Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Dienstag, 31. Mai 2011
Crown
nnier | 31. Mai 2011 | Topic In echt
Es ist ewig her, ich weiß nicht mal mehr, wo es war, dass ich einen Ring kaufte. Für mich selbst. Er ist schlicht silbern, hat ein interessantes, eingelassenes Muster, ist nicht ganz schmal (das sieht bei Männern mickrig aus) und nicht ganz breit (das wirkt so protzig wie die übergroße Gürtelschnalle an der Hose eines hier schon mal erwähnten Fieslings, auf der I am the BOSS stand, wobei das großgeschriebene Wort dem Logo einer bekannten Kleidungsmarke nachempfunden war).

Es war und blieb auch der einzige Ring, den ich mir im Leben gekauft habe, und der Grund war, dass er auf Anhieb passte, an meinen Finger passte, zu mir passte, mir gefiel, sich gut anfühlte, so dass ich ihn kaum je ablegte, einige Jahre lang.

Natürlich nahm ich ihn manchmal dann doch ab, und trotz der unmittelbaren Wertschätzung, die ich ihm entgegenbrachte, tat ich dies oft auf eine recht achtlose Weise, so dass ich ihn gelegentlich suchen musste. Das konnte auch mal ein paar Stunden oder Tage dauern, aber richtig nervös brauchte ich nie zu werden, denn ich fand ihn immer irgendwann wieder, im Bad unter Bergen von Handtüchern z.B. oder im Keller auf der Werkbank.

Als ich ihn, es mag zehn Jahre her sein, eines Herbsttages zu vermissen begann und dann erst in Ruhe, später unruhig werdend, nach Tagen nervös und nach Wochen verzweifelt suchte, war ich dennoch im Inneren hoffnungsfroh: Der Ring war bisher immer wieder aufgetaucht, und es gibt so viele Stellen im Haus, nun musste ich halt auf die Zeit hoffen und auf fleißige Helfer, weshalb ich alle Hausbewohner und auch Besucher eindringlich bat, doch bitte die Augen offenzuhalten und nach jenem Ring zu sehen, den ich so vermisste. Manchmal, so erzählte ich, sieht man selber einfach nicht richtig hin, und der müsse doch irgendwo sein, und ich fühlte mich so nackt, und man würde mir eine große Freude machen.

Nichts geschah jedoch, und ich gewöhnte mir ein lautes Wehklagen an. Am Telefon, auf Besuch in anderen Städten, der lieben Verwandtschaft unterm Weihnachtsbaum - ich erzählte jedem, der sich nicht schnell genug in Sicherheit brachte, von meinem schweren Schicksal und beschrieb ausführlich den Ring, silbern, nicht zu dünn und nicht zu breit, mit einem einfachen, geprägten Muster, so Bögen so, so schwarz so. Man hörte sich das an, man versprach mir, klar!, sehr aufmerksam zu sein, doch mit den Monaten schwand meine Hoffnung und ich gewöhnte mich ganz langsam an ein Leben ohne ihn. Gelegentlich, eher selten, ohne viel Hoffnung, schaute ich nach eventuellem Ersatz, beim Schmuckstand oder im Schaufenster, aber das war alles nicht meine Welt. Weder die gebürsteten Edelstahlringe am Sonderstand bei Karstadt noch die teuren, zisseligen beim Juwelier gefielen mir.

Die Jahre vergingen, Kinder kamen auf die Welt, ich wurde Onkel, das Ende der Geschichte wurde verkündet und ging wieder vorbei, was ist das Leben, und wie froh ich bin, dass sich, was für ein irrwitziges Glück!, meine Erdenszeit ausgerechnet mit der von Paul McCartney überschneidet, alles vergeht so schnell, nur dort nicht, wo ich ganz selten mal übernachtete, alle paar Jahre, und noch seltener jemand anders, z.B. ein kleines Mädchen, das durch die Ecken krabbelte und irgendwann zu seiner Mama sprach: "Schau mal! Eine Playmobil-Krone", ein Glück, dass ich Onkel geworden war!, und wie gut, dass alle Zahnräder ineinandergriffen, die angesprochene Mama also nicht nur "hmm, ja, ja" murmelte, sondern aufschaute, genau hinsah, begriff, sich schließlich erinnerte, dass, da war doch was!, vor Jahren jemand so übertrieben rumgeheult hatte - und nur einige Wochen später konnte die Übergabe stattfinden, und er passte, ich war glücklich und ich wollte ihn nie wieder abnehmen, und wenn, dann nur ganz bewusst und sorgsam verwahrt.



