Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Mittwoch, 7. Oktober 2015
71@71:#30
nnier | 07. Oktober 2015 | Topic Musiq
The sound you make is muzak to my ears
You must have learned something in all those years

[Lennon, How Do You Sleep?, 1971]



The only thing you done was yesterday / And since you've gone you're just another day, das ist ja oft so, wenn Beziehungen auseinandergehen: Dann wird einem plötzlich klar, dass der andere schon immer scheiße und nichts, aber auch gar nichts Gutes an ihm war. In the "Imagine" film, [...] Lennon sings, "How do you sleep ya cunt?" [...] [Q], das wirkt von heute aus geradezu rührend, wo man längst sein Marketing auf thebeatles.com gebündelt hat und nur noch Nettes übereinander sagt.

Auf lange Sicht ist es dem Mythos ohnehin förderlicher, wenn auf die große Liebesaffäre ein ebensogroßer Knall folgt. Was wäre das langweilig gewesen, hätten die sich einvernehmlich getrennt und zum Wohle der Kinder die besten Freunde bleiben wollen! Mit großem Respekt füreinander müssen wir leider feststellen, dass unsere Ehe - mein Arsch. Wir haben ein Recht darauf, dass die Eltern sich richtig fetzen, wenn sie schon auseinandergehen! Wie sollen wir begreifen, was passiert ist, wenn sie sich in großer Zuneigung verbunden bleiben - ja, dann hätten sie auch zusammenbleiben können statt uns aus dem Paradies zu jagen! Und alle paar Jahre eine Reunion beim Wohltätigkeitsball, wo es dann anerkennend heißt, die kriegen das ja gut hin, und psst, jetzt gehen sie zusammen auf die Bühne, fast wie früher!

Nein, man schreit sich gefälligst an, redet schlecht übereinander, zieht gemeinsame Freunde auf die eigene Seite, um es dem anderen aber mal so richtig zu zeigen (The song features a slide guitar part played by George Harrison. [...] Ringo Starr visited the studio during the recording of the song and was reportedly upset, saying: "That's enough, John." [Q]), und irgendwann, auch wenn man es sich absolut nicht vorstellen kann, dreht sich die Welt weiter mit immer noch Schwerkraft, immer noch Gezeiten.

Aber da kommt der wieder mit so einem belanglosen Alltagsliedchen, dô! Während andere (Imagine no possessions! Imagine there's no countries!) gerade um den Weltfrieden ringen!

At the office where the papers grow she takes a break,
Drinks another coffee
And she finds it hard to stay awake


Kleinbürgerliche Scheiße, Gefühlskitsch statt Weltrevolution, das war schon immer so, und überhaupt konnte der eigentlich noch nie was außer hübsch aussehen und Yesterday schmachten. Hätte ich dich bloß nie kennengelernt! Du Fotze!

Platz 30: Another Day (1971)

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Montag, 5. Oktober 2015
71@71:#31
nnier | 05. Oktober 2015 | Topic Musiq


Aufregende Zeiten damals vor 25 Jahren, man konnte ja gerade noch mal alles im Fernsehen sehen, und immer wieder stand Karl Moik da und sagte, hätten Sie das für möglich gehalten vor ein paar Monaten, meine Damen und Herren, das hätten wir doch alle miteinander nicht geglaubt.

Mir ging es auch so, in meinem persönlichen Musikantenstadl, da stand ich auch immer wieder und sagte, hättest du das für möglich gehalten vor ein paar Monaten, das hättest du doch niemals geglaubt.

Oktober 1989, ich hatte nur Tage vorher überhaupt davon erfahren und erwartete nicht viel. Mittags vor der Alsterdorfer Sporthalle war noch kaum etwas los, und ich musste trotzdem stundenlang warten, bis der entnervte Schwarzhändler das Ticket für 80 Mark herausrückte.

