... neuere Einträge
Dass es Süßwaren gab, auf denen Hitschler stand, kam mir aufgrund naheliegender Namensassoziationen immer ein wenig frivol vor. Das Zeug, es waren alle möglichen Arten von Kaubonbons und -stangen sowie Kaugummis, schmeckte, doch während Hans Riegel aus Bonn so einige Stars aufgebaut hat, wüsste ich keine Hitschler-Süßigkeit, die es vom Promifaktor her auch nur annähernd mit den Bonner Gummibärchen, Lakritzschnecken usw. aufnehmen könnte; recht eigentlich verhält sich Hitschler zu Haribo nicht anders als Wolfgang Lippert zu Thomas Gottschalk.*
Ich hatte einen Mitschüler, dessen Nachname ebenfalls zum Assoziieren einlud, er jedoch drohte jedem schlimme Schläge an, der auch nur darüber nachdachte, eine allzu nahe liegende verbale Operation vorzunehmen und also den einen Buchstaben wegzulassen, der noch für eine allerdings äußerst prekäre Distanz zu einem Begriff aus dem gynäkologischen Bereich sorgte.
Wir hatten zu Hause immer Schreibmaschinen. Ich hielt es für völlig normal, dass man zu Hause eine Schreibmaschine hat. Es waren gute, mechanische Maschinen, die da auf dem elterlichen Schreibtisch standen, sie stammten aus einem Büro, wo sie irgendwann nicht mehr benötigt wurden, und ich war fasziniert von diesen Geräten, schaute der Mechanik zu, begriff nach und nach, wie durch das Absenken des gesamten Innenlebens der große statt des kleinen Buchstabens auf die Walze hämmerte, wenn man die Umschalttaste drückte, betätigte den raffinierten Feststellmechanismus und löste ihn wieder, drückte alle Tasten nacheinander so, dass sich die kleinen Hämmerchen kunstvoll ineinander verhakten und lernte also die Maschine von Grund auf kennen. War ich irgendwo zu Besuch, und es ergab sich die Notwendigkeit, eine Science-Fiction-Geschichte ("Die Abenteuer des Raumschiffs Fluxx") zu verfassen oder auch nur einen Briefumschlag leserlich zu beschriften, dann sprach ich: "Lass uns das doch mit der Schreibmaschine machen, wo ist eure denn?", mit einem ähnlich selbstverständlichen Tonfall, in dem meine Freunde angesichts unseres kleinen, tragbaren Schwarzweißfernsehers im Wohnzimmer fragten: "Wo ist denn euer richtiger Fernseher?", so dass mir damals irgendwann klar wurde, wie unterschiedlich Lebenswelten sein können. Wer weiß, fragte ich mich, ob es am Ende gar Kinder gibt, die keine Hitschler-Bonbons kauen?
"Aha", werden Sie nun sagen, "eine Schreibmaschine haben, aber keinen anständigen Fernseher - klarer Fall, Bildungsbürgertum, Rilke-Lesungen, Klavierstunden und so", und ich behaupte, dass das wieder mal eine Frage der Perspektive ist, denn einerseits traten die Augen meines Mitschülers und Freundes G. fast aus dem Kopf, als er die bescheidene Bücherwand in unserem Flur erblickte, andererseits guckte ich meinerseits manchmal ziemlich groß, wenn in irgendwelchen Häusern große Tasteninstrumente herumstanden oder beim Abendessen ganz selbstverständlich Goethe zitiert wurde.
Ich dagegen zitierte aus Comics, die ich, das muss auch einmal gesagt sein, immerhin las, denn, wie ich verblüfft feststellte, dies war gar nicht selbstverständlich. Ich hatte einen Nachmittag mit meinem Freund A. und einem Stapel Micky-Maus-Hefte im Zimmer verbracht, und regelmäßig hatte es aus seiner Richtung gekichert, so dass ich, als wir später draußen waren, etwas aus einer der Geschichten zitierte in der Annahme, dass er den Zusammenhang kenne - er aber sah mich verständnislos an, und als sich das zwei-, dreimal wiederholt hatte, sagte er: "Ich lese die nicht, ich gucke mir nur die Bilder an."
Möglicherweise war das der Grund dafür, dass nicht er es war, der auf die Idee kam, eine Rundi-und-Halsi-Bude zu errichten, sondern ich. Denn in nicht wenigen Geschichten sieht man Tick, Trick und Track an einem kleinen Stand selbstgemachte Limonade verkaufen. Und wenn man eine Holzbude zimmern, diese mit lauter Rundi-und-Halsi-Aufklebern verzieren und aus dieser heraus köstliche Kaltgetränke feilbieten würde, was könnte es an einem Sommertag eigentlich Schöneres geben? Reich werden würden wir natürlich auch - wenn man sich mal ansah, wie billig so eine Flasche Orangenlimonade war und was man im Restaurant oder im Freibad für ein Glas derselben zahlen musste! Noch billiger in der Herstellung wäre kalter Pfefferminz- oder Früchtetee mit einem Schuss Zitronensaft, die finanziellen Aussichten waren also großartig, nur würde die Bude natürlich stets besetzt sein müssen, und so schrieb ich nachts Einsatzpläne, nachdem ich im Keller die Bretter gesichtet hatte, aus denen das Holzgebäude entstehen sollte.
Ich höre da gerade schon wieder jemanden fragen: "Schön und gut - wer oder was aber sind Rundi und Halsi?" - seit Jahren geht das so! Die sehen mich alle so komisch an und behaupten, so etwas habe es nie gegeben - permanent werde ich so bearbeitet, dabei hat das hat natürlich wieder mit der obskuren Firma Hitschler zu tun. Es gab große Packungen mit gemischter Kauware zu kaufen, deren Rückseite durch einen Aufkleber mit Rundi und Halsi gebildet wurde, zwei krude gezeichneten Figürchen, die sich zu Tick, Trick und Track so verhielten wie Wolfgang Lippert zu Thomas Gottschalk. Aber schauen wir doch mal nach - so eine Firma bietet auf ihren Internetseiten doch sicherlich den üblichen Rückblick in die Firmenhistorie, da werden wir den beiden schon auf die Spur, nicht wahr, dann kann ich es Ihnen ganz einfach beweisen - na, da haben wir's schon, www.hitschler.com, mal schauen - huch!
Hm, dann haben die ihre internationale Seite wohl noch nicht ganz fertig bekommen seit '99, na, es ist ja eine deutsche Firma, dann müssen wir eben die deutsche Seite ... hmm, was liefert die Suchmaschine denn noch? Ah! 213.168.65.58! Recht so, man muss sich ja nicht gleich jedem, nicht wahr, und dann gibt es ja auch noch so etwas wie Datenschutz, nicht jede Firma will ja gleich einfach so im Netz ... ah, da sind wir schon!
Hm. Eine "Büroadresse" - ich weiß ja nicht ... und ob es eine "Ölbergstraße" in Köln gibt, kann ja auch niemand wissen; das muss mir erst mal jemand beweisen. Die Sache wird mysteriös. Ob damals eigentlich alles mit rechten Dingen zugegangen ist? Schließlich kennt niemand außer mir Rundi und Halsi! Ob ich da unwissentlich in etwas hineingeraten bin? Schließlich haben die damals alles getan, um meine geniale Rundi-und-Halsi-idee zu hintertreiben, kamen an mit "Lebensmittelgesetz" und "Gewerbe" und "schließlich bist du erst neun" und solchen Dingen, und nun wollen sie sich nicht dazu bekennen und verbergen sich, aber zum Glück bin ich Computerwissenschaftler und kenne die raffiniertesten Tricks, da hacke ich mich doch mal schnell in das geheime Hitschler-Netz:
Mist, dann eben so:
Verdammt. Dann muss ich meine Leute darauf ansetzen, da im Osten, ich meine: dass hier ausgerechnet das GUS(!)-Portalpaket verwendet wurde, ist ja wohl mehr als deutlich. Mir machen die nichts vor, mir nicht. Huch - schon so spät, ich muss doch meine Tabletten nehmen, schluck, gulp, glugluglu. Ah.
Oh - da sind Sie ja noch, junger Mann. Ich wollte Ihnen ja aus meiner Kindheit erzählen - habe ich eigentlich schon gesagt, dass eine Verwandte meines Freundes A., der hat übrigens die Comics nie gelesen, der hat sich nur die Bilder angeguckt, stellen Sie sich vor!, dass von dem eine Verwandte wohl bei Hitschler gearbeitet hat, das war so eine Süßigkeitenfirma -, ich muss irgendwann mal herausfinden, ob's die noch gibt. Die machten so Kaubonbons usw.; vielleicht arbeitete sie aber auch nicht bei Hitschler, sondern bei einer Firma, die die Verpackungen für die Hitschler-Produkte herstellte. Sie brachte ihm immer so ganze Rollen mit, das waren Fehldrucke, da waren die Farben von Rundi und Halsi dann ein wenig neben die Umrisse gerutscht oder so, aber wir freuten uns immer über die vielen Aufkleber und haben die überall hingeklebt. Und einmal, als wir so eine Getränkebude bauen wollten - ich erzähle das mal in Ruhe - wollten wir die von oben bis unten mit diesen Klebern bepflastern. Aber es ist nie was draus geworden. So, nun will ich aber weiter aufräumen, junger Mann - ah, da ist ja meine alte Schreibmaschine, kennen Sie so etwas überhaupt noch?
--
*"Neulich habe ich gestutzt. Zu Gottschalks 60. Geburtstag war Wolfgang Lippert plötzlich verschwunden [...] Da stand dann, dass Gottschalk 'Wetten, dass?' seit 1987 moderiere, was letztlich stimmt, aber nicht mal fürs Protokoll wird Lipperts Zwischenspiel erwähnt." (Aus einem sowieso interessanten Artikel)
Ich hatte einen Mitschüler, dessen Nachname ebenfalls zum Assoziieren einlud, er jedoch drohte jedem schlimme Schläge an, der auch nur darüber nachdachte, eine allzu nahe liegende verbale Operation vorzunehmen und also den einen Buchstaben wegzulassen, der noch für eine allerdings äußerst prekäre Distanz zu einem Begriff aus dem gynäkologischen Bereich sorgte.