Es geht wieder los. Dreimal in den letzten paar Wochen - achtlos abgenommen, irgendwo hingelegt, panisch gesucht, glücklich wiedergefunden, aber für alle Fälle: So sieht er aus, und falls Sie ihn mal irgendwo liegen sehen, man kann ihn bestimmt sehr gut als Playmobilkrone verwenden, aber bitte, bitte, senden Sie ihn an mich zurück.

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Freitag, 27. Mai 2011
Danke schön batsch
nnier | 27. Mai 2011 | Topic In echt
Ich werd dich jetzt verlassen
und dann kannst du mich
von hinten sehn
(Trio, "Los Paul")
Man kennt das aus tausend Filmen, diese Verfolgungsjagd, wenn jemand atemlos einem flüchtenden Bösewicht hinterherrennt oder -fährt, diese Hetze und der verzweifelte Blick nach links und rechts, wenn der Verfolgte plötzlich nicht mehr zu sehen ist und der Weg sich gabelt. Wenn sich plötzlich eine Schranke senkt, unter welcher der eine noch schnell hindurchrennen kann, während der Verfolger stehen bleiben muss und ein kilometerlanger Güterzug seinen Weg kreuzt.

Neulich hatte ich es eilig, nach Hause zu kommen, und auch wenn mein Stadtteil sich in Bahnhofsnähe befindet, so ist es doch erstaunlich, wie schlecht er ÖPNV-mäßig an diesen (und überhaupt) angebunden ist. Früher soll es sogar eine Straßenbahn gegeben haben, ich aber verzichte fast immer darauf, die überfüllten und unübersichtlichen, gleichzeitigen* Bus- und Straßenbahnhaltestellen vor dem Bahnhofsgebäude anzusteuern, dort auf den Bus zu warten, eine umständliche Strecke um den Bahnhof herum und dann auch nur ganz ungefähr in meine Gegend zu fahren, um nach dem Aussteigen immer noch ein gutes Stück weit laufen zu müssen - auch wenn der insgesamte** Fußweg zwischen Bahnhof und Haustür sich tatsächlich noch länger hinzieht, als man ihn sich schöngesoffen hat. Manchmal kann man so etwas ja durchaus gebrauchen, neulich hingegen war eine gewisse Eile geboten, so dass ich, zunächst aus dem Hintereingang des Bahnhofs geschlüpft und stramm drauflosmarschiert, den gegen Ende meines Weges direkt an mir vorbeifahrenden Bus an der vorletzten Haltestelle doch lieber ersprintete, um wenigstens die paar Meter bis zur nächsten Station noch mitzufahren.

Natürlich stand die Ampel an der Kreuzung direkt vor dieser Haltestelle auf "Rot", und in meiner Ungeduld kam es mir schon bald so vor, als stehe sie ungewöhlich lange auf "Rot". Ich zwang mich, ruhig zu bleiben, weiß ich doch allzu gut, dass die Zeit mal dahineilt, mal still steht - nach einer Weile allerdings war ich relativ sicher, dass ich mein Zu-Fuß-Alter-Ego gerade ganz gemütlich am Bus vorbeischlendern sah, Sie kennen diesen Effekt ja heutzutage aus ganz vielen Filmen, wenn verschiedende Realitäten durchgespielt werden, nehmen wir mal Lola rennt als bekanntes Beispiel, oder der unzuverlässige Erzähler, oder der, der eigentlich schon tot ist, das war früher ja alles anders. Ich winkte mir zu, sah die ungeduldigen Gesichter der anderen Fahrgäste, sah den aufkeimenden Zweifel im Blick des Busfahrers, spähte um die Ecke, dorthin, wo ich längst ausgestiegen sein wollte, es waren zehn oder zwanzig Meter, und nach schier endloser Warterei bemerkte ich, wie der Fahrer vorsichtig einen halben Meter zurück- und dann wieder nach vorne fuhr.

Ein naheliegender Gedanke, wie mir schien, denn diese Induktionsschleifen im Asphalt sind nicht immer ganz zuverlässig - sicher haben auch Sie schon einmal vor einer Parkhausschranke an der Einfahrt gestanden und mussten einen Einkaufswagen heranholen, damit das blöde Ding endlich öffnet. Die Ampel stand auf "Rot", blieb auf "Rot" stehen und in mir kam ein Gefühl existentieller Verzweiflung auf.