Ein paar Stunden später hatte sich die Welt verändert, und die westlichen Geheimdienste hatten es nicht kommen sehen, hätten Sie das für möglich gehalten, meine Damen und Herren, das hätten wir doch alle miteinander nicht geglaubt. Ich übernachtete auf dem Gelände der Prager Botschaft, oder war's auf der umgeklappten Rückbank im Corolla, frierend und hungrig, denn zurückfahren konnte ich nicht, wo es doch am nächsten Tag noch ein Konzert geben sollte. Steifbeinig lief ich auf den Schwarzhändler zu, der schon die Augen verdrehte.

Würde man, so behaupten die Forscher, nur das kleinste Bisschen an den Paramtern unserer Welt herumschrauben (eine andere Umlaufgeschwindigkeit, weniger Wasser, kein Mond), hätte nie Leben auf der Erde entstehen können: Es ist fast, als hätte das Universum gewollt, dass es uns gibt! (Sie wissen schon, was ich meine: Ich hatte frisch den Führerschein, es war nicht zu weit weg - und der Schwarzhändler ist der Mond.)

Öffentliches Pathos dieser Art ist ja immer etwas peinlich, außerdem habe ich das alles schon x-mal erzählt. Ich muss es trotzdem noch einmal tun, denn bei diesem Lied bekomme ich nicht auseinander, welchen Anteil die musikalische Qualität hat und welchen die Nachwirkungen der friedlichen Revolution. Das Konzert begann, jemand gab mir LSD, Außerirdische hackten meine Synapsen, und nach meiner Kenntnis trat das sofort, unverzüglich.

Platz 31: Figure Of Eight (1989)

[Anmerkung: Thematische Überschneidung hiermit]

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Montag, 7. September 2015
Ich bin Phil
nnier | 07. September 2015 | Topic Musiq
Jetzt schaut bloß mal, was ihr angerichtet habt.

1980:


1996:


Was ist da geschehen? 1980: Der junge Mann im Vordergrund hat ein ganzes Konzert als Leadsänger bestritten und legt zum Abschluss ein Drumduett hin, wie man es sich nur wünschen kann. Locker und hochkonzentriert, vor allem aber mit Vollbart und gelbem Hawaiihemd.

1996: Ja, eben! Das schmerzverzerrte Gesicht, die freudlose Ausstrahlung, das lässt sich medizinisch doch gar nicht verantworten.

"Warum wird der eigentlich so gehasst", werde ich von jungen Menschen gefragt, und man erzählt dann von den Jahren, in denen er kurz vor der endgültigen Machtübernahme stand: Der Flug mit der Concorde, um bei Live Aid als einziger Künstler in London und Philadelphia aufzutreten. Die industriell gefertigten Midtempo-Hits, der omnipräsente Schlagzeugsound, Phil als Gaststar bei Miami Vice, ein bescheuerter Kinofilm, und wenn er mal nicht als Solokünstler zu hören war, dann aber garantiert als Sänger einer ebenso vielgeschmähten Band.

Ja, aber die Sachen sind doch gar nicht so schlecht, sagen die jungen Leute, und man schmunzelt wissend: Doch, doch, da gibt es schon ein paar schlimme Machwerke, und wisst ihr, was das Traurige ist: Gerade mit denen hatte er die größten Erfolge. Das geht schon los damit, dass er zum Start zwei eher dunkel grundierte Soloalben vorgelegt hat: Musikalisch anspruchsvoll, die Texte von Trennungs- und Weltschmerz getränkt, und dann wird ausgerechnet so ein harmloses Motown-Cover zum großen Erfolg in den Charts. Da wurden völlig falsche Anreize gesetzt.

1985 habe ich selber jeden Tag dreimal No Jacket Required gehört, obwohl die Scheibe einem auf die Nerven gehen konnte mit ihrem bei Prince geklauten Anfang und vor allem dieser einen Ballade, die einem ständig entgegenquoll. Und wie gräßlich vor allem diese andere Ballade ist, wurde mir erst Jahre später so richtig klar, als Mariah Carey ihr den Todesstoß verpasste.

