicht warum, aber das Geräusch trägt mir diesen Satz zu. Vielleicht, weil sie dieses Geräusch vor allem beim Nach-unten-Gehen verursachen, jetzt jedenfalls gehen sie nach oben. Alles erklärt sich. Mit einem Mal bin ich allein auf der Welt. Ich sehe all dies von der Höhe eines geistigen Daches aus. Ich bin allein auf der Welt. Sehen heißt abseits stehen. Klar sehen heißt stillstehen. Analysieren heißt fremd sein.

[...]

Ich denke immer, fühle immer; doch mein Denken enthält keine Gedanken, mein Gefühlsleben keine Gefühle. Ich falle oben aus der Falltür durch den ganzen unendlichen Raum, in einem Sturz ohne Richtung, unendlichfach und leer. Meine Seele ist ein schwarzer Mahlstrom, ein weites Taumeln rings um die Leere, Bewegung eines endlosen Ozeans rund um eine Loch im Nichts, und in den Gewässern, die eher ein Kreisen als Gewässer sind, treiben die Bilder all dessen, was ich gesehen und gehört habe auf der Welt - strudeln Häuser, Gesichter, Bücher, Kisten, Spuren von Musik und Silben von Stimmen in einem düsteren, unauslotbaren Wirbel.

Quelle: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/buechermarkt/165875/

viel spaß beim lesen. :)

lg
die stille


http://www.amazon.de/Buch-Unruhe-Hilfsbuchhalters-Bernardo-Soares/dp/3596903092/ref=sr_1_2?s=books&ie=UTF8&qid=1362668472&sr=1-2

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nnier, Freitag, 8. März 2013, 16:13
Im Osten erhebt sich ein Bücherregal. Momentan frage ich mich gelegentlich, wie ich auf Dauer damit umgehen möchte: Das Sammeln und Horten hoffe ich in den Griff bekommen zu haben und trenne mich jetzt öfter mal vom mittelmäßigen Regionalkrimi, statt ihn auch noch dazuzustellen.

Nun hat mir jemand neulich ganz begeistert sein elektronisches Lesegerät vorgeführt; noch wirkt das auf mich unsinnlich und wenig augenfreundlich, und doch, man könnte sich den ganzen Overhead von Herstellung, Kauf, ggf. Verkauf und Versand sparen, zumindest bei all der Gebrauchsliteratur. Bananenkistenweise Ballast abwerfen. Wenn ich nur nicht fürchten müsste, das Kind mit dem Bade auszuschütten.

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die stille, Sonntag, 10. März 2013, 14:20
na ja, langfristig gesehen, würdest du damit auch die buchläden aus den straßen werfen. :-(

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nnier, Sonntag, 10. März 2013, 14:32
Ja. Seit Ewigkeiten mache ich den Dreischritt: Internetrecherche, Buch im Laden bestellen, Buch abholen. Das kostet nur wenig Mühe und hilft hoffentlich beim Bestandsschutz. Manchen Leuten kann es dagegen gar nicht schnell genug damit gehen, den stationären Einzelhandel plattzumachen. Was die Bücher angeht fürchte ich tatsächlich, dass die den Weg der Tonträger noch vor sich haben. Am Ende bleiben ein paar bibliophile Liebhaberausgaben.

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