Sie werden mir sowieso nicht glauben, was mir vorhin in der Innenstadt widerfuhr. Es passt zu gut zum aktuellen Thema.
Vier äußerst attraktive junge Damen kamen mir entgegen. Sie trugen ein großes, buntes Pappschild. Ich war gerade noch dabei, dessen Aufschrift zu entziffern ("Gratis-Umarmung", meinte ich zu erkennen, tss!) und fragte mich, was da wohl tatsächlich stehe, denn da spielt einem die Phantasie ja gerne mal einen, äh, Freudschen Verleser, doch schon wurde ich aufs Entzückendste angelächelt, ein Paar Arme breitete sich aus, und man fragte mich: "Wollen Sie mitmachen?" - "Äh." - "Es ist für einen guten Zweck, fürs Rote Kreuz!" - "Äh. Ich soll dabei wohl fotografiert werden, hm?" - "Ja, aber das wird nicht veröffentlicht." - "Bedaure, nein!", sprach mein Mund und meine Beine liefen weiter.
"Hoffentlich geraten diese lieben, guten Menschen nicht an unwürdiges, rohes Volk - Rowdys oder Rüpel, die mit ihrer edlen Gesinnung Schindluder treiben", ging es mir durch den Kopf, bevor mir die unbestreitbaren humanitären Verdienste des Roten Kreuzes bewusst wurden und mir also der Gedanke kam, dass man nicht immer nur nehmen darf, sondern auch mal geben muss, und es ist ja für einen guten Zweck.
Ich bin dann noch den ganzen Nachmittag durch die Stadt ge
Vier äußerst attraktive junge Damen kamen mir entgegen. Sie trugen ein großes, buntes Pappschild. Ich war gerade noch dabei, dessen Aufschrift zu entziffern ("Gratis-Umarmung", meinte ich zu erkennen, tss!) und fragte mich, was da wohl tatsächlich stehe, denn da spielt einem die Phantasie ja gerne mal einen, äh, Freudschen Verleser, doch schon wurde ich aufs Entzückendste angelächelt, ein Paar Arme breitete sich aus, und man fragte mich: "Wollen Sie mitmachen?" - "Äh." - "Es ist für einen guten Zweck, fürs Rote Kreuz!" - "Äh. Ich soll dabei wohl fotografiert werden, hm?" - "Ja, aber das wird nicht veröffentlicht." - "Bedaure, nein!", sprach mein Mund und meine Beine liefen weiter.
"Hoffentlich geraten diese lieben, guten Menschen nicht an unwürdiges, rohes Volk - Rowdys oder Rüpel, die mit ihrer edlen Gesinnung Schindluder treiben", ging es mir durch den Kopf, bevor mir die unbestreitbaren humanitären Verdienste des Roten Kreuzes bewusst wurden und mir also der Gedanke kam, dass man nicht immer nur nehmen darf, sondern auch mal geben muss, und es ist ja für einen guten Zweck.
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(1, 2, 3, 4, 5, 6)
Ich z.B. hatte nie Latein und verstehe deshalb außer ein paar Asterixvokabeln ("Alea iacta est", "Ejaculatio praecox") kaum etwas, wenn sich zwei Päpste unterhalten. Das bedauere ich manchmal, da ich Sprachen interessant finde, und es bringt mich gelegentlich in die Situation, dass jemand vermutet, ich müsse dieses oder jenes doch sicher wissen, und doch kann ich meist nur aus dem Zusammenhang schließen, dass nolens volens wohl so etwas heißt wie "ohne es zu wollen" oder "unfreiwillig" oder "gegen jemandes eigenen Willen" oder "wohl oder übel". Ich kann aufgrund früher erworbener (und größtenteils längst verschütteter) Französisch- und Spanischkenntnisse manche Rückschlüsse ziehen, oft verstehe ich, so wie auch bei italienischen Texten, zumindest den ungefähren Zusammenhang, aber das ist etwas völlig anderes, als eine Sprache aktiv zu beherrschen oder auch nur eine Ahnung von Grammatik, Konjugationen, Deklinationen und den wichtigsten Zeitformen zu haben. Tja. Und deshalb will ich hier nicht so tun, als müsse jeder Französisch können, also, Oma Rock ist homophon mit au Maroc, welches mit "In Marokko" zu übersetzen ist, ein alberner Pennälerwitz also mal wieder, der zudem nicht mal von mir selber stammt, da diese Worte 1987 oder 1988 von meinem Sitznachbarn im Französischkurs während der Unterrichtseinheit Le Maghreb auf die Rückseite meines KÖEEEG-BEÖÖKs geschrieben wurden. Auf die letzten freien Quadratzentimeter, denn sowohl die stabilen Vorder- als auch die Rückseiten waren von innen und außen grundsätzlich komplett bemalt und vollgeschrieben, lange bevor das letzte Blatt entnommen -
ach, Sie wissen gar nicht, was ein KÖEEEG-BEÖÖK ist!?
Na, so ein Block, DIN A 4 i.d.R, 80 Blatt i.d.R., seitlich spiralgebunden, perforiert und gelocht, so dass man die Blätter später sauber herausreißen und in eine Mappe heften -
wie bitte? Ja, genau! Ja, "Kolleg-Block", he he, exakt, aber so heißen die ja nur am Anfang, als Rohling, das sind ja Halbfertigprodukte. Nämlich, wenn man den so neu und unfertig bekommt, dann kommt ja erst mal jede Menge Arbeit auf einen zu: Man muss auf der Titelseite zuerst aus jedem "L" ein "E" machen, dann aus dem "C" ein "O", und dann noch über jedes "O" die beiden Punkte setzen, dann endlich hat man einen KÖEEEG-BEÖÖK. Da kam im Lauf der Jahre einiges an Arbeit zusammen! Manchmal konnte ich mich dann gar nicht auf den Unterricht konzentrieren, das war ganz schön anstrengend, das jedes Mal wieder zu machen und dabei nicht nachlässig zu werden. Man hätte ja sonst nach dem zwanzigsten oder fünfzigsten Durchgang sagen können: Gut, das war's jetzt, eine schöne Zeit, eine wichtige Zeit, aber du bist jetzt älter geworden und deine Mitschüler haben gar nicht mehr solche vollgeschmierten Blöcke, sieh mal hin, da sind gar keine grinsenden Männchen auf den Blöcken, da steht gar nicht "Oma Rock" bei denen, da ist auf die Rückseite kein Butterbrot gezeichnet worden und auch keine hungrige Menge mit Transparenten, "Wir haben ein Recht auf Butter", "Für mehr Butter", und auch dieser Reporter davor, der dann immer kommentiert: "Unaufhaltsam wälzt sich die hungrige Menge etc. etc.", der ist immer nur bei dir da hinten drauf, und schließlich bist du jetzt schon seit einigen Jahren Student - ja, auf derartiges Suggestivgesäusel mag mancher schwache Geist hereingefallen sein, ich aber wusste, was meine Pflicht war und behandelte den Block nicht als schnödes Papierbündel, dem man gedankenlos mal hier, mal da ein Blatt entnimmt, um ihn am Ende, gefleddert und allen Inhalts beraubt, gedankenlos in den Müll zu geben, nein, ich erledigte zunächst die Pflicht (KÖEEEG-BEÖÖK sowie zwei, drei stets wiederkehrende Zeichnungen) und dann die Kür, d.h. wechselnde Motive oder auch mal kalligraphische Übungen, sofern diese sich mit dem schmierenden BIC-Kugelschreiber umsetzen ließen. Auch geistig wollte man ja beweglich bleiben und musste regelmäßig überprüfen, ob man den Handwerkertipp aus MAD immer noch auswendig konnte ("Das Toppen des Schliffs wird vereinfacht durch Noddeln der Quartschraube am Voss mit einem 0.5er Bohrer. Noch schneller kann quadriert werden, indem man die Hüppe am Maß rautet und den Schaab sternig annommt", puh, es geht noch).
Es gab da dieses Lateinbuch, Titel: Redde rationem, keine Ahnung, was das heißt, aber, wenn das da einfach so rumliegt, und man muss seine Mittagspause ja auch irgendwie herumbekommen jeden Tag, da heißt das Buch dann irgendwann Spreddelrationem, das fällt kaum auf, Schriftart und -farbe sind recht gut getroffen, und die Pause ist noch lang, warum soll das Buch nicht Spreddelrationemsiliuumscnarerareorationescumxilareumlicurdere heißen, und ich kann zwar kein Latein, aber das ist noch heute eines der wenigen lateinischen Wörter, die ich jederzeit auswendig hersagen kann.
[Weiter]
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*Spreddelrationem = 7
Ich z.B. hatte nie Latein und verstehe deshalb außer ein paar Asterixvokabeln ("Alea iacta est", "Ejaculatio praecox") kaum etwas, wenn sich zwei Päpste unterhalten. Das bedauere ich manchmal, da ich Sprachen interessant finde, und es bringt mich gelegentlich in die Situation, dass jemand vermutet, ich müsse dieses oder jenes doch sicher wissen, und doch kann ich meist nur aus dem Zusammenhang schließen, dass nolens volens wohl so etwas heißt wie "ohne es zu wollen" oder "unfreiwillig" oder "gegen jemandes eigenen Willen" oder "wohl oder übel". Ich kann aufgrund früher erworbener (und größtenteils längst verschütteter) Französisch- und Spanischkenntnisse manche Rückschlüsse ziehen, oft verstehe ich, so wie auch bei italienischen Texten, zumindest den ungefähren Zusammenhang, aber das ist etwas völlig anderes, als eine Sprache aktiv zu beherrschen oder auch nur eine Ahnung von Grammatik, Konjugationen, Deklinationen und den wichtigsten Zeitformen zu haben. Tja. Und deshalb will ich hier nicht so tun, als müsse jeder Französisch können, also, Oma Rock ist homophon mit au Maroc, welches mit "In Marokko" zu übersetzen ist, ein alberner Pennälerwitz also mal wieder, der zudem nicht mal von mir selber stammt, da diese Worte 1987 oder 1988 von meinem Sitznachbarn im Französischkurs während der Unterrichtseinheit Le Maghreb auf die Rückseite meines KÖEEEG-BEÖÖKs geschrieben wurden. Auf die letzten freien Quadratzentimeter, denn sowohl die stabilen Vorder- als auch die Rückseiten waren von innen und außen grundsätzlich komplett bemalt und vollgeschrieben, lange bevor das letzte Blatt entnommen -
ach, Sie wissen gar nicht, was ein KÖEEEG-BEÖÖK ist!?
