Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Sonntag, 26. April 2015
71@71:#32
nnier | 26. April 2015 | Topic Musiq
Würd ich sagen. War mein schönstes Tor gewesen. War vor allem mit dem falschen Fuß erzielt ... bin ich zufrieden, muss ich sagen. (Peter Müller)



Komisch, ich habe mir immer eingebildet, dass in der sonntäglichen Sportschau der späten 70er beim Tor des Monats dieses Lied im Hintergrund gelaufen wäre. Ich wusste damals nicht, wie der Song heißt, verbinde ihn aber schon immer mit den bekannten Grafiken zu Tor 1 bis Tor 5. Irgendwann viel später kaufte ich jemandem eine ganze Plattensammlung ab, darunter die Maxisingle von Don't Let Me Be Misunderstood in eben jener fantastischen Discoversion von Santa Esmeralda.

Discomusik ist eine spezielle Herausforderung für mich, und noch heute kann mich Boney M an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringen. Aber selbst Frank Farian kann ich inzwischen zugutehalten, dass die Streicher in Daddy Cool verdammt effektvoll eingesetzt sind (einem Song, der ansonsten alles Schlimme der damaligen Zeit verkörpert). Und dass ich bei entsprechender Laune, ab und zu und zwischendurch, inzwischen sogar den Discobrüdern Gibb ohne Ohrenbluten lauschen kann, habe ich hier ja schon mal kundgetan.

Zweitligafußballer sind damals noch arbeiten gegangen und sahen aus wie diese Mopedtypen vor der Disco, gute Jungs wahrscheinlich, aber oft mit einem Touch von Kleinkriminalität und Halbwelt. Es war da kein so großer Unterschied zu erkennen zwischen den Männern auf dem Platz und den Kuttenträgern mit ihren Bierbechern, die dem Schiedsrichter Schläge androhten: Eine Szene, zu der ich als Kind einen Sicherheitsabstand wahrte, die mich aber auf eine irritierende Weise faszinierte. Jemanden wie Oliver Bierhoff hätte man sich damals nicht ausdenken können.

Da gibt es ein Lied von den Wings, das man sofort in die richtige Zeit einordnet - vollkommen egal, dass da mal wieder einer seinem Faible für 20er-Jahre-Accessoires nachgegangen ist: Früher als 1975 kann es nicht sein, und schon 1980 wäre es zu spät gekommen. Mit seinen Flamencogitarren und diesen Klanghölzern, ein paar Vocoderverfremdungen und einer sehr coolen Basslinie fehlen eigentlich nur die Streicher zum prototypischen Discostück.

Oder zum Tor des Monats. Auch wenn er es ganz sicher mit dem falschen Fuß erzielt hat.

Platz 32: Goodnight Tonight (1979)

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Dienstag, 21. April 2015
71@71:#33
nnier | 21. April 2015 | Topic Musiq
Every day I don't wanna get up
Get out of my bed




Wenn man den Beatles etwas vorwerfen kann, dann ihr Talent und ihren Perfektionismus. Denn sie haben geradezu irrsinnig schnell gelernt und sich quer durch alle poprelevanten Stile gefräst, vor Ideen nur so gesprüht und ihren Prägestempel überall draufgehauen, vom frühen Beatrocknroll über die mehrspurige Studiokunst der mittleren Jahre, den faszinierenden Ritt durchs Weiße Album (das ständig divergieren will und doch nicht auseinanderfällt) bis hin zum exquisiten Schwanengesang der Abbey Road: Daran freue ich mich ein Leben lang, viel mehr brauche ich nicht.

Trotzdem kann ich verstehen, wenn Leute sagen, die haben sich immer so angestrengt, die Musik ist nicht locker. Man hört den nervösen Paul in Love Me Do, man hört die Anstrengung in Got To Get You Into My Life und Helter Skelter, man hört sie in einem scheinbaren Quatschlied wie Why Don't We Do It in the Road? genau wie in einem straighten Spätrocker wie Get Back.

Verstehen Sie mich richtig: Nicht eine Anstrengung aus Überforderung meine ich damit, kein Kämpfen mit der Gitarre, kein stimmliches Strecken nach der richtigen Tonhöhe. Sondern den Versuch, es immer richtig zu machen. Man merkt das im Vergleich der verschiedenen Versionen und Takes, die heute ja größtenteils zugänglich sind und in denen teilweise endlos herumprobiert wurde, Ideen durchgespielt und verworfen wurden, bis alles stimmte (mir fällt dann auch kein einziger Fall ein, in dem mir eine Alternativversion dauerhaft besser gefiele als die kanonische, offiziell veröffentlichte).

Man merkt es aber auch ohne Versionenvergleich - hören Sie sich nur noch mal Eleanor Rigby an: Das sind knappe zwei Minuten, aber was für welche! Ein Diamant, so exakt geschliffen, dass nicht ein einziges Molekül verändert werden dürfte.

Trotzdem kann man den Song auch ganz anders spielen, das habe ich euch vor Jahren schon erzählt (und das war lange vor True Detective). Was die Handsome Family daraus macht, ist jedenfalls etwas völlig anderes - immer noch ein großartiger Song, aber bekifft auf der Veranda geschrammelt. Und vielleicht muss man ja wirklich nicht jeden Morgen aufstehen und aus dem Bett raus, um den nächsten Jahrhundertsong aufzunehmen.

Was mich zum heutigen Stück bringt. Denn das stammt vom ersten Soloalbum, und neben meiner generellen Freude am fröhlichen Heimstudiogespiele habe ich beim Hören immer das Gefühl, dass Paul hier zum ersten Mal wirklich lockergelassen hat.

Es passt gar nicht zu seinem Auftreten in der Zeit, das alles spielt ja nicht lange nach den angespannten Let-it-Be-Sessions und leitet den Beginn der bösen öffentlichen Auseinandersetzungen ein. Aber das ganze Album hat etwas umwerfend Unbekümmertes an sich, das ihm später oft genug wieder abhandenkommen sollte.

Klar kann man so ein Lied auch glattziehen und professionellen Soulpop draus machen. Aber wozu? Die hübsche Familie, also die da ganz oben, lässt es doch auch entspannt angehen. (Mit einer so engen Hose könnte ich das allerdings nicht.)

Platz 33: Every Night (1970)

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Mittwoch, 8. April 2015
Tick Trick Track
nnier | 08. April 2015 | Topic Todesbiest

2014


2015

Und es gibt doch noch Veränderungen. Ich weiß nicht, ob der Unterschied auffällt, aber ich trug den Großteil meines Lebens nichts am Arm. Etwa vor einem Jahr wachte ich nachts plötzlich auf und gab den Namen eines japanischen Uhrenherstellers in die Suchmaschine ein. Bis heute weiß ich nicht, woher der Impuls kam.

Ich stieß auf die Abbildung einer etwa 40 Jahre alten, wunderschönen Automatikuhr und spürte: Die musst du haben.

Es sind dann einige Uhren gekommen und auch wieder gegangen, erst nur des betreffenden Herstellers, dann andere Japaner, später auch Schweizer und Russen sowie Ost- und Westdeutsche. Hatte ich zu Anfang noch keine klare Präferenz und deshalb durchaus Quarzuhren dazwischen, so sind davon nur vereinzelte Exemplare übrig für den seltenen Fall, dass es mal auf die genaue Uhrzeit ankommt.



Denn der Rest ist Spaß an der Freude. Zwar habe ich noch keinerlei Ahnung von Uhrwerken, Stiftankern, Zeigerreibung und gebläuten Schrauben. Ich bin auch nicht sicher, wie tief ich da einsteigen will. Aber wenn es ein Muster gibt: Es soll ticken, es darf gerne 30 oder 40 Jahre alt sein, und ich will es tragen, nicht in einer Vitrine rumstehen haben.

Ich kaufe deshalb nichts Teures, sondern nehme gerne eine typische Alltagsuhr wie die da oben, einen unspektakulären Handaufzügler, den's vermutlich mal im Kaufhaus gab. Keine Uhr, auf die ich besonderen Wert lege, einfach die letzte, die zu mir gefunden und die übliche Routine durchlaufen hat: Altes Band abnehmen, Uhr reinigen und hübsch machen, einfaches Durchzugband montieren und ab zu den anderen.



Nennt mich albern, aber das macht mir Spaß. Rauchen ist teurer, jeden Morgen suche ich mir eine aus, und vielleicht zeige ich hier ab und zu mal was.

Bloß diese eine, die 40 Jahre alte, wunderschöne Automatik, die habe ich noch nicht.

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Donnerstag, 19. März 2015
Und sonst
nnier | 19. März 2015 | Topic Brainphuq
- Wir haben uns ja eine Weile nicht gesehen, es ist in diesem Jahr der erste Termin, wenn ich das richtig erinnere

- Ist ja auch ein Scheißjahr bis jetzt, und "Erinnern" wird nicht transitiv benutzt

- Mögen Sie das ein wenig erläutern

- Na das ist so eine typische und blödsinnige Übernahme aus dem Englischen, "To remember something", aber im Deutschen ist es nun mal reflexiv und heißt "Sich an etwas erinnern", und ich verstehe einfach nicht, wieso man ohne Sinn und Zweck plötzlich diese Managersprache sprechen soll. So wie "In 2015", wenn ich das schon höre

- Das habe ich jetzt aber nicht gesagt, oder

- Sie? Nee, nee, und ich will da auch nicht drauf rumreiten, darum geht's ja gar nicht, geht mir nur auf die Nerven. Sind aber auch alles längst geführte Debatten, ich komm mir schon vor wie so ein Rumpelstilzchen

- Worum geht es dann, Sie sagten "Scheißjahr"

