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“Die Schärfe des Disputs pro oder contra Internet ist die Folge inkompatibler Wertmuster“, stellt der graubärtige Posteronkel der Netzgemeinde fest und erhält für die Aufteilung der Internetnutzer in “Digital Residents“ und “Digital Visitors“ - was übersetzt nichts anderes heißt als “Internet begriffen“ und “Internet nicht begriffen“ - viel Applaus.Manchmal wird man durch irgendetwas in dieses andere Internet gestoßen, dorthin, wo die wichtigen Dinge besprochen werden (Zukunft des Internet, Digitale Eingeborene, mentale Exoskelette und so weiter). Es war schon immer so, dass mich diese Diskussionen schnell abgestoßen haben, auch wenn ich die Themen manchmal durchaus interessant finde. Der Tonfall schrill, alles wichtigwichtig. die Auseinandersetzungen hysterisch und dann auch schnell persönlich. Ich lese dann doch lieber kleine Geschichten.
Gestern z.B. hieß es beim Perlentaucher:
Aus den Blogs, 17.05.2010Nun ist es so, dass ich mich schon neulich in einer Randbemerkung darüber gewundert habe, welche Begeisterungsstürme Peter K. in einigen vielgelesenen Blogs vor allem mit seinem Auftritt auf dieser Bloggerkonferenz, entfacht hat.* Aber ich hätte es wissen können, denn das funktioniert schon länger.
Wolfgang Michal hat Edo Reents' am Samstag erschienenes, hämisches FAZ-Porträt über Peter Kruse gelesen und stellt den Kontext her: "Absatz für Absatz wird Peter Kruse 'entlarvt' als oberflächliches, unseriöses Plappermaul, das seinen Lebensunterhalt mit den immer gleichen billigen 'Versatzstücken' verdient. Das FAZ-'Porträt' liest sich wie ein Vernichtungsversuch. Und dieser Versuch hat eine Vorgeschichte. Im November letzten Jahres hatte sich Peter Kruse in der Süddeutschen Zeitung die Freiheit genommen, Frank Schirrmachers Buch 'Payback' (insbesondere dessen kulturkonservative, alarmistische Grundhaltung gegenüber dem Internet) zu kritisieren." Mehr dazu auch in dem Blog von Gunnar Sohn, der sich mit einigen Zitaten des nicht online stehenden Artikels von Edo Reents auseinandersetzt.
An der Universität, an der ich studiert habe, hatte der hier genannte jedenfalls seine ergebene Gefolgschaft. Die Augen leuchteten, wenn sein Name fiel, man erzählte sich begeistert die unglaublichen Erfolgsgeschichten (vor allem) seiner Unternehmensberatung, er gewann einen Preis für "innovative Lehre" - und immer wieder fiel in diesem bewundernden Tonfall das Schlüsselwort: Charisma.
Ich bin ihm selbst nicht begegnet, doch einmal war er zu Gast in einer Veranstaltung, die ich besuchte, und referierte über einen von ihm so genannten "Minisozialismus", also die interessante Idee, individuelle Lebensrisiken abzufedern, indem man in größeren Gruppen gemeinsam wirtschaftet. Und ich erinnere mich an den Eindruck, dass hier jemand wahnsinnig schnell wahnsinnig viel erzählt hat, und dass sich die Zuhörerschaft hinterher teilte in diejenigen, die das alles brillant und zukunftsweisend fanden und diejenigen, die das Punktuelle, Gehetzte, Hingeworfene des Vortrags für unseriöses Blendwerk hielten. "Aber man kann doch in so einem kurzen Vortrag nicht mehr unterbringen, das muss doch an der Oberfläche bleiben!" - dieser Einwand ist dann auch erst mal berechtigt; fraglich ist allerdings, ob das nicht Methode hat - und da erinnere ich mich dann schon an eine Bekannte, die als Mitarbeiterin einer Werbeagentur mal zur großartigen, charismatischen Unternehmensberatung gefahren ist. "Die ballern einen so schnell mit so vielen mit Schlagworten und Folien zu, bis man ganz tief beeindruckt meint, die hätten den Durchblick und das müsse jetzt erst mal vertieft werden. Und dann Workshops bei ihnen kauft."
Mir geht es hier am wenigsten um die Person, die ich wie gesagt auch nicht kenne. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass jemand, der diverse Fächer studiert und per Hochbegabtenförderung promoviert hat, ein sehr intelligenter Mensch ist und interessante Dinge zu sagen hat. Ich frage mich allerdings, wie es sein kann, dass auch kritische Geister plötzlich davon schwärmen, wie ein "Charismatiker" jemanden "um den Finger gewickelt" hat, und dass es offenbar ausreicht, am Beginn eines Vortrags auf einer Konferenz mal leger die Krawatte abzunehmen (es glaube keiner, dass das nicht eine kalkulierte Geste ist) und das Medium Twitter zu benutzen, um sich als großer Internetversteher zu profilieren, der "feinstes Denkfutter" abliefert. Ja, wo denn? Was steckt denn mehr in diesen ganzen Videointerviews als die immer wiederholte Aussage, man könne heute Kommunikation eben nicht mehr so einfach kontrollieren und da liefen ganz komplexe Prozesse ab - garniert mit ein paar Beispielen fehlgegangener "Unternehmenskommunikation" und den kurz mal aufgeflackerten Internetberühmtheiten? Ist da denn irgendwo mehr als mit Professorennimbus vorgetragene Allgemeinplätze und irgendwie dahingeraunte Andeutungen über Hirnforschung, Neuropsychologie und so weiter? Und geht es nicht vor allem um die Besetzung der in der Tat riesigen Marktlücke als charismatischer Schirrmacher-Antagonist, der "live" auch so viel besser herüberkommt als jener? (Man lese nur mal die Kommentare hier).
Einen angenehm sachlichen und offenbar recht gut informierten Beitrag zu dem ganzen Thema findet man übrigens hier, falls Sie noch weiterlesen wollen. Ich hingegen habe von dem anderen Internet für heute genug und höre mir lieber noch ein schönes Lied an.
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*Ich habe keine Lust, diesen ganzen Kram einzeln zu verlinken. Mit einer Suchmaschine ist das alles schnell beisammen.
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