Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Lattentalent latent
nnier | 30. Oktober 2013 | Topic Musiq
You see, it wasn’t just the loss of my brothers, it was the fact we didn’t really get on. And so I’ve lost all of my brothers without being friends with them.
(Barry Gibb)
Es macht mir Angst, vielleicht brechen gerade die Dämme und ich sage nächstes Jahr: Smokie und Boney M. waren eigentlich auch gar nicht so schlecht. Dabei habe ich mir mal was auf meinen abweichenden Musikgeschmack (GenesisP. Collins) eingebildet! Jedenfalls werde ich das Gefühl einer gewissen Latenz nicht los.

Und zwar habe ich vor ein paar Tagen mal einen naheliegenden Witz gemacht. "Hö hö, Botschafter einbestellen - alles wird sowieso abgehört - da basteln wir einen Joke draus, der das Internet erschüttern wird", dachte ich also und habe ja auch noch nicht so ein Twitter angeschafft, sonst hätte ich womöglich festgestellt, dass alle anderen auch so einen Scherz bringen. Bin aber doch eher altmodisch und vor allem: Latent.

Deswegen ich also: Musse Uberschrift, musse uberleg!, Gehirn dann gleich so: Watt heeßtn eijntlich "Botschaft" uff Inglisch, dann Hürnrejion A so: Massa, isse Botschaft in Inglisch "Message", währnt Hürnrejion B mit ihrm Jequake (Embassy! Embassy!) paar Millisekunden späta faktisch keene Schangse mehr hat. Dann wieder dit Latenzjehürn: Du hast doch ca. 1979 eine aufgenommene Cassette mit den frühen Hits der Bee Gees besessen, nimm also diese schlichte Vokabel zum Anlass, um drei Tage ohne Pause dieses Lied von 1968 im Kopf zu bewegen, es zu singen und anzuhören in allen denkbaren Versionen, daraufhin erst mal alles über die Brüder Gibb zu lesen und dir einzugestehen, dass diese Lieder latent in dir gelebt haben und nun ans Tageslicht wollen. Erzähle anwesenden Teenagern ausführlich aus den Tagen, als die drei Falsettbrüder in weißen Anzügen die Welt beherrschten und man sie seither eigentlich immer nur verarschen wollte, hö hö, kieka: Tragedy, hör dir das mal an! Da lacht man über den bärtigen Barry (damals übrigens Best Looking Man of the World) mit seinem kieksigen Gesang und stellt verblüfft fest, wie tief sich Stayin' Alive in der DNA der Popmusik verankert hat: Die kennen das, ohne das zu kennen. Unerwarteter Kommentar dann auch: Gar nicht schlecht eigentlich!, und da kann ich dieser Tage nicht mal widersprechen.

In den 80ern fand ich sie furchtbar, da gab's ja ein zweites Comeback mit You Win Again und ein paar letzten Hits, die mich mit ihrem immergleichen Schmuseharmoniegesang peinigten. Ein obendrein ziemlich humorloses Auftreten und dieses Image als streberhafte Pop-Handwerker schlugen mich in die Flucht. Aber eine gewisse Neugier blieb, latent, die ich nun stillen konnte: Barry hat als ältester Bruder die jüngeren Zwillinge überlebt, gab erst kürzlich seine ersten Solokonzerte, leidet unter Arthritis und darunter, sich von den Brüdern vor deren Tod entfremdet zu haben.

Zusammen waren sie eine brave Beatcombo in den späten 60ern, heiße Falsettfetzer in den 70ern und routinierte Schmuseharmoniker in den 80ern, das wusste man ja, es gab aber einen Prolog als Kinder- und Teenagerstars in Australien: Wackere kleine Kerle, für die Bühne getrimmt wie die Jacksons, das ist in seiner Biederkeit rührend und abstoßend zugleich.



Und verpassen Sie die letzte Zehntelsekunde nicht.