- Ach, das kotzt mich einfach an, ich schleppe mich seit Weihnachten irgendwie durch, habe immer so ein latentes Krankheitsgefühl, bin auch schon wieder krankgeschrieben seit letzter Woche, hab's kaum zum Arzt geschafft. Würde am liebsten noch wochenlang auf dem Bett liegen. Kann mir gar nicht vorstellen, wieder zur Arbeit zu gehen, da krieg ich Schweißausbrüche. Gestern bin ich mal einkaufen gegangen die paar Meter, danach war ich total im Arsch

- Ist das die Grippe, die geht ja momentan rum, ich krieg es überall mit

- Das wär total schön, wenn das die Grippe wäre! Dann würde ich endlich mal Fieber haben und zwei Wochen rumschwitzen und dann wär's wieder vorbei! Nicht immer dieses Halbgare, dieses leichte Halskratzen, diese nicht wirklich schlimmen Kopfschmerzen, diese Schlappheit: Manchmal reicht schon die Treppe hoch und ich bin durch

- Und körperlich ist alles abgeklärt beim Arzt

- Na die hören einen ab und schauen einem in den Hals und sagen, komisch, dann müssen Sie sich weiter ausruhen und viel trinken

- Und so Blutbild und so

- Kommt erst noch, aber ich kenn das schon, da kommt eh nix bei raus. Mir geht das dermaßen auf den Sack, ich frag mich echt, ob die Welt immer anstrengender wird oder ob ich alt werde und abbaue

- Was strengt sie an in der Welt?

- Ach

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Mittwoch, 11. März 2015
71@71:#34
nnier | 11. März 2015 | Topic Musiq
- "Songs of joy instead of burn, baby, burn", na, wie schmeckt dir der Pädagogenpop? "Help them to learn", nimm das!, und irgendwas mit Kindern, und Frieden ist besser als Krieg!

- Na ja, äh

Du willst noch mehr? Da hast du! "I light a candle to our love / In love our problems disappear." Und jetzt Kinderchöre, na, wie gefällt dir das? Oder muss ich erst den bunten Pullover rausholen?

- Gnade, Herr! Gnade! Ich werde nie wieder sagen, dass die 80er die "geilste Dekade" waren! Das habe ich nur diesem einen Radiosender nachgeplappert, ehrlich!



Damals hatte ja gerade erst unsere Nicole mit "Ein bisschen Frieden" den Grand Prix de la Chanson d'Eurovision gewonnen, und schon beim Finale, als sie den Song noch einmal darbot und ihn ganz spontan in verschiedenen Sprachen sang, müssen Paul vor dem Fernseher die ersten Ideen gekommen sein, ich meine: "Just like a flower when winter begins / Just like a candle blown out in the wind", Linda, gib mal Bleistift!, "A little loving, a little giving, to build a dream for the world we live in": Was hältst du von "All round the world / Little children being born to the world", du, da mach ich was draus!

Ich war damals noch klein und wurde in diesen Jahren von einem inneren Nagen befallen, das bis heute nicht gänzlich nachgelassen hat. Irgendwas in dieser ganzen Friedenssoße schmeckte falsch, da war zu viel "Piep-piep-piep-wir-ham-uns-alle-lieb" drin, das war banalstes Saccharin, leere Kalorien und eindeutig regressiv im Abgang.

Tierschutz, Kinderschutz, wir können uns alle wunderbar drauf einigen, und dieser ekelhafte Sound der Selbstgerechten ("Jeder hat das Recht auf einen bescheuerten Post – zumindest, wenn er versteht, was er falsch gemacht hat. [...] Er sagt, er verstehe inzwischen selbst nicht mehr, was daran witzig sei. Er sagt, ihm sei durch die Diskussion bewusst geworden, dass es einen 'blinden Fleck' bei ihm gebe. Er sagt, er wolle daran arbeiten. Und er hat um Entschuldigung gebeten"): Schauprozesse, Selbstkritik, Stalin sophisticated, vielleicht sollte man einen Song draus machen.

I light a candle to our love, jetzt bin ich vom Thema abgekommen. Mir war das damals ein wenig zu viel des "Guten", erst Ebenholz und Elfenbein, dann die Friedenspfeifen, all das in familientauglicher George-Martin-Produktion: Selten hat die Helter-Skelter-Gitarre dröhnender geschwiegen. Und man versteht die Vorbehalte gegen den 80er-Paul umso besser, je mehr man sich in diese Zeit zurückversetzt.

Blöd nur, dass da echte Könnner am Werk waren: Es ist halt auch ein toll komponiertes, durchaus komplexes Stück Popmusik, und man ignoriere mal die Frisur und die schlechte VHS-Qualität: An diesen Reglern herumzudrehen, muss die reine Freude sein, z.B. hier oder ein paar Sekunden später, wenn die Tablas einsetzen. Und auch wenn ich kein Freund dieser massiven Unisono-Hintergrundchöre mehr werde ("What do you say / Do you saaay / ..."), habe ich mit diesem Stück längst meinen, ähm, Frieden.

Was das Recht auf einen bescheuerten Post angeht, bin ich mir da nicht so sicher.

Platz 34: Pipes of Peace (1983)

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