Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Rosinensaft
nnier | 23. Mai 2011 | Topic In echt


Da war mal dieser Urlaub in Südfrankreich. Ich war mit einem guten Freund unterwegs, die Sonne ging langsam unter, am Straßenrand wurden einem für ganz wenige Francs die kurz vor der Überreife stehenden Melonen hinterhergeworfen, die wir dann auf dem Campingplatz halbierten und gierig auslöffelten. In diesem Urlaub schmeckte alles toll, das Baguette mit den reifen Tomaten, die Blätterteigdinger, auch der billige rote Landwein, und auf dem Rückweg, die rote Sonne stand wieder ganz tief da, hielt ich noch ein letztes Mal an einem dieser Stände am Straßenrand, wollte noch ein Fläschchen Wein kaufen oder zwei, als Mitbringsel oder für mich selbst.



Ich bin kein Weintrinker, auch wenn's mir im Blut liegen müsste - der Schoppen zum Mittagessen, die mit etwas bitzelndem Mineralwasser versetzte Weinschorle, das habe ich schon als Kind gerne mal probiert, im süddeutschen Urlaub bei der Verwandtschaft, und sicher stammt daher meine Toleranz gegenüber allem Sauren, bei dem die Weinkenner immer ganz indigniert sagen: Das heißt trocken!, viele Menschen sprachen diesen fränkischen Wald- und Wiesenweinen ja jede Trinkbarkeit ab, mir aber schmeckte es. In der Schorle und im Urlaub.



Ein Winzer aus jener Gegend sprach im letzten Jahr zu mir: Wir holen auf, wir haben jetzt richtig gute Weine - vor 20, 30 Jahren das Zeug, das hättst du niemandem zu trinken geben dürfen!, ich aber sagte, dass mir der schon damals geschmeckt habe und wurde erstaunt angesehen.

Trotzdem bin ich nie ein Weintrinker geworden - es steht allerdings immer welcher da: Erstens, weil ich dann doch manchmal welchen trinke, mit Besuch z.B., und zweitens, weil ich grundsätzlich immer damit koche. In die Hackfleischsoße zu Spaghetti oder Lasagne kommt ein ebenso gut bemessener Schuss Wein wie in die Erbsen-, Hühner- und Kartoffelsuppe, das schweinische oder geflügelige Geschnetzelte oder in den beliebig befüllten Römertopf.



Was genau ich da hineinkippe, ist relativ egal, solange zwei Kriterien erfüllt sind: Der Wein muss weiß sein, und er muss gut säuerlich sein. Notfalls tut es auch mal übriggebliebener Sekt, im Regelfall aber eine preislich knapp oberhalb des Rebenschoppen-Tetrapacks liegende Flasche Irgendwas, das bloß nicht lieblich oder fruchtig sein darf und gerne Riesling oder Silvaner auf dem Etikett stehen haben darf, so weit kann ich's mir merken.



In diesem Urlaub damals probierte ich erst den einen Wein und dann den anderen, beide schmeckten hervorragend süßlich, fast likörartig, und diese Abendrotstimmung, und diese freundliche Frau, und wenigstens den einen musste ich dann auch noch probieren und dann unbedingt noch diesen hier, einen ganz feinen Tropfen.

Ich kaufte am Ende eine ganze Kiste, und auch wenn mir eine Freundin kurz darauf erzählte, soviel bezahle ihr Vater auch mal für eine einzelne Flasche, waren die knapp hundert Mark für meine Verhältnisse richtig viel Geld, so dass ich mit großer Vorfreude bei einem Abendessen eben jener Bekannten mal eine zufällig ausgewählte Flasche aus der Kiste kredenzte.



Das Zeug war süß, likörhaft und passte kein bisschen zum Essen. Ich hätte schwören können, dass jedes einzelne Probeschlückchen geradezu himmlisch gut geschmeckt hatte, öffnete leicht verunsichert eine andere Sorte und dann eine dritte. Es war zum Heulen. Nichts schmeckte.

"Vielleicht war das im Urlaub einfach anders, mit dem Wetter da und der Freiheit und den Melonen", überlegte ich mit meinem Mitreisenden, den ich einige Tage darauf auch noch mal probieren ließ, und er zuckte die Schultern. Die restlichen Flaschen habe ich irgendwann noch geöffnet und dann allesamt weggeschüttet. Nicht mal zum Kochen waren sie geeignet.



Vor einigen Monaten aber brachte man mir aus Frankreich eine Flasche mit, deren Aufschrift ich mühsam mit "Rosinensaft" übersetzte, mein Französisch ist ganz eingeschrumpelt, vielleicht heißt es auch Traubensaft, überlegte ich später - und plötzlich wusste ich wieder, wie glücklich ich damals bei diesem Sonnenuntergang war. Es befand sich in dieser komischen Flasche mit dem "Slurp"-Etikett nämlich ein solches Extrakt aus Süße und Sonne, dass ich innerlich ganz ergriffen wurde. Und das kann ich Ihnen sagen: Wenn ich die jemals irgendwo finde, dann kaufe ich eine ganze Kiste!

