Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Donnerstag, 4. März 2010
Bogosock
nnier | 04. März 2010 | Topic In echt
Wenn man das Programmieren lernt, geht es früher oder später um das Sortieren von Elementen. Denn daran lässt sich prima üben, wie man größere Fragestellungen auf einfache Teilprobleme zurückführt, und ein paar grundlegende Programmstrukturen wie z.B. Verzweigungen (wenn - dann) oder Schleifen (so lange, bis) bimst man gleich mit. Stellen wir uns also mal eine Menge von vergleichbaren Elementen vor, z.B. ganze Zahlen, die zufällig gemischt vorliegen und aufsteigend sortiert werden sollen.



Da gibt es einen Sortieralgorithmus namens Bubblesort, der geht so: Fang ganz vorne an, vergleiche das erste Element mit dem zweiten. Ist das erste größer als das zweite, dann vertausche die beiden, andernfalls tue nichts. Dann gehe einen Schritt weiter, vergleiche das zweite mit dem dritten und so fort bis zum Ende der Liste - host mi.

Am Ende dieses ersten Durchgangs haben wir was? Sie da hinten? Jawoll, wir haben das größte Element am Ende der Liste. Nur das ist sicher. Deshalb fangen wir wieder von vorne an. Und Sie ahnen schon, warum der Algorithmus "Bubblesort" heißt: Weil die Elemente darin nach oben steigen wie die Perlen im Sektglas.



Jetzt höre ich die ganz vorlauten unter Ihnen schon quaken: "Ja, aber man kann den Algorithmus noch verbessern, man muss ja gar nicht jedes Mal bis ganz zum Ende laufen, weil nämlich beim zweiten Durchgang ist ja vorher schon klar, dass das letzte Element das größte ist, also braucht man da nur noch bis zum vorletzten zu laufen und dann nur bis zum drittletzten und so weiter."

Ihnen sei gesagt: Erstens haben Sie recht, zweitens sind Leute wie Sie tendenziell unbeliebt, ich spreche da aus leidvoller Erfahrung. Die einen jedenfalls verbessern schon Algorithmen, während die anderen ganz verstockt auf den Tisch starren und irgendwann in vorwurfsvoll-pampigem Ton fragen: "Und wozu brauche ich das? Wozu soll ich überhaupt Zahlen sortieren, und dann noch so umständlich? Ich verstehe das alles nicht."

Es macht dann wenig Vergnügen, solchen Menschen auch noch den Quicksort darzulegen, denn dieser ist weniger anschaulich zu beschreiben und dazu noch rekursiv. Die Rekursion, einerseits ganz zauberhaft, ist andererseits auch ein wenig unheimlich, denn wenn eine Funktion sich selber aufruft, na, das passt nicht so einfach in unser begrenztes, lineares Denken. Aber versuchen wir's, auch wenn mich Ihre verstockten Gesichter nicht gerade zuversichtlich stimmen. Wir haben wieder eine Liste von zufällig gemischten Zahlen. Wir denken uns eine Zahl als Grenzstein aus und zerhacken die ursprüngliche Liste in zwei Teile. Alles, was kleiner als der Grenzstein ist, kommt in die linke Liste, und was größer als der Grenzstein ist, kommt in die rechte Liste. Dann zerhacken wir jede dieser Teillisten wiederum auf die gleiche Weise und immer so weiter. Am Ende ist alles sortiert - ist doch logisch, oder? Und wenn Sie jetzt noch wissen wollen, was mit Elementen ist, die genau so groß sind wie der Grenzstein oder andere Schlaumeierfragen stellen wollen, dann wenden Sie sich an ihn hier vorne, der weiß ja eh alles besser und ich geh erst mal eine rauchen.



Gott - manche Teilnehmer sind echt anstrengend. Ich meine (hat mal jemand Feuer), die dummen sind anstrengend, das macht auch keinen Spaß, da redest du gegen die Wand, aber diese superschlauen, die alles besser wissen und gleich am Anfang mit Ideen ankommen - nee, do. Am besten sind so durchschnittlich bis leicht überdurchschnittlich interessierte und begabte Teilnehmer, man merkt die Fortschritte, aber die lassen einen in Ruhe erklären und stellen nicht permanent diese oberschlauen Fragen. Na, gehen wir wieder rein.