Na, so ein Block, DIN A 4 i.d.R, 80 Blatt i.d.R., seitlich spiralgebunden, perforiert und gelocht, so dass man die Blätter später sauber herausreißen und in eine Mappe heften -
wie bitte? Ja, genau! Ja, "Kolleg-Block", he he, exakt, aber so heißen die ja nur am Anfang, als Rohling, das sind ja Halbfertigprodukte. Nämlich, wenn man den so neu und unfertig bekommt, dann kommt ja erst mal jede Menge Arbeit auf einen zu: Man muss auf der Titelseite zuerst aus jedem "L" ein "E" machen, dann aus dem "C" ein "O", und dann noch über jedes "O" die beiden Punkte setzen, dann endlich hat man einen KÖEEEG-BEÖÖK. Da kam im Lauf der Jahre einiges an Arbeit zusammen! Manchmal konnte ich mich dann gar nicht auf den Unterricht konzentrieren, das war ganz schön anstrengend, das jedes Mal wieder zu machen und dabei nicht nachlässig zu werden. Man hätte ja sonst nach dem zwanzigsten oder fünfzigsten Durchgang sagen können: Gut, das war's jetzt, eine schöne Zeit, eine wichtige Zeit, aber du bist jetzt älter geworden und deine Mitschüler haben gar nicht mehr solche vollgeschmierten Blöcke, sieh mal hin, da sind gar keine grinsenden Männchen auf den Blöcken, da steht gar nicht "Oma Rock" bei denen, da ist auf die Rückseite kein Butterbrot gezeichnet worden und auch keine hungrige Menge mit Transparenten, "Wir haben ein Recht auf Butter", "Für mehr Butter", und auch dieser Reporter davor, der dann immer kommentiert: "Unaufhaltsam wälzt sich die hungrige Menge etc. etc.", der ist immer nur bei dir da hinten drauf, und schließlich bist du jetzt schon seit einigen Jahren Student - ja, auf derartiges Suggestivgesäusel mag mancher schwache Geist hereingefallen sein, ich aber wusste, was meine Pflicht war und behandelte den Block nicht als schnödes Papierbündel, dem man gedankenlos mal hier, mal da ein Blatt entnimmt, um ihn am Ende, gefleddert und allen Inhalts beraubt, gedankenlos in den Müll zu geben, nein, ich erledigte zunächst die Pflicht (KÖEEEG-BEÖÖK sowie zwei, drei stets wiederkehrende Zeichnungen) und dann die Kür, d.h. wechselnde Motive oder auch mal kalligraphische Übungen, sofern diese sich mit dem schmierenden BIC-Kugelschreiber umsetzen ließen. Auch geistig wollte man ja beweglich bleiben und musste regelmäßig überprüfen, ob man den Handwerkertipp aus MAD immer noch auswendig konnte ("Das Toppen des Schliffs wird vereinfacht durch Noddeln der Quartschraube am Voss mit einem 0.5er Bohrer. Noch schneller kann quadriert werden, indem man die Hüppe am Maß rautet und den Schaab sternig annommt", puh, es geht noch).
Es gab da dieses Lateinbuch, Titel: Redde rationem, keine Ahnung, was das heißt, aber, wenn das da einfach so rumliegt, und man muss seine Mittagspause ja auch irgendwie herumbekommen jeden Tag, da heißt das Buch dann irgendwann Spreddelrationem, das fällt kaum auf, Schriftart und -farbe sind recht gut getroffen, und die Pause ist noch lang, warum soll das Buch nicht Spreddelrationemsiliuumscnarerareorationescumxilareumlicurdere heißen, und ich kann zwar kein Latein, aber das ist noch heute eines der wenigen lateinischen Wörter, die ich jederzeit auswendig hersagen kann.
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Mir fällt gerade auf, dass ich das Thema schon mal hatte, aber für eine entspannte Wochenendplauderei eignet es sich allemal, so facettenreich, oh, oder ich hatte es schon zweimal, bzw. noch öfter, fangen wir einfach an, da hat ja anscheinend jeder seinen Kaiserschmarren, seinen Eierlikör, seinen kaiserlichen Salat in angenehmer Erinnerung, ein Thema also, das Begeisterung und Identifikation, äh, z.B. war ich mal alleine zu Hause, so dreizehn, vierzehn zarte Jahre alt, und in dem dunklen Schrank, der die Brett- und sonstigen (Malefiz, Scrabble, Scotland Yard, Hase und Igel, Superhirn, Poch, Kniffel, Mensch-Ärgere-Dich-Nicht, Schach, Avalanche) beherbergte, befand sich ganz hinten auch ein großes Glas Rum- oder Weinbrandkirschen. Ich genoss dieses freie Wochenende in vollen Zügen, las, sah fern, schlief, las weiter, und eines abends beim Fernsehen erinnerte ich mich an das Glas, das da schon seit Jahren gestanden hatte, holte mir ein Schälchen mit Vanilleeis und übergoss dieses, wie ich es bei den Erwachsenen gesehen hatte, mit den Kirschen, die zwar etwas bitter, aber doch insgesamt süß genug schmeckten, so dass ich noch ordentlich nachnahm und mehrere Portionen Eis mit Kirschen verdrückte.
Die Strafe war fürchterlich. Ich übergab mich die halbe Nacht und schlief irgendwann im Flur ein. Später erfuhr ich von meinen Eltern, dass die Kirschen viel zu alt und längst verdorben gewesen waren, aufgrund mangelnder Alkoholerfahrung hatte ich den schlechten Geschmack aber nicht bemerkt, sondern geglaubt, das sei bei Alkohol nun mal so, Bier schmeckte schließlich auch bitter.
In irgendeiner winterlichen Oberstufenfreistunde kam ich mit zwei Gesellen auf die merkwürdige Idee, Wodka und andere fragwürdige Dinge zu kaufen und an Ort und Stelle zu verzehren. Die Teilnahme an der Geschichtsstunde sparten wir uns dann, holten lediglich unter entschuldigendem Gemurmel unser Gepäck aus dem Unterrichtsraum und wurden dabei von den Mitschülern belustigt angesehen (später erzählten sie uns, dass mit den ersten durch uns getätigten Atemzügen der ganze Raum penetrant nach Sprit gerochen habe). Wir waren ernsthaft angeschlagen und versuchten, den leicht ansteigenden und auch noch vereisten Weg Richtung Bushaltestelle zu nehmen, stürzten jedoch immer wieder und rutschten hilflos hinunter. Beim dritten Versuch sah ich zufällig zum Schulgebäude zurück. Die Besucher des Geschichtskurses standen ans Fenster gedrängt und bogen sich vor Lachen.
Wir erreichten irgendwann in den Bus, es ging mir inzwischen besser (ich muss ja jetzt nicht alle Einzelheiten, nicht wahr, und es ist ja auch immer dasselbe), der Bus fuhr bergauf, und irgendwann bekam ich einen Ellenbogen in die Rippen. Einer meiner Begleiter, dem es noch nicht wieder ganz so gut ging, saß auf der anderen Seite des Gangs, den Kopf auf die vordere Lehne aufgestützt, und völlig geräuschlos hatte er das im Bus erledigt, was andere, nicht wahr, schon hinter sich hatten, was ich hier jetzt auch gar nicht groß thematisieren würde, wäre der Anblick nicht so ein schöner gewesen. Denn der Bus fuhr ja bergauf, und aufgrund der Steigung, sie können sich das sicher bildlich vorstellen, umfloss die Bescherung nicht nur seine, sondern vor allem die Schuhe der hinter ihm sitzenden und in diesem Moment noch völlig ahnungslosen Dame, ein Paar wirklich bildhübscher Wildlederstiefel.
Ekelhaft, höre ich sie sagen, nun langt's aber, und nichts liegt mir ferner, als hier nun mit weiteren Kotzgeschichten aus meiner Jugend anzukommen. Kotzgeschichten aus der frühen Adoleszenz hingegen, die muss ich noch loswerden. Nehmen wir das Studentenwohnheim. Dort lebte ich in einer Achter-WG, hatte also sieben Mitbewohner und auch -innen, und reihum wurde für alle gekocht, so war jedenfalls die Absprache, die manchmal auch eingehalten wurde. Ich kochte oft Suppen, die auch recht gut angenommen wurden. Einmal probierte ich aus dem Studentenkochbuch ("Billig satt werden", hätte der Untertitel lauten können) ein neues Rezept: Käsesuppe. Im wesentlichen bestand diese aus Unmengen Schmelzkäse, etwas Milch, ein paar Gewürzen und einem Kilo Suppennudeln. "Hmm, die schmeckt!", sprach die blasse, seit Tagen für ihre Prüfung lernende Mitbewohnerin und nahm noch eine Portion. Die mir dann am nächsten Tag erzählte, sie habe die ganze Nacht, na ja, Sie wissen schon, und es sei ihr noch nie so elend gewesen, bestimmt sei das die Prüfungsangst gewesen, und doch wisse sie eines genau: Sie werde im Leben nie wieder Käsesuppe essen, schon das Aussprechen des Wortes rufe einen kaum beherrschbaren Würgereflex hervor.