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monnemer, Donnerstag, 31. Oktober 2013, 10:58
*kicher*
Das hebt die freudlose Atmosphäre dieser gestanzten Leibes- und Stimmübungen mit einem Schlag auf. Es sind also doch tatsächlich Menschen, die das darbieten.

Das Intro von Stayin' Alive geht mir seit mittlerweile Jahrzehnten immer mal wieder im Kopf rum. Aber seltsamerweise immer nur bis zu der Stelle, bei der dann der Gesang einsetzt.
Weiß gar nicht warum.

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mark793, Donnerstag, 31. Oktober 2013, 11:07
Ich ahne, warum: Der Basslauf ist (leider) ziemlich genial.

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nnier, Donnerstag, 31. Oktober 2013, 15:29
Ja, der Basslauf ist gut und die Drumloop, und irgendwann musste ich auch akzeptieren, dass ich solche Discostreicher nicht schlecht finde, siehe Funky Town. Natürlich fand ich das alles jahrelang grauenhaft, oberflächlicher Discomist mit weißen Satin-Anzügen, während "kritische" und "ehrliche" Künstler wenigstens angemessen an der Welt litten. Und es ist auch jetzt nicht "meine" Musik, bloß dass ich inzwischen freudig grinsen muss oder mit Kopfstimme mitsingen und das alles zwischendurch sehr erfrischend finde. (Talking about Discozeit.)

Ganz was anderes und wirklich ziemlich übel finde ich die "freudlosen Stimm- und Leibesübungen" der drei dressierten Teenager, das ist genau dieser eingebimste Bühnenmist, bieder bis ins Mark, und wie bei Michael Jackson merkt man es die ganze Karriere hindurch. Kein Zeitreisender darf jemals Liverpool betreten!

Denn es sind ja nicht nur die braven Pullunder oder die paar Jahre Altersunterschied zu den Beatles: Was die Brüder da mit der überschießenden und natürlich sexuell grundierten Lebensfreude des Liedchens Please Please Me anrichten, ist tatsächlich grauenhaft. Man höre mal Lennon, McCartney und Harrison mit ihrem "Come on (come on)"-Wechselgesang im Vergleich mit Barry und den Zwillingen, und dann erst diese traurig flachgeklopften Akkorde unter dem "Please pleeeeaaase me", gerade am Ende - schon ist das ganze Lied ein Pullunder.

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reuter, Freitag, 1. November 2013, 14:59
P(ul)lunder.

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nnier, Freitag, 1. November 2013, 18:45
Mir zeigt das mal wieder, wie kleine Nuancen den Ausdruck vollkommen verändern können. Mit ihren kragenlosen Anzügen wirken die frühen Beatles von heute aus ja auch oft brav und harmlos, trotzdem nie so domestiziert wie die dressierten Drei. Der ganze Gestus dieser Jungs ist trotz Barrys Haartolle (und er ist nicht so viel jünger als George Harrison!) so großtantentauglich, dass sie einem leidtun. Und auf perfide Weise wurde das Lied gleich mitkastriert, das beschäftigt mich richtig, wie leicht man die ganze Lebensfreude da rausamputieren kann.

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hora sexta, Freitag, 1. November 2013, 16:31
Vielleicht beruhigt es Sie, dass erst vor zwei Tagen in Ihrer Stadt der Witz "Obama muss am Samstag nicht in die Glocke kommen, um den Philharmonikern bei der Aufführung eines Oratoriums mit Worten aus seiner Kairoer Rede zuzuhören, denn er hört es sowieso, harhar" sehr gut funktioniert hat. Dieser Twitter ist nicht überall so weit verbreitet wie man die Ahnungslosen meinen machen möchte, jedenfalls nicht neben dem Dom da bei Ihnen.
Dafür kommt übrigens Frau Pilcher vorbei. Ein 89jähriges Partygirl, wurde mir zugeflüstert.

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nnier, Freitag, 1. November 2013, 18:47
Gott sieht alles. Außer Dallas Rosamunde Pilcher.