Wir hatten zu Hause immer Schreibmaschinen. Ich hielt es für völlig normal, dass man zu Hause eine Schreibmaschine hat. Es waren gute, mechanische Maschinen, die da auf dem elterlichen Schreibtisch standen, sie stammten aus einem Büro, wo sie irgendwann nicht mehr benötigt wurden, und ich war fasziniert von diesen Geräten, schaute der Mechanik zu, begriff nach und nach, wie durch das Absenken des gesamten Innenlebens der große statt des kleinen Buchstabens auf die Walze hämmerte, wenn man die Umschalttaste drückte, betätigte den raffinierten Feststellmechanismus und löste ihn wieder, drückte alle Tasten nacheinander so, dass sich die kleinen Hämmerchen kunstvoll ineinander verhakten und lernte also die Maschine von Grund auf kennen. War ich irgendwo zu Besuch, und es ergab sich die Notwendigkeit, eine Science-Fiction-Geschichte ("Die Abenteuer des Raumschiffs Fluxx") zu verfassen oder auch nur einen Briefumschlag leserlich zu beschriften, dann sprach ich: "Lass uns das doch mit der Schreibmaschine machen, wo ist eure denn?", mit einem ähnlich selbstverständlichen Tonfall, in dem meine Freunde angesichts unseres kleinen, tragbaren Schwarzweißfernsehers im Wohnzimmer fragten: "Wo ist denn euer richtiger Fernseher?", so dass mir damals irgendwann klar wurde, wie unterschiedlich Lebenswelten sein können. Wer weiß, fragte ich mich, ob es am Ende gar Kinder gibt, die keine Hitschler-Bonbons kauen?
"Aha", werden Sie nun sagen, "eine Schreibmaschine haben, aber keinen anständigen Fernseher - klarer Fall, Bildungsbürgertum, Rilke-Lesungen, Klavierstunden und so", und ich behaupte, dass das wieder mal eine Frage der Perspektive ist, denn einerseits traten die Augen meines Mitschülers und Freundes G. fast aus dem Kopf, als er die bescheidene Bücherwand in unserem Flur erblickte, andererseits guckte ich meinerseits manchmal ziemlich groß, wenn in irgendwelchen Häusern große Tasteninstrumente herumstanden oder beim Abendessen ganz selbstverständlich Goethe zitiert wurde.
Ich dagegen zitierte aus Comics, die ich, das muss auch einmal gesagt sein, immerhin las, denn, wie ich verblüfft feststellte, dies war gar nicht selbstverständlich. Ich hatte einen Nachmittag mit meinem Freund A. und einem Stapel Micky-Maus-Hefte im Zimmer verbracht, und regelmäßig hatte es aus seiner Richtung gekichert, so dass ich, als wir später draußen waren, etwas aus einer der Geschichten zitierte in der Annahme, dass er den Zusammenhang kenne - er aber sah mich verständnislos an, und als sich das zwei-, dreimal wiederholt hatte, sagte er: "Ich lese die nicht, ich gucke mir nur die Bilder an."
Möglicherweise war das der Grund dafür, dass nicht er es war, der auf die Idee kam, eine Rundi-und-Halsi-Bude zu errichten, sondern ich. Denn in nicht wenigen Geschichten sieht man Tick, Trick und Track an einem kleinen Stand selbstgemachte Limonade verkaufen. Und wenn man eine Holzbude zimmern, diese mit lauter Rundi-und-Halsi-Aufklebern verzieren und aus dieser heraus köstliche Kaltgetränke feilbieten würde, was könnte es an einem Sommertag eigentlich Schöneres geben? Reich werden würden wir natürlich auch - wenn man sich mal ansah, wie billig so eine Flasche Orangenlimonade war und was man im Restaurant oder im Freibad für ein Glas derselben zahlen musste! Noch billiger in der Herstellung wäre kalter Pfefferminz- oder Früchtetee mit einem Schuss Zitronensaft, die finanziellen Aussichten waren also großartig, nur würde die Bude natürlich stets besetzt sein müssen, und so schrieb ich nachts Einsatzpläne, nachdem ich im Keller die Bretter gesichtet hatte, aus denen das Holzgebäude entstehen sollte.
Ich höre da gerade schon wieder jemanden fragen: "Schön und gut - wer oder was aber sind Rundi und Halsi?" - seit Jahren geht das so! Die sehen mich alle so komisch an und behaupten, so etwas habe es nie gegeben - permanent werde ich so bearbeitet, dabei hat das hat natürlich wieder mit der obskuren Firma Hitschler zu tun. Es gab große Packungen mit gemischter Kauware zu kaufen, deren Rückseite durch einen Aufkleber mit Rundi und Halsi gebildet wurde, zwei krude gezeichneten Figürchen, die sich zu Tick, Trick und Track so verhielten wie Wolfgang Lippert zu Thomas Gottschalk. Aber schauen wir doch mal nach - so eine Firma bietet auf ihren Internetseiten doch sicherlich den üblichen Rückblick in die Firmenhistorie, da werden wir den beiden schon auf die Spur, nicht wahr, dann kann ich es Ihnen ganz einfach beweisen - na, da haben wir's schon, www.hitschler.com, mal schauen - huch!
Hm, dann haben die ihre internationale Seite wohl noch nicht ganz fertig bekommen seit '99, na, es ist ja eine deutsche Firma, dann müssen wir eben die deutsche Seite ... hmm, was liefert die Suchmaschine denn noch? Ah! 213.168.65.58! Recht so, man muss sich ja nicht gleich jedem, nicht wahr, und dann gibt es ja auch noch so etwas wie Datenschutz, nicht jede Firma will ja gleich einfach so im Netz ... ah, da sind wir schon!
Hm. Eine "Büroadresse" - ich weiß ja nicht ... und ob es eine "Ölbergstraße" in Köln gibt, kann ja auch niemand wissen; das muss mir erst mal jemand beweisen. Die Sache wird mysteriös. Ob damals eigentlich alles mit rechten Dingen zugegangen ist? Schließlich kennt niemand außer mir Rundi und Halsi! Ob ich da unwissentlich in etwas hineingeraten bin? Schließlich haben die damals alles getan, um meine geniale Rundi-und-Halsi-idee zu hintertreiben, kamen an mit "Lebensmittelgesetz" und "Gewerbe" und "schließlich bist du erst neun" und solchen Dingen, und nun wollen sie sich nicht dazu bekennen und verbergen sich, aber zum Glück bin ich Computerwissenschaftler und kenne die raffiniertesten Tricks, da hacke ich mich doch mal schnell in das geheime Hitschler-Netz:
Mist, dann eben so:
Verdammt. Dann muss ich meine Leute darauf ansetzen, da im Osten, ich meine: dass hier ausgerechnet das GUS(!)-Portalpaket verwendet wurde, ist ja wohl mehr als deutlich. Mir machen die nichts vor, mir nicht. Huch - schon so spät, ich muss doch meine Tabletten nehmen, schluck, gulp, glugluglu. Ah.
Oh - da sind Sie ja noch, junger Mann. Ich wollte Ihnen ja aus meiner Kindheit erzählen - habe ich eigentlich schon gesagt, dass eine Verwandte meines Freundes A., der hat übrigens die Comics nie gelesen, der hat sich nur die Bilder angeguckt, stellen Sie sich vor!, dass von dem eine Verwandte wohl bei Hitschler gearbeitet hat, das war so eine Süßigkeitenfirma -, ich muss irgendwann mal herausfinden, ob's die noch gibt. Die machten so Kaubonbons usw.; vielleicht arbeitete sie aber auch nicht bei Hitschler, sondern bei einer Firma, die die Verpackungen für die Hitschler-Produkte herstellte. Sie brachte ihm immer so ganze Rollen mit, das waren Fehldrucke, da waren die Farben von Rundi und Halsi dann ein wenig neben die Umrisse gerutscht oder so, aber wir freuten uns immer über die vielen Aufkleber und haben die überall hingeklebt. Und einmal, als wir so eine Getränkebude bauen wollten - ich erzähle das mal in Ruhe - wollten wir die von oben bis unten mit diesen Klebern bepflastern. Aber es ist nie was draus geworden. So, nun will ich aber weiter aufräumen, junger Mann - ah, da ist ja meine alte Schreibmaschine, kennen Sie so etwas überhaupt noch?
--
*"Neulich habe ich gestutzt. Zu Gottschalks 60. Geburtstag war Wolfgang Lippert plötzlich verschwunden [...] Da stand dann, dass Gottschalk 'Wetten, dass?' seit 1987 moderiere, was letztlich stimmt, aber nicht mal fürs Protokoll wird Lipperts Zwischenspiel erwähnt." (Aus einem sowieso interessanten Artikel)
Link zu diesem Beitrag (0 Kommentare) | Kommentieren [?]
Saragossa
Saragossa
Dort wo der Sommer daheim ist.
(Rex Gildo: Saragossa, M: Siegel, T: Meinunger)
Machu Picchu
Machu Picchu
Dort wo das Schweigen daheim ist.
(Dschingis Khan: Machu Picchu, M: Siegel, T: Meinunger)
Gott, nicht wieder so ein Gelaber. Worum es hier eigentlich gehen soll, ist Fußball, aber den Umweg über Bernd Meinunger müssen wir schon noch nehmen, den Texter, der so textete wie Ralph Siegel komponierte, und wenn man jemals eine alte Schlagerplatte in den Händen hatte, ist die Chance sehr groß, dass man dort auf das Gespann M: Siegel, T: Meinunger gestoßen ist, deren Krea- wohl nicht immer mit ihrer Produktivität Schritt halten konnte.
Ich hatte in meiner näheren Verwandtschaft eine Person, die der Gruppe Dschingis Khan auch dann noch die Treue hielt, als die Glanzzeiten (Er zeugte sieben Kinder / In einer Nacht) längst passé waren, und die also auch die späteren Langspielplatten bis Mitte der 80er stets treu erwarb. Nur dadurch kommt es, dass ich heute manchmal morgens Menschen nerve, indem ich mit übernächtigter Stimme über dem Müsliteller "Captain, Captain Nemo! Captain, Captain Nemo!" skandiere oder auch mal durchs Haus laufe und Kinder erschrecke, indem ich unvermittelt und lauthals lossinge: "Zwanzigtausend Meilen, tief am Grund des Meeres, Nautilus so heißt sein Schiff! Meeresungeheuer, Tiefseeabenteuer, unten am Korallenriff!"
Das allerdings ist eine für Herrn Meinunger eher untypische Themenwahl, denn eigentlich musste es doch, hu!, ha!, um raufende, saufende Brüder in den Steppen, edle Wilde oder grausame Herrscher gehen.
Du bist ein Schuft, selbst wenn es aus ist mit dir, lügst du noch,Rünstig sind sie alle, diese fremden Völker, das wusste schon Karl May aus eigener Erfahrung, und auch Bernd Meinunger ist offenbar weit herumgekommen in der Welt. Auch über, oh là là!, das Wesen der Liebe, ihre verschiedenen Facetten (Liebe als intersubjektive Anerkennung, als seelisch-geistiges Prinzip etc. pp, man kennt das ja) hat er sich intensiv Gedanken gemacht und kam zu dem Ergebnis, dass die Frauen eh überall gleich sind:
Du Feigling! Verräter! Du Feigling! Verräter!
Nenn uns die Frau, für die du das alles tust, zieht ihn hoch!
Zieht ihn hoch! Zieht ihn hoch! Zieht ihn hoch!
Du Feigling! Verräter! Du Feigling! Verräter!
(Dschingis Khan: Der Verräter, M: Siegel, T: Meinunger)
Und jedes Weib, das ihm gefiel, das nahm er sich in sein Zelt (Ha! Hu! Ha!)Nun wusste ich zum Glück bescheid, und wer weiß, wie mein Leben sonst verlaufen wäre. Wussten Sie übrigens, dass auch Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit von Dschingis Khan, dem erfolgreichsten Alphamännchen der Geschichte, abstammen? Sie brauchen sich bloß mal Ihr Y-Chromosom anzusehen!
Es hieß, die Frau, die ihn nicht liebte, gab es nicht auf der Welt (Ha! Hu! Ha!)
(Dschingis Khan: Dschingis Khan, M: Siegel, T: Meinunger)
Rein phänomenologisch betrachtet blieb dennoch die Frage: Wenn sich zwei Herzen finden, woher kommt'n das eigentlich? Und diese gerade auch für einen Heranwachsenden wichtige Frage, um hier endlich mal den Bogen zur schönsten Nebensache der Welt zu bekommen, oh, ich bitte um Entschuldigung, diese Formulierung hätte ich niemals verwenden dürfen, ich meine: wir schreiben das Jahr 2010, da kann man doch nicht ankommen und sagen: "Die schönste Nebensache der Welt", jedenfalls wurde diese Frage damals von Karl-Heinz Rummenigge, Paul Breitner, Klaus Fischer, Horst Hrubesch et al. folgendermaßen beantwortet:
Es kommt vom Vino und vom FlamencoDiesen großartigen Hit sang man damals auf den Schulhöfen, und wer zwar nie genug Geld für die Klassenfahrt hatte, aber dafür stets die teuren Nike-Schuhe trug, der besaß auch die unfassbar teure Cassette mit Michael Schanze und der deutschen Fußballnationalmannschaft (Gaststar: Lena Valaitis), die man dann mit den überall herumstehenden Cassettenrecordern anhörte, bis sich die Lieder so tief ins Hirn fraßen, dass man auch heute noch locker Kinder traumatisieren könnte, indem man sie mit Dingen wie "Ja, heut spielt Buda gegen Pest / Und wer verliert, der traut sich nicht mehr nach Haus" konfrontiert, oder indem man Geiseln nimmt und sich an der Gesellschaft dafür rächt, dass seit 28 Jahren folgender Schmonzens nicht aus dem Gedächtnis getilgt werden kann:
Von den Canciones und von Amor.
(Michael Schanze und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft: Olé España, M: Siegel, T: Meinunger)
Kinder Kinder KinderEs machte übrigens großen Eindruck auf uns Kinder, mit welchem Enthusiamus Felix Magath und Hans-Peter Briegel, Klaus Fischer und Karl-Heinz Förster, Uli Stielike und Eike Immel, Manni Kaltz und Jupp Derwall drauflosschmetterten:
Wir warn alle mal Kinder
Und ein Kind das braucht Liebe
Damals so wie heut
(Michael Schanze und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft: Kinder Kinder Kinder, M: Siegel, T: Meinunger)
Man merkte bei jeder Silbe, dass das nicht so eine blöde Kommerzgeschichte war, nicht irgendwie aufgesetzt und künstlich, sondern dass Musik da wirklich gelebt wurde und eine innere Begeisterung geradezu leuchtete, warten Sie, hier sieht man's eigentlich noch besser:
So konnte man junge Menschen nicht nur für den Fußball, sondern auch fürs gemeinsame Singen begeistern, und das war doch gerade in dieser Zeit und sollte man eigentlich auch heute, oder doch, oder nicht.
Man achte übrigens auf Felix Magath und Ronald Borchers. Sollte es irgendwann zu einer mysteriösen Mordserie an Ralph Siegel und Bernd Meinunger kommen, würde ich mir diese beiden Herren mal genauer ansehen. Ich will nichts gesagt haben.
(Aus der Serie: Stream-of-Consciousness-Blogging)
Link zu diesem Beitrag (10 Kommentare) | Kommentieren [?]
Schiedsrichter haben's schwer, darüber herrscht hier weitgehende Einigkeit, und ich bin immer wieder gerührt, wie zivilisiert und unaufgeregt es bei den Mädchenfußballspielen zugeht. Schließlich stehen da auch in der Rolle des "Unparteiischen" oft junge und unerfahrene, z.T. auch unsichere Menschen auf dem Platz, die erst mal ihre Erfahrungen sammeln müssen. Und überhaupt bin ich, wie ich sicher schon mal anmerkte, äußerst angenehm überrascht davon, wie wenig verbissen die meisten Eltern sind, so dass man sich auch mit den Begleitern der gegnerischen Mannschaft entspannt unterhalten und unabhängig vom Spielergebnis immer freundlich auseinandergehen kann.