Verteidigt habe ich ihn dennoch bis über die 80er hinaus, trotz Two Hearts und allerlei weiterer Belanglosigkeiten, da folgte Hit auf Hit, das schien für immer so weiterzugehen, das war Futter fürs Formatradio, das war ein Synonym für Mainstream, das war Reißbrettpop aus dem Reinraum, und doch mochte ich ihm eine gewisse innere Qualität, eine solide Handwerksbeherrschung einfach nicht absprechen.

Dabei hatte ich massiv unter ihm gelitten, weil er, wie mir schien, die von mir damals innig geliebten Querköpfe, verschrobenen Prog-Dinosaurier, Schöpfer abseitiger Siebenminutenstücke, Beherrscher komplexester Rhythmik, Verfasser verstiegener Verse, Meister der wunderlichen Instrumentalsuiten, weil er die verklemmten Brillenträger und linkischen Doppelhalsgitarrenspieler seiner urbritischen Herkunftsband zu bloßen Facharbeitern im Dienste der schnöden Hitparadenindustrie degradiert hatte, die nun kilometerweit unterhalb ihrer Talente und Möglichkeiten echten Schweinerock für die internationalen Märkte raushauten, wenn sie nicht gerade als anonym geduldete Begleitband zur nächsten normsterilen Ballade des allgegenwärtigen C. auf Schicht gehen mussten: Was bin ich zusammengezuckt, wenn der Name des Sängers mit dem der Band verwechselt oder synonym gebraucht wurde, gerade weil ich spürte, dass da kein großer Unterschied mehr bestand.

"Ist aber innerhalb der Popmusik dennoch" usw., ich höre mich noch reden, und man konnte damals wirklich meinen, es werde ewig so weitergehen. Es kam jedoch anders.

"We always need to hear both sides of the story", erscholl es 1993, und die Sekretärinnen drehten das Radio lauter. Es klang eigentlich wie immer, die Drums knallten ihr ewiges Gated Reverb, der Moog lieferte harmlos simple Harmonien, drübergesungen ein wenig Sozialkitsch, und doch war etwas anders: Das klang so richtig billig. Sollten das Gitarren sein?

Da hatte er also ein ganzes Album alleine eingespielt und sich völlig übernommen. Denn auch wenn seine frühen Solowerke ebenfalls im Heimstudio entstanden waren, hatte er es doch immer verstanden, Musiker der Extraklasse um sich zu scharen und seine sparsamen Arrangements mit ein paar genialen Gitarrensprengseln veredeln zu lassen. Hier dagegen: Nichts als unbeholfene Anfängergriffe, Malen nach Zahlen, und auch den möglichen Charme des Unfertigen und Skizzenhaften suchte man vergeblich, das klang einfach schlecht produziert. Meine Versuche, diese Platte dennoch irgendwie zu hören, blieben erfolglos.

Und das war es dann auch: Endgültig verloren hat er mich mit der unmotivierten Coverversion eines mediokren 80er-Jahre-Hits (True Colors von Cyndi Lauper), und plötzlich merkte man: Da war schon länger nichts, da kommt auch nichts mehr, da ist eine der beherrschenden Hitparadenfiguren der 80er vollkommmen in sich zusammengesunken und kann unter "erledigte Fälle" abgeheftet werden. (Danach noch Disney-Musical ff.)

Ist euch übrigens aufgefallen, dass der Mann seit 20 Jahren nicht mehr öffentlich lacht? Der ist völlig erledigt, auf einem Ohr taub, x-fach geschieden, kann keine Drumsticks mehr festhalten und hat vollkommen resigniert. Mitleid macht noch keine Musik besser, aber es ist schon knüppeldick für ihn gekommen (David Bowie subsequently dismissed his own critically reviled 1980s output as his "Phil Collins years/albums".) Ich frage mich also, ob es eine gute Idee ist, jetzt, da sich offenbar endgültig alle über die grobe Abscheulichkeit des Herrn Collins einig geworden sind, seine Soloalben in einer großen Kampagne ("Take a look at me now", ausgerechnet) wiederzuveröffentlichen: Schon die Idee, die originalen Coverfotos mit aktuellen des sichtlich gealterten Collins zu ersetzten, lädt doch geradezu ein, noch mal ordentlich draufzuhauen.

