Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Perlen und Säue
nnier | 10. Februar 2010 | Topic Gelesn
Da gibt es dieses Rührstück über einen, der mal ganz böse war und der jetzt, da er sterben wird, milde und versöhnlich geworden ist. Aber früher, da war das ein Wüterich, kaum zu glauben, wie der blind draufgeschlagen hat:
Muss seine Ruhe einen verwundern? Vielleicht, wenn man Pfitzinger von früher kennt. Als er wütend wirkte. Und manchmal aggressiv.

Der Mann, der gern und ausgiebig die taz geschmäht hat, der dabei so fies sein konnte, dass sich taz-Redakteure immer wieder persönlich attackiert fühlten, [...]

Alles Bittere und Gallige hat er abgestreift. [...]

"Lob & Tadel, Perlen & Mist" kündigte er an, aber meist war es fast ausschließlich Mist, den er da in seiner Zeitung fand. Entsprechend schäumend und unduldsam fiel seine Kritik dann aus. [...]

In seinen täglichen Blogeinträgen ist viel von "reißerischen Hetzartikeln", "üblen Aufmachern" und "Journalismus unterster Schublade" die Rede. Von "Leerkopf-an-Kopf-Rennen", Kommentaren, in denen "absolut nichts drinsteht", und es gibt Kolumnen, da tippt er nur noch: "Würg!" [...]

Ist er ausnahmsweise mal zufrieden, verbucht er das für sich - er schlussfolgert dann, die Stümper in der Redaktion müssten seinen Blog gelesen und entsprechend ihr journalistisches Treiben berichtigt haben.

So war es natürlich nicht. Im taz-Intranet machten Mails mit den abgefahrensten Pfitzinger-Sottisen die Runde. Hat der Mann sie noch alle, fragten sich viele. Wer ist das überhaupt? Und woher nimmt der die Zeit, Tag für Tag seinen Ekel an dieser Zeitung ins Netz zu kotzen? [...]
Und es liest sich ja auch ganz süffig, was die Redakteurin da so schreibt, ein wenig Selbstkritik wird angedeutet, ganz verhuscht ("Und natürlich hat er nicht nur unrecht mit dem, was er da herausbellt"), aber auch hier wieder: "herausbellt", als ginge es um einen herumkläffenden Querulanten - und dann die Geschichte von der angesichts der Krankheit doch noch einsetzenden Altersmilde erzählt. Folglich kommentieren die Leute dann so:
ich finde es mutig von Dir, dass Du Hans besuchst und diesen Artikel schreibst. Schließlich war er nicht "sehr nett" zu Dir. Dir ist dennoch ein sehr empathischer Besuchsbericht gelungen. Es sind Berichte wie diese, die mir die TAZ einmalig machen.
Oder:
Schade möchte man sagen, wenn jemand derart hssserfüllt durch´s Leben geht und erst so spät Frieden findet.
Zwar hab ich nie einen seiner Ergüsse gelesen, aber ich hätte ihn spontan nicht gemocht.
Und so weiter, und dann reicht's einem langsam, denn es ist grotesk verzerrt und einfach falsch. Ich kenne Hans Pfitzinger nicht persönlich, aber eine Zeitlang hat er hier und anderswo kommentiert, und eine Zeitlang habe ich sein "tazblog" gelesen und hätte dort gerne kommentiert. (Leider gab es in seinem Blog keine Kommentarfunktion, und so fanden die kleinen, angenehmen, überhaupt nicht lauten und immer respektvollen Blogplaudereien eben anderswo statt.)

Ich weiß nicht, wo anders als in einer paranoiden Redakteursphantasie man daraus einen herumkotzenden "Grantler" und "Geiferer" machen kann. Aber vielleicht bin ich ja selber so einer, schließlich habe ich hier auch schon ein-, zweimal an dieser Zeitung herumgemäkelt. Jedenfalls bin ich der Ansicht, dass man sich gegen herausgereiherten Sprachmüll wie z.B. das "Tagebuch der Carla Bruni" auch mit deutlichen Worten wehren muss - und das hat Hans Pfitzinger bravourös getan.

Und sich sonst auf so gründliche, redliche und integere Weise mit der kleinen Zeitung auseinandergesetzt, dass ich angesichts der kindisch-beleidigten Reaktionen, die man dem Artikel direkt und indirekt entnehmen kann, schlicht entgeistert bin.