Zu jener Zeit tönte aus meinem Zimmer regelmäßig zu bester nachmittäglicher Stunde die Titelmelodie einer TV-Serie. Ich erntete damit völlig entgeisterte Blicke, hatte mir jedoch angewöhnt, die vielen schlechten Folgen zu erdulden, um die guten nicht zu versäumen. Und zu denen gehört jene, in der die stets bereite Ehefrau des armen Schuhverkäufers eine komplizierte Erbschaftsgeschichte zu ihrem Gunsten ausnutzt. Kurz gesagt sieht sich Al Bundy genötigt, schnellstmöglich Nachwuchs zu zeugen, die Gattin hingegen ist lediglich auf die mit dem Zeugungsversuch verbundenen Vorgänge aus, will jedoch auf keinen Fall noch einmal schwanger werden (sie schildert einer Freundin sehr drastisch die schlimme Übelkeit bei ihren früheren Schwangerschaften) und nimmt deshalb heimlich die "Pille". Man sieht nun, wie Al sich in den kommenden Wochen abmüht und dabei immer schwächer und grauer wird, während seine Frau (natürlich) nicht schwanger wird, dafür aber immer mehr aufblüht - bis Al eines Tages hinter ihr Geheimnis kommt und Rache schwört. Er fälscht deshalb den Schwangerschaftstest, tropft etwas Tinte hinein und ruft: "Oh Freude, wir sind gesegnet!", was seine Frau entsetzt zur Kenntnis nimmt. Natürlich wird ihr sofort furchtbar übel - und nun kommt der Satz, für den ich das hier alles so umständlich erzähle, der Satz, den Al Bundy seiner Frau hinterherruft:
"Möchtest du einen Teller Muscheln mit Erbsen?"
Die Strafe war fürchterlich. Ich übergab mich die halbe Nacht und schlief irgendwann im Flur ein. Später erfuhr ich von meinen Eltern, dass die Kirschen viel zu alt und längst verdorben gewesen waren, aufgrund mangelnder Alkoholerfahrung hatte ich den schlechten Geschmack aber nicht bemerkt, sondern geglaubt, das sei bei Alkohol nun mal so, Bier schmeckte schließlich auch bitter.
In irgendeiner winterlichen Oberstufenfreistunde kam ich mit zwei Gesellen auf die merkwürdige Idee, Wodka und andere fragwürdige Dinge zu kaufen und an Ort und Stelle zu verzehren. Die Teilnahme an der Geschichtsstunde sparten wir uns dann, holten lediglich unter entschuldigendem Gemurmel unser Gepäck aus dem Unterrichtsraum und wurden dabei von den Mitschülern belustigt angesehen (später erzählten sie uns, dass mit den ersten durch uns getätigten Atemzügen der ganze Raum penetrant nach Sprit gerochen habe). Wir waren ernsthaft angeschlagen und versuchten, den leicht ansteigenden und auch noch vereisten Weg Richtung Bushaltestelle zu nehmen, stürzten jedoch immer wieder und rutschten hilflos hinunter. Beim dritten Versuch sah ich zufällig zum Schulgebäude zurück. Die Besucher des Geschichtskurses standen ans Fenster gedrängt und bogen sich vor Lachen.
Wir erreichten irgendwann in den Bus, es ging mir inzwischen besser (ich muss ja jetzt nicht alle Einzelheiten, nicht wahr, und es ist ja auch immer dasselbe), der Bus fuhr bergauf, und irgendwann bekam ich einen Ellenbogen in die Rippen. Einer meiner Begleiter, dem es noch nicht wieder ganz so gut ging, saß auf der anderen Seite des Gangs, den Kopf auf die vordere Lehne aufgestützt, und völlig geräuschlos hatte er das im Bus erledigt, was andere, nicht wahr, schon hinter sich hatten, was ich hier jetzt auch gar nicht groß thematisieren würde, wäre der Anblick nicht so ein schöner gewesen. Denn der Bus fuhr ja bergauf, und aufgrund der Steigung, sie können sich das sicher bildlich vorstellen, umfloss die Bescherung nicht nur seine, sondern vor allem die Schuhe der hinter ihm sitzenden und in diesem Moment noch völlig ahnungslosen Dame, ein Paar wirklich bildhübscher Wildlederstiefel.
Ekelhaft, höre ich sie sagen, nun langt's aber, und nichts liegt mir ferner, als hier nun mit weiteren Kotzgeschichten aus meiner Jugend anzukommen. Kotzgeschichten aus der frühen Adoleszenz hingegen, die muss ich noch loswerden. Nehmen wir das Studentenwohnheim. Dort lebte ich in einer Achter-WG, hatte also sieben Mitbewohner und auch -innen, und reihum wurde für alle gekocht, so war jedenfalls die Absprache, die manchmal auch eingehalten wurde. Ich kochte oft Suppen, die auch recht gut angenommen wurden. Einmal probierte ich aus dem Studentenkochbuch ("Billig satt werden", hätte der Untertitel lauten können) ein neues Rezept: Käsesuppe. Im wesentlichen bestand diese aus Unmengen Schmelzkäse, etwas Milch, ein paar Gewürzen und einem Kilo Suppennudeln. "Hmm, die schmeckt!", sprach die blasse, seit Tagen für ihre Prüfung lernende Mitbewohnerin und nahm noch eine Portion. Die mir dann am nächsten Tag erzählte, sie habe die ganze Nacht, na ja, Sie wissen schon, und es sei ihr noch nie so elend gewesen, bestimmt sei das die Prüfungsangst gewesen, und doch wisse sie eines genau: Sie werde im Leben nie wieder Käsesuppe essen, schon das Aussprechen des Wortes rufe einen kaum beherrschbaren Würgereflex hervor.
Zu jener Zeit tönte aus meinem Zimmer regelmäßig zu bester nachmittäglicher Stunde die Titelmelodie einer TV-Serie. Ich erntete damit völlig entgeisterte Blicke, hatte mir jedoch angewöhnt, die vielen schlechten Folgen zu erdulden, um die guten nicht zu versäumen. Und zu denen gehört jene, in der die stets bereite Ehefrau des armen Schuhverkäufers eine komplizierte Erbschaftsgeschichte zu ihrem Gunsten ausnutzt. Kurz gesagt sieht sich Al Bundy genötigt, schnellstmöglich Nachwuchs zu zeugen, die Gattin hingegen ist lediglich auf die mit dem Zeugungsversuch verbundenen Vorgänge aus, will jedoch auf keinen Fall noch einmal schwanger werden (sie schildert einer Freundin sehr drastisch die schlimme Übelkeit bei ihren früheren Schwangerschaften) und nimmt deshalb heimlich die "Pille". Man sieht nun, wie Al sich in den kommenden Wochen abmüht und dabei immer schwächer und grauer wird, während seine Frau (natürlich) nicht schwanger wird, dafür aber immer mehr aufblüht - bis Al eines Tages hinter ihr Geheimnis kommt und Rache schwört. Er fälscht deshalb den Schwangerschaftstest, tropft etwas Tinte hinein und ruft: "Oh Freude, wir sind gesegnet!", was seine Frau entsetzt zur Kenntnis nimmt. Natürlich wird ihr sofort furchtbar übel - und nun kommt der Satz, für den ich das hier alles so umständlich erzähle, der Satz, den Al Bundy seiner Frau hinterherruft:
"Möchtest du einen Teller Muscheln mit Erbsen?"
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(1, 2, 3, 4, 5)
Nicht alles war schön. Man gab den ständig hinter einem herlaufenden Kinderhorden oft etwas Süßes, und meist waren es freundliche, niedliche Kinder, denen gab man z.B. eine Packung Bonbons und sie freuten sich und teilten, manchmal war es lustig, man hielt die Bonbontüte hin und ein freches Mädchen schnappte sie sich und rannte weg, die anderen Kinder laut protestierend hinterher. Bei manchen Fahrten durch den Wüstenstaub allerdings sah man auch ausgemergelte, abgehetzt aussehende Kinder aus dem Nichts auftauchen, in irrsinnigem Tempo hinter dem Auto herlaufen und vor Wut Steine werfen, wenn man nicht hielt.
Auch das bereitwillig angebotene "Aufpassen" aufs Auto in manchen Orten war sehr zweischneidig, hatte man doch schon von mutwillig beschädigten Fahrzeugen gehört, sofern nicht oder nicht genug gezahlt worden war.
Viele Kinder ließen sich gerne fotografieren und forderten einen sogar auf, ein Bild zu machen, wenn sie den Fotoapparat sahen. Einmal allerdings vergaß ich darüber die Mahnung aus den Reisetipps, Menschen nicht ungefragt zu fotografieren, und richtete mein Objektiv auf einen etwa zehn- bis zwölfjährigen Jungen, der einen Karren zog. Statt wie die anderen Kinder zu grinsen und zu posieren, sah dieser mich mit wutverzerrtem Gesicht an, schrie irgendetwas und schüttelte seine Faust, dass mich Schreck und Scham durchfuhren.
Schöne Motive gaben oft die Esel ab, sei es im Kreisverkehr auf der Straße in einer Stadt, sei es auf einem Eselparkplatz, einem riesigen, von einer Mauer umgebenen Areal, auf dem man, so verstand ich es, gegen Entgelt seinen Esel "parken" konnte. Händler aus dem Umland schienen davon regen Gebrauch zu machen, der Platz war voller Tiere, alles wirkte idyllisch wie im Bilderbuch, bis man auf den Wärter aufmerksam wurde. Dieser war ein Mann, dem das Böse ins Gesicht geschrieben stand, er sah ernsthaft psychisch gestört aus, sein Gesicht war rot und so boshaft, wie ich selten eines gesehen habe. Mit einem langen, dicken Holzknüppel lief er zwischen den grauen Lasttieren umher und schlug willkürlich, den Knüppel mit beiden Händen haltend, auf deren Rücken ein. Als er bemerkte, wie ich ihm entsetzt zusah, trat ein sadistisches Grinsen auf sein Gesicht. Dann knüppelte er einem Tier mit solcher Wucht genau zwischen die Augen, dass es mir beim Zusehen wehtat, der Esel kniff die Augenlider zusammen, schüttelte den Kopf und machte ein so mitleiderregendes Gesicht, dass ich es ebensowenig mit ansehen konnte wie den triumphierenden, enthemmten Gesichtsausdruck des Wärters, ich sah also zu, dass ich schnell verschwand, um nicht Anlass zu weiteren Vorführungen zu bieten.