Fährt man beispielsweise mal wieder
Ja - die Schiedsrichter haben nicht unerheblichen Anteil am Zustandekommen und Gelingen eines solchen Turniers, das ist hier jedem klar, und ein wenig verständnislos erinnert man sich deshalb an Kampagnen wie jene aus den 80er Jahren: Sei fair zum 23. Mann! Ohne Schiri geht es nicht. Ist denn so etwas nicht selbstverständlich? Niemand ist ohne Fehl, und der Schüler, der das Halbfinale pfeift, ich meine: gut, er kann nicht alles sehen, und das Foul da eben hätte er aber pfeifen müssen! Mann! Die hat den Arm da schon wieder draußen, das gibt's doch nicht, sonst ist unsere doch durch und rennt alleine aufs Tor zu! Und statt dessen greifen jetzt die anderen an, oh, aufpassen, Lattenknaller! - Uff, zum Glück nur vor die Linie, he he, ich sag nur: Wembley, he he, WAAS? TOR? EY! SCHIRI! EY! SCHIRIII! DAS GIBT'S DOCH NICHT! EY! DER WAR NIE DRIN! DAS KANN DOCH NICHT WAHR SEIN! EY! DER BALL SPRINGT DOCH NACH VORNE WEG! EYYY! DAS WAR NIE EIN TOR! NIE! WAS IST DAS DENN! EY! ICH FASS ES NICHT! DAS KANNST DU DOCH NICHT MACHEN! DAS HAT JEDER GESEHEN! JEDER! EY! MANN! DAS KANN DOCH NICHT DEIN ERNST SEIN! EY! SCHIRIII!, und da diese Argumente erstens objektiv richtig waren und zwei-, doch, die anderen Eltern sollen still sein, die haben keine Ahnung, da diese Argu-, doch, die haben keine Ahnung, haben die! Keine! Und vorher die Fouls hat er auch schon nicht gepfiffen! Unsere ist da doch durch und macht das Tor, wenn eure nicht schon wieder den Arm raus- ach, wenn man keine Ahnung hat, sollte man lieber - bitte, gut, dann habe ich keine Ahnung, schon klar, wenn also diese Argumente erstens objektiv richtig waren und zweites den Schiedsrichter dazu bringen, seine Fehlentscheidung noch mal zu überdenken und das sogenannte in Anführungsstrichen Tor doch nicht zu geben, dann gewinnt man so ein Spiel schließlich hochverdient und steht im Finale. Die paar protestierenden Eltern ("Unmöglich ist das von euch! Unmöglich! Den Schiri so unter Druck zu setzen! Der hatte das Tor gegeben!") lächelt man fröhlich an, erklärt noch einmal, dass das aber ganz objektiv kein Tor war, geht kurz zum Auto und freut sich aufs Endspiel.
Kommt man dann zurück und die beiden Mannschaften stehen schon wieder auf dem Platz, dann ahnt man, dass etwas passiert sein muss. "Das Spiel wird wiederholt", wird einem triumphierend entgegengeschleudert, "wir haben uns bei der Turnierleitung beschwert!", und irgendwo ganz tief drinnen denkt man, dass das wohl auch richtig ist. Eine Tatsachenentscheidung darf nun mal nicht zurückgenommen werden. Und so war das ja auch nicht gedacht gewesen, man muss doch aber irgendwie seinen Unmut loswerden, und das war doch nun definitiv eine krasse Fehlentschei-, ja, natürlich, der war nie und nimmer drin! Der knallt an die Latte und landet vor der Torlinie, springt dann wieder zurück ins Feld, das ist doch schon physikalisch - JAAAAAH! JAAAAAAAAAH TOOOOOOOOOOOR! He, he. Dann gewinnen sie eben nochmal. He he. Damit auch alles seine Ordnung hat, he he. Ich hätte mich ja nicht beschwert bei der Turnierleitung, ich finde das irgendwie peinlich, aber gut, he he, dann gewinnen sie jetzt eben ganz regulär noch mal, he he, das Spiel ist gleich vorbei, und ganz ehrlich: eure haben auch nicht schlecht ge - HAU IHN WEG! HAU DEN BALL WEG! SCHIESS IHN EINFACH INS AUS! PASS AUF! NEIIIIIN! NEIIIIIIN!
Das Elfmeterschießen gewannen die anderen, und dann auch das Endspiel. Ich meine, ich gönne das denen, und man kann ja nicht immer gewinnen. Dritter Platz ist doch super! Und, hey, dass ihr überhaupt noch angetreten seid beim Spiel um den dritten Platz - nach dem Elfmeterschießen dachte ich ja, ihr steht nie wieder auf. Ist doch toll, dass ihr dann noch so gut gespielt habt. Ihr werdet immer besser. Man kann ja nicht immer gewinnen. Aber das war nie ein Tor, nie und nimmer!
Link zu diesem Beitrag (5 Kommentare) | Kommentieren [?]
Externer Tinnitus. Angriff der furzenden Riesenhornissen. Ich muss die WM-Spiele ohne Ton ansehen. Dieses Scheißgeräusch!
Lautstärken von 120 Dezibel können erreicht werden.Dürfte ich um etwas Ruhe bitten? Ich verstehe mein eigenes Alphorn nicht! Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen vor den Tanker geschwommen bin. Ich konnte Ihr Nebelhorn nicht hören. Ein Luftangriff, sagen Sie? Die Ju 87 habe ich glatt überhört.
Link zu diesem Beitrag (16 Kommentare) | Kommentieren [?]