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hora sexta, Freitag, 1. November 2013, 20:31
Ich habe auch gehört, dass bisher eher wenige Karten verkauft wurden. Mir schwant, hat Gott vielleicht Abwerbung gemacht? Dabei sind diese alten britischen Ladies und Gentlemen so eager und bemühen sich wirklich, richtig und laut zu singen... Es soll allerdings auch Lichtblicke geben. Den kleinen Gastchor zum Beispiel. Und das Orchester natürlich. Und den Saal überhaupt, der als einer der ersten Säle Europas gilt, hach. Ich werde Gott nochmal Bescheid geben.

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nnier, Montag, 4. November 2013, 23:10
Ich warte auf das große Blääärgh, oder verbietet das die Höflichkeit? Mein inneres Gotta Get a Message To You jedenfalls wurde nach einigen Tagen von dem wirklich bestechenden New York Mining Disaster 1941 abgelöst, das mit den Streichern und dem tiefen Hintergrund-Aaaaah-Harmoniegesang sehr typisch für diese Phase (späte 60er) ist. Andere frühe Hits wie Words, World und To Love Somebody geben mir nichts.

Dann (mein Leben ist eine einzige Latenzphase) spukt mir seit dreieinhalb Jahrzehnten das seltsame I.O.I.O durchs Stammhirn. Wiedergehört habe ich erst jetzt und weiß schon, wie die nächsten Tage aussehen bzw. sich anhören. (Die Stimmen! Die Stimmen wieder!)

Aber wenn man so herumforscht, stößt man auch auf Schreckliches. Die ganzen Balladen. Und Dionne Warwick.

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mark793, Montag, 4. November 2013, 23:45
Naja, sooo unschrecklich ist das, was Sie bereits aufgestöbert haben, auch wieder nicht (mit einem tief empfundenen Blöööörgh! könnte ich durchaus dienen, aber muss ja nicht). Als ob es erst bei Dionne Warwick schlimm würde, ihre Version von "Heartbraker" finde ich sogar weitaus erträglicher als die der Gebrüder Gibb.

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nnier, Dienstag, 5. November 2013, 00:16
Na, ick weeß nich, die sind schon irgendwie ein spezieller Fall. Laden zum Dreinschlagen geradezu ein, und ich habe wahllos auf diese ganzen Falsettballaden aus der Discozeit geklickt: Hualp, da wird einem vor Zuckerguss ganz anders. Ich muss aber (nicht zuletzt mir selber) eingestehen, dass ich sogar aus besagter Discozeit inzwischen manche der schnelleren Songs ganz gut hören kann, nehmen wir mal Night Fever, mit dieser typischen Schlackergitarre: Nix für jeden Tag, aber durchaus ein Launemacher. Und dann einige (wie gesagt längst nicht alle) dieser Titel aus den 60ern. Jedenfalls warte ich seit zwei Wochen aufs kathartische Kotzen. Kommt aber nicht, statt dessen noch eine doppelte Portion I.O.I.O. obendrauf.

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reuter, Dienstag, 5. November 2013, 00:32
I.O.I.O.? Ohgott, Herr nnier, man muss sich Sorgen um Sie machen. Gleich sind Sie bei Abba angelangt.

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hora sexta, Dienstag, 5. November 2013, 08:13
Moooment. Abba is aber doch hochedel und geradezu symphonisch, verglichen mit dem gedrillten Kinderchor.

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nnier, Dienstag, 5. November 2013, 08:13
Das ist irgendwo im limbischen System abgespeichert.

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nnier, Dienstag, 5. November 2013, 08:21
Nja, vielleicht gibt es dennoch Ähnlichkeiten, diese sehr weitgehende Marktorientierung, der Blick fürs Gefällige, der mehrstimmige Harmoniegesang, nicht zuletzt die familiären Verbandelungen (die ja irgendwie auch für ein Gefühl der Enge sorgen), das "brave" und genau nicht rebellische Image. Beide jedenfalls eine Herausforderung fürs Rock'n'Roll-Wertesystem. Und mir geht es bei Abba tatsächlich wie bei den Gibbs: Da ist vieles, was mir nichts zusagt, dieses Money-Money-Money-Gehämmer, und doch kann ich inzwischen auch ein paar geschmackvolle Stücke identifizieren: The Day Before You Came ist eines davon.