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jean stubenzweig, Montag, 23. Mai 2011, 20:58
Wer von trocken spricht, wenn sauer gemeint ist, hat in der falschen Fibel gelesen oder einem Freizeitpriester geglaubt. Selbstverständlich gibt es sauren Wein. Ich habe bei einem Winzer welchen getrunken. Der meinte von ihm, er trinke ihn selber, denn den könne er nicht verkaufen, der sei den Leuten zu sauer. Nach zwei kleinen Ballons, als die Empfangsbereitschaft in meinem Mund sich zur Vereinigung geöffnet hatte, schmeckte ich, weshalb er ihn wirklich selber trank. Diesen wunderbaren Geschmack habe ich heute noch in meinen Erinnerungswindungen.

In meine Fleischsauce kommt kein Tropfen Wasser. Nur Wein! Sie soll sich schließlich auch gutfühlen.

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ilnonno, Montag, 23. Mai 2011, 21:28
Die Liebe zum Wein hat aber keine guten Entwicklungschancen, wenn der Preis pro Liter ungefähr im Bereich von Benzin liegt.

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jean stubenzweig, Montag, 23. Mai 2011, 21:52
Mir hat ein unabhängiger wirklicher Weinkenner mal gesagt: Nie unter zehn Mark die Flasche, ein bißchen was solle der Winzer schließlich auch noch verdienen, sonst mache es ihm keine Freude, das Arbeiten. Wer bei den Billigheimern oder auch im Supermarkt (in Frankreich ist das nicht solch ein Wagnis) kauft, die die Erzeuger preislich so erpressen wie die Autobauer die Teilevorfertiger et cetera, also Wein für den Benzinpreis kauft, der darf sich nicht über Dieselgeschmack im Mund wundern.

Es ist außerdem alles eine Frage der Handelsspanne. Mein norddeutscher Weinhändler kalkuliert so knapp, weil ihm am Verkauf von Qualität liegt und er möchte, daß der Kunde bei ihm bleibt (und vielleicht auch nach längerem Lernprozeß andere, höherpreisige Stöffchen kostet), daß ich deshalb auch für knapp unter fünf Euro einen guten Cahors bekomme, von dem eine eingeweinte Dornfelder-Kundin mal sagte, sie wußte gar nicht, wie legger sowas schmecken könne, und fortan nicht mehr von meiner Seite wich, der ich mir ein paar Fläschchen in die Feier geschmuggelt hatte.

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nnier, Dienstag, 24. Mai 2011, 10:41
Dann gibt es ja noch die Spezialisten, die sagen, dass der Wein zum Kochen genauso gut sein muss wie der zum Trinken. Bei mir kommt das höchstens dadurch zustande, dass ich so wenig trinke und die angefangene Flasche dann lieber mal leermachen will. Im Normalfall steht aber zum Kochen irgendwas Günstiges mit genügend Säure herum.

Was die Geschmäcker angeht, mag ich wie beschrieben den sauren Gespritzten zwei-, dreimal im Jahr beim Essen, ansonsten bin ich kein Weintrinker, allerdings immer noch auf der Suche nach der Wiederholung eines ganz bestimmten Rotweinerlebnisses, von dem ich inzwischen nicht einmal mehr weiß, ob es real war. Es war ein derart schweres, volles Aroma, dass schon ein leichter Zungenkontakt gereicht hat, um unmittelbar draufloszubirnen, also in den Kopf zu fahren. Man hatte sozusagen das Gefühl, dass der Geist des Weines aus den Ohren entweichen will, alle Nervenbahnen zwischen Kopf und Magen feuerten drauflos und die Speiseröhre war das Zentrum der Welt. Ich bin nie wieder in die Nähe dessen gekommen.

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jean stubenzweig, Dienstag, 24. Mai 2011, 11:19
Dochdoch, es gibt ihn, diesen Geist des Weines, der jedes scheinbare Realitätsvermögen auszuschalten in der Lage zu sein scheint. Ich habe es erlebt. Allerdings nur mit außergewöhnlich gutem Wein. Es wird bei Ihnen nicht anders gewesen sein.

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monnemer, Dienstag, 24. Mai 2011, 11:57
Als ich so 17, 18 war, hatte ich auch mal so ein nie mehr wiedererlebtes Geschmackserlebnis.
Der Vater der Freundin tobte später, für die beiden Flaschen hätte er einige Hundert Mark hingelegt.
Der ging aber auch in's Hemd! Ich habe das als magischen Moment in Erinnerung. Und, wie gesagt, so nie mehr erlebt.

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nnier, Dienstag, 24. Mai 2011, 13:18
Dann war er's auch wert. Und immerhin haben Sie ihm nicht noch mit der Bemerkung "Na ja, mit Cola ging's!" das Herz gebrochen.

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vert, Dienstag, 24. Mai 2011, 15:55
haben sie den osoti auch in ihrem weinregal getroffen? dann lassen sie den mal schön da stehen. ich komm mal vorbei, sie mögen den ja eh nicht.

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venice_wolf, Montag, 7. Mai 2012, 16:11
Wenn Sie jetzt nach Südfrankreich kommen, da gibt es einen Sänger der auf Dorffesten, Hochzeiten, Oma Feiern auftritt und dessen Künstlername Carlo Bruno lautet...

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