Es gibt Dinge, die wird man anscheinend nicht los. Bei mir gehört dazu eine gewisse Empfänglichkeit für die Musik einer weithin mit Inbrunst gehassten Band. Coolnesspunkte sammelt man damit keine, aber wir sind ja nicht zum Spaß hier; und da es mich regelmäßig überkommt, muss ich mich dem Thema schließlich und endlich einmal stellen.
Fangen wir so an: Als alles längst vorbei war, auch für mich persönlich, kamen sie wiedervereint und gewohnt bombastisch für eine letzte Tour zurück. 2007 war das und mithin gute 15 Jahre nach der letzten gemeinsamen Platte. Da stand ich in Hamburg im Regen mit meiner Skepsis gegenüber der Maschinerie und dachte über den Zynismus nach, der auf dieser Veranstaltung zu liegen schien. Denn gerade der Sänger machte auf mich einen wirklich abgewichsten Eindruck: Ich ertappte mich jedenfalls zweidreimal bei dem Gedanken, dass der seine Zuschauer verachtet und seine Bandkollegen nicht mehr leiden kann, aber einmal noch Heu einfahren und vielleicht auch das gefledderte Ego des ehemaligen Superstars gestreichelt haben wollte, dessen Namen zu dem Zeitpunkt schon keiner mehr aussprechen mochte.
Ich stand da aber auch mit meinem lieben Sohn, und der erzählt mir bis heute, wie froh er ist, dass er dabeisein konnte und wie sehr er bedauert, dass dies das einzige Mal geblieben ist, denn, so seine Wahrnehmung, das war eins seiner besten Konzerte.
Ein bestimmtes Album habe ich gar nicht auf CD, sagte ich ihm neulich, und das war die Scheibe, mit der es für mich so richtig losgegangen ist: Mama, dieser totgespielte Song, hat bei mir damals etwas in Gang gesetzt, jahrelange Obsession und wildes Sammeln. Noch kam einem der Phil-Collins-Drumsound ja nicht zu den Ohren raus, und die dunkle Stimmung des Songs mit der leicht irren Lache war mir ein willkommener Gegenpol zur sonstigen Hitparadenmusik. (Dass sie die Hitparaden bald und für Jahre komplett kapern würden, bis alle nur noch kotzten, war noch nicht unbedingt abzusehen.)
Jetzt hat er mir das Album zu Weihnachten geschenkt und mich getriggert: Durchaus skeptisch legte ich es ins Abspielgerät. Erschreckend, dachte ich, wie nahe das nach über 30 Jahren noch ist, schon klebte ich fest und ließ die Scheibe nicht mehr aus dem Gerät. Und dann geht es wieder los, dann muss ich noch mehr Lieder anhören und endlos in den Fanforen herumlesen, eine sehr ambivalente Geschichte, da ich mich in diesem erstarrten Universum zwar sofort wieder heimisch, aber nie lange glücklich fühle.
Dennoch, ich war jetzt wieder ein paar Tage da drinnen und habe Ihnen etwas mitgebracht:
10 Gründe, diese verdammte Band zu mögen, die immerhin sechs Studioalben aufnehmen musste, bevor zum ersten Mal die Worte "I love you" in einem Lied vorkamen (und dann auch nur als Zitat!)
Fangen wir so an: Als alles längst vorbei war, auch für mich persönlich, kamen sie wiedervereint und gewohnt bombastisch für eine letzte Tour zurück. 2007 war das und mithin gute 15 Jahre nach der letzten gemeinsamen Platte. Da stand ich in Hamburg im Regen mit meiner Skepsis gegenüber der Maschinerie und dachte über den Zynismus nach, der auf dieser Veranstaltung zu liegen schien. Denn gerade der Sänger machte auf mich einen wirklich abgewichsten Eindruck: Ich ertappte mich jedenfalls zweidreimal bei dem Gedanken, dass der seine Zuschauer verachtet und seine Bandkollegen nicht mehr leiden kann, aber einmal noch Heu einfahren und vielleicht auch das gefledderte Ego des ehemaligen Superstars gestreichelt haben wollte, dessen Namen zu dem Zeitpunkt schon keiner mehr aussprechen mochte.
Ich stand da aber auch mit meinem lieben Sohn, und der erzählt mir bis heute, wie froh er ist, dass er dabeisein konnte und wie sehr er bedauert, dass dies das einzige Mal geblieben ist, denn, so seine Wahrnehmung, das war eins seiner besten Konzerte.
Ein bestimmtes Album habe ich gar nicht auf CD, sagte ich ihm neulich, und das war die Scheibe, mit der es für mich so richtig losgegangen ist: Mama, dieser totgespielte Song, hat bei mir damals etwas in Gang gesetzt, jahrelange Obsession und wildes Sammeln. Noch kam einem der Phil-Collins-Drumsound ja nicht zu den Ohren raus, und die dunkle Stimmung des Songs mit der leicht irren Lache war mir ein willkommener Gegenpol zur sonstigen Hitparadenmusik. (Dass sie die Hitparaden bald und für Jahre komplett kapern würden, bis alle nur noch kotzten, war noch nicht unbedingt abzusehen.)
Jetzt hat er mir das Album zu Weihnachten geschenkt und mich getriggert: Durchaus skeptisch legte ich es ins Abspielgerät. Erschreckend, dachte ich, wie nahe das nach über 30 Jahren noch ist, schon klebte ich fest und ließ die Scheibe nicht mehr aus dem Gerät. Und dann geht es wieder los, dann muss ich noch mehr Lieder anhören und endlos in den Fanforen herumlesen, eine sehr ambivalente Geschichte, da ich mich in diesem erstarrten Universum zwar sofort wieder heimisch, aber nie lange glücklich fühle.
Dennoch, ich war jetzt wieder ein paar Tage da drinnen und habe Ihnen etwas mitgebracht:
10 Gründe, diese verdammte Band zu mögen, die immerhin sechs Studioalben aufnehmen musste, bevor zum ersten Mal die Worte "I love you" in einem Lied vorkamen (und dann auch nur als Zitat!)
- 10: You Might Recall (1982). Noch vor der großen Hitparadenzeit, testen Sie hiermit mal, ob Sie Phil Collins' Stimme prinzipiell ertragen: Für mich ein sehr geschmackvolles Liedchen, eingängig, aber nicht anbiedernd, mit einer Drumspur, die noch nicht alles plattwalzt, aber viel von seinem Können an diesem Instrument erkennen lässt. Eine leichte Mollstimmung liegt über den ganzen Akkordwechseln, Gitarren und Synthesizer drängen sich nicht auf, sondern grundieren den Song aufs Angenehmste.
