Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
71@71:#33
nnier | 21. April 2015 | Topic Musiq
Every day I don't wanna get up
Get out of my bed




Wenn man den Beatles etwas vorwerfen kann, dann ihr Talent und ihren Perfektionismus. Denn sie haben geradezu irrsinnig schnell gelernt und sich quer durch alle poprelevanten Stile gefräst, vor Ideen nur so gesprüht und ihren Prägestempel überall draufgehauen, vom frühen Beatrocknroll über die mehrspurige Studiokunst der mittleren Jahre, den faszinierenden Ritt durchs Weiße Album (das ständig divergieren will und doch nicht auseinanderfällt) bis hin zum exquisiten Schwanengesang der Abbey Road: Daran freue ich mich ein Leben lang, viel mehr brauche ich nicht.

Trotzdem kann ich verstehen, wenn Leute sagen, die haben sich immer so angestrengt, die Musik ist nicht locker. Man hört den nervösen Paul in Love Me Do, man hört die Anstrengung in Got To Get You Into My Life und Helter Skelter, man hört sie in einem scheinbaren Quatschlied wie Why Don't We Do It in the Road? genau wie in einem straighten Spätrocker wie Get Back.

Verstehen Sie mich richtig: Nicht eine Anstrengung aus Überforderung meine ich damit, kein Kämpfen mit der Gitarre, kein stimmliches Strecken nach der richtigen Tonhöhe. Sondern den Versuch, es immer richtig zu machen. Man merkt das im Vergleich der verschiedenen Versionen und Takes, die heute ja größtenteils zugänglich sind und in denen teilweise endlos herumprobiert wurde, Ideen durchgespielt und verworfen wurden, bis alles stimmte (mir fällt dann auch kein einziger Fall ein, in dem mir eine Alternativversion dauerhaft besser gefiele als die kanonische, offiziell veröffentlichte).

Man merkt es aber auch ohne Versionenvergleich - hören Sie sich nur noch mal Eleanor Rigby an: Das sind knappe zwei Minuten, aber was für welche! Ein Diamant, so exakt geschliffen, dass nicht ein einziges Molekül verändert werden dürfte.

Trotzdem kann man den Song auch ganz anders spielen, das habe ich euch vor Jahren schon erzählt (und das war lange vor True Detective). Was die Handsome Family daraus macht, ist jedenfalls etwas völlig anderes - immer noch ein großartiger Song, aber bekifft auf der Veranda geschrammelt. Und vielleicht muss man ja wirklich nicht jeden Morgen aufstehen und aus dem Bett raus, um den nächsten Jahrhundertsong aufzunehmen.

Was mich zum heutigen Stück bringt. Denn das stammt vom ersten Soloalbum, und neben meiner generellen Freude am fröhlichen Heimstudiogespiele habe ich beim Hören immer das Gefühl, dass Paul hier zum ersten Mal wirklich lockergelassen hat.

Es passt gar nicht zu seinem Auftreten in der Zeit, das alles spielt ja nicht lange nach den angespannten Let-it-Be-Sessions und leitet den Beginn der bösen öffentlichen Auseinandersetzungen ein. Aber das ganze Album hat etwas umwerfend Unbekümmertes an sich, das ihm später oft genug wieder abhandenkommen sollte.

Klar kann man so ein Lied auch glattziehen und professionellen Soulpop draus machen. Aber wozu? Die hübsche Familie, also die da ganz oben, lässt es doch auch entspannt angehen. (Mit einer so engen Hose könnte ich das allerdings nicht.)

Platz 33: Every Night (1970)

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reuter, Mittwoch, 22. April 2015, 23:05
Every Night - das lieb ich auch! So simpel, so leicht, so gut gelaunt kommt es rüber, obwohl es ja eigentlich gar nicht gut gelaunt ist. Hab gerade gelesen, dass er es im Urlaub in Griechenland geschrieben hat. Ach SO, DESHALB!