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jean stubenzweig, Mittwoch, 10. Februar 2010, 16:29
Mir wurde der taz-Text per eMail zugesandt, das Original sehe ich nun mit Ihrer Hilfe. Über den Text habe ich mich nichtmal sonderlich aufgeregt, wie man sich eben, besser: wie ich mich eben nicht sonderlich aufrege über belangloses Gesülze, das möglicherweise ein aus einem bißchen schlechten Gewissen oder auch nur kalter Spaltenfüllerei wegen dort hineingegossen wurde. Dümmliches Geschwafel, dem deutlich abzulesen ist, daß die Autorin sich mit der Person, mit hap, wie er bei uns früher gekürzelt hieß, nicht auseinandergesetzt hat. Das wird auch an den Kommentaren (ohne Ihren und einen weiteren) deutlich, die belegen, daß die taz kurz davor ist, zum Feld-, Wald-, Wiesen- und Gebetsblättchen in Richtung Walhall oder auch West-Nirwana aufzusteigen – was Pfitzinger, der diese Zeitung seit ihren Anfängen liebte und sie deshalb so hart anging, immer vermieden haben wollte; er hatte, seiner Unabhängigkeit wegen, auch das Angebot abgelehnt, fürs Blatt selbst zu bloggen.

Dieses bei dpa ausgeliehene Bild allerdings, auch noch übertitelt mit «Bis er plötzlich verstummen mußte», das haut mich um. Das ist widerwärtig. Einem solchen Alt-Rock'n'-Roller und kritischem Geist ein solches Händchen aufzulegen, das ist sozusagen todesverachtende Vorab-Geschichtsklitterung.

Klar, ich hätte mich leichter getan. Weil ich ihn seit fünfunddreißig Jahren kenne. Aber ich nehme nicht an, daß ich das für die taz auf mich genommen hätte. Auch hätten die Trauergirlanden eines solchen Hospizes (wie die taz sie häkelt) mich abgeschreckt.

Ich erlaube mir, auf ein paar Texte von ihm hinzuweisen.

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nnier, Mittwoch, 10. Februar 2010, 19:29
Das begreife ich erst jetzt - ist das ein Stock Photo? Dabei hätte man nur hier fast ganz oben nachschauen müssen, wenn man ein angemessenes und meinetwegen auch -rührendes Foto gesucht hätte.

Mich hat erschreckt, was der Text teils unwillentlich durchblicken lässt: Wie wenig selbstbewusst anscheinend in der taz-Redaktion mit Kritik umgegangen werden kann. Man konnte das ahnen - Kleinigkeiten, unsouveränes Nachgetrete wie hier - und doch ist es traurig zu lesen, was auf deren Flur bzw. in deren Intranet anscheinend für ein Geist herrscht. Da muss aus einem wie Pfitzinger eben ein "Geiferer" werden, bei dem man sich fragt, ob er sie "noch alle hat", einer, der "Sottisen" absondert und sich, ha ha, einbildet, die Journalisten würden seinetwegen besser schreiben.

Danke für die verlinkten Texte. Ich muss jetzt mal viel grünen Tee trinken.

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jean stubenzweig, Mittwoch, 10. Februar 2010, 23:34
Sicher ist das ein Bild aus der Schublade Alter und Tod. Ich nehme nicht an, daß die taz einen dpa-Photographen abgesandt hat. Das Derlath-Bild zu nehmen haben sie sich vermutlich deshalb nicht zu nehmen getraut, weil der geneigte Leser auf die Idee hätte kommen können, dieser «Geiferer» könnte am Ende keiner sein, der auch noch «Sottisen» absondert (wissen die Leutchen eigentlich, von was sie da schreiben?) et cetera. Ein rührendes Bildchen hätten sie sogar von mir haben können, eines, daß ihn nach einem mehrstündigen Lachgrasanfall an seiner in Liebe maltaitierten Gitarre zeigt. Dafür wäre ich sogar suchend in meine vielen Kartons der Erinnerung abgetaucht. Schmockjournalismus, linksverlogener. Selbstwertgefühl? Pah.

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nnier, Donnerstag, 11. Februar 2010, 11:47
(Etwas verzögert, da nur unregelmäßig freigeschaltet, wird auch in den Kommentaren zum Artikel noch debattiert.)

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jean stubenzweig, Donnerstag, 11. Februar 2010, 13:21
Angenehm, auch mal etwas etwas Besonnenheit zu lesen (was ich von mir nicht unbedingt behaupten kann, mich ärgert so etwas maßlos), verbunden mit der Aufforderung, auch mal nachzudenken.

Ich mag das Blatt nicht, nicht erst seit Pfitzingers Kritik. Zweimal wurde mir ein jeweils dreimonatiges Abonnement geschenkt, das reicht in die neunziger Jahre zurück. Beide Male habe ich's auslaufen lassen. Allzu oft konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, das Personal befinde sich teilweise auf dem Sprungbrett zu höheren Weihen im Himmel des etablierten Journalismus. Und in meinem beruflichen Bereich bin ich fast ausnahmslos auf einen Populismus gestoßen, auf sogenannten linken eben, wie ihn der gute alte Vorwärts besser nicht hinbekommen hätte, nur daß man bei dem wußte, woran man war: er gab sich keinen intellektuellen Anstrich. Feine Unterscheidungen gab es dabei höchst selten. Heutzutage gerate ich nur dann ins Blatt, wenn irgendjemand einen Verweis setzt. Einmal habe ich einen Kommentar abgegeben – aber nur, um Pfitzingers Antiantiraucherkampagnen-Text (Tod allen Nichtrauchern) zu verlinken (oder auszugsweise zu zitieren, genau weiß ich's nicht mehr). Ich empfinde diese Zeitung schlicht als dröge und allzu häufig verlogen. Wobei ich seit Pfitzingers Wachturm auch noch weiß, mit welchem journalistischen Handwerkszeug teilweise operiert wird.

Entschuldigung, eigentlich ist das hier ja nicht der tazblog ...

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nnier, Donnerstag, 11. Februar 2010, 13:50
Bei mir hat's auch nie dauerhaft dazu gereicht. Liegt sie irgendwo herum, dann lese ich sie, wenn ich Zeit habe. Oder klicke alle paar Tage mal in die Online-Ausgabe. Aber immer seltener finde ich etwas, das mich interessiert, abgesehen von der Frage, ob es andere Nachrichten- oder Meinungsquellen in irgendeiner Weise ergänzt. Denn nur als Ergänzung war diese Zeitung für mich von je her überhaupt ein Thema - als Ergänzung zu einer "richtigen" Zeitung.

Eine ganze Weile habe ich mich von den Abo-Kampagnen angesprochen gefühlt und die Schwächen der Zeitung geflissentlich ignoriert - aus dem diffusen Gefühl, es sei eben wichtig, eine unabhängige und alternative Pressestimme zu erhalten. Aber es trug nie auf Dauer. Zu stark der Eindruck, es ginge um die schnelle, "freche" Schlagzeile ("Wau! Wir sind schon wieder im Spiegel zitiert worden!") und um wenig mehr.

Ich kann mir die Verzweiflung und die bitteren Zwänge schon halbwegs vorstellen, die herrschten und herrschen, aber das ist auf Dauer einfach kein Grund, eine Zeitung zu kaufen.

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venice_wolf, Donnerstag, 11. Februar 2010, 15:33
Ich kaufe fast nie Zeitungen... wenn sie mir ihre Meinung andrehen wollen, sollten sie mich bezahlen.
Ausser im Zug, wenn kein wifi da ist, oder im Flugzeug wo ich immer 4-5 internationale Blätter zu meinem Sitzplatz bringe. Gratisexemplare natürlich.
Das nicht nur um ein gebildetes Aussehen zu pflegen, sondern auch um nicht die paar Stunden blöde Filme ansehen zu müssen.
Diese Zeitungen bringe ich dann nach Hause, mein Vater freut sich immer sehr.
Er liest zwar alles im Web, aber womit sollte er sonst den Garagenboden tapezieren, wenn er was streicht, die nassen Schuhe ausstopfen, die leeren Proseccoflaschen einwickeln, usw?

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vert, Donnerstag, 11. Februar 2010, 15:37
achja, das bedruckte papier...;-)

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venice_wolf, Donnerstag, 11. Februar 2010, 15:58
ich kan nicht anders...
PS: alle lesen!
http://www.airtoons.com/toons.php?toon=14

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doloris, Donnerstag, 25. Februar 2010, 12:35
Mit Entdeckungsverzögerung: Danke dafür.
(Allein für den Umgang mit diesem Menschen hat sich dieses Schmierenblättchen Drecksblatt zur ersten Wahl gemacht wenn es gilt, Unappetitliches, Stinkendes einzuwickeln oder Tassen bruchsicher zu verpacken. Dafür müsste man sie allerdings erwerben und das wird dann wohl nichts.)

Danke.

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nnier, Donnerstag, 25. Februar 2010, 13:53
So hart würde ich's nicht ausdrücken wollen; sie bemühen sich ja. Und sind dann eben doch nicht solche Verbrecher wie die Seelenverkäufer in vielen anderen Medien. Was mich allerdings regelmäßig er- und abschreckt ist eine bestimmte Form von Selbstgerechtigkeit und ein unlockerer, wenig selbstbewusster Umgang mit Kritik. Und da erfährt man, will mir scheinen, aus dem Artikel von Anja Maier wesentlich weniger über Hans Pfitzinger als über die Gemütslage der Verfasserin und ihrer Redaktion.

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doloris, Freitag, 5. März 2010, 04:03
Dochdoch. Ich würde.
[Wahrscheinlich falle ich (auch) in die Kategorie enttäuschte Liebe, aber ja, die Selbstgerechtigkeit, das Anbiedern zum Teil, der Boulevardjournalismus, das Unreflektierte, neinnein, da kann ich hier in Berlin mir gleich eine der großen holen. Als ich jung war, fand ich die taz erfrischend, aber das ist lange etliche Ausgaben her. Allerdings habe ich sowieso meine Probleme mit Tageszeitungen in Deutschland. Respektive dem Nichtvorhandensein von guten.]

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