Was man jedenfalls auch gut sortieren kann: Socken. Es bleiben ja stets ein paar einzelne übrig, dagegen lässt sich einfach nichts machen, und alle paar Monate schütte ich die auf einen Haufen. Hier sehen Sie z.B. den Haufen, wie er sich heute darstellte, nachdem ich bereits etwa 35 Paar Socken wiedervereint und ihrer eigentlichen Verwendung zugeführt habe - dies also ist der harte Kern, dies sind die überzeugten Single-Socken:



Eine besondere Herausforderung sind die schwarzen. Denn auch wenn man sagen könnte: Schwarz ist Schwarz - Sie glauben ja nicht, wie viele unterschiedliche Schwarztöne es gibt, und der eine Stoff ist doch ein wenig dünner als der andere, bzw. hat eine andere Struktur, bzw. der Sockenschaft ist etwa 1 cm kürzer! Und wenn Sie dennoch zu der oberflächlichen Auffassung "Sieht eh kein Mensch" neigen, dann lassen Sie sich bitte gesagt sein: Sobald man zwei nicht ganz sicher zusammengehörende Socken zu einem "Paar" zusammenfügt, verhindert man effektiv, dass die jeweiligen tatsächlichen Partner auch nur den Hauch einer Chance haben, jemals wieder zueinander zu finden. Es kann also nicht nur darum gehen, möglichst viele Einzelsocken zu Paaren zusammenzufügen, drum prüfe, wer sich ewig bindt, ob sich nicht noch was Bessres findt, will sagen: Dann sind da halt noch ein paar einzelne, wir haben doch extra diese einen Meter breite Schublade, dann müssen die da eben noch auf die Zusammenführung warten, das mit der Wiedervereinigung dauerte doch auch seine Zeit und ging dann plötzlich ganz schnell.

Irgendwann allerdings ist durchaus zu überlegen, was man mit den hartnäckigen Restanten so anfängt. Ich weiß übrigens nicht, ob es das Wort "Restanten" tatsächlich gibt, ich hörte es erstmals im Jahre 2006 aus dem Munde eines Aquarienbesitzers, aber das führt jetzt zu weit. Man muss allerdings anmerken, dass das Wort irgendwie plausibel klingt, denn auf Französisch heißt "rester" ja nichts anderes als "bleiben", und von daher.

(Finden Sie eigentlich auch, dass es geradezu unverschämt ist, einen Satz mit "und von daher" zu beenden? Daraus spricht doch die pure Denk- und Formulierungsfaulheit.)

Die übriggebliebenen Socken jedenfalls lassen sich prima weiterverarbeiten. Ich zum Beispiel fertige regelmäßig Schlangen daraus. Ja, regelmäßig - einmal 1978 und dann wieder 2010, mithin also alle 32 Jahre ist es soweit, dass ich einzelne Socken heranziehe, um daraus Schlangen zu basteln. Und wohl dem, der über einen so reichlichen Fundus verfügt! Da kann man dann auch mal einen wirklich schönen gestreiften hernehmen, oder diesen braunen da mit den orangegelben Rosen, der nun schon seit Jahren einzeln in der Schublade herumliegt. Und dann braucht man bloß noch etwas Pappe und Klebstoff, nicht wahr, und kann zusammen mit seinen Kindern aus ausrangierten Gegenständen noch etwas wirklich Sinnvolles herstellen, denn so ein paar Schlangen, die kann man immer mal gebrauchen.



P.S.: "Wie - du hast meinen braunen Socken mit den orangegelben Rosen genommen!? Spinnst du!? Das finde ich jetzt total doof von dir! Der andere taucht bestimmt noch auf!!"

P.P.S.: "Hier, Papa, guck mal! Da ist ja doch noch genau so ein geringelter Socken!"

P.P.P.S.: Der schönste Sortieralgorithmus heißt übrigens Bogosort. Er funktioniert folgendermaßen: Wirf einfach alle Elemente durcheinander. Dann schau nach, ob sie sortiert sind. Wenn nicht, wirf sie erneut durcheinander.