Eine weitere Mahnung aus den Reiseführern hatte sich auf das Trinkwasser bezogen. Und da ich kein Interesse daran hatte, bei strapaziöser Hitze eine Gastroenteritis heranzuzüchten, ließ ich mich gerne dafür belächeln, bloß keine offenen Getränke zu verzehren, Früchte äußerst penibel zu schälen und sogar fürs Zähneputzen nur abgekochtes oder in versiegelten Flaschen gekauftes Trinkwasser zu verwenden. Andere Reiseteilnehmer sahen das deutlich lockerer, nahmen etwa gerne mal einen frisch gepressten Orangensaft vom Händler am Straßenrand zu sich, aßen und tranken sich überhaupt ohne Scheu durch die (zugegebenermaßen: appetitanregende) regionale Vielfalt, und so war natürlich absehbar, wer dann irgendwann erbärmlich um Gnade winseln und kotzend in der Ecke liegen musste: ich, nämlich.
Ich bin ein diskreter Mensch, Sie alle wissen das, aber hier muss ich doch mindestens Andeutungen machen. Stellen Sie sich bitte vor, dass meine Stoffwechselvorgänge extrem durcheinandergerieten. Ich musste deren offenbar hochtoxische Produkte in allen möglichen Aggregatzuständen auf jede physikalisch mögliche Weise von mir geben, hatte meine menschliche Würde längst drangegeben, auch die anfangs belustigten und dann nur noch fassungslos entsetzten Kommentare der Mitreisenden konnten mir nichts mehr ausmachen, und als ich irgendwann endlich dösend und zu keinem Wort mehr fähig irgendwo im Schatten lag, denn das alles hatte natürlich zu Beginn einer sehr langen Autofahrt losgehen müssen, bildete sich aus der Ursuppe meines amorphen Restgeistes ein scharf umrissener, in seiner dichotomischen Verkürzung komplexer Zusammenhänge sicher zweifelhafter, doch unwiderstehlicher Gedanke heraus. Er hatte in etwa die Form eines Fragebogens und lautete wie folgt:
Nicht alles war schön. Man gab den ständig hinter einem herlaufenden Kinderhorden oft etwas Süßes, und meist waren es freundliche, niedliche Kinder, denen gab man z.B. eine Packung Bonbons und sie freuten sich und teilten, manchmal war es lustig, man hielt die Bonbontüte hin und ein freches Mädchen schnappte sie sich und rannte weg, die anderen Kinder laut protestierend hinterher. Bei manchen Fahrten durch den Wüstenstaub allerdings sah man auch ausgemergelte, abgehetzt aussehende Kinder aus dem Nichts auftauchen, in irrsinnigem Tempo hinter dem Auto herlaufen und vor Wut Steine werfen, wenn man nicht hielt.
Auch das bereitwillig angebotene "Aufpassen" aufs Auto in manchen Orten war sehr zweischneidig, hatte man doch schon von mutwillig beschädigten Fahrzeugen gehört, sofern nicht oder nicht genug gezahlt worden war.
Viele Kinder ließen sich gerne fotografieren und forderten einen sogar auf, ein Bild zu machen, wenn sie den Fotoapparat sahen. Einmal allerdings vergaß ich darüber die Mahnung aus den Reisetipps, Menschen nicht ungefragt zu fotografieren, und richtete mein Objektiv auf einen etwa zehn- bis zwölfjährigen Jungen, der einen Karren zog. Statt wie die anderen Kinder zu grinsen und zu posieren, sah dieser mich mit wutverzerrtem Gesicht an, schrie irgendetwas und schüttelte seine Faust, dass mich Schreck und Scham durchfuhren.
Schöne Motive gaben oft die Esel ab, sei es im Kreisverkehr auf der Straße in einer Stadt, sei es auf einem Eselparkplatz, einem riesigen, von einer Mauer umgebenen Areal, auf dem man, so verstand ich es, gegen Entgelt seinen Esel "parken" konnte. Händler aus dem Umland schienen davon regen Gebrauch zu machen, der Platz war voller Tiere, alles wirkte idyllisch wie im Bilderbuch, bis man auf den Wärter aufmerksam wurde. Dieser war ein Mann, dem das Böse ins Gesicht geschrieben stand, er sah ernsthaft psychisch gestört aus, sein Gesicht war rot und so boshaft, wie ich selten eines gesehen habe. Mit einem langen, dicken Holzknüppel lief er zwischen den grauen Lasttieren umher und schlug willkürlich, den Knüppel mit beiden Händen haltend, auf deren Rücken ein. Als er bemerkte, wie ich ihm entsetzt zusah, trat ein sadistisches Grinsen auf sein Gesicht. Dann knüppelte er einem Tier mit solcher Wucht genau zwischen die Augen, dass es mir beim Zusehen wehtat, der Esel kniff die Augenlider zusammen, schüttelte den Kopf und machte ein so mitleiderregendes Gesicht, dass ich es ebensowenig mit ansehen konnte wie den triumphierenden, enthemmten Gesichtsausdruck des Wärters, ich sah also zu, dass ich schnell verschwand, um nicht Anlass zu weiteren Vorführungen zu bieten.
Eine weitere Mahnung aus den Reiseführern hatte sich auf das Trinkwasser bezogen. Und da ich kein Interesse daran hatte, bei strapaziöser Hitze eine Gastroenteritis heranzuzüchten, ließ ich mich gerne dafür belächeln, bloß keine offenen Getränke zu verzehren, Früchte äußerst penibel zu schälen und sogar fürs Zähneputzen nur abgekochtes oder in versiegelten Flaschen gekauftes Trinkwasser zu verwenden. Andere Reiseteilnehmer sahen das deutlich lockerer, nahmen etwa gerne mal einen frisch gepressten Orangensaft vom Händler am Straßenrand zu sich, aßen und tranken sich überhaupt ohne Scheu durch die (zugegebenermaßen: appetitanregende) regionale Vielfalt, und so war natürlich absehbar, wer dann irgendwann erbärmlich um Gnade winseln und kotzend in der Ecke liegen musste: ich, nämlich.
Ich bin ein diskreter Mensch, Sie alle wissen das, aber hier muss ich doch mindestens Andeutungen machen. Stellen Sie sich bitte vor, dass meine Stoffwechselvorgänge extrem durcheinandergerieten. Ich musste deren offenbar hochtoxische Produkte in allen möglichen Aggregatzuständen auf jede physikalisch mögliche Weise von mir geben, hatte meine menschliche Würde längst drangegeben, auch die anfangs belustigten und dann nur noch fassungslos entsetzten Kommentare der Mitreisenden konnten mir nichts mehr ausmachen, und als ich irgendwann endlich dösend und zu keinem Wort mehr fähig irgendwo im Schatten lag, denn das alles hatte natürlich zu Beginn einer sehr langen Autofahrt losgehen müssen, bildete sich aus der Ursuppe meines amorphen Restgeistes ein scharf umrissener, in seiner dichotomischen Verkürzung komplexer Zusammenhänge sicher zweifelhafter, doch unwiderstehlicher Gedanke heraus. Er hatte in etwa die Form eines Fragebogens und lautete wie folgt:
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[ ] dieses noch weiter erdulden, sagen wir: ein paar Stunden, und fürderhin weiterleben wie bisher
[ ] augenblicklich sterben
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Ist ja gut! Ich schreibe ja schon! (1, 2, 3, 4)
Pourquoi est-ce qu'ils achètent des pierres?* Warum kaufen sie Steine?, fragte mich eines Tages ein Reiseführer, der sich uns angedient hatte und nun mit uns im Auto herumfuhr, uns von hier nach da lotste, über die Piste in der Wüste, man kannte ihn überall, sicher bekam er Provision, wenn wir hielten und aßen und tranken und Steine kauften. Denn Steine, die gab es dort zuhauf, und es waren z.T. wirklich interessante Stücke darunter, auch wenn ich von Trilobiten etc. keine Ahnung habe. Aber so eine schieferschwarze Platte mit glattpoliertem Urzeitvieh oder eindil mohrrübenförmiger Steinstab, ebenfalls glattpoliert und von interessanter Färbung, oder Eier, jawoll, die regelmäßigen etwas teurer und die unregelmäßigen etwas billiger, glattpolierte Stücke in Jade-, Schwarz-, Grau- und Brauntönen, davon stehen in irgendeinem Eierkarton noch welche in meinem Keller. Ich saß mit dem Reiseführer, einem Anfangzwanziger, er war mithin etwas älter als ich, in brütender Hitze bei einer Cola, er hatte lange über die Sehenswürdigkeiten geplaudert und das vermutlich als seine Pflicht betrachtet, bis er irgendwann in unverstellter Offenheit diese Frage stellte: Warum kaufen die Leute Steine?
Wenn man so in der marokkanischen Steinwüste sitzt, ist das vermutlich genau die eine Sache, die man nicht tun würde. Meine hilflosen Erklärungen ("schön", "Geschenk" etc.) konnten demnach auch nur ungehört verhallen.
Immerhin, die Wüste, sie hat ihre Vorteile. Man trifft z.B. nur selten auf Verkehrspolizisten, und so fragte ich, damals noch führerscheinlos, ob ich denn mal mit dem Auto herumfahren dürfe. Was ich dann ausgiebig tat, und diesmal legte ich weder ein Auto auf die Seite noch knallte ich gegen ein Hindernis, allein schon deshalb, da es keinerlei Hindernisse gab, lediglich eine Schotterpiste. Brumm, brumm!