9: Harold the Barrel (1971). Durch exzessiven Konsum der bleischweren, sperrigen Siebenminutenstücke der ersten Genesis-Alben habe ich vermutlich bleibende Schäden davongetragen, und ich weiß noch, wie eine Freundin meine Begeisterung so gar nicht teilen wollte: "Da wird man ja depressiv!" Wie ein Brausebonbon zwischen all dem Schwarzbrot erquickte mich aber schon damals dieser kleine Song über Harold, der vom Fenstersims auf eine erboste Menge herunterschaut: "We're all your friends, if you come on down and talk to us, son". Vollkommen untypisch für die Band in dieser Epoche, sparsam instrumentiert und trotz der suizidalen Szenerie mit Witz und Schwung dargeboten, macht das Liedchen mit den jungen Stimmen von Gabriel und Collins mich immer wieder lächeln.
8: The Lamia (1974). Mich gruselt von heute aus, dass ich mir diese Scheibe damals so oft angehört habe: Lang, schwerfällig und schon vom Sound her schlicht deprimierend. Als Jugendlicher sollte man Punk hören oder Beastie Boys, gesünder ist das bestimmt. Aber wenn die Synapsen sich erst ihre Bahnen gefräst haben, hilft anscheinend alles nichts, dann trifft auch ein freudloses Stück wie dieses vom überbewerteten Doppelalbum The Lamb Lies Down On Broadway die richtigen Rezeptoren. "With their tongues, they test, taste and judge / All that is mine / They move in a series of caresses / That glide up and down my spine / As they nibble the fruit of my flesh / I feel no pain / Only a magic that a name would stain / With the first drop of my blood in their veins / Their faces are convulsed in mortal pains ...", ja fuck, warum konnte ich nicht einfach Sexual Healing hören? Bei diesem Lied jedenfalls gehören die surrealen Lyrics über Schlangen mit Frauengesichtern, die den nackten Helden im Pool anknabbern, ebenso zu meinem perversen Vergnügen wie Peter Gabriels entrückter Gesang zu der leblosen Musik.
7: Entangled (1976). Völlig entrückt auch dieses Lied ohne Drums, das durch den Harmoniegesang irgendwie folkig klingt und, Strophe-Refrain-Strophe-Refrain, fast ein konventionelles Lied werden möchte. Wie bei vielen Stücken aus dieser Zeit wird das aber verhindert, indem ein langer Instrumentalteil eingebaut wird, der mit wunderbaren Akustikgitarren und ebenso schönen 70er-Jahre-Synthesizerchören wahrscheinlich direkte Ursache für das Aufkommen des Punk war.
6: Fading Lights (1991). Eben waren wir bei der ersten Platte mit Phil Collins als Sänger, dieses hier stammt von der letzten. Nicht alles, was dazwischen lag, mag ich verteidigen, und speziell gilt das für die ganz brachialen Kracher wie Land of Confusion oder I Can't Dance. Bei diesem Abschiedsstück hier schreit Phil nicht alles nieder, sondern singt angenehm zurückgenommen. Dazu Progressive-Elemente, wie man sie von Genesis kennt: Ein ausufernder instrumentaler Mittelteil mit Schlagzeuggewittern, Synthie- und Gitarrensoli, die langsame Rückkehr zur melancholischen Anfangsmelodie, mehr braucht es gar nicht, um den nnier glücklich zu machen. Sagen wir zufriedenzustellen. Oder jedenfalls seine Nerven zu beruhigen. Ach was soll's, ich finde das wirklich schön.
5: Watcher of the Skies (1972). Halten Sie durch: Das Mellotron-Intro klingt erst mal etwas pompös und leer, aber es etabliert eine Stimmung, die ebenso zu dem Lied gehört wie die komplizierte rhythmische Figur, die sich bald zu dazugesellt und im Lied immer wieder aufgegriffen wird: Mal vom Bass, mal vom Synth, mal vom Schlagzeug. Tickiti-tick-tick-tick-tick-ti-tickiti-tickiti/tickiti-tick-tick-tick-tick-tititckiti-tickiti, das verfolgt mich schon mehr als mein halbes Leben, und so krude das Lied manchmal klingt, ich liebe es schon vor dem Break (bei knapp 6:00 min: Tickiti-tick-tick-tick-tick-ti-tickiti-tickiti ...) Was dann folgt, dieses Mellotron über der kontrolliert verrückt spielenden Rhythmussektion, ist die Mühen des Einstiegs absolut wert.
4: Duke's Travels / Dukes End (1980): Wer Fading Lights (Nr. 6) tatsächlich gehört hat, dem wird einiges bekannt vorkommen, bloß dass dies hier deutlich früher entstanden ist. Duke war das zweite Album in der Dreierbesetzung Banks/Collins/Rutherford, darauf sind schon (zu) viele konventionelle Popsongs zu finden. Mich macht das Ende glücklich, dieses ausgedehnte Stück Bombast, das man am Lagerfeuer nur schwer nachspielen kann. Und - beliebter Trick bei Genesis - man nimmt am Ende Melodiefragmente von anderen Stücken der Platte wieder auf. (Warum ich auf so etwas stehe? Keine Ahnung.)
3: The Fountain of Salmacis (1971): Einige der frühen Langstücke sind wirklich schwer verdaulich, das gilt vor allem musikalisch, aber auch textlich kommt man oft kaum hinterher vor lauter altenglischer Szenerie und mythologischer Anspielungen. Hier ein zwar langes, aber vergleichsweise zugängliches Stück von der zweiten "richtigen" LP, bei dem die künstlichen Streicher vom Mellotron mich sofort einfangen. Kleine Zwischenspiele mit E-Gitarre, Querflöte und Orgel brechen das Lied auf und halten das Interesse wach, bevor das Streichermotiv alle wieder einsammelt und die Vereinigung der zwei Liebenden an der Quelle mit dramatischen Chören und sehr schönem E-Gitarrensolo gefeiert wird. Dann noch mal ein Streicherakkord: Das endet wie ein kurzes Bühnenstück, ich warte jedes Mal auf den Applaus.
2: Los Endos (1976). Ja, ja - ich weiß auch nicht, schon wieder so ein Instrumentalstück, schon wieder vom Ende eines Albums. Darin ist vieles verdichtet, was mich an dieser Musik damals so angesprochen hat (und es teilweise bis heute tut): Langsamer Einstieg, Spannungsaufbau, dynamische Wechsel, fantastische Instrumentenbeherrschung (der Bass! Die Drums!), am Ende noch eine kleine Verzögerung: Nach etwa 4 Minuten haben sie einen so weit, dass man um Erlösung bettelt, ein paar Sekunden noch, obacht, gleich ...
1: Supper's Ready (1972). Darüber müsste man Bücher schreiben, und Sie können ohnehin nicht mehr. Also heben Sie es sich für einen anderen Tag auf, denn das ist eine ganze Plattenseite. Oder, ach, vergessen Sie's, Generation YouPorn will ja immer alles jetzt gleich sofort, dann springen Sie halt an eine Stelle, die eigentlich mühsam vorbereitet wird, die Apocalypse in 9/8: Mein Gott, hat mich das damals erwischt! Dieser Neunachteltakt, das Zusammenspiel der Instrumente, dazu singt Peter Gabriel so gut, wie er davor und danach nie wieder gesungen hat: Das alles läuft natürlich auf einen musikalischen Höhepunkt hinaus, der erst so richtig wirkt, wenn man vorher durch die Ebenen dieses Dreiundzwanzigminutenstücks gewandert ist. Aber das sollte man besser freiwillig tun.