Der Fahrer wiederholte sein Manöver zwei-, dreimal mit äußerster Vorsicht, und ich begann mich zu fragen, ob es sich hier womöglich um einen Fall von Instant Busfahrerkarma handelte, denn das weiß man ja, dass die sich mit ihren kleinen Funksendern die Ampeln viel öfter freischalten, als es ihnen zukommt. Oft nämlich sehe ich die Busse weit von der Ampel entfernt mit geöffneter Tür an der Haltestelle herumstehen, trotzdem schaltet die Ampel schon für sie frei - und man wartet und wartet. Die wartenden Menschen verstehen das immer nicht und jammern herum, bis ich ihnen sage: Da muss erst der Bus an uns vorbeifahren, erst dann wird für uns "Grün" - die sehen mich dann ungläubig an und sagen: Das kann nicht sein, der ist doch erst ganz da hinten, ich aber sage: Warten Sie's ab, und nach ein paar Minuten sagen sie: Gibt's doch nicht!, und meine Ungeduld wurde immer schlimmer, ich durchbrach die Mauer des Schweigens und sprach: Entschuldigen Sie, bitte, aber ich habe es extrem eilig, würden Sie mir bitte ausnahmsweise die Tür öffnen, ich muss wirklich dringend weiter, doch das durfte er nicht, wie er mir mitteilte - na ja, und nachdem er ein paar Mal die Zentrale angefunkt hatte und man dort irgendwas geregelt hatte, vielleicht ein Fax an die Ampelbehörde gesendet oder so, sprang die Ampel auf "Grün" und ich konnte meinen Weg nach Hause fortsetzen.

Hätte ich es in diesem Moment nicht nur eilig gehabt, sondern jemanden verfolgt, dann wäre der über alle Berge gewesen. Auch diese Studentin an diesem einen Wintertag, die hätte niemanden verfolgen dürfen, die hätte keine Chance gehabt. Und zwar haben die Studenten ja alle ihr Semesterticket, da reicht es ja, wenn alle halbe Stunde mal ein Bus Richtung Universität fährt, die Studenten haben ja Zeit und brauchen auch nicht so viel Platz, es reicht also ein normaler Bus, egal, wie viele Studenten das sind, gerade auch im Winter, und da ich diese Strecke ebenfalls nehmen musste, stand ich also im extremen Gedränge, und ich meine: extremen Gedränge, weit vorne, nahe der Fahrerin.

Als besagte Studentin aussteigen wollte, sie stand direkt neben mir, weit vorne, nahe der Fahrerin, und darum bat, doch bitte die Fahrertür zu öffnen, verkündete diese: "Ausstieg ist hinten!"

Unter den entsetzten Blicken der Mitfahrer musste die arme Frau nun beginnen, sich durch die Massen zu drängeln, was ihr auch nach mehreren Minuten höchstens zwei Meter Raumgewinn gebracht hatte, und während der eine Teil der Masse unruhig wurde und murrte, dass sich da jemand so durchdrängelte, murrte der andere Teil der Masse, weil der Bus nicht weiterfuhr, und als die junge Frau schließlich den hinteren Austieg erreicht hatte, welcher die ganze Zeit offengestanden, was bei den eisigen Temperaturen für noch mehr Unfrieden unter den Fahrgästen gesorgt hatte, als sie sich also weit genug durchgekämpft hatte, um endlich aussteigen zu können, schloss die Fahrerin die Tür und fuhr weiter.