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Montag, 1. März 2010
Um hier mal die Illusion von Bewegung zu erzeugen
nnier | 01. März 2010 | Topic Brainphuq
Das da ließ mich mal wieder über meine Begeisterung für Trickfilme nachdenken. Und eins sage ich Ihnen gleich: Erwarten Sie hier keine Abhandlung, ich bin viel zu im Eimer. Nehmen sie es als halbdeliriertes und unredigiertes Gerede, gegengelesen wird nicht, das geht so direkt über den Äther. Mit Trickfilmen meine ich nicht nur Zeichentrick. Der Trick ist die Stop-Motion-Technik, die Erzeugung von filmischer Bewegung aus vielen Einzelbildern, ob nun gezeichnet oder mit Knetfiguren oder Puppen wie im Sandmännchen-Vorspann. (Ja, das ist das Sandmännchen - was denn sonst!?). Und nicht umsonst war ich als Kind über die Maßen begeistert, als ich meine erstes Daumenkino in den Händen hielt. Es bewegten sich darin einige dieser seltsamen und namenlosen Figuren, die in den 70ern und frühen 80ern auf den flachen Storck-Lutschern und anderen Süßigkeiten desselben Herstellers abgebildet waren und die ich seit längerem vermisse. Aber wonach soll man suchen? Das bringt alles nix. In irgendeiner Großpackung muss es dabeigelegen haben, und ich war hin und weg. Man konnte mit den Fingern die Einzelblätter schnarren lassen, schnell, langsam, und die Figuren bewegten sich! Ich war tief beeindruckt, und nach dem fünfzigsten Durchlauf durchzuckte mich eine Idee: Rückwärts! Und so kam es, dass ich nicht nur aus mehreren zusammengetackerten Zetteln zwei leider verschollene filmische Frühwerke erschuf (Enterprise fliegt und Enterprise schießt, ca. 1978, verschollen), sondern auch heute noch kaum einen Notizklotz zwischen die Finger nehmen kann, ohne damit irgendwelche Faxen zu machen. Mag es auch nur ein schlichter Bleistiftpunkt sein, der sich zu einem Strich dehnt und ein paar unbeholfene Bögen schlägt, bevor er wieder zum Punkt schrumpft - die schiere Bewegungsillusion ist es, die mir Freude bereitet, und auch einen KÖEEEG-BEÖÖK kann ich auch heute noch nicht lange auf dem Schreibtisch liegen haben, ohne zuerst die rechte untere und später auch die rechte obere Ecke eines jeden Einzelblatts mit unscheinbaren grafischen Elementen zu versehen, die für sich betrachtet wohl eher nach einer zufälligen Verschmutzung bzw. einer Funktionsprobe des Schreibgeräts aussehen, Sie wissen schon, dieser Strich, den man erst mal macht, bevor man seinen Aufhebungsvertrag schwungvoll unterschreibt. Wenn ich dann eifrig wirke, wenn ich dann die Kollgen wispern höre: Seht, der nnier, der ist fleißig, wie der immer in seinen Aufzeichnungen blättert - dann sehe ich mir in Wahrheit Daumenkinofilme an. Was bei Stop Motion, um diesen Anglizismus hier mal richtig überzustrapazieren, auch toll ist: Fotos machen, schnell hintereinander, und die dann als Daumenkino zusammenfügen. Das habe ich mal irgendwo gesehen, vielleicht im Fernsehen, und seither plane ich, das auch mal auszuprobieren. Was einem natürlich auch sofort einfällt sind die FWU-Filme, in denen in modernster Tricktechnik dargestellte Elektronen um Protonen kreisten oder Magnete sich anzogen bzw. abstießen. Und auch wenn ich das enge Thema jetzt schon verlasse, in meinem Zustand sollte ich eigentlich auch gar nicht, siehe Margot Käßmann, muss ich noch anfügen, dass das größte Vergnügen darin bestand, am Ende ganz laut "Rückwärts! Rückwärts!" zu rufen, denn das hatte ein Lehrer wirklich mal gemacht, den Dreiminüter rückwärts laufen lassen, und ich war fast so begeistert wie von dem Film aus dem Partykeller, den mein Onkel mir mal rückwärts gezeigt hatte und in dem man einer jungen Frau dabei zusehen konnte, wie sie mit dem Löffel Unmengen von Obstsalat aus ihrem Mund holte und diesen in ihre Glasschale rührte. Eigentlich hat mich danach kaum etwas je wieder so begeistert, wenn man mal von der Frau absieht, die sich ganz langsam anzieht. Als wir damals in Deutsch den Woyzeck mit Kinski angesehen hatten, rief ich fröhlich: "Rückwärts!", aber die anderen wollten nicht.