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Man kann das Lied gut 30 Jahre später, wenn man also deutlich über 70 ist, natürlich einfach live spielen: Nach den hohen Tönen muss man sich gesanglich inzwischen strecken, aber der knackige Bass und das funkige Gitarrenriff bringen den Song ganz locker nach Hause. Echt nicht schlecht, sage ich da, und auch deutlich besser als die mit Samples und Drum-Gepose aufgeblasene 89/90er-Version, an der ich mich auf dieser Tour bald überhörte: So klingt das doch nach einem brauchbaren Stück Rockmusik!
Dabei ist das ganze Stück ein Witz, eine dieser Heimstudiospielereien ohne jede ernstzunehmende Produktion: Mikrophon einstöpseln und einen monotonen Schlagzeugtakt aufnehmen - klingt wie ein Schuhkarton, aber man weiß ja, wie es gemeint ist. Dann diese eine Idee, das gute Riff, mit der E-Gitarre einspielen: Es wird schon ein Song draus werden, am Bass ist man ja ohnehin Weltklasse, also den gleich hinterher und ein wenig dünnes Gedudel auf dem "Synthesizer", das ist so ein neuartiges Gerät zur künstlichen Klangerzeugung. Jetzt mit Kopfstimme und VariSpeed-Bandmaschine einen möglichst unscharfen, körperlosen und verhallten Gesang darüber, fertig ist das Mondgesicht.
Es ist eine lustige Idee, ausgerechnet zu diesem Song ein professionelles Video State of the art drehen zu lassen - muss man sich mal vorstellen, das sieht aus wie ganz viele Menschen und dabei ist es immer ein- und derselbe! Was da inzwischen elektronisch möglich ist: Der Hammer, ich hab mir sagen lassen, die machen das irgendwie mit einer blauen Wand.
Auch das natürlich ein Witz: Als bräuchte man zehn Personen, um diesen dünnen Sound hervorzubringen! Allein vier virtuelle Blechbläser stehen da und pusten leer in ihre Saxo- und sonstigen Phone, während doch nur kläglich das Keyboard klimpert.
Angeblich war es dieser Song, der Lennon sagen ließ: Wenn Paul jetzt wieder gute Musik macht, dann fange ich auch wieder an. Das Lied ist ein Witz, aber ein guter.
Platz 27: Coming Up (1980)
Dabei ist das ganze Stück ein Witz, eine dieser Heimstudiospielereien ohne jede ernstzunehmende Produktion: Mikrophon einstöpseln und einen monotonen Schlagzeugtakt aufnehmen - klingt wie ein Schuhkarton, aber man weiß ja, wie es gemeint ist. Dann diese eine Idee, das gute Riff, mit der E-Gitarre einspielen: Es wird schon ein Song draus werden, am Bass ist man ja ohnehin Weltklasse, also den gleich hinterher und ein wenig dünnes Gedudel auf dem "Synthesizer", das ist so ein neuartiges Gerät zur künstlichen Klangerzeugung. Jetzt mit Kopfstimme und VariSpeed-Bandmaschine einen möglichst unscharfen, körperlosen und verhallten Gesang darüber, fertig ist das Mondgesicht.
Es ist eine lustige Idee, ausgerechnet zu diesem Song ein professionelles Video State of the art drehen zu lassen - muss man sich mal vorstellen, das sieht aus wie ganz viele Menschen und dabei ist es immer ein- und derselbe! Was da inzwischen elektronisch möglich ist: Der Hammer, ich hab mir sagen lassen, die machen das irgendwie mit einer blauen Wand.
Auch das natürlich ein Witz: Als bräuchte man zehn Personen, um diesen dünnen Sound hervorzubringen! Allein vier virtuelle Blechbläser stehen da und pusten leer in ihre Saxo- und sonstigen Phone, während doch nur kläglich das Keyboard klimpert.
Angeblich war es dieser Song, der Lennon sagen ließ: Wenn Paul jetzt wieder gute Musik macht, dann fange ich auch wieder an. Das Lied ist ein Witz, aber ein guter.
Platz 27: Coming Up (1980)
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Ich habe zwei liebe Kinder, und so seltsam das ist, sie mochten von je her meine Musik.
Ich will gar nicht leugnen, dass mich das rührt. Denn auch wenn ich mir einbilde, ich wäre gegenüber japanischem Punkrock natürlich wahnsinnig tolerant gewesen, muss ich doch zugeben, dass die gemeinsame Freude an den schönen Liedern mein Herz weitet. Weihnachten diesmal ohne die Tochter: Kannst du mir einen USB-Stick mit Beatlesliedern schicken, ich will die endlich mal wieder in Ruhe hören? Da muss ich mir den Augenwinkel wischen, so freut mich das.
Es kommt ein neues McCartney-Album, erklärte ich mein mehrtägiges Lächeln vor nun auch schon wieder acht Jahren, und sie lächelten mit mir. Das erste Lied auf dem Album hat etwas Kindliches an sich, und ich meine nicht kindisch: Das ist der typische "No Fuss" - McCartney, der mir oft so viel näher ist als der perfektionierte und überproduzierte. Er ist es wieder mal alleine, hat also Spur für Spur selber eingespielt, und es klingt so, als habe er das nach dem Frühstück mit der jüngsten Tochter angefangen und abends fertig gehabt: Spaß am Klang der Mandoline, im Text keine großen Experimente, zwischendurch wird ein paar Takte gepfiffen, der seltsame Akkord* bringt ein wenig Textur, und das "Solo", drei Töne auf der E-Gitarre, ist auf eine Art und Weise unverschämt, die mich immer wieder grinsen lässt.
Bis dahin ein nett geklampftes Liedchen, das ich so schön mögen würde. Er wäre aber nicht der Paul, würde er sich nicht ans Schlagzeug setzen und zum Schluss noch etwas Dampf machen: Warte mal kurz, Kleine, das waren schon mal die Drums, jetzt legt der Papa grad noch ein paar Akkorde mit Bass und E-Gitarre unter das Ende, dann hab ich wieder Zeit für dich!
Spaß am Neuen, immer noch: Mandoline habe ich noch nie gespielt, mal ausprobieren - und dann einfach drauf los, statt sich von der eigenen Bedeutsamkeit lähmen zu lassen. Trivial? Harmlos? Ganz bestimmt, und ich freue mich, dass er's macht,
Platz 28: Dance Tonight (2007)
--
*Zu den Zeilen
You can come on to my place if you want to /
You can do anything you want to do"
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Oft habe ich mich gefragt, ob das musikalische Empfinden etwas Gelerntes oder von der Natur schon Eingebautes ist. Da ich Noten nicht beherrsche und von Musiktheorie keine Ahnung habe, muss ich laienhaft vor mich hinspekulieren: Bestimmte Akkorde, so heißt es, die für "uns" heute rein und sauber klingen, waren vor hundert Jahren noch Missklänge. Also gelernt? Aber Moll klingt traurig und Dur klingt fröhlich, da kannst du jedes Kleinkind fragen: Also eingebaut? Was passiert, wenn man rein pentatonisch aufwächst? Oder nur mit Zwölftonmusik? Ich muss mal ein paar Zwillingsversuche machen.