Heute früh fuhr ich mit dem Fahrrad zur Arbeit, und ich bin nicht so einer, das müssen Sie mir glauben, aber vor mir fuhr jemand mit so einer Hüfthose, und, ich kann ja beim Fahrradfahren schlecht die ganze Zeit auf den Boden gucken, da sah ich etwas, das ich nicht sehen wollte. Zwar zog die Person gelegentlich die kurze Jacke herunter, aber es dauerte nicht lange, da waren entscheidende Zentimeter wieder nicht bedeckt. Nun ist es ja nicht so, dass ich nicht [laberrhabarber Altherrenwitz und so weiter], aber ich war doch ein wenig verstört, da sich das, was sich nun mal im Zentrum befindet, auf ungebührliche Weise horizontal im Takt des Pedaltritts hin- und herbewegte. Ich sah auf den Boden, ich sah mir die Autos an, ich zog ganz normal die dritte Wurzel aus den Zahlen auf den Nummernschildern, und es hörte nicht auf. Ich war mir nicht einmal sicher, ob es ein Mann oder eine Frau war, der oder die da vor mir fuhr, ich war nicht nahe genug, um das eindeutig beurteilen, und nicht weit genug entfernt, um es ignorieren zu können, es ging hin und her mit jedem Tritt, in enervierendem Gleichmaß, und ich wurde langsam wütend. Die Radfahrerampel sprang auf "Rot", egal!, ich hetzte hinterher, das wollte ich nun doch wissen, ich trat in die Pedale, vor mir ging es Links-Rechts-Links-Rechts, diese Obszönität wollte ich mir nicht bieten lassen, eine Frechheit, was man sich alles mitansehen muss!, ich kreuzte die nächste Straße, bald hätte ich es geschafft, da kam eine Straßenbahn. Die schamlose Person kam noch daran vorbei, dann kreuzte die Bahn meinen Weg und blieb an der Haltestelle stehen. Es gab kein Drumherum, ich musste warten, die Bahn stand da und fuhr nach Ewigkeiten wieder an, unendlich langsam - und vor mir: nichts!, niemand!, der Weg gabelte sich und ich hatte dieses total verzweifelte Gefühl, dagegen ist das, was Sie jetzt gerade empfinden, wirklich nichts.




--
*"Gleichzeitigen", so kann man nicht schreiben! Aber wenn die dauernd mit ihrer "teilweisen Kernschmelze" ankommen, brauchen sie sich nicht zu wundern, ich kann noch ganz anders.
** Sag ich doch.

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Dienstag, 24. Mai 2011
Suburban Male Voice
nnier | 24. Mai 2011 | Topic Gelesn


Auf der Windschutzscheibe des Reisebusses prangte diese merkwürdige Aufschrift, und ich wusste mal wieder nicht, was das heißen soll - ob der Fahrer einen speziellen Vorstadtakzent spricht, während er per Mikrofon die Sehenswürdigkeiten links und rechts der Straße erläutert oder die Reisenden ermahnt, ihre DÄMLICHEN KÄSEBROTE MIT REMOULADE GEFÄLLIGST DRAUSSEN ZU VERSPEISEN, EINE BESCHISSENE KLECKEREI IST DAS IMMER, DA STEHST DU FREITAGNACHMITTAG NOCH STUNDENLANG AUF DEM BETRIEBSHOF UND SCHRUBBST DEN SEICH AUS DEN SITZPOLSTERN, DAS ZAHLT DIR KEIN MENSCH, ABER DIE NÄCHSTE HORDE FAHRGÄSTE HEULT DANN WIEDER ÜBER JEDEN KRÜMEL UND JEDEN FLECK RUM UND BESCHWERT SICH BEIM VERANSTALTER, BEVOR SIE IHRE EIGENEN EKELHAFTEN HARTGEKOCHTEN EIER IN DIESE TIEFE RILLE ZWISCHEN DEN BEIDEN SITZEN RUBBELN UND DANN STINKTS WIE IM PUMAKÄFIG, "Suburban Male Voice", vielleicht können Sie mir ja weiterhelfen, und genauso rätsele ich über oben abgebildete Titelgrafik des angekündigten Megasellers einer sehr bekannten Bloggerin, deren Blog ich ziemlich regelmäßig lese, auch wenn ich gar nicht richtig sagen kann, warum, schließlich gibt es auch anderswo Kochrezepte und Buchkritiken, außerdem bin ich gar nicht so selten anderer Ansicht als sie - und dabei heißt es doch, man sucht sich immer diejenigen Lesestücke, die die eigene Weltsicht bestätigen, das wurde sogar experimentell nachgewiesen: Legt man irgendwo einen Stapel Fachzeitschriften ins Wartezimmer, und auf der einen steht ganz groß: Warum die FDP trotzdem total toll ist, und auf der anderen steht: Diese ganzen Zimmermädchen sind solche Luder und müssen mal so richtig gefickt werden, und dann setzt man z.B. einen FDP-Vorsitzenden und einen vom Währungsfonds zufällig verteilt hin, dann ist der Erwartungswert p(Wahrscheinlichkeit­DassDasSoIst­WieMan­Vermuten­Könnte) statistisch signifikant! Und weil ich gehört habe, dass es Frauen gibt, die dauernd überlegen, ob sie vielleicht einen dicken Hintern haben "und aber auch" (Berti Vogts, 2001) gerne hören wollen, dass das entweder gar nicht so ist oder wenn doch, dann in Ordnung ist, du kannst es mir ruhig sagen, nein, ich finde dich total in Ordnung so, los, sag es, es macht mir nichts aus, was denn, ich finde dich wirklich toll, so wie du bist, sei ehrlich, du brauchst mir nichts vorzumachen, ich will nur wissen, ob ich zu dick bin, nein, ich finde nicht, dass du zu dick bist, sag die Wahrheit, auch nicht am Po, nein, ich finde deinen Po toll, das sagst du nur so, und meine Arme, sag die Wahrheit, sind die nicht ein wenig stark, na gut, meinetwegen, deine Arme sind vielleicht nicht so superdünn wie bei Angelina Jolie, aber das gefällt DU BIST SO EIN SCHWEIN! DU BIST SO GEMEIN!, solche Sachen, und deshalb stehen meiner Ansicht nach die Chancen schon mal nicht schlecht, dass dieses Buch seine Käuferinnen findet, und vielleicht ist es darüberhinaus auch noch gut geschrieben und interessant, nämlich das ist auch der Grund dafür, warum ich dieses Blog regelmäßig lese, bloß eins irritiert mich: Was soll denn das sein, da, auf dem Titelbild? Eine Hintern­trockenrubbel­maschine mit auswechselbarem Handtuch? Eine Waage ohne Skala und dafür mit riesigem Zeiger, der gegen den Uhrzeigersinn funktioniert? Eine Farbwalze, die schwarze Badeanzüge bodypaintet? Vorstädter aller Länder, helft mir auf die Sprünge!