Und wirklich: Was eine wiederveröffentlichte No Jacket Required 30 Jahre später bringen soll, weiß ich nicht. Wenn ich die Scheibe einmal im Jahr raushole, ist das klangtechnisch noch immer tadellos. Und verdammt schlecht gealtert.

Aber das war nicht die ganze Geschichte, und wenn ich kurz auf das hier schon mal thematisierte I don't Care Anymore verweisen darf und diesen totgespielten Superhit, der trotzdem eine schöne Melodie hat - oder was soll's, hören wir doch einfach mal mitten in die erste Soloplatte rein: Das kann man doch mindestens respektieren, oder nicht?

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Donnerstag, 18. Juni 2015
Shake it don't break it @73
nnier | 18. Juni 2015 | Topic Musiq
Es wird alles nicht einfacher, ich merke es selber, mal bricht die Stimme weg und mal das Standbein.



Und trotzdem immer wieder: Yeeeeaaaaaaaahhhh, und danke! Danke! We're gonna have a good time / Happy birthday to you!

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Sonntag, 10. Mai 2015
Red Moon Road
nnier | 10. Mai 2015 | Topic Musiq
Hier mal ein Stück Sonntagsmusik.



Vor einigen Tagen durfte ich einem Konzert dieser drei supersympathischen Kanadier beiwohnen, in einem Wohnzimmer, und es war grandios.

Wohnzimmerkonzerte sind sowieso toll. Aber das hier hat alles getoppt, zwei Tage später bin ich immer noch begeistert, und ich würde mal vorschlagen, ihr schaut euch das an und geht ins Konzert, wenn sie das nächste Mal in Deutschland aufschlagen.

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Sonntag, 26. April 2015
71@71:#32
nnier | 26. April 2015 | Topic Musiq
Würd ich sagen. War mein schönstes Tor gewesen. War vor allem mit dem falschen Fuß erzielt ... bin ich zufrieden, muss ich sagen. (Peter Müller)



Komisch, ich habe mir immer eingebildet, dass in der sonntäglichen Sportschau der späten 70er beim Tor des Monats dieses Lied im Hintergrund gelaufen wäre. Ich wusste damals nicht, wie der Song heißt, verbinde ihn aber schon immer mit den bekannten Grafiken zu Tor 1 bis Tor 5. Irgendwann viel später kaufte ich jemandem eine ganze Plattensammlung ab, darunter die Maxisingle von Don't Let Me Be Misunderstood in eben jener fantastischen Discoversion von Santa Esmeralda.

Discomusik ist eine spezielle Herausforderung für mich, und noch heute kann mich Boney M an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringen. Aber selbst Frank Farian kann ich inzwischen zugutehalten, dass die Streicher in Daddy Cool verdammt effektvoll eingesetzt sind (einem Song, der ansonsten alles Schlimme der damaligen Zeit verkörpert). Und dass ich bei entsprechender Laune, ab und zu und zwischendurch, inzwischen sogar den Discobrüdern Gibb ohne Ohrenbluten lauschen kann, habe ich hier ja schon mal kundgetan.

Zweitligafußballer sind damals noch arbeiten gegangen und sahen aus wie diese Mopedtypen vor der Disco, gute Jungs wahrscheinlich, aber oft mit einem Touch von Kleinkriminalität und Halbwelt. Es war da kein so großer Unterschied zu erkennen zwischen den Männern auf dem Platz und den Kuttenträgern mit ihren Bierbechern, die dem Schiedsrichter Schläge androhten: Eine Szene, zu der ich als Kind einen Sicherheitsabstand wahrte, die mich aber auf eine irritierende Weise faszinierte. Jemanden wie Oliver Bierhoff hätte man sich damals nicht ausdenken können.