Nachteile hat so eine Wüste dann natürlich auch wieder. Ich will sie hier mangels Platz nicht alle aufzählen; aber nehmen wir nur mal an, man sei so irgendwo unterwegs, achte mal kurz nicht ganz so genau auf den Weg - dann kann man aber lange nach Schildern suchen! Fragen kann man auch niemanden, jetzt nicht aus Stolz oder so, "Nun frag doch mal die Frau da", "Nein, ich kenne den Weg!", "Das sagst du immer!", sondern mangels Objekt, und wenn man sich selbst dann fragt, ob dies hier eigentlich noch die Piste sei, das sehe alles doch sehr ähnlich aus insgesamt, das könne auch einfach ein Stück Wüste sein, und sei die Sonne vorhin nicht eher von dort gekommen, oder doch nicht, und werde es jetzt gerade ziemlich schnell dunkel, und komme da hinten nicht ordentlich Sand herangeweht, und sei der Tank nicht eigentlich ganz schön leer, dann wird's einem plötzlich gut warm und man merkt, wie dünn die Schicht nur noch ist, nennen wir sie Zivilisation, wie sehr man sich zusammenreißen muss, um nicht laut "Scheiße! Scheiße!" zu rufen und andere Menschen erst noch nervös zu machen. Es ist dann doch besser, wenn man plötzlich einen Menschen sieht, wirklich wahr, einen echten Menschen, und der dann mit dem Finger irgendwohin weist, und man dieser Richtung folgt, nach ein paar Kilometern wieder meint, so etwas wie eine Piste unter den Rädern zu haben, irgendwohin wird sie ja führen, und wenn sie das dann auch wirklich tut.
Oder, anderes Beispiel: Wenn man wieder auf der Piste fährt, irgendwo quer durch die Wüste, es dann wieder dunkel wird, man erst noch an Sand denkt und dann plötzlich ein Stakkato, ach, was sag' ich, ein Trommelfeuer losgeht und man feststellt, dass man in einen gigantischen Heuschreckenschwarm geraten ist. Einen, der buchstäblich den Himmel verdunkelt. Man muss dann stur weiterfahren, das knallt in einer Tour, die kleineren Tiere sind 10 cm lang und die großen fast 20, die wiegen richtig etwas, da bekommt man Angst um seine Frontscheibe, das prasselt wie eine endlose Ladung Minigolfbälle, die Viecher werden bei 80 km/h Fahrgeschwindigkeit plus eigene Fluggeschwindigkeit nicht etwa zu Mus, sondern fliegen auch bei direktem Aufprall unversehrt nach links und rechts weg, das muss man sich bei der sehr geraden und steilen Frontpartie eines alten VW-Busses auch erst mal vorstellen, und abends findet man dann noch zwei, drei von diesen Plagegeistern lebend und wohlauf irgendwo im Kühlergrill. Brr.
-Wo bist du denn die ganze Zeit?
- Im Keller!
- Was machst du denn?
- Ich suche diese Eier, die aus Stein, die ich mal aus Marokko ...
- Die müssen da irgendwo sein! Wozu brauchst du die denn?
- Ich will die fotografieren, fürs Blog! Ich finde die aber nicht!
- Kannst du einen neuen Honig mit hochbringen?
- Mache ich! Wir müssen da unten echt mal wieder aufräumen, das ist eine einzige Wüste!!
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*Für mein Französisch bzw. dessen Reste übernehme ich hier generell keine Haftung.
Pourquoi est-ce qu'ils achètent des pierres?* Warum kaufen sie Steine?, fragte mich eines Tages ein Reiseführer, der sich uns angedient hatte und nun mit uns im Auto herumfuhr, uns von hier nach da lotste, über die Piste in der Wüste, man kannte ihn überall, sicher bekam er Provision, wenn wir hielten und aßen und tranken und Steine kauften. Denn Steine, die gab es dort zuhauf, und es waren z.T. wirklich interessante Stücke darunter, auch wenn ich von Trilobiten etc. keine Ahnung habe. Aber so eine schieferschwarze Platte mit glattpoliertem Urzeitvieh oder ein
Wenn man so in der marokkanischen Steinwüste sitzt, ist das vermutlich genau die eine Sache, die man nicht tun würde. Meine hilflosen Erklärungen ("schön", "Geschenk" etc.) konnten demnach auch nur ungehört verhallen.
Immerhin, die Wüste, sie hat ihre Vorteile. Man trifft z.B. nur selten auf Verkehrspolizisten, und so fragte ich, damals noch führerscheinlos, ob ich denn mal mit dem Auto herumfahren dürfe. Was ich dann ausgiebig tat, und diesmal legte ich weder ein Auto auf die Seite noch knallte ich gegen ein Hindernis, allein schon deshalb, da es keinerlei Hindernisse gab, lediglich eine Schotterpiste. Brumm, brumm!
Nachteile hat so eine Wüste dann natürlich auch wieder. Ich will sie hier mangels Platz nicht alle aufzählen; aber nehmen wir nur mal an, man sei so irgendwo unterwegs, achte mal kurz nicht ganz so genau auf den Weg - dann kann man aber lange nach Schildern suchen! Fragen kann man auch niemanden, jetzt nicht aus Stolz oder so, "Nun frag doch mal die Frau da", "Nein, ich kenne den Weg!", "Das sagst du immer!", sondern mangels Objekt, und wenn man sich selbst dann fragt, ob dies hier eigentlich noch die Piste sei, das sehe alles doch sehr ähnlich aus insgesamt, das könne auch einfach ein Stück Wüste sein, und sei die Sonne vorhin nicht eher von dort gekommen, oder doch nicht, und werde es jetzt gerade ziemlich schnell dunkel, und komme da hinten nicht ordentlich Sand herangeweht, und sei der Tank nicht eigentlich ganz schön leer, dann wird's einem plötzlich gut warm und man merkt, wie dünn die Schicht nur noch ist, nennen wir sie Zivilisation, wie sehr man sich zusammenreißen muss, um nicht laut "Scheiße! Scheiße!" zu rufen und andere Menschen erst noch nervös zu machen. Es ist dann doch besser, wenn man plötzlich einen Menschen sieht, wirklich wahr, einen echten Menschen, und der dann mit dem Finger irgendwohin weist, und man dieser Richtung folgt, nach ein paar Kilometern wieder meint, so etwas wie eine Piste unter den Rädern zu haben, irgendwohin wird sie ja führen, und wenn sie das dann auch wirklich tut.
Oder, anderes Beispiel: Wenn man wieder auf der Piste fährt, irgendwo quer durch die Wüste, es dann wieder dunkel wird, man erst noch an Sand denkt und dann plötzlich ein Stakkato, ach, was sag' ich, ein Trommelfeuer losgeht und man feststellt, dass man in einen gigantischen Heuschreckenschwarm geraten ist. Einen, der buchstäblich den Himmel verdunkelt. Man muss dann stur weiterfahren, das knallt in einer Tour, die kleineren Tiere sind 10 cm lang und die großen fast 20, die wiegen richtig etwas, da bekommt man Angst um seine Frontscheibe, das prasselt wie eine endlose Ladung Minigolfbälle, die Viecher werden bei 80 km/h Fahrgeschwindigkeit plus eigene Fluggeschwindigkeit nicht etwa zu Mus, sondern fliegen auch bei direktem Aufprall unversehrt nach links und rechts weg, das muss man sich bei der sehr geraden und steilen Frontpartie eines alten VW-Busses auch erst mal vorstellen, und abends findet man dann noch zwei, drei von diesen Plagegeistern lebend und wohlauf irgendwo im Kühlergrill. Brr.
-Wo bist du denn die ganze Zeit?
- Im Keller!
- Was machst du denn?
- Ich suche diese Eier, die aus Stein, die ich mal aus Marokko ...
- Die müssen da irgendwo sein! Wozu brauchst du die denn?
- Ich will die fotografieren, fürs Blog! Ich finde die aber nicht!
- Kannst du einen neuen Honig mit hochbringen?
- Mache ich! Wir müssen da unten echt mal wieder aufräumen, das ist eine einzige Wüste!!
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(1, 2, 3) Unterwegs nach Khenifra machten wir Station irgendwo, gingen auf einen Souk, sofort umringt von einer Horde Kinder, die neben uns herliefen und mit uns sprechen wollten. "Borken, tu connais Borken?", sprach mich ein Junge freundlich an und strahlte begeistert, als ich ihm antwortete, ja, Borken, kenne ich, und er erklärte mir, dass sein Onkel dort im Bergbau arbeite. Währenddessen hatten wir einen solchen Auflauf verursacht, dass es mir richtig peinlich war und zudem schwerfiel, voranzukommen. Es war ganz offensichtlich keine Gegend, in die sich Touristen normalerweise verirrten.
Da ich aus der Familie derjenige war, der sich auf Französisch leidlich verständigen konnte, war ich es auch, der auf dem Markt etwas Gemüse einkaufen sollte. Aus den phantastischen bunten Bergen orderte ich also schwitzend dies und das, dabei von einer beträchtlichen Menschenmenge genauestens beäugt. Jetzt bloß keinen Fehler machen! Der vom Händler geforderte Preis erschien mir niedrig, doch ich hatte ja gelernt und gelesen: Nicht den Einheimischen die Preise versauen, und die lachen dich aus, wenn du jetzt einfach bezahlst, also bot ich die Hälfte, der Mann sah mich lächelnd an, akzeptierte den Preis, schwitzend und mit Gemüse beladen liefen wir zurück zum Auto und fuhren weiter, sobald das möglich war, denn zunächst mussten alle Kinder noch irgendwelche Süßigkeiten ausgehändigt bekommen.
'ast du ein ciguerette, mein Froind, wurde ich eines Tages irgendwo angesprochen, ich hatte wohl auf die anderen gewartet und drückte mich irgendwo auf der Straße im Schatten herum. Der junge Mann legte sehr viel Wert darauf, mir seine Bildung zu präsentieren, in einem Kauderwelsch aus Französisch und Deutsch parlierte er etwas affektiert daher, klärte mich über meine Heimatstadt Göttingen auf, stellte gelegentlich Fragen, die ich zum Glück nicht beantworten musste, denn es waren rhetorische gewesen, und auf Französisch konnte ich vielleicht ein Brot kaufen, aber keine wissenschaftlichen Vorträge halten, so sagte ich also immer mal "oui, oui, ja, ja", lachte mit ihm über seine Witze, allerdings verstand ich ihn sehr schlecht, und irgendwann musste ich ihm, "in Döitsch, bittö", erzählen, auf welchem Weg wir nach Marokko gekommen seien, ich erzählte also, wir seien erst mal nach Frankreich gefahren und -
(Später, als ich mit unseren zeitweiligen Gastgebern, einem befreundeten Paar meiner Eltern, das wir dort besuchten und die das Land gut kannten, über die Geschichte vom Souk sprach, sahen diese mich an und meinten: Nein, in diesem Landesteil sei das Handeln eher unüblich, und der vom Gemüsehändler geforderte Preis sei sehr gut gewesen.)