Was geschieht, wenn man mit einem verstimmten Klavier aufwächst - empfindet man das dann als richtig? Aber es gibt doch physikalische Beziehungen, Schwingungsvielfache, und wenn man mit kleinen Kindern Lieder singt, transponieren sie traumwandlerisch und nichts tönt miss.
Im Stimmbruch fällt die männliche Stimme um eine Oktave, lerne ich ("Frequenzverhältnis 2:1"), das ist doch erstaunlich: Welcher Mechanismus sorgt denn dafür, dass es gerade dieses Verhältnis ist? Verlängern sich die Stimmbänder genau um einen bestimmten Faktor?
Was wäre gewesen, hätte ich als Kind nicht das Rote Album zur Verfügung gehabt, meine musikalische Prägung statt dessen durch Mozart oder Modern Talking erfahren?
Bei einer Oktave scheint es nicht zu bleiben, sonst müssten älterwerdende Künstler ihre Lieder nicht heruntertransponieren: McCartney war lange stolz darauf, das nicht zu tun und bei seinen Konzerten in der ursprünglichen Tonlage zu singen. Man fragte sich immer stärker, wie das eigentlich ging, so tief und rauh wie seine Sprechstimme geworden war: Die klang nicht eine, die klang zwei Oktaven tiefer als Yesterday.
Es ging dann mit einzelnen Titeln los, We Can Work It Out war so ein Fall, als es 2003 langsam eng wurde und man bangte und litt, wenn die hohen Töne noch irgendwie erreicht wurden oder eben nicht mehr ganz. Und auch wenn er noch heute die meisten Stücke gut bewältigen kann, hilft auf den Konzerten nicht nur die Woge der Begeisterung, sondern auch der stimmliche Einsatz der Begleitband über schwächere Gesangsmomente hinweg. Und im Studio lässt sich sowieso vieles machen.
Es war deshalb eine Überraschung, zum ersten Mal seine "alte" Stimme klar und ungeschönt in einem neuen Lied zu hören. Gerade im Kontrast zu dem nahöstlich-ätherischen Hintergrundgesang merkt man dem seinen hier jedes Lebensjahr an. Wie einfach es gewesen wäre, das zu verdecken, zeigt dieser Herr mit seinem parallelen Harmoniegesang: Auch schön, aber ich bin froh um den raren Moment, denn so verletzlich und ungeschützt hat sich McCartney selten gezeigt. Den Uptempo-Teil am Schluss hätte es deshalb für mich auch nicht gebraucht.
Gelernt oder angeboren? You tell me. Wenn man Katzen in einer Umgebung aufwachsen lässt, die nur vertikal strukturiert ist, knallen sie in der echten Welt gegen jede Querstange. Durchaus grausam die Vorstellung, diese rote Platte wäre waagerecht einsortiert gewesen.
Platz 29: My Soul (2008)
[Anmerkung: Thematische Überschneidung hiermit]
Was geschieht, wenn man mit einem verstimmten Klavier aufwächst - empfindet man das dann als richtig? Aber es gibt doch physikalische Beziehungen, Schwingungsvielfache, und wenn man mit kleinen Kindern Lieder singt, transponieren sie traumwandlerisch und nichts tönt miss.
Im Stimmbruch fällt die männliche Stimme um eine Oktave, lerne ich ("Frequenzverhältnis 2:1"), das ist doch erstaunlich: Welcher Mechanismus sorgt denn dafür, dass es gerade dieses Verhältnis ist? Verlängern sich die Stimmbänder genau um einen bestimmten Faktor?
Was wäre gewesen, hätte ich als Kind nicht das Rote Album zur Verfügung gehabt, meine musikalische Prägung statt dessen durch Mozart oder Modern Talking erfahren?
Bei einer Oktave scheint es nicht zu bleiben, sonst müssten älterwerdende Künstler ihre Lieder nicht heruntertransponieren: McCartney war lange stolz darauf, das nicht zu tun und bei seinen Konzerten in der ursprünglichen Tonlage zu singen. Man fragte sich immer stärker, wie das eigentlich ging, so tief und rauh wie seine Sprechstimme geworden war: Die klang nicht eine, die klang zwei Oktaven tiefer als Yesterday.
Es ging dann mit einzelnen Titeln los, We Can Work It Out war so ein Fall, als es 2003 langsam eng wurde und man bangte und litt, wenn die hohen Töne noch irgendwie erreicht wurden oder eben nicht mehr ganz. Und auch wenn er noch heute die meisten Stücke gut bewältigen kann, hilft auf den Konzerten nicht nur die Woge der Begeisterung, sondern auch der stimmliche Einsatz der Begleitband über schwächere Gesangsmomente hinweg. Und im Studio lässt sich sowieso vieles machen.
Es war deshalb eine Überraschung, zum ersten Mal seine "alte" Stimme klar und ungeschönt in einem neuen Lied zu hören. Gerade im Kontrast zu dem nahöstlich-ätherischen Hintergrundgesang merkt man dem seinen hier jedes Lebensjahr an. Wie einfach es gewesen wäre, das zu verdecken, zeigt dieser Herr mit seinem parallelen Harmoniegesang: Auch schön, aber ich bin froh um den raren Moment, denn so verletzlich und ungeschützt hat sich McCartney selten gezeigt. Den Uptempo-Teil am Schluss hätte es deshalb für mich auch nicht gebraucht.
Gelernt oder angeboren? You tell me. Wenn man Katzen in einer Umgebung aufwachsen lässt, die nur vertikal strukturiert ist, knallen sie in der echten Welt gegen jede Querstange. Durchaus grausam die Vorstellung, diese rote Platte wäre waagerecht einsortiert gewesen.
Platz 29: My Soul (2008)
[Anmerkung: Thematische Überschneidung hiermit]
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The sound you make is muzak to my ears
You must have learned something in all those years
[Lennon, How Do You Sleep?, 1971]
The only thing you done was yesterday / And since you've gone you're just another day, das ist ja oft so, wenn Beziehungen auseinandergehen: Dann wird einem plötzlich klar, dass der andere schon immer scheiße und nichts, aber auch gar nichts Gutes an ihm war. In the "Imagine" film, [...] Lennon sings, "How do you sleep ya cunt?" [...] [Q], das wirkt von heute aus geradezu rührend, wo man längst sein Marketing auf thebeatles.com gebündelt hat und nur noch Nettes übereinander sagt.