Da gibt es ein Lied von den Wings, das man sofort in die richtige Zeit einordnet - vollkommen egal, dass da mal wieder einer seinem Faible für 20er-Jahre-Accessoires nachgegangen ist: Früher als 1975 kann es nicht sein, und schon 1980 wäre es zu spät gekommen. Mit seinen Flamencogitarren und diesen Klanghölzern, ein paar Vocoderverfremdungen und einer sehr coolen Basslinie fehlen eigentlich nur die Streicher zum prototypischen Discostück.

Oder zum Tor des Monats. Auch wenn er es ganz sicher mit dem falschen Fuß erzielt hat.

Platz 32: Goodnight Tonight (1979)

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Dienstag, 21. April 2015
71@71:#33
nnier | 21. April 2015 | Topic Musiq
Every day I don't wanna get up
Get out of my bed




Wenn man den Beatles etwas vorwerfen kann, dann ihr Talent und ihren Perfektionismus. Denn sie haben geradezu irrsinnig schnell gelernt und sich quer durch alle poprelevanten Stile gefräst, vor Ideen nur so gesprüht und ihren Prägestempel überall draufgehauen, vom frühen Beatrocknroll über die mehrspurige Studiokunst der mittleren Jahre, den faszinierenden Ritt durchs Weiße Album (das ständig divergieren will und doch nicht auseinanderfällt) bis hin zum exquisiten Schwanengesang der Abbey Road: Daran freue ich mich ein Leben lang, viel mehr brauche ich nicht.

Trotzdem kann ich verstehen, wenn Leute sagen, die haben sich immer so angestrengt, die Musik ist nicht locker. Man hört den nervösen Paul in Love Me Do, man hört die Anstrengung in Got To Get You Into My Life und Helter Skelter, man hört sie in einem scheinbaren Quatschlied wie Why Don't We Do It in the Road? genau wie in einem straighten Spätrocker wie Get Back.

Verstehen Sie mich richtig: Nicht eine Anstrengung aus Überforderung meine ich damit, kein Kämpfen mit der Gitarre, kein stimmliches Strecken nach der richtigen Tonhöhe. Sondern den Versuch, es immer richtig zu machen. Man merkt das im Vergleich der verschiedenen Versionen und Takes, die heute ja größtenteils zugänglich sind und in denen teilweise endlos herumprobiert wurde, Ideen durchgespielt und verworfen wurden, bis alles stimmte (mir fällt dann auch kein einziger Fall ein, in dem mir eine Alternativversion dauerhaft besser gefiele als die kanonische, offiziell veröffentlichte).

Man merkt es aber auch ohne Versionenvergleich - hören Sie sich nur noch mal Eleanor Rigby an: Das sind knappe zwei Minuten, aber was für welche! Ein Diamant, so exakt geschliffen, dass nicht ein einziges Molekül verändert werden dürfte.

Trotzdem kann man den Song auch ganz anders spielen, das habe ich euch vor Jahren schon erzählt (und das war lange vor True Detective). Was die Handsome Family daraus macht, ist jedenfalls etwas völlig anderes - immer noch ein großartiger Song, aber bekifft auf der Veranda geschrammelt. Und vielleicht muss man ja wirklich nicht jeden Morgen aufstehen und aus dem Bett raus, um den nächsten Jahrhundertsong aufzunehmen.

Was mich zum heutigen Stück bringt. Denn das stammt vom ersten Soloalbum, und neben meiner generellen Freude am fröhlichen Heimstudiogespiele habe ich beim Hören immer das Gefühl, dass Paul hier zum ersten Mal wirklich lockergelassen hat.

Es passt gar nicht zu seinem Auftreten in der Zeit, das alles spielt ja nicht lange nach den angespannten Let-it-Be-Sessions und leitet den Beginn der bösen öffentlichen Auseinandersetzungen ein. Aber das ganze Album hat etwas umwerfend Unbekümmertes an sich, das ihm später oft genug wieder abhandenkommen sollte.