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Da ich aus der Familie derjenige war, der sich auf Französisch leidlich verständigen konnte, war ich es auch, der auf dem Markt etwas Gemüse einkaufen sollte. Aus den phantastischen bunten Bergen orderte ich also schwitzend dies und das, dabei von einer beträchtlichen Menschenmenge genauestens beäugt. Jetzt bloß keinen Fehler machen! Der vom Händler geforderte Preis erschien mir niedrig, doch ich hatte ja gelernt und gelesen: Nicht den Einheimischen die Preise versauen, und die lachen dich aus, wenn du jetzt einfach bezahlst, also bot ich die Hälfte, der Mann sah mich lächelnd an, akzeptierte den Preis, schwitzend und mit Gemüse beladen liefen wir zurück zum Auto und fuhren weiter, sobald das möglich war, denn zunächst mussten alle Kinder noch irgendwelche Süßigkeiten ausgehändigt bekommen.
'ast du ein ciguerette, mein Froind, wurde ich eines Tages irgendwo angesprochen, ich hatte wohl auf die anderen gewartet und drückte mich irgendwo auf der Straße im Schatten herum. Der junge Mann legte sehr viel Wert darauf, mir seine Bildung zu präsentieren, in einem Kauderwelsch aus Französisch und Deutsch parlierte er etwas affektiert daher, klärte mich über meine Heimatstadt Göttingen auf, stellte gelegentlich Fragen, die ich zum Glück nicht beantworten musste, denn es waren rhetorische gewesen, und auf Französisch konnte ich vielleicht ein Brot kaufen, aber keine wissenschaftlichen Vorträge halten, so sagte ich also immer mal "oui, oui, ja, ja", lachte mit ihm über seine Witze, allerdings verstand ich ihn sehr schlecht, und irgendwann musste ich ihm, "in Döitsch, bittö", erzählen, auf welchem Weg wir nach Marokko gekommen seien, ich erzählte also, wir seien erst mal nach Frankreich gefahren und -
- Was ist das für ein Wort?Nun sah er mich verächtlich an, schüttelte den Kopf, holte tief Luft und rief:
- Frankreich
- Ich kenne nicht das Wort
- Äh, Deutsch-land, Frank-reich
- Was ist das?
- Ein Land.
- Wie 'eißt das?
- Frankreich. Deutsch-land. Frank-reich. Spanien, Espagne. Marokko, Maroc. La France! France! Frankreich!
- Im Fronsösiesch! Im Fronsösiesch! So 'eißt das!Er wurde wirklich ärgerlich, nahm sich noch ein ciguerette aus der Packung und ging dann, wütend schnaubend, seiner Wege.
- Nein, das ist die Sprache, la langue, l'adjectif, wir sind jedenfalls in Frankreich bis zur Fähre -
- Im Fronsösiesch, das 'eißt!
(Später, als ich mit unseren zeitweiligen Gastgebern, einem befreundeten Paar meiner Eltern, das wir dort besuchten und die das Land gut kannten, über die Geschichte vom Souk sprach, sahen diese mich an und meinten: Nein, in diesem Landesteil sei das Handeln eher unüblich, und der vom Gemüsehändler geforderte Preis sei sehr gut gewesen.)
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(1, 2) Nur Geduld. Nach dem kleinen Münchener Exkurs geht's dann auch schon schnurstracks wieder ein Stück nach Osten rechts Süden (n paar Breitengrade tiefer, paar Längengradehe dann nach links) in marokkanische Gefilde.
Ich hatte mir also ein Auto geliehen unter der Maßgabe, dieses rechtzeitig, vor Montagfrüh, zurückzubringen; ich stand aber glücklich schwitzend am Sonntagabend in einem Konzert in München; ich bin zudem geographisch herausgefordert. (Da ich derzeit regelmäßig Geschichten von den Drei ??? vorlese, weiß ich, wie wichtig es ist, zwischendurch wichtige Ereignisse und Prämissen in des Lesers Erinnerung zu rufen, ich spare mir hier nur mal das ewige "Fragte Peter", "Überlegte Bob", "Erklärte Justus". Sie kennen das ja auch vom Tatort, deshalb ermitteln da immer Zweierteams: "So, nun haben wir den Verdächtigen vernommen. Jetzt fahren wir zu seinem Bruder." - "Aber wie konnte er wissen, dass seine Frau an diesem Abend nicht nach Hause kommen würde?" - "Weil er längst von seinem Nebenbuhler wusste." - "Und das war der eigene Bruder. Unglaublich!", das ist sehr angenehm, wenn man am Sonntagabend versucht, den Handlungsfäden zu folgen. Oder man macht es wie ich und guckt sich nur die Bilder an. Das dürfen Sie hier natürlich auch tun.)
Die Strecke München - Göttingen ist nach Auskunft von g**gle maps in 5h 52 min zu bewältigen, bei einem angenommenen Konzertende um 23:00 plus 30 Minuten Herumstehen auf dem Parkplatz wäre es also rechnerisch kein Problem, den Japaner noch vor dem Morgengrauen abzuliefern.
Nun wissen Sie natürlich, dass unsere Großelterngeneration nur ungern etwas wegwarf. Ein Wesenszug übrigens, der mir leider auch nicht ganz fremd ist. Und warum also sollte nicht meine liebe Oma mir eine Landkarte vom Opa vererben, die noch richtig gut erhalten war? Was spricht denn dagegen, eine solche Karte von, sagen wir, 1960 zu verwenden, die man als Enkel natürlich in Ehren aufbewahrt und bei seiner weiten Reise nach Süddeutschland mitgenommen hat? Gut, als geographisch Minderbemittelter fährt man da lieber alle 100 km mal raus auf einen Parkplatz und notiert sich mit dem Kugelschreiber die nächsten Wegmarken auf einem Zettel, aber das hat ja mit dem Alter der Karte nichts zu tun. Und man fährt also durch die Nacht, freut sich über die langsam geringer werdenden Kilometerangaben auf den blauen Schildern, wenn es kurz vor Würzburg heißt: "Kassel 220 km" (oder so), denn das hatte ich mir nun doch eingeprägt, dass Kassel eine ganz sinnvolle Station auf dem Weg nach Göttingen ist, wenn man von Süden kommt. Die Kilometerzahl sprang dann allerdings kurz nach Würzburg plötzlich deutlich nach oben. Ich fuhr raus, sah auf der Karte nach: Was denn? So muss ich doch fahren! Von Würzburg nach Frankfurt und dann nach Kassel!
Verbissen raste ich durch die Nacht, die zusätzlichen Kilometer wieder reinholen, weiß der Geier, woher die gekommen sind, die Zeit läuft, der Tank ist auch bald leer, das wird aber knapp - und dann habe ich es gerade so noch geschafft. Ich stellte das Auto vor die Garage, und als jemand damit wegfuhr, war der Motor noch warm und der Sitz wahrscheinlich auch.
Erfahrener Pilot: "Ja, früher musste man über Frankfurt fahren! Aber warum hast du nicht die A7 genommen, von Würzburg nach Kassel? Das ist doch sonst ein enormer Umweg!"
War nun mal nicht eingezeichnet, das blöde Ding! Dieser Abschnitt wurde erst in den 60er Jahren gebaut.
Ach ja, Marokko. Kommt.
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Ich hatte mir also ein Auto geliehen unter der Maßgabe, dieses rechtzeitig, vor Montagfrüh, zurückzubringen; ich stand aber glücklich schwitzend am Sonntagabend in einem Konzert in München; ich bin zudem geographisch herausgefordert. (Da ich derzeit regelmäßig Geschichten von den Drei ??? vorlese, weiß ich, wie wichtig es ist, zwischendurch wichtige Ereignisse und Prämissen in des Lesers Erinnerung zu rufen, ich spare mir hier nur mal das ewige "Fragte Peter", "Überlegte Bob", "Erklärte Justus". Sie kennen das ja auch vom Tatort, deshalb ermitteln da immer Zweierteams: "So, nun haben wir den Verdächtigen vernommen. Jetzt fahren wir zu seinem Bruder." - "Aber wie konnte er wissen, dass seine Frau an diesem Abend nicht nach Hause kommen würde?" - "Weil er längst von seinem Nebenbuhler wusste." - "Und das war der eigene Bruder. Unglaublich!", das ist sehr angenehm, wenn man am Sonntagabend versucht, den Handlungsfäden zu folgen. Oder man macht es wie ich und guckt sich nur die Bilder an. Das dürfen Sie hier natürlich auch tun.)
Die Strecke München - Göttingen ist nach Auskunft von g**gle maps in 5h 52 min zu bewältigen, bei einem angenommenen Konzertende um 23:00 plus 30 Minuten Herumstehen auf dem Parkplatz wäre es also rechnerisch kein Problem, den Japaner noch vor dem Morgengrauen abzuliefern.
Nun wissen Sie natürlich, dass unsere Großelterngeneration nur ungern etwas wegwarf. Ein Wesenszug übrigens, der mir leider auch nicht ganz fremd ist. Und warum also sollte nicht meine liebe Oma mir eine Landkarte vom Opa vererben, die noch richtig gut erhalten war? Was spricht denn dagegen, eine solche Karte von, sagen wir, 1960 zu verwenden, die man als Enkel natürlich in Ehren aufbewahrt und bei seiner weiten Reise nach Süddeutschland mitgenommen hat? Gut, als geographisch Minderbemittelter fährt man da lieber alle 100 km mal raus auf einen Parkplatz und notiert sich mit dem Kugelschreiber die nächsten Wegmarken auf einem Zettel, aber das hat ja mit dem Alter der Karte nichts zu tun. Und man fährt also durch die Nacht, freut sich über die langsam geringer werdenden Kilometerangaben auf den blauen Schildern, wenn es kurz vor Würzburg heißt: "Kassel 220 km" (oder so), denn das hatte ich mir nun doch eingeprägt, dass Kassel eine ganz sinnvolle Station auf dem Weg nach Göttingen ist, wenn man von Süden kommt. Die Kilometerzahl sprang dann allerdings kurz nach Würzburg plötzlich deutlich nach oben. Ich fuhr raus, sah auf der Karte nach: Was denn? So muss ich doch fahren! Von Würzburg nach Frankfurt und dann nach Kassel!