Während manchen Fernseh- und Gebrauchskomponisten längst die wohlverdiente Anerkennung zuteil wird, warten andere noch auf Rehabilitation. Geradezu verrufen scheinen die Herren Amper und Strittmatter bzw. ihre Werke, die ja immerhin Musik zu Serien wie Western von gestern, Die schnellste Maus von Mexiko, Der rosarote Panther sowie diversen Dick & Doof - Varianten abgeliefert haben. Und es ist mir vollkommen gleich, ob diese Soundtracks irgendwas mit dem Original zu tun haben oder nicht.
Seit Ewigkeiten versuche ich immer mal wieder, an eine brauchbare Aufnahme der wunderschönen Kimba-Hintergrundmusik zu gelangen. Aber einzig das Titellied ist auf diversen Sammlungen mit "TV-Hits" zu bekommen. Dabei gehört die instrumentale Begleitmusik zum Schönsten, was hierzulande fürs TV komponiert und eingespielt wurde. (Falls es Sie interessiert: Wenn man sucht, kann man derzeit offenbar alle möglichen Folgen dieser Zeichentrickserie ansehen, darin sind die verschiedenen Melodien auch immer wieder zu hören.)
Im Gegensatz zu Herrn Bruhn haben Amper und Strittmatter anscheinend keine Homepage, einen Wikipedia-Eintrag gibt es auch nicht - ja, Mensch, leben die denn überhaupt noch, gibt es denn keine Erben, Musikverlage oder sonst jemanden, der diese großartigen Aufnahmen veröffentlichen will? Irgendwo müssen die doch noch sein! Bitte! Kann mir vielleicht jemand weiterhelfen?
Seit Ewigkeiten versuche ich immer mal wieder, an eine brauchbare Aufnahme der wunderschönen Kimba-Hintergrundmusik zu gelangen. Aber einzig das Titellied ist auf diversen Sammlungen mit "TV-Hits" zu bekommen. Dabei gehört die instrumentale Begleitmusik zum Schönsten, was hierzulande fürs TV komponiert und eingespielt wurde. (Falls es Sie interessiert: Wenn man sucht, kann man derzeit offenbar alle möglichen Folgen dieser Zeichentrickserie ansehen, darin sind die verschiedenen Melodien auch immer wieder zu hören.)
Im Gegensatz zu Herrn Bruhn haben Amper und Strittmatter anscheinend keine Homepage, einen Wikipedia-Eintrag gibt es auch nicht - ja, Mensch, leben die denn überhaupt noch, gibt es denn keine Erben, Musikverlage oder sonst jemanden, der diese großartigen Aufnahmen veröffentlichen will? Irgendwo müssen die doch noch sein! Bitte! Kann mir vielleicht jemand weiterhelfen?
Link zu diesem Beitrag (4 Kommentare) | Kommentieren [?]
Mein Herz wurde früh gebrochen. In der Grundschule hatte ich einen japanischen Mitschüler, T., dessen Vater beim Max-Planck-Institut arbeitete. T. sprach wohl nicht besonders gut Deutsch, aber aus irgendeinem Grund verstand ich ihn problemlos. Ich erinnere mich, dass ich einige Male sozusagen übersetzen musste, was T. gesagt hatte - dabei kam es mir so klar vor: Wenn er z.B. fragte "Kannst du zu mir", dann klang das "Kannst" etwa so, wie man das Fantasiewort "canste" auf Französisch aussprechen würde, also irgendwie nasaliert - ansonsten sah ich kein Problem und freute mich, ihm nützlich sein zu können; auch sprach er oft sehr leise, was zu seiner zurückhaltenden Art passte, während ich gelegentlich heiser von der Schule nach Hause kam.
T. hatte zwei Brüder, einen jüngeren und einen älteren, die fast genau so hießen wie er, lediglich durch minimale Vokalvertauschungen unterschieden sich die drei Vornamen. Den ersten Teil des Nachhausewegs gingen T. und ich oft gemeinsam, und manchmal traute ich mich, den nicht ganz öffentlichen Weg über das Max-Planck-Gelände mitzugehen, wo man auf einem niedrigen Metallzaun entlangbalancieren konnte oder eigentlich musste.
Bei aller japanischen Bescheidenheit merkte man, wie ehrgeizig T. war, und da ich auch gerne rechnete, lieferten wir uns begeistert mathematische Wettbewerbe. Wir hetzten durch die Aufgabenzettel, um als erster "fertig!" rufen zu können und stellten nebenbei noch beeindruckende Rechnungen auf. So schrieben wir z.B. jeder eine karierte Heftseite voll mit Gleichungen folgender Art:
100000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 - 9999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999 = 1
Das fand in einer großen Pause statt und musste natürlich entschieden werden. "Gleichstand", behauptete ich, da wir gleichviele Zeilen verbraucht hatten, das begeisterte Publikum ("Könnt ihr aber gut rechnen!") allerdings entschied am Ende gegen mich: "Du hast in jedes Kästchen nur eine Null geschrieben, bei T. sind die viel enger zusammen!"
Eine gemeinsame Leidenschaft war auch die Fernsehserie Kimba, der weiße Löwe. Mir ist erst später klargeworden, wie populär diese Serie dort gewesen ist und wie alt sie damals aus japanischer Sicht schon war. T. besaß drei Folgen der Hörspielcassetten, und ich lieh sie mir begeistert aus. Diese Cassetten kosteten bei Karstadt unerschwingliche 12,50 DM, und es dauerte lange, bis ich auch welche bekam (ich besitze sie heute noch und kann die meisten Folgen mitsprechen.)