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nnier, Donnerstag, 23. April 2015, 15:15
Ich habe das alles nicht chronologisch kennengelernt, diesen Song z.B. erst 1991 durch die Unplugged-Scheibe. Bei dieser gelungenen Veranstaltung hat er ja gleich drei Lieder vom ersten Soloalbum hervorgeholt - und bei Every Night leider nicht auf elaboriert mehrstimmiges Ooohoohoohoohoohoohoohoooo-hoooo verzichtet. Das kann man machen, muss man aber nicht. Denn es klingt, als wolle er etwas beweisen. Und gerade darauf darf er von mir aus gerne verzichten.

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venice_wolf, Donnerstag, 23. April 2015, 18:54
Habe dieses Album irgeneinmal so um 1988 gemietet und auf Kassette überspielt... zuerst etwas skeptisch, aber das home made war faszinierend, daher folgte der Kauf eines 4 Track Gerät von Fostex (all mein erspartes) dass ich jetzt noch habe, einige highlights geliefert hat, aber noch zu gebrauchen wäre... Maybe I'm amazed auch unvergesslich... zarte Töne und Wohnzimmerstimmung

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nnier, Donnerstag, 23. April 2015, 20:57
"Mieten", "Überspielen" ... Konzepte wie aus einem anderen Jahrhundert!

Oder war es ein anderes Jahrhundert?

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venice_wolf, Freitag, 24. April 2015, 17:36
Nein, Herr nnier, es war ein anderes Jahrtausend....

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nnier, Freitag, 24. April 2015, 20:43
Interessant, was neulich ein netter junger Mann zu mir sagte: Irgendwie muss das auch toll gewesen sein, wenn man ewig gewartet und dann zum Geburtstag eine langersehnte Platte bekommen hat. Ich habe das tatsächlich so erlebt (und die Beatles deshalb auch nicht chronologisch, sondern zufällig durchmischt kennengelernt), und es blieb entsprechend Zeit, sich z.B. einen ganzen Sommer lang mit dem Album Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band vertraut zu machen. Da war ich vielleicht 9 oder 10 Jahre alt und begeisterter Bastler, eine Zeit, in der ich an den tollen neuen Monocassettenrecorder etwa 20 vom Sperrmüll ausgebaute Lautsprecher mit verzwirbeltem Klingeldraht angeschlossen habe, teilweise in Reihe, Polung per Zufall - eine intensive Erinnerung, die für immer mit Lovely Rita & Co. verbunden ist.

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venice_wolf, Montag, 27. April 2015, 13:56
Wenn diese Mono Kassettenrecorder sprechen könnten... was die mitgemacht haben, als einzige Geräuschquelle wo man mehrmals das selbe hören konnte, hintereinander, ohne dass es wie beim meist im selben Gerät vorhandenen Radio auf und davon war.... und überspielen, mal mit Kabel (Luxus) mal von Gerät zu Gerät und hoffen dass keiner klingelt oder laut fluchend in der Raum kommt! Und Kassetten haben bis auf spottbillige no-name Produkte immer hervorragend funktioniert... TDK... SONY...BASF....das waren noch Sachen....vielleicht waren ein paar andere Namen dabei...Chrome und Metaltape (das war der Luxus) ... nur bei Walkmen habe ich, als low cost Benutzer, meistens Aerger gehabt.

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nnier, Montag, 27. April 2015, 15:28
Jedenfalls übte es den Bedürfnisaufschub: Mit gedrückter "Pause"-Taste am Radio sitzen und warten, ob zufällig und endlich ein bestimmtes Lied gespielt wird. Dann hoffen, dass der Empfang stabil bleibt und keine Vekehrsmeldung dazwischenkommt. Und auch wenn es nach dem üblichen "Gute, alte Zeit" klingt: Ich habe diese Sachen dadurch extrem wertgeschätzt.

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