Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Wirf Denk-O-Mat vom Himmel
nnier | 12. September 2009 | Topic In echt
Das schränkt dann auch ganz stark die Einwahl aus!
(Schulungsleiter, dieser Tage)
Es irritiert mich doch langsam, wenn ständig vom Wahl-O-Mat die Rede ist. Lange hielt ich das für ein kleines Scherzprogramm, so wie das hier, oder für irgendeine alberne PR-Aktion (Bundesministerium X oder Stiftung Y hat eine Million übrig und will unheimlich modern rüberkommen, Internetagentur Z nimmt das Geld gerne und programmiert halt irgendwas zusammen.) Dann kann noch jemand schlau daherreden und davon faseln, man wolle Jugendliche so "an die Politik heranführen", fertig.

Aber es scheint sich zu etablieren. Ernstzunehmende Menschen aus meinem Bekanntenkreis reden davon, vor der Wahl den Wahl-O-Mat zu befragen, und zwar ohne das ironisch-distanzierte Grinsen einzuschalten.
Man muss sich mal überlegen, wie so etwas zustande kommt: Irgendwelche sog. "Thesen" werden aufgestellt, die Parteien sagen "ja" oder "nein", der Benutzer sagt ebenfalls "ja" oder "nein" - und hinterher werden die Übereinstimmungen ausgezählt. Ja Wahnsinn.

"Die Laufzeit der Atomkraftwerke soll verlängert werden."
"Handelsbeziehungen mit Staaten, die Menschenrechte missachten, sollen eingestellt werden."
"Einführung von Volksentscheiden auch auf Bundesebene!"
"Die Vermögenssteuer soll wieder eingeführt werden."
"Die Praxisgebühr soll abgeschafft werden."

Besteht Politik aus einfachen Multiple-Choice-Optionen? Gibt es keine Auswirkungen, hat das alles keine Zusammenhänge? Was passiert denn, wenn die Atomkraftwerke (nicht) länger laufen, wenn die Praxisgebühr (nicht) abgeschafft wird? Was soll statt dessen passieren? Was ist denn der Grund, dieses zu fordern oder jenes abzulehnen?

Das ganze Format kümmert sich nicht ansatzweise um Zusammenhänge und Gründe - kann es auch nicht. Es geht aber nun mal nicht darum, eine Pizza mit Wunschzutaten zu belegen. Ob durch die Klickerei irgend jemand für Politik interessiert wird (Kids! Das könnt ihr sogar auf dem Handy machen!) oder seine Wahlentscheidung besser treffen kann, mag ich nicht beurteilen. Aber mir scheint das mindestens so trivial wie die komplett sinnentleerten Frage- und Antwort- Spiele bei Anne Will, Maybrit Illner und so weiter, wo ständig und willkürlich zwischen dem Abstrakten und dem Konkreten hin- und hergehüpft wird und Kanzlerkandidaten bitte, und zwar in 90 Sekunden, sowohl die Massenarbeitslosigkeit als auch die ganz persönliche Jobsuche von Herrn Meier ("Da finden wir was für Sie, ich kümmere mich gleich Montag drum!") behandeln.

Übrigens, Sie sind gegen längere Laufzeiten der Atomkraftwerke und gegen die Zulassung gentechnisch veränderter Lebensmittel? Die NPD auch.

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lel, Samstag, 12. September 2009, 22:27
Mir als völlig politikunbegeisterte Person, die durchwegs die "Mir ist wurscht."-Variante anklickte, wurde eine Wahlempfehlung für die Linke ausgesprochen. Ich musste sehr, sehr lachen. :o)

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vert, Samstag, 12. September 2009, 22:33
kann ich nicht reproduzieren.
allerdings bekommt man bei laxer beantwortungspraxis den erigierten zeigefinger:
Bitte beantworten Sie die Thesen sorgfältig.

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lel, Samstag, 12. September 2009, 23:36
"Durchwegs" mit "durchwachsen" ersetzen. Also, nicht immer, nur gerade so oft, wie der erigierte Finger und mein schlechtes Gewissen es eben gerade noch durchgehen ließen.

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vert, Samstag, 12. September 2009, 23:40
es sieht ja so aus: man klickt sich da durch, bekommt ein ergebnis, lacht ein bisschen und wählt dann doch, was man will.

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nnier, Samstag, 12. September 2009, 23:48
Na, hoffentlich! Aussagen wie "Immerhin sieht man so eine Tendenz" haben mich in letzter Zeit nämlich doch ziemlich irritiert.

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damals, Sonntag, 13. September 2009, 00:41
Also, ich bekenne mich ebenfalls schuldig, das Ding zu benutzen. Warum soll man nicht nach oberflächlichen Wünschen gehen? Und direkt oberflächlicher als die meisten anderen Medien find ich ihn auch nicht. Sie vermissen Zusammenhänge - aber: Die meisten Zusammenhänge durchschaut man eh nicht, auch wenn man fleißig traditionelle Medien wie Fernsehen oder Zeitung konsumiert. Und die zwei, drei Kenntnisse über Parteien und Politiker, die man außermedial erworben hat, die wird man so oder so berücksichtigen.
Den Nachteil am Wahl-O-mat, den ich derzeit am ehesten sehe, ist, dass die Wahrscheinlichkeit gebrochenener Wahlversprechen nicht mit eingerechnet wird. (Denn immerhin ist ja relevant, ob die Parteinen ihre jeweiligen Aussagen überhaupt ernst nehmen.)