Auf lange Sicht ist es dem Mythos ohnehin förderlicher, wenn auf die große Liebesaffäre ein ebensogroßer Knall folgt. Was wäre das langweilig gewesen, hätten die sich einvernehmlich getrennt und zum Wohle der Kinder die besten Freunde bleiben wollen! Mit großem Respekt füreinander müssen wir leider feststellen, dass unsere Ehe - mein Arsch. Wir haben ein Recht darauf, dass die Eltern sich richtig fetzen, wenn sie schon auseinandergehen! Wie sollen wir begreifen, was passiert ist, wenn sie sich in großer Zuneigung verbunden bleiben - ja, dann hätten sie auch zusammenbleiben können statt uns aus dem Paradies zu jagen! Und alle paar Jahre eine Reunion beim Wohltätigkeitsball, wo es dann anerkennend heißt, die kriegen das ja gut hin, und psst, jetzt gehen sie zusammen auf die Bühne, fast wie früher!
Nein, man schreit sich gefälligst an, redet schlecht übereinander, zieht gemeinsame Freunde auf die eigene Seite, um es dem anderen aber mal so richtig zu zeigen (The song features a slide guitar part played by George Harrison. [...] Ringo Starr visited the studio during the recording of the song and was reportedly upset, saying: "That's enough, John." [Q]), und irgendwann, auch wenn man es sich absolut nicht vorstellen kann, dreht sich die Welt weiter mit immer noch Schwerkraft, immer noch Gezeiten.
Aber da kommt der wieder mit so einem belanglosen Alltagsliedchen, dô! Während andere (Imagine no possessions! Imagine there's no countries!) gerade um den Weltfrieden ringen!
At the office where the papers grow she takes a break,
Drinks another coffee
And she finds it hard to stay awake
Kleinbürgerliche Scheiße, Gefühlskitsch statt Weltrevolution, das war schon immer so, und überhaupt konnte der eigentlich noch nie was außer hübsch aussehen und Yesterday schmachten. Hätte ich dich bloß nie kennengelernt! Du Fotze!
Platz 30: Another Day (1971)
You must have learned something in all those years
[Lennon, How Do You Sleep?, 1971]
The only thing you done was yesterday / And since you've gone you're just another day, das ist ja oft so, wenn Beziehungen auseinandergehen: Dann wird einem plötzlich klar, dass der andere schon immer scheiße und nichts, aber auch gar nichts Gutes an ihm war. In the "Imagine" film, [...] Lennon sings, "How do you sleep ya cunt?" [...] [Q], das wirkt von heute aus geradezu rührend, wo man längst sein Marketing auf thebeatles.com gebündelt hat und nur noch Nettes übereinander sagt.
Auf lange Sicht ist es dem Mythos ohnehin förderlicher, wenn auf die große Liebesaffäre ein ebensogroßer Knall folgt. Was wäre das langweilig gewesen, hätten die sich einvernehmlich getrennt und zum Wohle der Kinder die besten Freunde bleiben wollen! Mit großem Respekt füreinander müssen wir leider feststellen, dass unsere Ehe - mein Arsch. Wir haben ein Recht darauf, dass die Eltern sich richtig fetzen, wenn sie schon auseinandergehen! Wie sollen wir begreifen, was passiert ist, wenn sie sich in großer Zuneigung verbunden bleiben - ja, dann hätten sie auch zusammenbleiben können statt uns aus dem Paradies zu jagen! Und alle paar Jahre eine Reunion beim Wohltätigkeitsball, wo es dann anerkennend heißt, die kriegen das ja gut hin, und psst, jetzt gehen sie zusammen auf die Bühne, fast wie früher!
Nein, man schreit sich gefälligst an, redet schlecht übereinander, zieht gemeinsame Freunde auf die eigene Seite, um es dem anderen aber mal so richtig zu zeigen (The song features a slide guitar part played by George Harrison. [...] Ringo Starr visited the studio during the recording of the song and was reportedly upset, saying: "That's enough, John." [Q]), und irgendwann, auch wenn man es sich absolut nicht vorstellen kann, dreht sich die Welt weiter mit immer noch Schwerkraft, immer noch Gezeiten.
Aber da kommt der wieder mit so einem belanglosen Alltagsliedchen, dô! Während andere (Imagine no possessions! Imagine there's no countries!) gerade um den Weltfrieden ringen!
At the office where the papers grow she takes a break,
Drinks another coffee
And she finds it hard to stay awake
Kleinbürgerliche Scheiße, Gefühlskitsch statt Weltrevolution, das war schon immer so, und überhaupt konnte der eigentlich noch nie was außer hübsch aussehen und Yesterday schmachten. Hätte ich dich bloß nie kennengelernt! Du Fotze!
Platz 30: Another Day (1971)
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Aufregende Zeiten damals vor 25 Jahren, man konnte ja gerade noch mal alles im Fernsehen sehen, und immer wieder stand Karl Moik da und sagte, hätten Sie das für möglich gehalten vor ein paar Monaten, meine Damen und Herren, das hätten wir doch alle miteinander nicht geglaubt.
Mir ging es auch so, in meinem persönlichen Musikantenstadl, da stand ich auch immer wieder und sagte, hättest du das für möglich gehalten vor ein paar Monaten, das hättest du doch niemals geglaubt.
Oktober 1989, ich hatte nur Tage vorher überhaupt davon erfahren und erwartete nicht viel. Mittags vor der Alsterdorfer Sporthalle war noch kaum etwas los, und ich musste trotzdem stundenlang warten, bis der entnervte Schwarzhändler das Ticket für 80 Mark herausrückte.
Ein paar Stunden später hatte sich die Welt verändert, und die westlichen Geheimdienste hatten es nicht kommen sehen, hätten Sie das für möglich gehalten, meine Damen und Herren, das hätten wir doch alle miteinander nicht geglaubt. Ich übernachtete auf dem Gelände der Prager Botschaft, oder war's auf der umgeklappten Rückbank im Corolla, frierend und hungrig, denn zurückfahren konnte ich nicht, wo es doch am nächsten Tag noch ein Konzert geben sollte. Steifbeinig lief ich auf den Schwarzhändler zu, der schon die Augen verdrehte.
Würde man, so behaupten die Forscher, nur das kleinste Bisschen an den Paramtern unserer Welt herumschrauben (eine andere Umlaufgeschwindigkeit, weniger Wasser, kein Mond), hätte nie Leben auf der Erde entstehen können: Es ist fast, als hätte das Universum gewollt, dass es uns gibt! (Sie wissen schon, was ich meine: Ich hatte frisch den Führerschein, es war nicht zu weit weg - und der Schwarzhändler ist der Mond.)
Öffentliches Pathos dieser Art ist ja immer etwas peinlich, außerdem habe ich das alles schon x-mal erzählt. Ich muss es trotzdem noch einmal tun, denn bei diesem Lied bekomme ich nicht auseinander, welchen Anteil die musikalische Qualität hat und welchen die Nachwirkungen der friedlichen Revolution. Das Konzert begann, jemand gab mir LSD, Außerirdische hackten meine Synapsen, und nach meiner Kenntnis trat das sofort, unverzüglich.