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wilson.3d, Dienstag, 5. November 2013, 09:28
Zumal sich bei The Day Before You Came der Kreis zu Rosamunde Pilcher Dallas schließt:
„There´s not I think a single episode of Dallas that I didn´t see.”

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monnemer, Dienstag, 5. November 2013, 10:17
Der Speechless Terror verhindert das große Blääärgh.

Ich dachte übrigens immer, dass es da um einen gewissen Hajo geht. Dann wäre das auch geklärt.

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nnier, Dienstag, 5. November 2013, 23:16
Bruder von Hejo, wahrscheinlich. Aber ist es nicht ab und zu schön, das Verbale hinter sich zu lassen und in quasi vorsprachliche Welten zurückzukehren? Manchmal bedaure ich, dass ich einen Satz wie "There´s not I think a single episode of Dallas that I didn´t see" verstehe. Nicht weil er schlecht wäre, sondern weil La La La bzw. Be Bop A Lula manche Gefühle viel präziser ansprechen und ausdrücken.

Da habe ich übrigens schon wieder was verloren, denn in meinem bisherigen Leben hieß es:
Habedidndudabadabadabadabudabada / Stayin Alive / Stayin Alive
Habedidndudabadabadabadabudabada / Stayin Alive / Stayin Alive
Ha ha ha ha Stayin Alive
usw.

Nun aber: Whether you're a brother or whether you're a mother. You can't unhear it, wie der Berliner sagt.

Frau Reuter, rufen Sie gerne das Jugendamt: Aber ich habe dieses Lied sogar zwei schutzlosen Minderjährigen eingepflanzt, das hält sich hier seit frühen Kindertagen: Aio! Aiaiaiaiai Aio! Aio! Vorgestern dann das große Erstaunen: Das Lied gibt es ja wirklich! Aber mal ganz sakrilegisch gefragt: Könnte das nicht auch von Ringo sein?

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reuter, Mittwoch, 6. November 2013, 02:05
Klar, könnte von Ringo sein, aber da wär doch nix draus geworden (ha, doch noch gefunden) ohne das Zutun von Paul oder John oder George oder allen. Es ist doch komplett eindimensional! Genau wie Abba! Und The Day Before You Came ist nicht Ihr Ernst, das ist zusätzlich auch noch öde!

Ich versteh ja die Ohrwurmqualität von I.O.I.O., und bei Stayin'Alive könnt ich auch in den Discomodus, und, so als rheinische Frohnatur, auf die Tanzfläche und mitsingen und alles. Aber das berührt doch alles nicht! Wo ist das Magische, das den Unterschied ausmacht! Klingt jetzt vielleicht eine Spur pathetisch, aber Sie wissen doch, wovon ich rede! Sie können doch sogar oft darüber schreiben! Ausrufezeichen!

Und das mit den schutzlosen Minderjährigen find ich jetzt nicht so schlimm. Allemal besser als Unheilig oder Tim Bendzko oder dieser andere rührselige Scheiß heutzutage. Und bei Ihnen war bestimmt auch irgendwas in der Jugend, das ein für allemal mit I.O.I.O. verbunden ist, so im Latenzsystem, zum Beispiel die Raupenbahn auf der Kirmes, als das Verdeck runterging. Oder so.

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nnier, Mittwoch, 6. November 2013, 10:13
Ja. Das mit den Dimensionen. Der Göttliche Funke. Kunst, Kommerz, Transzendenz. Ich sehe da natürlich riesige Unterschiede. Und kann altersmilde trotzdem solides Handwerk respektieren.

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