Verbissen raste ich durch die Nacht, die zusätzlichen Kilometer wieder reinholen, weiß der Geier, woher die gekommen sind, die Zeit läuft, der Tank ist auch bald leer, das wird aber knapp - und dann habe ich es gerade so noch geschafft. Ich stellte das Auto vor die Garage, und als jemand damit wegfuhr, war der Motor noch warm und der Sitz wahrscheinlich auch.
Erfahrener Pilot: "Ja, früher musste man über Frankfurt fahren! Aber warum hast du nicht die A7 genommen, von Würzburg nach Kassel? Das ist doch sonst ein enormer Umweg!"
War nun mal nicht eingezeichnet, das blöde Ding! Dieser Abschnitt wurde erst in den 60er Jahren gebaut.
Ach ja, Marokko. Kommt.
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(1) Was bin ich froh, dass ich hier treiben kann, was ich will. Ich schreibe einfach irgendwas als Überschrift hin - und das wird klaglos akzeptiert! Natürlich frage ich mich an schlechten Tagen, ob das nicht nur wieder zeigt, dass es niemanden wirklich interessiert, alle sind nur auf der Suche nach dem "Kick", dem schnellen Lacher, harhar, und wer ahnt schon, welch subti
In Erwartung eines feindlich gesinnten Empfangskomitees fuhr ich der Ausfahrt des Parkhauses entgegen. "Wos denken's eigentlich, des versucht a jedn Dog oana, glauben's mir san deppert, jetzt kommen's amoi mit", ich wusste ja, was kommen musste, gab also so wenig Gas wie nur möglich, während ich etagenweise dem Unausweichlichen entgegenfuhr und war dann, gelinde gesagt, erleichtert, als ich die Schranke unbemannt vorfand, zitternd das Parkticket einschob - und die Schranke sich öffnete, einfach so. Dann allerdings gab ich ordentlich Gas.
Meine Zeit in München neigte sich dem Ende entgegen, denn, auch wenn es schwerfiel, ich hatte ja versprochen, das letzte Konzert nicht zu besuchen, um nicht unter Zeitdruck und in nachkonzertlicher Trance nach Hause fahren und das dort am nächsten Morgen in aller Frühe dringend benötigte KFZ abliefern zu müssen.
Außerdem hatte die Parkhausgeschichte mein bescheidenes Budget empfindlich geschmälert, und mit den verbleibenden Reserven war kein Staat bzw. kein Ticket zum Schwarzhändlerpreis mehr zu machen. Es hieß also Abschiednehmen von der Weltstadt mit Herz, da half alles nichts.
Andererseits, überlegte ich, konnte es ja nichts schaden, sich noch ein wenig vor der Halle aufzuhalten, einfach so, um noch etwas von der vorkonzertlichen Stimmung mitzubekommen, vielleicht auch noch den ersten paar Klangfetzen zu lauschen, wenigstens von außen, und für die Rückreise würde die Zeit dann trotzdem noch reichen.
Ich schlenderte also wie an den beiden vorangegangenen Tagen vor der Halle umher, als sich plötzlich ein breitschultriger, blonder, langhaariger Mann vor mir aufbaute: "Na, laufts?", und dabei übertrieben freundlich und zugleich sehr bedrohlich dreinschaute (doch, das geht). "Wie bitte?", fragte ich zurück, und er fasste mich an der Schulter: "Glaubst, du bist da oanzige, der hier Koarten vertickt? I sig di jedn Dog!"
Meinen Erklärungen, dass ich hier tatsächlich jeden Tag gestanden habe, aber nur jeweils ein Ticket für mich selbst habe kaufen wollen, glaubte er ganz offensichtlich nicht. Ihn und seine Mitarbeiter, einen Jugendlichen sowie zwei hübsche Mädchen, hatte ich tatsächlich an den Vortagen lange beobachtet: Die Mädchen sprachen ganz lieb die heranströmenden Besucher an, heulten ihnen bei Bedarf auch vor, dass ihr Leben davon abhinge, einmal Paul McCartney zu sehen, und erstanden zu Mitleidspreisen zahlreiche Tickets, die der Jugendliche dann verzweifelten Menschen für ein Vielfaches weiterverkaufte, während der Blonde alles überwachte und das Geld verwaltete. Nun bot er mir ein Ticket an, der Preis allerdings lag jenseits meiner Möglichkeiten und ich kündigte an, es noch weiter versuchen zu wollen. Was ich dann auch tat, nun allerdings unter steter Beobachtung.
Die Hallentore öffneten sich, die Zuschauer strömten hinein, die Schwarzhändlertruppe verschwand, ich hatte wieder kein Ticket und musste ja auch dringend nach Hause fahren. Aber einmal konnte ich doch wenigstens noch um die Halle laufen.
Als die ersten Töne des Vorfilms zu hören waren, der auf dieser Tournee die Konzerte einleitete, schmerzte mein Herz gar sehr. Die letzte* Gelegenheit, Paul McCartney zu sehen, und ich hatte sie verpasst.
Aus dem Eingang trat ein junger Mann. Er kam auf mich zu, fragte: "Brauchst du vielleicht noch ein Ticket?", ich sagte vorsichtig ja, "Ich habe da noch eins, was zahlst du denn", ich nannte den offiziellen Verkaufspreis, "Gut, einverstanden!", und seine Erläuterungen, dass er irgendwie bei der Security arbeite und deshalb eine Mitarbeiterkarte habe und dass Paul McCartney ein netter Mensch und er sei ihm persönlich begegnet sei, die hörte ich gar nicht richtig, da das Blut in meinen Ohren rauschte und ich die Karte nahm und in die Halle rannte, Stehplatz Innenraum, und das Ende des Vorfilms mit den Buchstaben N - O - W gerade noch mitbekam.
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--
*Dachte ich damals wirklich
In Erwartung eines feindlich gesinnten Empfangskomitees fuhr ich der Ausfahrt des Parkhauses entgegen. "Wos denken's eigentlich, des versucht a jedn Dog oana, glauben's mir san deppert, jetzt kommen's amoi mit", ich wusste ja, was kommen musste, gab also so wenig Gas wie nur möglich, während ich etagenweise dem Unausweichlichen entgegenfuhr und war dann, gelinde gesagt, erleichtert, als ich die Schranke unbemannt vorfand, zitternd das Parkticket einschob - und die Schranke sich öffnete, einfach so. Dann allerdings gab ich ordentlich Gas.
Meine Zeit in München neigte sich dem Ende entgegen, denn, auch wenn es schwerfiel, ich hatte ja versprochen, das letzte Konzert nicht zu besuchen, um nicht unter Zeitdruck und in nachkonzertlicher Trance nach Hause fahren und das dort am nächsten Morgen in aller Frühe dringend benötigte KFZ abliefern zu müssen.
Außerdem hatte die Parkhausgeschichte mein bescheidenes Budget empfindlich geschmälert, und mit den verbleibenden Reserven war kein Staat bzw. kein Ticket zum Schwarzhändlerpreis mehr zu machen. Es hieß also Abschiednehmen von der Weltstadt mit Herz, da half alles nichts.
Andererseits, überlegte ich, konnte es ja nichts schaden, sich noch ein wenig vor der Halle aufzuhalten, einfach so, um noch etwas von der vorkonzertlichen Stimmung mitzubekommen, vielleicht auch noch den ersten paar Klangfetzen zu lauschen, wenigstens von außen, und für die Rückreise würde die Zeit dann trotzdem noch reichen.
Ich schlenderte also wie an den beiden vorangegangenen Tagen vor der Halle umher, als sich plötzlich ein breitschultriger, blonder, langhaariger Mann vor mir aufbaute: "Na, laufts?", und dabei übertrieben freundlich und zugleich sehr bedrohlich dreinschaute (doch, das geht). "Wie bitte?", fragte ich zurück, und er fasste mich an der Schulter: "Glaubst, du bist da oanzige, der hier Koarten vertickt? I sig di jedn Dog!"
Meinen Erklärungen, dass ich hier tatsächlich jeden Tag gestanden habe, aber nur jeweils ein Ticket für mich selbst habe kaufen wollen, glaubte er ganz offensichtlich nicht. Ihn und seine Mitarbeiter, einen Jugendlichen sowie zwei hübsche Mädchen, hatte ich tatsächlich an den Vortagen lange beobachtet: Die Mädchen sprachen ganz lieb die heranströmenden Besucher an, heulten ihnen bei Bedarf auch vor, dass ihr Leben davon abhinge, einmal Paul McCartney zu sehen, und erstanden zu Mitleidspreisen zahlreiche Tickets, die der Jugendliche dann verzweifelten Menschen für ein Vielfaches weiterverkaufte, während der Blonde alles überwachte und das Geld verwaltete. Nun bot er mir ein Ticket an, der Preis allerdings lag jenseits meiner Möglichkeiten und ich kündigte an, es noch weiter versuchen zu wollen. Was ich dann auch tat, nun allerdings unter steter Beobachtung.
Die Hallentore öffneten sich, die Zuschauer strömten hinein, die Schwarzhändlertruppe verschwand, ich hatte wieder kein Ticket und musste ja auch dringend nach Hause fahren. Aber einmal konnte ich doch wenigstens noch um die Halle laufen.
Als die ersten Töne des Vorfilms zu hören waren, der auf dieser Tournee die Konzerte einleitete, schmerzte mein Herz gar sehr. Die letzte* Gelegenheit, Paul McCartney zu sehen, und ich hatte sie verpasst.