Platz 31: Figure Of Eight (1989)
[Anmerkung: Thematische Überschneidung hiermit]
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Jetzt schaut bloß mal, was ihr angerichtet habt.
1980:
1996:
Was ist da geschehen? 1980: Der junge Mann im Vordergrund hat ein ganzes Konzert als Leadsänger bestritten und legt zum Abschluss ein Drumduett hin, wie man es sich nur wünschen kann. Locker und hochkonzentriert, vor allem aber mit Vollbart und gelbem Hawaiihemd.
1996: Ja, eben! Das schmerzverzerrte Gesicht, die freudlose Ausstrahlung, das lässt sich medizinisch doch gar nicht verantworten.
"Warum wird der eigentlich so gehasst", werde ich von jungen Menschen gefragt, und man erzählt dann von den Jahren, in denen er kurz vor der endgültigen Machtübernahme stand: Der Flug mit der Concorde, um bei Live Aid als einziger Künstler in London und Philadelphia aufzutreten. Die industriell gefertigten Midtempo-Hits, der omnipräsente Schlagzeugsound, Phil als Gaststar bei Miami Vice, ein bescheuerter Kinofilm, und wenn er mal nicht als Solokünstler zu hören war, dann aber garantiert als Sänger einer ebenso vielgeschmähten Band.
Ja, aber die Sachen sind doch gar nicht so schlecht, sagen die jungen Leute, und man schmunzelt wissend: Doch, doch, da gibt es schon ein paar schlimme Machwerke, und wisst ihr, was das Traurige ist: Gerade mit denen hatte er die größten Erfolge. Das geht schon los damit, dass er zum Start zwei eher dunkel grundierte Soloalben vorgelegt hat: Musikalisch anspruchsvoll, die Texte von Trennungs- und Weltschmerz getränkt, und dann wird ausgerechnet so ein harmloses Motown-Cover zum großen Erfolg in den Charts. Da wurden völlig falsche Anreize gesetzt.
1985 habe ich selber jeden Tag dreimal No Jacket Required gehört, obwohl die Scheibe einem auf die Nerven gehen konnte mit ihrem bei Prince geklauten Anfang und vor allem dieser einen Ballade, die einem ständig entgegenquoll. Und wie gräßlich vor allem diese andere Ballade ist, wurde mir erst Jahre später so richtig klar, als Mariah Carey ihr den Todesstoß verpasste.
Verteidigt habe ich ihn dennoch bis über die 80er hinaus, trotz Two Hearts und allerlei weiterer Belanglosigkeiten, da folgte Hit auf Hit, das schien für immer so weiterzugehen, das war Futter fürs Formatradio, das war ein Synonym für Mainstream, das war Reißbrettpop aus dem Reinraum, und doch mochte ich ihm eine gewisse innere Qualität, eine solide Handwerksbeherrschung einfach nicht absprechen.
Dabei hatte ich massiv unter ihm gelitten, weil er, wie mir schien, die von mir damals innig geliebten Querköpfe, verschrobenen Prog-Dinosaurier, Schöpfer abseitiger Siebenminutenstücke, Beherrscher komplexester Rhythmik, Verfasser verstiegener Verse, Meister der wunderlichen Instrumentalsuiten, weil er die verklemmten Brillenträger und linkischen Doppelhalsgitarrenspieler seiner urbritischen Herkunftsband zu bloßen Facharbeitern im Dienste der schnöden Hitparadenindustrie degradiert hatte, die nun kilometerweit unterhalb ihrer Talente und Möglichkeiten echten Schweinerock für die internationalen Märkte raushauten, wenn sie nicht gerade als anonym geduldete Begleitband zur nächsten normsterilen Ballade des allgegenwärtigen C. auf Schicht gehen mussten: Was bin ich zusammengezuckt, wenn der Name des Sängers mit dem der Band verwechselt oder synonym gebraucht wurde, gerade weil ich spürte, dass da kein großer Unterschied mehr bestand.
"Ist aber innerhalb der Popmusik dennoch" usw., ich höre mich noch reden, und man konnte damals wirklich meinen, es werde ewig so weitergehen. Es kam jedoch anders.
"We always need to hear both sides of the story", erscholl es 1993, und die Sekretärinnen drehten das Radio lauter. Es klang eigentlich wie immer, die Drums knallten ihr ewiges Gated Reverb, der Moog lieferte harmlos simple Harmonien, drübergesungen ein wenig Sozialkitsch, und doch war etwas anders: Das klang so richtig billig. Sollten das Gitarren sein?
Da hatte er also ein ganzes Album alleine eingespielt und sich völlig übernommen. Denn auch wenn seine frühen Solowerke ebenfalls im Heimstudio entstanden waren, hatte er es doch immer verstanden, Musiker der Extraklasse um sich zu scharen und seine sparsamen Arrangements mit ein paar genialen Gitarrensprengseln veredeln zu lassen. Hier dagegen: Nichts als unbeholfene Anfängergriffe, Malen nach Zahlen, und auch den möglichen Charme des Unfertigen und Skizzenhaften suchte man vergeblich, das klang einfach schlecht produziert. Meine Versuche, diese Platte dennoch irgendwie zu hören, blieben erfolglos.
Und das war es dann auch: Endgültig verloren hat er mich mit der unmotivierten Coverversion eines mediokren 80er-Jahre-Hits (True Colors von Cyndi Lauper), und plötzlich merkte man: Da war schon länger nichts, da kommt auch nichts mehr, da ist eine der beherrschenden Hitparadenfiguren der 80er vollkommmen in sich zusammengesunken und kann unter "erledigte Fälle" abgeheftet werden. (Danach noch Disney-Musical ff.)
Ist euch übrigens aufgefallen, dass der Mann seit 20 Jahren nicht mehr öffentlich lacht? Der ist völlig erledigt, auf einem Ohr taub, x-fach geschieden, kann keine Drumsticks mehr festhalten und hat vollkommen resigniert. Mitleid macht noch keine Musik besser, aber es ist schon knüppeldick für ihn gekommen (David Bowie subsequently dismissed his own critically reviled 1980s output as his "Phil Collins years/albums".) Ich frage mich also, ob es eine gute Idee ist, jetzt, da sich offenbar endgültig alle über die grobe Abscheulichkeit des Herrn Collins einig geworden sind, seine Soloalben in einer großen Kampagne ("Take a look at me now", ausgerechnet) wiederzuveröffentlichen: Schon die Idee, die originalen Coverfotos mit aktuellen des sichtlich gealterten Collins zu ersetzten, lädt doch geradezu ein, noch mal ordentlich draufzuhauen.
Und wirklich: Was eine wiederveröffentlichte No Jacket Required 30 Jahre später bringen soll, weiß ich nicht. Wenn ich die Scheibe einmal im Jahr raushole, ist das klangtechnisch noch immer tadellos. Und verdammt schlecht gealtert.