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Montag, 23. Mai 2011
Rosinensaft
nnier | 23. Mai 2011 | Topic In echt


Da war mal dieser Urlaub in Südfrankreich. Ich war mit einem guten Freund unterwegs, die Sonne ging langsam unter, am Straßenrand wurden einem für ganz wenige Francs die kurz vor der Überreife stehenden Melonen hinterhergeworfen, die wir dann auf dem Campingplatz halbierten und gierig auslöffelten. In diesem Urlaub schmeckte alles toll, das Baguette mit den reifen Tomaten, die Blätterteigdinger, auch der billige rote Landwein, und auf dem Rückweg, die rote Sonne stand wieder ganz tief da, hielt ich noch ein letztes Mal an einem dieser Stände am Straßenrand, wollte noch ein Fläschchen Wein kaufen oder zwei, als Mitbringsel oder für mich selbst.



Ich bin kein Weintrinker, auch wenn's mir im Blut liegen müsste - der Schoppen zum Mittagessen, die mit etwas bitzelndem Mineralwasser versetzte Weinschorle, das habe ich schon als Kind gerne mal probiert, im süddeutschen Urlaub bei der Verwandtschaft, und sicher stammt daher meine Toleranz gegenüber allem Sauren, bei dem die Weinkenner immer ganz indigniert sagen: Das heißt trocken!, viele Menschen sprachen diesen fränkischen Wald- und Wiesenweinen ja jede Trinkbarkeit ab, mir aber schmeckte es. In der Schorle und im Urlaub.



Ein Winzer aus jener Gegend sprach im letzten Jahr zu mir: Wir holen auf, wir haben jetzt richtig gute Weine - vor 20, 30 Jahren das Zeug, das hättst du niemandem zu trinken geben dürfen!, ich aber sagte, dass mir der schon damals geschmeckt habe und wurde erstaunt angesehen.

Trotzdem bin ich nie ein Weintrinker geworden - es steht allerdings immer welcher da: Erstens, weil ich dann doch manchmal welchen trinke, mit Besuch z.B., und zweitens, weil ich grundsätzlich immer damit koche. In die Hackfleischsoße zu Spaghetti oder Lasagne kommt ein ebenso gut bemessener Schuss Wein wie in die Erbsen-, Hühner- und Kartoffelsuppe, das schweinische oder geflügelige Geschnetzelte oder in den beliebig befüllten Römertopf.



Was genau ich da hineinkippe, ist relativ egal, solange zwei Kriterien erfüllt sind: Der Wein muss weiß sein, und er muss gut säuerlich sein. Notfalls tut es auch mal übriggebliebener Sekt, im Regelfall aber eine preislich knapp oberhalb des Rebenschoppen-Tetrapacks liegende Flasche Irgendwas, das bloß nicht lieblich oder fruchtig sein darf und gerne Riesling oder Silvaner auf dem Etikett stehen haben darf, so weit kann ich's mir merken.