Aus dem Eingang trat ein junger Mann. Er kam auf mich zu, fragte: "Brauchst du vielleicht noch ein Ticket?", ich sagte vorsichtig ja, "Ich habe da noch eins, was zahlst du denn", ich nannte den offiziellen Verkaufspreis, "Gut, einverstanden!", und seine Erläuterungen, dass er irgendwie bei der Security arbeite und deshalb eine Mitarbeiterkarte habe und dass Paul McCartney ein netter Mensch und er sei ihm persönlich begegnet sei, die hörte ich gar nicht richtig, da das Blut in meinen Ohren rauschte und ich die Karte nahm und in die Halle rannte, Stehplatz Innenraum, und das Ende des Vorfilms mit den Buchstaben N - O - W gerade noch mitbekam.
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*Dachte ich damals wirklich
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Was die Maghrebiner dauernd mit den Aspirintabletten wollten, ist mir nach wie vor ein Rätsel. Kennt jemand irgendwelche Drogenrezepte oder -cocktails, für die man ASS benötigt?
Mein letzter Familienurlaub als Jugendlicher war es, die Strecke führte mit dem VW-Bus nach Frankreich und dann mit der Fähre von, so meine ich, Sète nach irgendwo in Marokko, ich hab's ja nicht so mit der Geographie - vermutlich ein genetischer Defekt.
Ich hatte mich informiert: Man solle Aspirin dabeihaben, das sei besser als Trinkgeld; man solle nicht ungefragt Menschen fotografieren; man solle mit dem Trinkwasser aufpassen; man solle nicht die anfänglich genannten Phantasiepreise bezahlen, sondern hart verhandeln, um den Einheimischen nicht die Preise zu verderben.
Irgendwo kamen wir an einem Strand an, begeistert rannten wir durch den Sand, allerdings irritierten uns komische Teerflecken, die an den Füßen hartnäckig klebenblieben, und die Tatsache, dass sich an diesem traumhaften Strand sonst buchstäblich niemand aufhielt, weshalb wir dann auch lieber weiterfuhren.
Das eigentliche Ziel lag viel weiter im Landesinneren, nahe Khénifra, das man übrigens nicht mit der Küstenstadt Kenitra verwechseln sollte, sonst geht das gleich wieder los wie mit Lybien und Siryen und Bayreuth und Beirut. Wenn Sie wüssten, wieviele unnötige Kilometer ich schon durch meine geographische Beeinträchtigung zurückgelegt habe! Einmal z.B., es war im legendären Oktober 1989, lieh ich mir das Auto meiner Eltern, um damit nach München zu fahren. Denn nach den zwei Konzerten in Hamburg und den zweien in Dortmund (Frankfurt hatte ich ausgelassen, das werde ich mir mein Leben lang vorwerfen) wusste ich, dass es das noch nicht gewesen sein durfte. Also wollte ich mich auch in München vor die Olympiahalle stellen und von den Schwarzhändlern ausnehmen lassen. Drei Konzerte: Freitag, Samstag, Sonntag. Gut, hieß es, Sonntagabend das Konzert geht nicht, denn du sollst nicht unter Zeitdruck zurückfahren, und Montag früh brauchen wir unbedingt das Auto, aber für Freitag und Samstag darfst du es haben und zwei Konzerte reichen doch auch.
Ich verbrachte einen schönen Freitag in München. Stellte mich mittags vor die Halle. Kaufte ein Ticket. Freute mich über die phantastische Stimmung. Und das Konzert, das glauben Sie gar nicht, das war wirklich toll!
Am nächsten Tag stand ich wieder vor der Halle. Wollte ein Ticket kaufen. Bekam keins. Stundenlang, es half nichts, ich konnte mir die Phantasiepreise nicht leisten, ich musste am Ende einsehen: Heute wird es nichts. Mit hängenden Schultern schlich ich später um die Halle, hörte die herauswehenden Klangfetzen, und mit einem Kloß im Hals ging ich zum Auto, beschloss, wenigstens bis zum nächsten Morgen noch in München zu bleiben und rollte mich in meinen Schlafsack.
Vormittags besuchte ich das Deutsche Museum. Dazu stellte ich das Auto in einem Parkhaus ab. Als ich nach einigen Stunden zurückkehrte, las ich die Preistafel und zuckte zusammen: Die Preise stiegen progressiv! Die erste Stunde kostete 2.- DM, die zweite 3.-, die dritte und alle folgenden 5.- DM! Das konnte ich mir nicht leisten. Hektisch dachte ich nach und kam auf eine brillante Idee: Ich könnte doch einfach zum Eingang gehen, ein neues Parkticket ziehen und dieses dann bei der Ausfahrt ... ?
Stellen Sie sich den größten Schreck Ihres Lebens vor, multiplizieren Sie ihn mit 1000, und Sie kommen nicht mal in die Nähe dessen, was mir widerfuhr. Aus dem Ticketautomaten dröhnte, nachdem ich zwei-, dreimal vergeblich den Knopf zur Kartenausgabe betätigt hatte, eine tiefe und laute Männerstimme, die mich anschrie: "Ja, wos machen's dann do!?"
Fiebrig rannte ich weg, lief einmal um den Block, sah mich schon vom Sicherheitsdienst umringt, erkannte die Ausweglosigkeit meiner Situation, denn ohne das Auto brauchte ich mich zu Hause nun wirklich nicht blicken zu lassen, ging also irgendwann fatalistisch zum Kassenautomaten, entrichtete dort einen schmerzenverursachenden Preis und fuhr mit dem Auto zur Ausfahrt, überzeugt davon, dass mir spätestens dort eine böse Abreibung blühte.
Hach! Nun ist der Platz hier schon voll. Na, ich erzähle bestimmt bald mal weiter aus Marokko.
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Mein letzter Familienurlaub als Jugendlicher war es, die Strecke führte mit dem VW-Bus nach Frankreich und dann mit der Fähre von, so meine ich, Sète nach irgendwo in Marokko, ich hab's ja nicht so mit der Geographie - vermutlich ein genetischer Defekt.
Ich hatte mich informiert: Man solle Aspirin dabeihaben, das sei besser als Trinkgeld; man solle nicht ungefragt Menschen fotografieren; man solle mit dem Trinkwasser aufpassen; man solle nicht die anfänglich genannten Phantasiepreise bezahlen, sondern hart verhandeln, um den Einheimischen nicht die Preise zu verderben.
Irgendwo kamen wir an einem Strand an, begeistert rannten wir durch den Sand, allerdings irritierten uns komische Teerflecken, die an den Füßen hartnäckig klebenblieben, und die Tatsache, dass sich an diesem traumhaften Strand sonst buchstäblich niemand aufhielt, weshalb wir dann auch lieber weiterfuhren.
Das eigentliche Ziel lag viel weiter im Landesinneren, nahe Khénifra, das man übrigens nicht mit der Küstenstadt Kenitra verwechseln sollte, sonst geht das gleich wieder los wie mit Lybien und Siryen und Bayreuth und Beirut. Wenn Sie wüssten, wieviele unnötige Kilometer ich schon durch meine geographische Beeinträchtigung zurückgelegt habe! Einmal z.B., es war im legendären Oktober 1989, lieh ich mir das Auto meiner Eltern, um damit nach München zu fahren. Denn nach den zwei Konzerten in Hamburg und den zweien in Dortmund (Frankfurt hatte ich ausgelassen, das werde ich mir mein Leben lang vorwerfen) wusste ich, dass es das noch nicht gewesen sein durfte. Also wollte ich mich auch in München vor die Olympiahalle stellen und von den Schwarzhändlern ausnehmen lassen. Drei Konzerte: Freitag, Samstag, Sonntag. Gut, hieß es, Sonntagabend das Konzert geht nicht, denn du sollst nicht unter Zeitdruck zurückfahren, und Montag früh brauchen wir unbedingt das Auto, aber für Freitag und Samstag darfst du es haben und zwei Konzerte reichen doch auch.
Ich verbrachte einen schönen Freitag in München. Stellte mich mittags vor die Halle. Kaufte ein Ticket. Freute mich über die phantastische Stimmung. Und das Konzert, das glauben Sie gar nicht, das war wirklich toll!
Am nächsten Tag stand ich wieder vor der Halle. Wollte ein Ticket kaufen. Bekam keins. Stundenlang, es half nichts, ich konnte mir die Phantasiepreise nicht leisten, ich musste am Ende einsehen: Heute wird es nichts. Mit hängenden Schultern schlich ich später um die Halle, hörte die herauswehenden Klangfetzen, und mit einem Kloß im Hals ging ich zum Auto, beschloss, wenigstens bis zum nächsten Morgen noch in München zu bleiben und rollte mich in meinen Schlafsack.
Vormittags besuchte ich das Deutsche Museum. Dazu stellte ich das Auto in einem Parkhaus ab. Als ich nach einigen Stunden zurückkehrte, las ich die Preistafel und zuckte zusammen: Die Preise stiegen progressiv! Die erste Stunde kostete 2.- DM, die zweite 3.-, die dritte und alle folgenden 5.- DM! Das konnte ich mir nicht leisten. Hektisch dachte ich nach und kam auf eine brillante Idee: Ich könnte doch einfach zum Eingang gehen, ein neues Parkticket ziehen und dieses dann bei der Ausfahrt ... ?
Stellen Sie sich den größten Schreck Ihres Lebens vor, multiplizieren Sie ihn mit 1000, und Sie kommen nicht mal in die Nähe dessen, was mir widerfuhr. Aus dem Ticketautomaten dröhnte, nachdem ich zwei-, dreimal vergeblich den Knopf zur Kartenausgabe betätigt hatte, eine tiefe und laute Männerstimme, die mich anschrie: "Ja, wos machen's dann do!?"
Fiebrig rannte ich weg, lief einmal um den Block, sah mich schon vom Sicherheitsdienst umringt, erkannte die Ausweglosigkeit meiner Situation, denn ohne das Auto brauchte ich mich zu Hause nun wirklich nicht blicken zu lassen, ging also irgendwann fatalistisch zum Kassenautomaten, entrichtete dort einen schmerzenverursachenden Preis und fuhr mit dem Auto zur Ausfahrt, überzeugt davon, dass mir spätestens dort eine böse Abreibung blühte.
Hach! Nun ist der Platz hier schon voll. Na, ich erzähle bestimmt bald mal weiter aus Marokko.
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