Klar kann man so ein Lied auch glattziehen und professionellen Soulpop draus machen. Aber wozu? Die hübsche Familie, also die da ganz oben, lässt es doch auch entspannt angehen. (Mit einer so engen Hose könnte ich das allerdings nicht.)

Platz 33: Every Night (1970)

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Mittwoch, 11. März 2015
71@71:#34
nnier | 11. März 2015 | Topic Musiq
- "Songs of joy instead of burn, baby, burn", na, wie schmeckt dir der Pädagogenpop? "Help them to learn", nimm das!, und irgendwas mit Kindern, und Frieden ist besser als Krieg!

- Na ja, äh

Du willst noch mehr? Da hast du! "I light a candle to our love / In love our problems disappear." Und jetzt Kinderchöre, na, wie gefällt dir das? Oder muss ich erst den bunten Pullover rausholen?

- Gnade, Herr! Gnade! Ich werde nie wieder sagen, dass die 80er die "geilste Dekade" waren! Das habe ich nur diesem einen Radiosender nachgeplappert, ehrlich!



Damals hatte ja gerade erst unsere Nicole mit "Ein bisschen Frieden" den Grand Prix de la Chanson d'Eurovision gewonnen, und schon beim Finale, als sie den Song noch einmal darbot und ihn ganz spontan in verschiedenen Sprachen sang, müssen Paul vor dem Fernseher die ersten Ideen gekommen sein, ich meine: "Just like a flower when winter begins / Just like a candle blown out in the wind", Linda, gib mal Bleistift!, "A little loving, a little giving, to build a dream for the world we live in": Was hältst du von "All round the world / Little children being born to the world", du, da mach ich was draus!

Ich war damals noch klein und wurde in diesen Jahren von einem inneren Nagen befallen, das bis heute nicht gänzlich nachgelassen hat. Irgendwas in dieser ganzen Friedenssoße schmeckte falsch, da war zu viel "Piep-piep-piep-wir-ham-uns-alle-lieb" drin, das war banalstes Saccharin, leere Kalorien und eindeutig regressiv im Abgang.

Tierschutz, Kinderschutz, wir können uns alle wunderbar drauf einigen, und dieser ekelhafte Sound der Selbstgerechten ("Jeder hat das Recht auf einen bescheuerten Post – zumindest, wenn er versteht, was er falsch gemacht hat. [...] Er sagt, er verstehe inzwischen selbst nicht mehr, was daran witzig sei. Er sagt, ihm sei durch die Diskussion bewusst geworden, dass es einen 'blinden Fleck' bei ihm gebe. Er sagt, er wolle daran arbeiten. Und er hat um Entschuldigung gebeten"): Schauprozesse, Selbstkritik, Stalin sophisticated, vielleicht sollte man einen Song draus machen.

I light a candle to our love, jetzt bin ich vom Thema abgekommen. Mir war das damals ein wenig zu viel des "Guten", erst Ebenholz und Elfenbein, dann die Friedenspfeifen, all das in familientauglicher George-Martin-Produktion: Selten hat die Helter-Skelter-Gitarre dröhnender geschwiegen. Und man versteht die Vorbehalte gegen den 80er-Paul umso besser, je mehr man sich in diese Zeit zurückversetzt.

Blöd nur, dass da echte Könnner am Werk waren: Es ist halt auch ein toll komponiertes, durchaus komplexes Stück Popmusik, und man ignoriere mal die Frisur und die schlechte VHS-Qualität: An diesen Reglern herumzudrehen, muss die reine Freude sein, z.B. hier oder ein paar Sekunden später, wenn die Tablas einsetzen. Und auch wenn ich kein Freund dieser massiven Unisono-Hintergrundchöre mehr werde ("What do you say / Do you saaay / ..."), habe ich mit diesem Stück längst meinen, ähm, Frieden.