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Samstag, 27. Februar 2010
A A B B A
nnier | 27. Februar 2010 | Topic Art
(Inspired by).

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Mittwoch, 24. Februar 2010
Die Rückkehr
nnier | 24. Februar 2010 | Topic Musiq
Wenn ich manchmal die Vergangenheit verkläre und mich an die 80er erinnere, musikalisch, und dann sage: Ja, das war schon toll damals, dann ist das eine enorme Verdrängungsleistung. Ich weiß genau, wie ich gelitten habe, wenn ich im Urlaub auf dem Rücksitz des Audi 100 saß und vorne, in dem Cassettenradio (mit AutoReverse!) zum x-ten Mal das TDK-Band wendete. Vom Regen (Michael Jackson: Bad) kam ich dann nämlich in die Traufe (Whitney Houston: Whitney).

Ich habe mal erwähnt, dass ich eigentlich nichts gegen Frauen habe. Allerdings gibt es diese Hochleistungsmusik, das, was manche eine "tolle Stimme" nennen, das Gedröhne, die Fünfoktavenleistungsschau, hinterlegt von "funkiger" und nach den neuesten Standards produzierter Popgebrauchsware, die in mir unmittelbar massive Fluchtinstinkte auslöst. Ich habe mich damals gewehrt, indem ich darauf bestand, jedes vierte Mal (denn ich war mit drei Mitreisenden unterwegs) meine Cassette einzulegen, auf der sich zum einen die schlechteste Soloplatte von Steve Hackett (Cured von 1981) befand, Hackett, der ja ein guter Gitarrist ist, aber wenn er meint, dass er Popmusik machen und auch noch selber singen muss, dann wird's ganz schlimm, und auf der anderen Seite hatte ich die schwergängigsten, sperrigsten und garantiert refrainlosen Zehnminutenwerke aus der Frühzeit von Yes versammelt. Ich konnte mich dann ein wenig erholen und an den grünlichen Gesichtern der Mitfahrer weiden. Aber kaum ging es mir wieder gut, wurde ich angeschrien:

WHOOOAAAA I WANNA DANCE WITH SOMEBODY! I WANNA FELL THE HEAT WITH SOMEBODY! YEAAAAH I WANNA DANCE WITH SOMEBODY! WITH SOMEBODY WHO LOVES ME!

Das Grauen, das ich dabei empfand, konnte einige Jahre darauf tatsächlich noch gesteigert werden. Denn es gab ein Stück aus diesem Film mit diesem Schauspieler. Und nach verhaltenem Beginn tut sich irgendwann das Tor zur Hölle auf:

AND IIIIIIIIIIIII-EEE-IIIIIII WILL ALWAYYYYS LOVE YOUUUUUUUU-OOOOHH WILL ALWAYS LOVE YOUUUUU-OOOH.

Es reißt mir sämtliche Nägel ab.

Als nach langer Pause nun ihre Rückkehr verkündet wurde, befürchtete ich das Schlimmste. Aber, und das sage ich ausdrücklich ohne Häme: Die Frau wird mir plötzlich sympathisch. Nicht mehr der Frontalangriff aufs Ohr, man höre nur mal das dünne Stimmchen, aus der unerträglichen Ms. Perfect ist doch tatsächlich ein Mensch geworden, und irgendwie klingt dieses schreckliche Lied plötzlich interessant, vor allem die Minute ab 2:30.

Und dieser Urlaub da, in Frankreich damals - der ist eine Geschichte für sich.

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Montag, 22. Februar 2010
Traurige Nachricht
nnier | 22. Februar 2010 | Topic Gelesn
Hier.

