Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Mittwoch, 4. September 2013
Ich bin für Individualverkehr
nnier | 04. September 2013 | Topic In echt
Haben Sie in den 80ern auch Aufkleber gesammelt? Super, dann kennen Sie das alles, die wöchentliche Runde durch die Innenstadt ("Ham Sie Aufkleber?"), langweilige Flops (Ein Herz für Kinder) und aufregende Volltreffer (Magnat-Bulldogge). Bald war alles mehrfach abgegrast, und es blieb nur noch eine Nähstube am Stadtrand (wo man uns eine Rolle goldener "Siegelmarken" überließ) und ein versprengter Tabakladen. Hier bekam ich einen Aufkleber der Zigarettenmarke Gauloises: "Ich bin für Individualverkehr." Ich wusste nicht, wie man Gauloises ausspricht. Ich wusste auch nicht, was mit Individualverkehr gemeint war. Aber das war ein schöner Aufkleber, ein Autoaufkleber aus Vinyl, nicht so ein blöder Papieraufkleber.

Am vergangenen Freitag jedenfalls, oder ach, fangen wir anders an. Ich bin ja sehr für Ressourcenschonung, und zu meinem Verständnis von Umweltschutz und Nachhaltigkeit gehört es bekanntermaßen, ein fahrtüchtiges und gut reparierbares Auto lange am Leben zu erhalten. Scheiß auf die hohen Steuern! Und dass man einen Zahnriemen zum zweiten Mal wechseln lässt, kostet zwar auch wieder Geld, ist aber vor allem ein Hinweis auf eine ansehnliche Laufleistung. Das volle Programm, Meister, mit Wasserpumpe und Pipapo. Ach, die Stoßdämpfer sind abgerostet? Dann zwei neue, bitte. Oh, ho, ha, echt, so viel, na, ja! Jetzt schnurrt er wieder wie ein Kätzchen, eh!

Gründlich durchgecheckt / Steht er da und / Wartet auf den Start / Alles klar. Meister! Ich noch mal. Bin da gestern nach Hause gefahren, und ich weiß nicht, das hört sich nicht richtig an. Hatte das Fenster runter und dachte: So klingt das, wenn der Auspuff nicht dicht ist. Kann das sein, können Sie da bitte noch mal. Das röhrt. Das klingt nicht gut.

Der ist völlig OK? Sie haben alles geprüft, aha. Ist absolut nichts, aha. Dann ist ja gut. Muss ja nach Süddeutschland, ist ja ne weite Fahrt. Fahre zur Hochzeit, hab da hinten schon die Klamotten drin liegen. Soll ja nichts schiefgehen, eh! Hatte gedacht, der klingt so komisch, so wie wenn ein Loch, so wie wenn es anfängt mit ... Ja - wenn da nichts ist, umso besser! Danke noch mal! Dann kann ich ja losfahren, was. Nein, nur das Wochenende. Ja, ist ganz schön weit.

Wir fahren gleich los, wenn du von der Schule kommst. Ich will abends in Süddeutschland sein, will da nicht so spät ankommen, am besten fahren wir gleich mittags los.

Stau. Stau. Stau. Stau. Umleitung. Stau. Umleitung. Stau. Stau. Stau. Stau. