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Man mag es psychologisch deuten, wie man will, es gibt etwas, das mich furchtbar ekelt. Ich habe mich schon einmal übergeben, nur weil ich daran dachte.
Ich muss diesen Moment nutzen, der Magen gestählt durch starken Filterkaffee, eine Ladung Bananenchips gab's dazu, so lässt sich das hoffentlich überstehen, also nichts wie raus damit, und diesen Artikel bloß nie wieder lesen.
Wenn ich mit dem Fahrrad zur Schule fuhr, war ich oft noch müde, bekam die Augen nicht auf und hatte im Höchstfall eine halbe Tasse Pfefferminztee intus. Feste Nahrung nahm ich dann erst in der Schule zu mir, allerdings hielt ich es nicht bis zur Pause aus, sondern fingerte, man konnte die Uhr danach stellen, gegen 9:00 mit einem überwältigenden Hungergefühl in meiner Tasche herum.
Wir hatten ja nie Tupperware zu Hause, die lernte ich erst später kennen und auch schätzen, man hält Dinge darin geruchssicher verschlossen, der Kühlschrank steht seltener unter Tauwasser - andererseits sind diese Behältnisse echt hässlich, verglichen bspw. mit einer reellen Butterbrotpapiertüte.
"Reell" sind ja ganz verschiedene Dinge, bspw. schnitt mir ein Handwerker mal ein "reelles Fenster" in die Rückwand eines Küchenschranks, auch beim Grillen begegnet einem das Wort regelmäßig, Steaks bspw. sind oft "reell", und man wäre fast versucht, "reell" mit "nicht zu klein" zu übersetzen, träfe damit aber doch nicht ganz den Kern der Sache. "Reell" sind Dinge nämlich dann, wenn sie vom gemeinen Volk in der Gegend des Unverzärtelten, nicht Verkünstelten, nicht Verfeinerten noch Abgehobenen eingeordnet werden. Die Nouvelle Cuisine bspw. ist nicht "reell". Niemand würde von einer "rellen" Lauchstange mit Essig und Öl sprechen.
Diese Butterbrottüten sind äußerst praktisch, im Gegensatz etwa zu Einwickelpapier, das aus identischem Material besteht, aber nicht verklebt ist, so dass man die Butterbrote umständlich einwickeln muss, was geschickteren Menschen evtl. auch gelingen mag, bei mir dagegen, na ja, sollten Sie jemals ein Geschenk von mir bekommen, dann werden Sie sehen, was ich meine. Akustisch hingegen nehmen sich beide Verpackungsarten wenig. Und wenn ich wieder einmal zaghaft die Tüte ertastet hatte und in Zeitlupentempo versuchte, das inliegende Butterbrot zu entnehmen, musste ich mit frustrierender Regelmäßigkeit zur Kenntnis nehmen, dass die schalldämpfenden Eigenschaften meiner Schultasche zu wünschen übrig ließen.
"WÜRDEST DU BITTE DAS GERASCHEL SEIN LASSEN DIE PAUSE IST UM ZWANZIG NACH NEUN DEINE MITSCHÜLER KÖNNEN SICH NICHT KONZENTRIEREN DIR FLIEGT ALLES MÜHELOS ZU ABER ANDERE MÜSSEN SICH KONZENTRIEREN DIR IST DAS JA OFFENSICHTLICH EGAL ICH FINDE DAS GAR NICHT GUT DU SCHREIBST DANN TROTZDEM EINE GUTE ARBEIT ABER DEIN SITZNACHBAR DEN DU ALS FREUND BEZEICHNEST GIBT SICH MÜHE UND LEBT MIT SEINER ALLEINERZIEHENDEN MUTTER UND SCHAFFT SEINEN ABSCHLUSS NICHT NUR WEIL DU IM UNTERRICHT BUTTERBROTE ESSEN MUSST", wurde ich dann ermahnt, nickte schuldbewusst und musste also in den verbleibenden zwanzig Minuten einen Appetenz-Aversions-Konflikt lösen. Unter heftigsten Schuldgefühlen, denn ich wusste ja, was ich meinem Mitschüler angetan hatte und noch antun würde, und millimeterweise schob ich meine Finger wieder in die Tasche unter dem Tisch und versuchte dabei, eine möglichst naturidentische Körperhaltung einzunehmen. Hatte ich zehn Minuten später schwitzend und flach atmend endlich das Brot aus der Knistertüte geangelt, galt es, dieses unauffällig zum Mund zu führen, geräuschlos abzubeißen und so langsam zu kauen, dass der Vorgang für das menschliche Auge nicht als Bewegung erkennbar wäre. Mit dem ersten Schluck minutenlang eingespeichelten Brotes (die Verdauung beginnt im Mund), der meinen Magen erreichte, ertönte dann die Pausenklingel.
Wenn es geregnet hatte, besonders im Sommer, die Luft schwül und feucht, und ich fuhr mit dem Fahrrad zur Schule, war mir oft flau. Den Rest aber gaben mir die vielen Regenwürmer, die sich auf dem Asphalt ringelten. Sie bewegten sich, ich würgte, sie waren zerquetscht und zerteilt oder vom Wasser aufgequollen, ich wollte nicht hinsehen und musste es doch tun, und mehr als einmal musste ich anhalten und schmeckte bereits die Galle, die Augen tränten, die Speiseröhre tat, was sie nicht sollte, mit aller Kraft ließ sich das Reihern unterdrücken, und wenn ich atemlos in der Schule ankam, war der schwierigste Teil des Tages überstanden.
Ich kann mich gar nicht an viele Filme mit Günter Lamprecht erinnern. Aber als Kind und Jugendlicher mochte ich den immer. Er hatte etwas Melancholisches an sich, das in all seinen Rollen immer durchschimmerte, brauchte gar nicht viel zu sagen, mich berührte das, und auch dieses möge in jeder Küche beliebig psychologisch gedeutet werden, ich meine ja nur, es hätte ja auch Sylvester Stallone sein können, ich jedenfalls mochte Günter Lamprecht.
Wenn ich das Würgen unterdrücken musste, war meine Aufmerksamkeit deutlich eingeschränkt. Generell, ich erwähnte es, war ich morgens zu müde und nicht verkehrstüchtig, fand aber meinen Weg zur Schule wie mit dem Autopiloten, doch wenn das dazukam, wenn so ein ekliger Regenwurmmorgen war, dann schalteten die höheren Hirnfunktionen komplett ab, da ging es nur ums Überleben. An einem solchen Morgen, widerlich war das wieder mit den Würmern, auch wenn sie Jahre später zum "Wirbellosen Tier des Jahres" gekürt werden sollten, passierte ich wie jeden Tag den Blumenladen an der Kreuzung, fuhr den Berg hinauf, schloss das Fahrrad an, betrat die Schule, die Übelkeit ließ nach, der Hunger meldete sich, und als es kurz vor neun war, fingerte ich nach der Butterbrottüte. Plötzlich erschien vor meinem geistigen Auge Günter Lamprecht.
Leise kauend erzählte ich meinem Sitznachbarn, dass ich, obwohl es ja nicht sein könne, heute morgen vielleicht Günter Lamprecht gesehen hätte, natürlich, es klinge vollkommen verrückt, aber mir sei doch irgendwie so. "Wen?", fragte er verständnislos, bevor wir unterbrochen wurden ("HÖRT MIT DEM SCHWATZEN AUF WENN DU DAS ALLES SCHON WEISST DANN IST DAS SCHÖN FÜR DICH ABER DEIN SITZNACHBAR DEN DU ALS FREUND BEZEICHNEST DER VERPASST HIER DEN UNTERRICHT UND WIRD GNADENLOS UNTERGEHEN ODER WILLST DU DAS VIELLEICHT SOGAR UND FREUST DICH HEIMLICH"), und auch die anderen Mitschüler, denen ich in der Pause von meiner Vision erzählte, zuckten nur mit den Schultern. Ich aber dachte noch lange daran und nahm mir vor, künftig reichhaltiger zu frühstücken, um gegen solche verwirrenden Erscheinungen besser gewappnet zu sein.
Nächster Morgen, Pfefferminztee, Tageszeitung, Regionalteil: "Der bekannte Schauspieler Günter Lamprecht hält sich derzeit zu Dreharbeiten in Göttingen auf"; Foto vor Blumenladen.
Ich muss diesen Moment nutzen, der Magen gestählt durch starken Filterkaffee, eine Ladung Bananenchips gab's dazu, so lässt sich das hoffentlich überstehen, also nichts wie raus damit, und diesen Artikel bloß nie wieder lesen.
Wenn ich mit dem Fahrrad zur Schule fuhr, war ich oft noch müde, bekam die Augen nicht auf und hatte im Höchstfall eine halbe Tasse Pfefferminztee intus. Feste Nahrung nahm ich dann erst in der Schule zu mir, allerdings hielt ich es nicht bis zur Pause aus, sondern fingerte, man konnte die Uhr danach stellen, gegen 9:00 mit einem überwältigenden Hungergefühl in meiner Tasche herum.
Wir hatten ja nie Tupperware zu Hause, die lernte ich erst später kennen und auch schätzen, man hält Dinge darin geruchssicher verschlossen, der Kühlschrank steht seltener unter Tauwasser - andererseits sind diese Behältnisse echt hässlich, verglichen bspw. mit einer reellen Butterbrotpapiertüte.
"Reell" sind ja ganz verschiedene Dinge, bspw. schnitt mir ein Handwerker mal ein "reelles Fenster" in die Rückwand eines Küchenschranks, auch beim Grillen begegnet einem das Wort regelmäßig, Steaks bspw. sind oft "reell", und man wäre fast versucht, "reell" mit "nicht zu klein" zu übersetzen, träfe damit aber doch nicht ganz den Kern der Sache. "Reell" sind Dinge nämlich dann, wenn sie vom gemeinen Volk in der Gegend des Unverzärtelten, nicht Verkünstelten, nicht Verfeinerten noch Abgehobenen eingeordnet werden. Die Nouvelle Cuisine bspw. ist nicht "reell". Niemand würde von einer "rellen" Lauchstange mit Essig und Öl sprechen.
Diese Butterbrottüten sind äußerst praktisch, im Gegensatz etwa zu Einwickelpapier, das aus identischem Material besteht, aber nicht verklebt ist, so dass man die Butterbrote umständlich einwickeln muss, was geschickteren Menschen evtl. auch gelingen mag, bei mir dagegen, na ja, sollten Sie jemals ein Geschenk von mir bekommen, dann werden Sie sehen, was ich meine. Akustisch hingegen nehmen sich beide Verpackungsarten wenig. Und wenn ich wieder einmal zaghaft die Tüte ertastet hatte und in Zeitlupentempo versuchte, das inliegende Butterbrot zu entnehmen, musste ich mit frustrierender Regelmäßigkeit zur Kenntnis nehmen, dass die schalldämpfenden Eigenschaften meiner Schultasche zu wünschen übrig ließen.
"WÜRDEST DU BITTE DAS GERASCHEL SEIN LASSEN DIE PAUSE IST UM ZWANZIG NACH NEUN DEINE MITSCHÜLER KÖNNEN SICH NICHT KONZENTRIEREN DIR FLIEGT ALLES MÜHELOS ZU ABER ANDERE MÜSSEN SICH KONZENTRIEREN DIR IST DAS JA OFFENSICHTLICH EGAL ICH FINDE DAS GAR NICHT GUT DU SCHREIBST DANN TROTZDEM EINE GUTE ARBEIT ABER DEIN SITZNACHBAR DEN DU ALS FREUND BEZEICHNEST GIBT SICH MÜHE UND LEBT MIT SEINER ALLEINERZIEHENDEN MUTTER UND SCHAFFT SEINEN ABSCHLUSS NICHT NUR WEIL DU IM UNTERRICHT BUTTERBROTE ESSEN MUSST", wurde ich dann ermahnt, nickte schuldbewusst und musste also in den verbleibenden zwanzig Minuten einen Appetenz-Aversions-Konflikt lösen. Unter heftigsten Schuldgefühlen, denn ich wusste ja, was ich meinem Mitschüler angetan hatte und noch antun würde, und millimeterweise schob ich meine Finger wieder in die Tasche unter dem Tisch und versuchte dabei, eine möglichst naturidentische Körperhaltung einzunehmen. Hatte ich zehn Minuten später schwitzend und flach atmend endlich das Brot aus der Knistertüte geangelt, galt es, dieses unauffällig zum Mund zu führen, geräuschlos abzubeißen und so langsam zu kauen, dass der Vorgang für das menschliche Auge nicht als Bewegung erkennbar wäre. Mit dem ersten Schluck minutenlang eingespeichelten Brotes (die Verdauung beginnt im Mund), der meinen Magen erreichte, ertönte dann die Pausenklingel.
Wenn es geregnet hatte, besonders im Sommer, die Luft schwül und feucht, und ich fuhr mit dem Fahrrad zur Schule, war mir oft flau. Den Rest aber gaben mir die vielen Regenwürmer, die sich auf dem Asphalt ringelten. Sie bewegten sich, ich würgte, sie waren zerquetscht und zerteilt oder vom Wasser aufgequollen, ich wollte nicht hinsehen und musste es doch tun, und mehr als einmal musste ich anhalten und schmeckte bereits die Galle, die Augen tränten, die Speiseröhre tat, was sie nicht sollte, mit aller Kraft ließ sich das Reihern unterdrücken, und wenn ich atemlos in der Schule ankam, war der schwierigste Teil des Tages überstanden.
Ich kann mich gar nicht an viele Filme mit Günter Lamprecht erinnern. Aber als Kind und Jugendlicher mochte ich den immer. Er hatte etwas Melancholisches an sich, das in all seinen Rollen immer durchschimmerte, brauchte gar nicht viel zu sagen, mich berührte das, und auch dieses möge in jeder Küche beliebig psychologisch gedeutet werden, ich meine ja nur, es hätte ja auch Sylvester Stallone sein können, ich jedenfalls mochte Günter Lamprecht.
Wenn ich das Würgen unterdrücken musste, war meine Aufmerksamkeit deutlich eingeschränkt. Generell, ich erwähnte es, war ich morgens zu müde und nicht verkehrstüchtig, fand aber meinen Weg zur Schule wie mit dem Autopiloten, doch wenn das dazukam, wenn so ein ekliger Regenwurmmorgen war, dann schalteten die höheren Hirnfunktionen komplett ab, da ging es nur ums Überleben. An einem solchen Morgen, widerlich war das wieder mit den Würmern, auch wenn sie Jahre später zum "Wirbellosen Tier des Jahres" gekürt werden sollten, passierte ich wie jeden Tag den Blumenladen an der Kreuzung, fuhr den Berg hinauf, schloss das Fahrrad an, betrat die Schule, die Übelkeit ließ nach, der Hunger meldete sich, und als es kurz vor neun war, fingerte ich nach der Butterbrottüte. Plötzlich erschien vor meinem geistigen Auge Günter Lamprecht.
Leise kauend erzählte ich meinem Sitznachbarn, dass ich, obwohl es ja nicht sein könne, heute morgen vielleicht Günter Lamprecht gesehen hätte, natürlich, es klinge vollkommen verrückt, aber mir sei doch irgendwie so. "Wen?", fragte er verständnislos, bevor wir unterbrochen wurden ("HÖRT MIT DEM SCHWATZEN AUF WENN DU DAS ALLES SCHON WEISST DANN IST DAS SCHÖN FÜR DICH ABER DEIN SITZNACHBAR DEN DU ALS FREUND BEZEICHNEST DER VERPASST HIER DEN UNTERRICHT UND WIRD GNADENLOS UNTERGEHEN ODER WILLST DU DAS VIELLEICHT SOGAR UND FREUST DICH HEIMLICH"), und auch die anderen Mitschüler, denen ich in der Pause von meiner Vision erzählte, zuckten nur mit den Schultern. Ich aber dachte noch lange daran und nahm mir vor, künftig reichhaltiger zu frühstücken, um gegen solche verwirrenden Erscheinungen besser gewappnet zu sein.
Nächster Morgen, Pfefferminztee, Tageszeitung, Regionalteil: "Der bekannte Schauspieler Günter Lamprecht hält sich derzeit zu Dreharbeiten in Göttingen auf"; Foto vor Blumenladen.
Was der eigentliche Anlass für die Regenwürmer ist, bei Regen ihre Wohnröhren zu verlassen, ist offensichtlich noch nicht vollständig geklärt.
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