Aber da war er schon nicht mehr da, denn das Unglück brach am Ende der zweiten Klasse herein. "Der T. geht zurück nach Japan", verkündete unser Lehrer, Herr R., eines Tages, und mir stieg das Wasser in die Augen. Auch Herr R. mochte T. ganz besonders gerne, das merkte man, und hatte sich gleich zu Anfang einen sehr netten Kurz- oder auch Kosenamen für ihn ausgedacht, den dann auch alle verwendeten. In diesem Sommer spielten wir noch sehr viel miteinander, und immer öfter lieh ich mir sein orangefarbenes Klapprad aus, ein tolles Gefährt, das über eine Rücktritt-Zweigangschaltung verfügte, während T. freiwillig auf meinem immer kleiner werdenden Kinderfahrrad herumfuhr. Es gibt Fotos aus diesen Tagen, auf denen man uns im Garten spielen sieht, und ich weiß noch, wie schlimm es für mich war, wenn mir zwischendurch einfiel, dass das bald vorbeisein würde.
An einem der letzten Tage vor den Ferien kam T. mit seinem Vater zur Schule, sie hatten Süßigkeiten dabei und verteilten diese, mir war elend in dem Trubel und ich griff mir die größte Süßigkeit, die es an unserem Tisch gab, einen Fritt-Streifen, obwohl T. ihn gerne selber gehabt hätte. Der Vater machte Fotos, sie schickten mir später eines mit dem ersten Brief aus Japan, darauf sehe ich bleich und unglücklich aus.
Vor der Abreise, in den Sommerferien, kamen sie noch mal bei uns vorbei und verabschiedeten sich. Das orange Fahrrad ließen sie mir da.
T. hatte zwei Brüder, einen jüngeren und einen älteren, die fast genau so hießen wie er, lediglich durch minimale Vokalvertauschungen unterschieden sich die drei Vornamen. Den ersten Teil des Nachhausewegs gingen T. und ich oft gemeinsam, und manchmal traute ich mich, den nicht ganz öffentlichen Weg über das Max-Planck-Gelände mitzugehen, wo man auf einem niedrigen Metallzaun entlangbalancieren konnte oder eigentlich musste.
Bei aller japanischen Bescheidenheit merkte man, wie ehrgeizig T. war, und da ich auch gerne rechnete, lieferten wir uns begeistert mathematische Wettbewerbe. Wir hetzten durch die Aufgabenzettel, um als erster "fertig!" rufen zu können und stellten nebenbei noch beeindruckende Rechnungen auf. So schrieben wir z.B. jeder eine karierte Heftseite voll mit Gleichungen folgender Art:
100000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000000 - 9999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999999 = 1
Das fand in einer großen Pause statt und musste natürlich entschieden werden. "Gleichstand", behauptete ich, da wir gleichviele Zeilen verbraucht hatten, das begeisterte Publikum ("Könnt ihr aber gut rechnen!") allerdings entschied am Ende gegen mich: "Du hast in jedes Kästchen nur eine Null geschrieben, bei T. sind die viel enger zusammen!"
Eine gemeinsame Leidenschaft war auch die Fernsehserie Kimba, der weiße Löwe. Mir ist erst später klargeworden, wie populär diese Serie dort gewesen ist und wie alt sie damals aus japanischer Sicht schon war. T. besaß drei Folgen der Hörspielcassetten, und ich lieh sie mir begeistert aus. Diese Cassetten kosteten bei Karstadt unerschwingliche 12,50 DM, und es dauerte lange, bis ich auch welche bekam (ich besitze sie heute noch und kann die meisten Folgen mitsprechen.)
Aber da war er schon nicht mehr da, denn das Unglück brach am Ende der zweiten Klasse herein. "Der T. geht zurück nach Japan", verkündete unser Lehrer, Herr R., eines Tages, und mir stieg das Wasser in die Augen. Auch Herr R. mochte T. ganz besonders gerne, das merkte man, und hatte sich gleich zu Anfang einen sehr netten Kurz- oder auch Kosenamen für ihn ausgedacht, den dann auch alle verwendeten. In diesem Sommer spielten wir noch sehr viel miteinander, und immer öfter lieh ich mir sein orangefarbenes Klapprad aus, ein tolles Gefährt, das über eine Rücktritt-Zweigangschaltung verfügte, während T. freiwillig auf meinem immer kleiner werdenden Kinderfahrrad herumfuhr. Es gibt Fotos aus diesen Tagen, auf denen man uns im Garten spielen sieht, und ich weiß noch, wie schlimm es für mich war, wenn mir zwischendurch einfiel, dass das bald vorbeisein würde.
An einem der letzten Tage vor den Ferien kam T. mit seinem Vater zur Schule, sie hatten Süßigkeiten dabei und verteilten diese, mir war elend in dem Trubel und ich griff mir die größte Süßigkeit, die es an unserem Tisch gab, einen Fritt-Streifen, obwohl T. ihn gerne selber gehabt hätte. Der Vater machte Fotos, sie schickten mir später eines mit dem ersten Brief aus Japan, darauf sehe ich bleich und unglücklich aus.
Vor der Abreise, in den Sommerferien, kamen sie noch mal bei uns vorbei und verabschiedeten sich. Das orange Fahrrad ließen sie mir da.
Link zu diesem Beitrag (8 Kommentare) | Kommentieren [?]
... hier geht's zu den --> älteren Einträgen *
* Ausgereift und gut abgehangen, blättern Sie zurück!
* Ausgereift und gut abgehangen, blättern Sie zurück!