Aber das war nicht die ganze Geschichte, und wenn ich kurz auf das hier schon mal thematisierte I don't Care Anymore verweisen darf und diesen totgespielten Superhit, der trotzdem eine schöne Melodie hat - oder was soll's, hören wir doch einfach mal mitten in die erste Soloplatte rein: Das kann man doch mindestens respektieren, oder nicht?
1980:
1996:
Was ist da geschehen? 1980: Der junge Mann im Vordergrund hat ein ganzes Konzert als Leadsänger bestritten und legt zum Abschluss ein Drumduett hin, wie man es sich nur wünschen kann. Locker und hochkonzentriert, vor allem aber mit Vollbart und gelbem Hawaiihemd.
1996: Ja, eben! Das schmerzverzerrte Gesicht, die freudlose Ausstrahlung, das lässt sich medizinisch doch gar nicht verantworten.
"Warum wird der eigentlich so gehasst", werde ich von jungen Menschen gefragt, und man erzählt dann von den Jahren, in denen er kurz vor der endgültigen Machtübernahme stand: Der Flug mit der Concorde, um bei Live Aid als einziger Künstler in London und Philadelphia aufzutreten. Die industriell gefertigten Midtempo-Hits, der omnipräsente Schlagzeugsound, Phil als Gaststar bei Miami Vice, ein bescheuerter Kinofilm, und wenn er mal nicht als Solokünstler zu hören war, dann aber garantiert als Sänger einer ebenso vielgeschmähten Band.
Ja, aber die Sachen sind doch gar nicht so schlecht, sagen die jungen Leute, und man schmunzelt wissend: Doch, doch, da gibt es schon ein paar schlimme Machwerke, und wisst ihr, was das Traurige ist: Gerade mit denen hatte er die größten Erfolge. Das geht schon los damit, dass er zum Start zwei eher dunkel grundierte Soloalben vorgelegt hat: Musikalisch anspruchsvoll, die Texte von Trennungs- und Weltschmerz getränkt, und dann wird ausgerechnet so ein harmloses Motown-Cover zum großen Erfolg in den Charts. Da wurden völlig falsche Anreize gesetzt.
1985 habe ich selber jeden Tag dreimal No Jacket Required gehört, obwohl die Scheibe einem auf die Nerven gehen konnte mit ihrem bei Prince geklauten Anfang und vor allem dieser einen Ballade, die einem ständig entgegenquoll. Und wie gräßlich vor allem diese andere Ballade ist, wurde mir erst Jahre später so richtig klar, als Mariah Carey ihr den Todesstoß verpasste.
Verteidigt habe ich ihn dennoch bis über die 80er hinaus, trotz Two Hearts und allerlei weiterer Belanglosigkeiten, da folgte Hit auf Hit, das schien für immer so weiterzugehen, das war Futter fürs Formatradio, das war ein Synonym für Mainstream, das war Reißbrettpop aus dem Reinraum, und doch mochte ich ihm eine gewisse innere Qualität, eine solide Handwerksbeherrschung einfach nicht absprechen.
Dabei hatte ich massiv unter ihm gelitten, weil er, wie mir schien, die von mir damals innig geliebten Querköpfe, verschrobenen Prog-Dinosaurier, Schöpfer abseitiger Siebenminutenstücke, Beherrscher komplexester Rhythmik, Verfasser verstiegener Verse, Meister der wunderlichen Instrumentalsuiten, weil er die verklemmten Brillenträger und linkischen Doppelhalsgitarrenspieler seiner urbritischen Herkunftsband zu bloßen Facharbeitern im Dienste der schnöden Hitparadenindustrie degradiert hatte, die nun kilometerweit unterhalb ihrer Talente und Möglichkeiten echten Schweinerock für die internationalen Märkte raushauten, wenn sie nicht gerade als anonym geduldete Begleitband zur nächsten normsterilen Ballade des allgegenwärtigen C. auf Schicht gehen mussten: Was bin ich zusammengezuckt, wenn der Name des Sängers mit dem der Band verwechselt oder synonym gebraucht wurde, gerade weil ich spürte, dass da kein großer Unterschied mehr bestand.
"Ist aber innerhalb der Popmusik dennoch" usw., ich höre mich noch reden, und man konnte damals wirklich meinen, es werde ewig so weitergehen. Es kam jedoch anders.
"We always need to hear both sides of the story", erscholl es 1993, und die Sekretärinnen drehten das Radio lauter. Es klang eigentlich wie immer, die Drums knallten ihr ewiges Gated Reverb, der Moog lieferte harmlos simple Harmonien, drübergesungen ein wenig Sozialkitsch, und doch war etwas anders: Das klang so richtig billig. Sollten das Gitarren sein?
Da hatte er also ein ganzes Album alleine eingespielt und sich völlig übernommen. Denn auch wenn seine frühen Solowerke ebenfalls im Heimstudio entstanden waren, hatte er es doch immer verstanden, Musiker der Extraklasse um sich zu scharen und seine sparsamen Arrangements mit ein paar genialen Gitarrensprengseln veredeln zu lassen. Hier dagegen: Nichts als unbeholfene Anfängergriffe, Malen nach Zahlen, und auch den möglichen Charme des Unfertigen und Skizzenhaften suchte man vergeblich, das klang einfach schlecht produziert. Meine Versuche, diese Platte dennoch irgendwie zu hören, blieben erfolglos.
Und das war es dann auch: Endgültig verloren hat er mich mit der unmotivierten Coverversion eines mediokren 80er-Jahre-Hits (True Colors von Cyndi Lauper), und plötzlich merkte man: Da war schon länger nichts, da kommt auch nichts mehr, da ist eine der beherrschenden Hitparadenfiguren der 80er vollkommmen in sich zusammengesunken und kann unter "erledigte Fälle" abgeheftet werden. (Danach noch Disney-Musical ff.)
Ist euch übrigens aufgefallen, dass der Mann seit 20 Jahren nicht mehr öffentlich lacht? Der ist völlig erledigt, auf einem Ohr taub, x-fach geschieden, kann keine Drumsticks mehr festhalten und hat vollkommen resigniert. Mitleid macht noch keine Musik besser, aber es ist schon knüppeldick für ihn gekommen (David Bowie subsequently dismissed his own critically reviled 1980s output as his "Phil Collins years/albums".) Ich frage mich also, ob es eine gute Idee ist, jetzt, da sich offenbar endgültig alle über die grobe Abscheulichkeit des Herrn Collins einig geworden sind, seine Soloalben in einer großen Kampagne ("Take a look at me now", ausgerechnet) wiederzuveröffentlichen: Schon die Idee, die originalen Coverfotos mit aktuellen des sichtlich gealterten Collins zu ersetzten, lädt doch geradezu ein, noch mal ordentlich draufzuhauen.