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Salami (Sepia)
nnier | 22. Februar 2010 | Topic In echt
Wenige Tage, bevor ich in die Schule kam, zogen wir um. Ich kannte weder Schule noch Weg und hatte furchtbare Angst, mich zu verlaufen, weshalb ich auch nach ein paar Wochen noch (als einer der letzten) morgens gebracht und nach der Schule abgeholt wurde. Auch kannte ich in der Schule keines der anderen Kinder, und so lief ich nach meinem ersten Schultag nachmittags von zu Hause aus mit meiner Schwester ein paar Meter die Straße rauf, um ein wenig die Gegend zu erkunden. Gleich an der nächsten Ecke traf ich auf A., den ich schon morgens in der Schule bemerkt hatte und der sich nun gerade auffällig hinter einem geparkten Auto verbarg.

"A.! A.!". rief ich und rannte auf ihn zu, und meine Schwester, die ihn noch gar nicht kennen konnte, rief auch einfach "A.!" und lief hinter mir her. Er duckte sich, als er uns kommen sah, wir liefen über die Straße zu ihm und fragten: "Was machst du denn da?"

"F.s ärgern!", antwortete er, als sei das selbstverständlich. Allerdings fand ich das nicht, zumal ich nicht wusste, wer F.s waren. Auf meine Frage deutete er über die Straße. Dort war das "Lädchen". In einem Eckhaus war es untergebracht und in der gesamten Gegend, wenn mal vom einmal wöchentlich vorfahrenden "Eiermann" und dem doch schon etwas weiter weg befindlichen Konsum absieht, die einzige fußläufig erreichbare Einkaufsmöglichkeit. Es ging vor dem Haus eine Treppe hinauf, unter der sich immer mal wieder verlorene Geldmünzen fanden, und im Laden selbst, der wirklich klein und doch kein reines Kiosk war (ein Kiosk war in unsere Gegend sächlich), gab es einen Tresen, hinter der Herr oder Frau F. standen. Wir Kinder kauften dort hauptsächlich Süßigkeiten, allerdings kam es durchaus vor, dass man, wenn's schnell gehen musste, nach Milch, Wurst oder Käse zu F. geschickt wurde. Wobei die netten F.s keineswegs die reine Profitmaximierung anstrebten, das weiß ich bestimmt, denn eines Tages sollte jemand ein paar Scheiben Salami kaufen gehen. Wieviel Gramm denn wohl ein Kilo seien, wieviel ein Pfund (und was dergleichen mit Grundschülern bei solchen Gelegenheiten gerne mal nebenbei besprochen wird) hatte sie offenbar unterwegs zu memorieren versucht, war durcheinandergekommen und hatte statt der eigentlich benötigten 100 satte 500 g verlangt und nach Hause gebracht. Dachten wir. Als ich jedoch das nächste Mal in den Laden kam, sagte mir Herr F.: "Deine Schwester wollte neulich 500 Pfund Salami, ich habe ihr erst mal 500 Gramm gegeben."

Wo er denn wohne, fragte ich A., der gerade eine Kastanie in die Hand genommen hatte und sie treffsicher gegen die Eingangstür des Lädchens warf. "Ha! Ha!", lachte er und duckte sich. Dann wies er schräg hinter sich und antwortete: "Na, da hinten!", als sei das selbstverständlich. Wir warfen dann auch ein paar Kastanien.

Kurz darauf und für die nächsten Jahre waren A. und ich die besten Freunde. Morgens vor der Schule holte er mich jeden Tag ab, auch wenn es für ihn ein gewisser Umweg war, und wenn es klingelte und man den Summer drückte, wenn es dann zuverlässig von unten rief: "Ich bin's! A.!", schnappte ich mir meinen Schulranzen und wir liefen los. Dabei kamen wir auch am Lädchen vorbei, kauften auf dem Hin- oder Rückweg Saure Zungen oder Lakritzschnecken und schmiedeten Pläne für den Rest des Tages. Denn in diesen Jahren sahen wir uns praktisch täglich, oft kam A. schon zum Mittagessen zu uns und blieb bis zum Abend.

