
Schon als Kind las ich gerne Haushaltstipps. Ich fand es hochinteressant, zu erfahren, wie man einen Flaschenhals sauber abtrennt (mit Petroleum getränkten Wollfaden an der gewünschten Trennstelle herumlegen, anzünden und die Flasche nach dem Abbrennen in eiskaltes Wasser tauchen), was man mit sauer gewordener Milch noch anfangen kann (hartgewordene Schuhcreme geschmeidig machen) oder wie Kerzen länger brennen (in den Kühlschrank damit).

Kerzen brennen allerdings auch länger, wenn man ein wenig Salz um den Docht herum streut. Als ich in die weite Welt hinein ging, schenkte man mir ein ganzes Buch mit Haushaltstipps, das ich jetzt auch sofort herauskramen und ablichten würde, hätte ich heute nicht auf unvorstellbare Weise meine Digitalkamera verloren. Mit diesem Buch, das aus vergangener Zeit stammt, kann man lernen, echte Butter von gefälschter zu unterscheiden, man erfährt, dass Silberbesteck mit einem Kohlblatt wirklich 1A poliert werden kann, und dass Bohnenkaffee noch herzhafter schmeckt, wenn man eine Prise Salz mit in den Filter gibt.

Die Tipps sind alphabetisch geordnet, wobei man wissen muss, dass die Sache mit dem Salz in der Kerze unter "E" einsortiert wurde ("Eine Kerze brennt länger, wenn ...").

Wenn ich mich mal wieder im Bad eingeschlossen hatte, nicht mehr herauskam und die da draußen langsam nervös wurden, erinnerte ich sie an folgenden Tipp, den ich bei den Großeltern in der Fernsehzeitung gelesen hatte:
Sägen Sie oberhalb des Bartes einen Schlitz in den Schaft. So können Sie eingeschlossene Kinder mit Hilfe eines geeigneten Schraubenziehers aus ihrer misslichen Lage befreien.
J. Behrens, Melle
Schlug sich wieder einmal jemand beim Bildaufhängen mit dem Hammer auf den Daumen, gab ich folgenden Tipp aus der Fernsehzeitung meiner Großeltern weiter:
Kleine Nägel einzuschlagen ist oft schwierig. Ich schneide mit der Schere einen Schlitz in einen geeigneten Kartonstreifen, welcher den Nagel zuverlässig hält, und ziehe diesen nach dem Einschlagen einfach ab.
H.-G. Bloch, Hagen
Neulich sah ich unsere Küchenschränke mal wieder von oben. Sie kennen diese unwiderstehlich fettige Mischung aus Staub und Kochdunst? Sie wissen, wie hartnäckig man den zähen Grind wischen muss? Auch ganz da hinten, wo man so schlecht drankommt?
Obacht.
Jetzt kommt's.
Auf meine Küchenschränke lege ich eine Schicht Zeitungspapier. Diese wechsele ich einmal jährlich aus.
nnier, MAD
Was denn? Das hat mein Leben verändert!
Außerdem lag da oben dieser Wok. Kopfüber, zum Glück. Und plötzlich erschloss sich mir der Sinn dieses Kochgeräts, das ich jahrelang ignoriert, weil für überflüssig gehalten hatte.
Ich fuhr zum Markt, ich kaufte ein, ich wokte das Zeug irgendwie zusammen.
Auch 'n Tipp.
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Da gibt es diesen TV-Sender, bei uns belegt er die Nr. 5 auf der Fernbedienung, dem ich immer ganz wohlwollend gegenüberstand. Dort liefen vor einigen Jahren viele schöne Sendungen, es gab keine Werbung, und bei den Nachrichten und Reportagen habe ich, obwohl dem Medium inzwischen reichlich entwöhnt, interessiert zugesehen und einiges gelernt.
Nun ergab sich gerade, dass ich die Wartezeit auf ein im Fernsehen übertragenes Fußballspiel in minderjähriger Begleitung mal wieder vor eben jenem Gerät verbracht und ein wenig diesem Sender zugeschaut habe. Die Sendung hieß "Beste Stimme 2010" und der Sender heißt KI.KA.
In dieser Sendung soll eine jugendliche Sängerin gefunden werden und eine bereits bestehende Band komplettieren. So weit, so la la. Es muss ja nicht immer Hochkultur sein und auch nicht dauernd Nils Holgersson. Die Nachrichten logo! haben wir schon angeschaut und etwas über fußballspielende Jungs in Mali gelernt, also, bitte, warum nicht mal was mit Mädchen und Musik. Dann aber muss man doch schlucken.
Es werden sämtliche Elemente der grässlichen Casting-Shows vorgeführt. Die Klischees müssen ja gelernt werden, man kann nicht früh genug damit beginnen: Mädchen und ihre Freundinnen müssen grundsätzlich kreischen, wenn sie erfahren, dass sie teilnehmen dürfen. Die Verkünderin dieser frohen Botschaft, ein Mitglied der bestehenden Band, tut dies mit heiligem Ernst, spricht langsam, kündigt eine Wahnsinnsüberraschung an, steigert die Spannung, und herzt die sprachlos kreischende Auserwählte dann erst mal ganz gönnerhaft dolle. Schnitt zum konzentrierten Einzelgespräch mit der Auserwählten: "Also, das war schon irre, als die Lalla da ankam und mir das gesagt hat, also, da konnte ich gar nichts sagen, da war ich sprachlos!", dann ein paar Bilder davon, wie sie zum ersten Mal ganz in echt zu den echten tollen Mädels von der Band darf, die voll nett sind, und sie ist ja so aufgeregt, und sie singt was vor, und schon wendet sich eine von den netten aus der Band ans TV-Publikum, welches erfährt, dass man für eine Kandidatin "voten" kann.
Zum Glück fing dann Fußball an. Aber es reichte noch für einen Seitenblick, und anscheinend geht's dort wirklich bergab seit den Zeiten, als ich endlich wieder Pinocchio sehen konnte:
Seit einigen Jahren sind allerdings deutliche Veränderungen des Programms erkennbar. Obwohl es von Anfang an eines der Ziele des Kinderkanals war, sowohl Real- als auch Trickserien zu zeigen, beträgt der Anteil an Trickserien mittlerweile bis zu 85% des Gesamtprogramms. Die meisten Serien werden nach ihrem Ende wiederholt, teilweise auch mehrmals hintereinander. [...] Der Unterschied zwischen Werktags- und Wochenendprogramm verschwindet immer mehr, da viele Serien täglich gesendet werden. [...] Doch die meisten älteren Serien, die zwischen 1997 und 2004 noch regelmäßig wiederholt wurden, werden mittlerweile nicht mehr ausgestrahlt.
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Der inzwischen 16 Jahre alte Deal zwischen Onlinemedien und Mediennutzern lautet eigentlich so: Wir liefern Ihnen kostenfrei Inhalte, und Sie sehen sich dafür im Umfeld Werbung an.Das geht natürlich zurück auf den Gesellschaftsvertrag von J.J. Rousseau. (Wenn Sie persönlich sich übrigens nicht an diesen "Deal" erinnern: Ist ja auch schon sehr lange her - 16 Jahre!)
Das Perfide daran: Je medienaffiner die Nutzer sind, desto häufiger setzen sie Blocker ein. Es sind also die Nutzer mit dem größten Interesse und Verständnis für Inhalte, die den meisten Schaden verursachen.Dumme Menschen sind zum Glück dumm und gucken Werbung an und kaufen alles. Aber wir wollen halt auch, dass die schlauen unsere Sachen kaufen! Die haben nämlich so viel Verständnis für Inhalte. Voll perfide, dass ausgerechnet die gar nicht unsere Werbung angucken. Damit richten sie den meisten, ich wage gar die Behauptung: den allermeisten, Schaden an. Ich muss gleich noch mal nachsehen, was "perfide" genau heißt.
Es kann nicht sein, dass Web-Nutzer, die zum einen Qualität einfordern und billig Produziertes zurecht ablehnen, reflexhaft abwehrend auf Werbung reagieren: 16 Prozent aller Web-Nutzer klicken sofort weiter und weg, wenn in einem Video ein Werbespot auftaucht.Stimmt - das kann einfach nicht sein. Ich z.B. lehne Werbung nicht nur reflexhaft, sondern oft auch mit vollem Bewusstsein ab. Ich muss da wirklich mal meine Haltung überdenken. Oh - schon fertig! Ich bleibe dabei.
Notwendig ist ein Bewusstseinswandel. Wer Werbung als Belästigung wahrnimmt, sollte sich eines klarmachen:Das mit dem falschen Bewusstsein kommt mir irgendwie bekannt vor. Werbung als Belästigung wahrnehmen - oha! Am Ende ist das alles nur vermittelt und konstruiert. Ist es ein Tisch, an dem ich sitze? Bin ich in Wirklichkeit* ein Autoreifen?
Der Deal, der auch dieses Angebot hier möglich macht, funktioniert nur, solange nicht zu viele Nutzer die Werbung verweigern. [...] Wann schalten Sie Ihren Werbeblocker ab?Mal sehen. Aber ich lade mir mal den Spiegel-Blocker herunter.
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*Hö hö.
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(Es gibt aber noch etwas, das mich an diesem Schild erfreut. Sie auch?)
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Schauen Sie sich das Lächeln an: "And John counts in by saying 'sugarplum fairy, sugarplum fairy'" (ab 1:59).
"Even in this early take, he has a voice that sends shivers down your spine." (ab 2:30). Ja.