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nnier, Sonntag, 13. September 2009, 10:39
Na, als Spielzeug soll sowieso jeder benutzen, was er will. Und dass das Horoskop oder die Fotos auf den Wahlplakaten und tausend andere Faktoren sich auf die Wahlentscheidung auswirken, das ist nun mal so und vielleicht auch gar nicht verkehrt. Wer liest schon Wahlprogramme und trifft eine darauf basierende Entscheidung? Ich nicht! Also soll von mir aus auch gerne jeder mit dem O-Maten herumspielen.

Mich stört daran, dass darin die Verführung zu unterkomplexen, populistischen Aussagen quasi eingebaut ist. Wenn sich also wirklich herausstellt, dass Millionen das Ding benutzten und auch nur ein Teil davon aussagt, seine Wahlentscheidung darauf zu begründen, dann wird es vermutlich noch schwieriger, vielleicht auch einmal vor der Wahl etwas Unpopuläres zu sagen.

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conma, Montag, 14. September 2009, 11:06
Ich habe das auch ausprobiert und natürlich ist die NPD bei mir auf Platz 3 gelandet. Nur verbietet mir ja niemand, das Gehirn trotzdem einzuschalten und meine Wahlentscheidung von weiteren Dingen abhängig zu machen.
Im übrigen halte ich das Wahlvolk nicht für so dumm, wie immer angenommen wird. Das merkt man ja auch hier bei den vielen Kommentaren.

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ein nachbar, Montag, 14. September 2009, 13:42
Mit dem Wahl-O-mat kommt "das Politische" bloss da an, wo Kultur und Konsum schon länger sind. Beispiele? Soll ich den neuen neue Nick Hornby lesen? '****' bei a_a_o_, aber erst 1 Rezensent - 1 Woche abwarten, dann Meinung bilden. Was kommt heute Abend im Fernsehen? Humor '**' und Spannung '***', dazu noch Tagestipp: das klingt gut. Ich höre viel Musik, zur Zeit Album des Monats, '****' im R. S., Name habe ich gerade vergessen.
Mit den Kollegen gehe ich heute Mittag in ein Super-Restaurant: 4/5 Ambiente, 4/5 Essen, 5/5 Preis/Leistung. Und heute abend gibt's nur eine Kleinigkeit - aber gesund (also mit Ökotest-Siegel). Neulich habe ich einen Fehler gemacht: War im Kino in einem Film, der bloss 5 von 10 hatte, und mir trotzdem gefiel - jetzt muss ich mir wohl eine neue Rezensions-Seite suchen.
Neben "convenience food" gibt es auch noch jede Menge "convenience opinion": wie komme ich schnell zu einer eigenen Meinung, ohne mich allzu intensiv mit der Materie zu befassen? Da passt der Wahl-O-mat doch prima rein.

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nnier, Montag, 14. September 2009, 14:46
@conma - nein, das verbietet niemand. Dinge wie der Wahl-O-Mat können sich aber meiner Ansicht nach leicht verselbständigen und damit ein unangemessenes Gewicht bekommen. Anscheinend schielen ja viele Politiker ständig aufs "Stimmungsbarometer" und wie die ganzen Meinungsforscherdinger heißen. Und dann wird ständig auf irgendwelche kurzfristigen Schwankungen reagiert. Demnächst kommt dann die Forschungsgruppe XY und testet an 500 repräsentativ ausgewählten Bürgern ihre Wahl-O-Mat-Präferenzen. Und so weiter. Vermutlich muss das auch einfach so sein. Wenn man den Kommentar von "ein nachbar" liest.

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damals, Montag, 14. September 2009, 19:22
All die hier genannten Nachteile (Populismus, keine Zusammenhänge) kann ich nachvollziehen. Ein Vorteil ist aber nicht zu unterschätzen: Alle Parteien dürfen teilnehmen. Und die NPD wird genau so vorurteilsfrei dargeboten wie Winzigparteien (ödp, BüSo), Ein-Thema-Parteien (Piraten) allgemein verachtete Parteien (Linke). so solls sein - jedenfalls ist der Informationswert höher als beim Kanzlerduell. Bei mir kam übrigens "Linke" als Ergebnis, kurz danach die Grünen, dann sehr lange nichts. Jetzt werd ich mal von meiner Abneigung gegen Lafontanie absehen und die Thesen der Partei im Einzelnen prüfen.
Wenn sich der Wahl-o-mat verselbständigt - Sie können sicher sein, ich werd ihn nicht mehr benutzen. Stimmungsbarometer-Macher und all die Main-stream-Politik-Parasiten von den Medien sind mir verhasst.

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nnier, Mittwoch, 16. September 2009, 22:24
Search Request: wahl o mad

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