In diesem Urlaub damals probierte ich erst den einen Wein und dann den anderen, beide schmeckten hervorragend süßlich, fast likörartig, und diese Abendrotstimmung, und diese freundliche Frau, und wenigstens den einen musste ich dann auch noch probieren und dann unbedingt noch diesen hier, einen ganz feinen Tropfen.

Ich kaufte am Ende eine ganze Kiste, und auch wenn mir eine Freundin kurz darauf erzählte, soviel bezahle ihr Vater auch mal für eine einzelne Flasche, waren die knapp hundert Mark für meine Verhältnisse richtig viel Geld, so dass ich mit großer Vorfreude bei einem Abendessen eben jener Bekannten mal eine zufällig ausgewählte Flasche aus der Kiste kredenzte.



Das Zeug war süß, likörhaft und passte kein bisschen zum Essen. Ich hätte schwören können, dass jedes einzelne Probeschlückchen geradezu himmlisch gut geschmeckt hatte, öffnete leicht verunsichert eine andere Sorte und dann eine dritte. Es war zum Heulen. Nichts schmeckte.

"Vielleicht war das im Urlaub einfach anders, mit dem Wetter da und der Freiheit und den Melonen", überlegte ich mit meinem Mitreisenden, den ich einige Tage darauf auch noch mal probieren ließ, und er zuckte die Schultern. Die restlichen Flaschen habe ich irgendwann noch geöffnet und dann allesamt weggeschüttet. Nicht mal zum Kochen waren sie geeignet.



Vor einigen Monaten aber brachte man mir aus Frankreich eine Flasche mit, deren Aufschrift ich mühsam mit "Rosinensaft" übersetzte, mein Französisch ist ganz eingeschrumpelt, vielleicht heißt es auch Traubensaft, überlegte ich später - und plötzlich wusste ich wieder, wie glücklich ich damals bei diesem Sonnenuntergang war. Es befand sich in dieser komischen Flasche mit dem "Slurp"-Etikett nämlich ein solches Extrakt aus Süße und Sonne, dass ich innerlich ganz ergriffen wurde. Und das kann ich Ihnen sagen: Wenn ich die jemals irgendwo finde, dann kaufe ich eine ganze Kiste!

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Freitag, 20. Mai 2011
Vor mehreren hundert Zuhörern
nnier | 20. Mai 2011 | Topic In echt
Liebe ... Genossinnen .... und ... Genossen! (Langanhaltender Applaus)



So ging das damals, der Marktplatz war voll, manchmal war es der 1. Mai und manchmal der Auftritt eines mittelmäßig prominenten Politikers im Wahlkampf. Ein Gewerkschafter redete im Zeitlupentempo, forderte gerechtere Löhne oder mehr Urlaub, die Sonne schien, es gab Musik, und der Marktplatz war voll. Landesminister X trat auf und der Marktplatz war voll. Ganz selten, wenn ein Bundespromi kam, wusste man das Wochen vorher - und der Marktplatz war gerammelt voll.



Gut, das war eine andere Stadt, dennoch war ich überrascht, dass ich gestern nur zufällig dem SPD-Vorsitzenden über den Weg geradelt bin, der da gerade vor einer sehr überschaubaren Zuschauermenge eine Wahlkampf­abschluss­kundgebung abhielt. Man musste überhaupt nicht drängeln, man verstand sogar jedes Wort, und auch wenn ich von Genossinnen und Genossen nichts gehört habe, waren die Themen durchaus bekannt: Es muss ein Mindestlohn her, das ist nicht nur wichtig für die Arbeitnehmer, sondern auch für diejenigen Arbeitgeber, meine Damen und Herren, die anständige Löhne bezahlen, die sogar Tariflöhne bezahlen, und der SPD-Vorsitzende hörte sich so richtig wütend an, wie er da gegen die privaten Krankenversicherungen wetterte, die sich die jungen und gesunden Versicherten herauspicken, während die gesetzlichen Kassen, so wie der Herr Rösler das wollte, jetzt Zusatzbeiträge nehmen und pleite gehen, meine Damen und Herren, und er regte sich offenbar mächtig auf über einen solchen Egoismus. Das war fast wie früher, aber der Applaus, der war wirklich dünn, selbst bei den vollkommen unstrittigen Applausstellen, und noch etwas war ganz anders als früher: Ich hatte das Gefühl, dass ihm diese Wut kaum jemand geglaubt hat.



Noch einer hat nicht vorher bescheid gesagt, dass er in Bremen ist, gestern, das hat mich dann richtig geärgert.

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