Eines Tages, wir liefen ohne besonders Ziel durch die Gegend, machte A. einen routinemäßigen Umweg hinter einer bestimmten Mauer entlang und kam mit einer leeren Bierflasche wieder hervor, die er triumphierend vor mir schwenkte. Wir suchten dann die ganze Gegend ab, sämtliche Straßen und Sträßchen, schließlich auch das matschige Leineufer und fanden insgesamt noch vier weitere Pfandflaschen. Beim Einlösen runzelte Frau F. zwar die Stirn: "Na, A., wo hast du die denn wieder aufgetrieben?", zahlte dann aber anstandslos den Erlös in Form von Süßigkeiten aus. Überhaupt war sie stets freundlich. Nur einmal wurden wir etwas durchdringender angeguckt: Nachdem jemand, wir waren's wirklich nicht, um die Jahreswende einen Kubischen Kanonenschlag in das Ausgabefach eines Kaugummiautomaten, der sich an der Außenwand des Lädchens befand, gesteckt hatte, untersuchten wir abends den Tatort und stellten fest, dass man durch die Klappe ("THANK YOU") nach oben fassen und die Geldstücke einzeln herausfummeln konnte.

Wir mühten uns ab, es war einfach zu verlockend, und schließlich hatten wir eine Menge Zehnpfennigstücke erbeutet, die allerdings ölig und ganz schwarz verschmiert waren. Auch eine gründliche Reinigung mit der Nagelbürste und viel Seife im Waschbecken konnte daran nichts Entscheidendes ändern. Und es mag Einbildung sein, aber ich meine, dass Frau F.s Augen sich stets ein wenig verengten, wenn wir in den darauffolgenden Tagen mit den schmutzigen Händen voller verschmierter Zehnpfennigstücke den Umsatz des Lädchens in ungewohnte Höhen trieben.

Ich hatte in dieser Zeit begonnen, regelmäßig die Micky Maus zu kaufen. Von meinem wöchentlichen Taschengeld blieb damit kaum etwas übrig, für ein Hanuta reichte es gerade noch, aber ich musste einfach wissen, wie der Wettkampf zwischen Dagobert und Mac Moneysac ausgehen würde, der in dieser aufregenden Fortsetzungsgeschichte stattfand. Und dass wir in den Sommerferien lange wegfahren würden, war ja eigentlich in Ordnung, aber, so zerbrach ich mir den Kopf, wie könnte ich in dieser Zeit an meine Hefte kommen?

Ich nahm all meinen Mut zusammen, lief zum Lädchen und erklärte der Angestellten, die dort immer öfter statt des alten Ehepaares F. hinterm Tresen stand, mein Problem. "Können Sie die Hefte für mich aufheben?", fragte ich, und sie versprach es mir, nachdem ich meinerseits fest zugesagt hatte, die Hefte nach den Ferien auch wirklich zu kaufen. Nun konnte ich beruhigt in den Urlaub fahren.

Wo ich eisern mein Geld zusammenhielt, denn die vier Hefte würden nach dem Urlaub auf mich warten, und kaum waren wir endlich in die Einfahrt gebogen, stieg ich auch schon aus und rannte zum Lädchen. Darin traf ich auf Herrn F. "Ich wollte meine Hefte holen!", sagte ich voller Vorfreude und hielt ihm das Geld entgegen. Er sah mich verständnislos an, und ein Abgrund tat sich auf. Ich erklärte ihm verzweifelt, worum es sich handelte, er aber sprach: "Davon weiß ich nichts. Hier liegt nichts. Ich kann dir nur das neue Heft verkaufen."

Betäubt gab ich ihm das Geld, nahm das neueste Heft entgegen und schlich mit hängenden Schultern aus dem Laden. "Erst zu Hause heulen!", dachte ich auf dem Weg die Treppe hinunter, als die Ladentür wieder aufging und Frau F. mir hinterherrief: "Warte mal!"

Ich ging wieder hinauf, und als ich ihr auf Nachfrage noch einmal erklärte, worum es ging, sagte sie zu ihrem Mann: "Hinten liegen doch vier Hefte. Das hat der Junge doch mit Frau X besprochen. Du hast das doch mit so einer schwarzen Frau besprochen, nicht wahr?", wandte sie sich an mich, und ich wunderte mich zwar ein wenig über die Formulierung, aber, so dachte ich, wenn es "blonde" Frauen gibt, dann soll's eben auch "schwarze" Frauen geben. Und als mir Frau F. den Heftstapel in die Hand drückte, konnte ich sowieso nicht mehr vernünftig denken, da konnte ich nur noch blöd lächeln und mit einem fiebrigen Gefühl nach Hause gehen.

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