Und wirklich: Was eine wiederveröffentlichte No Jacket Required 30 Jahre später bringen soll, weiß ich nicht. Wenn ich die Scheibe einmal im Jahr raushole, ist das klangtechnisch noch immer tadellos. Und verdammt schlecht gealtert.
Aber das war nicht die ganze Geschichte, und wenn ich kurz auf das hier schon mal thematisierte I don't Care Anymore verweisen darf und diesen totgespielten Superhit, der trotzdem eine schöne Melodie hat - oder was soll's, hören wir doch einfach mal mitten in die erste Soloplatte rein: Das kann man doch mindestens respektieren, oder nicht?
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Es wird alles nicht einfacher, ich merke es selber, mal bricht die Stimme weg und mal das Standbein.
Und trotzdem immer wieder: Yeeeeaaaaaaaahhhh, und danke! Danke! We're gonna have a good time / Happy birthday to you!
Und trotzdem immer wieder: Yeeeeaaaaaaaahhhh, und danke! Danke! We're gonna have a good time / Happy birthday to you!
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Hier mal ein Stück Sonntagsmusik.
Vor einigen Tagen durfte ich einem Konzert dieser drei supersympathischen Kanadier beiwohnen, in einem Wohnzimmer, und es war grandios.
Wohnzimmerkonzerte sind sowieso toll. Aber das hier hat alles getoppt, zwei Tage später bin ich immer noch begeistert, und ich würde mal vorschlagen, ihr schaut euch das an und geht ins Konzert, wenn sie das nächste Mal in Deutschland aufschlagen.
Vor einigen Tagen durfte ich einem Konzert dieser drei supersympathischen Kanadier beiwohnen, in einem Wohnzimmer, und es war grandios.
Wohnzimmerkonzerte sind sowieso toll. Aber das hier hat alles getoppt, zwei Tage später bin ich immer noch begeistert, und ich würde mal vorschlagen, ihr schaut euch das an und geht ins Konzert, wenn sie das nächste Mal in Deutschland aufschlagen.
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Würd ich sagen. War mein schönstes Tor gewesen. War vor allem mit dem falschen Fuß erzielt ... bin ich zufrieden, muss ich sagen. (Peter Müller)
Komisch, ich habe mir immer eingebildet, dass in der sonntäglichen Sportschau der späten 70er beim Tor des Monats dieses Lied im Hintergrund gelaufen wäre. Ich wusste damals nicht, wie der Song heißt, verbinde ihn aber schon immer mit den bekannten Grafiken zu Tor 1 bis Tor 5. Irgendwann viel später kaufte ich jemandem eine ganze Plattensammlung ab, darunter die Maxisingle von Don't Let Me Be Misunderstood in eben jener fantastischen Discoversion von Santa Esmeralda.
Discomusik ist eine spezielle Herausforderung für mich, und noch heute kann mich Boney M an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringen. Aber selbst Frank Farian kann ich inzwischen zugutehalten, dass die Streicher in Daddy Cool verdammt effektvoll eingesetzt sind (einem Song, der ansonsten alles Schlimme der damaligen Zeit verkörpert). Und dass ich bei entsprechender Laune, ab und zu und zwischendurch, inzwischen sogar den Discobrüdern Gibb ohne Ohrenbluten lauschen kann, habe ich hier ja schon mal kundgetan.
Zweitligafußballer sind damals noch arbeiten gegangen und sahen aus wie diese Mopedtypen vor der Disco, gute Jungs wahrscheinlich, aber oft mit einem Touch von Kleinkriminalität und Halbwelt. Es war da kein so großer Unterschied zu erkennen zwischen den Männern auf dem Platz und den Kuttenträgern mit ihren Bierbechern, die dem Schiedsrichter Schläge androhten: Eine Szene, zu der ich als Kind einen Sicherheitsabstand wahrte, die mich aber auf eine irritierende Weise faszinierte. Jemanden wie Oliver Bierhoff hätte man sich damals nicht ausdenken können.
Da gibt es ein Lied von den Wings, das man sofort in die richtige Zeit einordnet - vollkommen egal, dass da mal wieder einer seinem Faible für 20er-Jahre-Accessoires nachgegangen ist: Früher als 1975 kann es nicht sein, und schon 1980 wäre es zu spät gekommen. Mit seinen Flamencogitarren und diesen Klanghölzern, ein paar Vocoderverfremdungen und einer sehr coolen Basslinie fehlen eigentlich nur die Streicher zum prototypischen Discostück.
Oder zum Tor des Monats. Auch wenn er es ganz sicher mit dem falschen Fuß erzielt hat.
Platz 32: Goodnight Tonight (1979)
Komisch, ich habe mir immer eingebildet, dass in der sonntäglichen Sportschau der späten 70er beim Tor des Monats dieses Lied im Hintergrund gelaufen wäre. Ich wusste damals nicht, wie der Song heißt, verbinde ihn aber schon immer mit den bekannten Grafiken zu Tor 1 bis Tor 5. Irgendwann viel später kaufte ich jemandem eine ganze Plattensammlung ab, darunter die Maxisingle von Don't Let Me Be Misunderstood in eben jener fantastischen Discoversion von Santa Esmeralda.
Discomusik ist eine spezielle Herausforderung für mich, und noch heute kann mich Boney M an den Rand eines Nervenzusammenbruchs bringen. Aber selbst Frank Farian kann ich inzwischen zugutehalten, dass die Streicher in Daddy Cool verdammt effektvoll eingesetzt sind (einem Song, der ansonsten alles Schlimme der damaligen Zeit verkörpert). Und dass ich bei entsprechender Laune, ab und zu und zwischendurch, inzwischen sogar den Discobrüdern Gibb ohne Ohrenbluten lauschen kann, habe ich hier ja schon mal kundgetan.
Zweitligafußballer sind damals noch arbeiten gegangen und sahen aus wie diese Mopedtypen vor der Disco, gute Jungs wahrscheinlich, aber oft mit einem Touch von Kleinkriminalität und Halbwelt. Es war da kein so großer Unterschied zu erkennen zwischen den Männern auf dem Platz und den Kuttenträgern mit ihren Bierbechern, die dem Schiedsrichter Schläge androhten: Eine Szene, zu der ich als Kind einen Sicherheitsabstand wahrte, die mich aber auf eine irritierende Weise faszinierte. Jemanden wie Oliver Bierhoff hätte man sich damals nicht ausdenken können.
Da gibt es ein Lied von den Wings, das man sofort in die richtige Zeit einordnet - vollkommen egal, dass da mal wieder einer seinem Faible für 20er-Jahre-Accessoires nachgegangen ist: Früher als 1975 kann es nicht sein, und schon 1980 wäre es zu spät gekommen. Mit seinen Flamencogitarren und diesen Klanghölzern, ein paar Vocoderverfremdungen und einer sehr coolen Basslinie fehlen eigentlich nur die Streicher zum prototypischen Discostück.
Oder zum Tor des Monats. Auch wenn er es ganz sicher mit dem falschen Fuß erzielt hat.
Platz 32: Goodnight Tonight (1979)
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