Was das Recht auf einen bescheuerten Post angeht, bin ich mir da nicht so sicher.

Platz 34: Pipes of Peace (1983)

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Mittwoch, 25. Februar 2015
71@71:#35
nnier | 25. Februar 2015 | Topic Musiq
Well the Ukraine girls really knock me out.



Könnten nicht einfach Singwettbewerbe stattfinden, fragt das innere Friedenskind in mir und weiß gar nicht, ob so etwas in der Ukraine momentan möglich wäre. So ein nettes Geburtstagsständchen zum 71.! Gerade mal anderthalb Jahre ist das her, und seither sitze ich ja auch an dieser kleinen Serie hier.

Dieses Lied klingt natürlich so alt, wie es ist, nämlich von 1973. Ich muss dabei immer an Filme mit dem jungen Dustin Hoffman denken, auch wenn das Mrs. Robinson und Simon&Garfunkel waren. Aber die Erinnerung wird unscharf, die Farben verwaschen, what's the use of worrying, und dieses Lied begeistert nicht nur die Russen auf dem Roten Platz, sondern auch jede Menge freundlicher Ukrainer, die sich da was wirklich Tolles ausgedacht haben:



Hinreißend, oder? Ho! Hey-ho!

Platz 35: Mrs. Vandebilt (1973)

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Dienstag, 10. Februar 2015
71@71:#36
nnier | 10. Februar 2015 | Topic Musiq


Zu Hause im Plattenschrank stand eine Scheibe von Tom Jones, und einmal, an Silvester, sangen die Erwachsenen laut Delilah und jemand zerschmiss ein Glas Rotwein, darüber erschrak ich. Es war für mich schon als Kind eine merkwürdig zeit- und ortlose Musik, ähnlich manchen Stücken von Neil Diamond: Man spürte nicht, woher das kam, es hätte beinahe neu, aber auch schon Jahrzehnte alt sein können. Das war kein Rock, das war aber auch nicht James Last. Hätte ich damals schon einen Begriff von Las Vegas gehabt, wäre mir viel Grübelei erspart geblieben.

I saw the flickering shadows of love on her blind, dieser dramatische Beginn, spannungsgeladenes Bassdammdammdamm, dann plötzliches Schmachten und Kieksen im Refrain - und vor allem die banale Trompete, why, why, why, Delilah, trölölölölölölölölö - was für eine seltsame Mischung aus Opernpathos und Trinklied.

[Zwischentext Tiger, Witzfigur, Schlüpferschmeißen, Sex Bomb, Art of Noise - kennt eh jeder auswendig]

Ach mensch, das ist ja gar nicht Tom Jones da oben! Der wollte vor ein paar Jahren auch mal so eine wertige Altersplatte aufzunehmen, die Zutaten sind ja seit Johnny Cash bekannt: Spartanische Instrumentierung, aufs Wesentliche reduziertes Arrangement, edelreife Altersstimme. Vorgestellt wurde die Scheibe in einer Radiosendung, und ich war nicht übermäßig beeindruckt, zumal ich ständig Angst vor einem lauten und tigerhaften "Yeah!" hatte, dieser Bariton kann einem ja wirklich auf den Zahn gehen.

Bis diese Melodie erklang, denn es ist ein schöner Song, den Paul McCartney da zu einem bereits vergessenenen Familienfilm auftragskomponiert hat: Getragen, gemächlich und so delikat, dass sie sich ganz unmerklich ins Ohr setzt - und dableibt.

"Mir fehlt da noch ein Intro", soll der Filmregisseur gesagt haben, na dann schreiben wir halt eins, ist doch nix dabei. Mit diesen paar feinen Klaviernoten sammelt er mich schon ein, und dann kommt die große Produktion mit Streichorchester: Reichlich aufgetragen, aber er kann's, der Franz. Oder, kurz gesagt: Yet another overlooked late McCartney song.

Platz 36: I Want To Come Home (2009)

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