Es wäre albern von mir, noch mal dieses Album zu preisen, das ich erst jahrelang von einer Kaufcassette in polyphonem Mono hörte, bevor ich die Schallplatte erwarb und Ende der 80er schließlich auch die CD. Und egal von welchem Tonträger, das Werk klang* für mich immer wie aus der Zeit gefallen - d.h. trotz der avantgardistischen Elemente nostalgisch und verstaubt.

Dieser Staub ist nun weggepustet. Ich habe die Mono-Box erworben. Und es will psychisch erst mal verarbeitet werden, wenn man plötzlich die einzelnen Instrumente so klar und differenziert hört, als habe man die Gehörgänge frisch ausgespült bekommen, man muss erst mal damit zurechtkommen, wie fragil Ringo plötzlich klingt und wie klar sich Pauls Stimme von dem Harfenbrei abhebt. Und dazu bemerkt man freudig die (schon auf den ursprünglichen Veröffentlichungen bestehenden) kleinen Unterschiede zwischen Mono- und Stereoabmischungen, von denen man immer mal gehört oder gelesen hat.

Ich war skeptisch, nicht nur der Geschäftemacherei wegen, sondern auch, weil ich befürchtete, man werde das alte Material künstlich aufhübschen und an moderne Hörgewohnheiten anpassen. Das ist nach meiner Einschätzung nicht passiert. Statt dessen lausche ich hingerissen jeder Bassnote - und sollten Sie in den nächsten Tagen nichts von mir hören, dann wissen Sie, warum.

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*Hier bezieht sich "klang" auf den Klang, denn neben den Dampforgeln und der ganzen Nostalgopsychedelia bewirkte bei mir auch der irgendwie verwischte Sound den Eindruck, das ganze Album komme aus weiter Ferne.
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* Ausgereift und gut abgehangen, blättern Sie zurück!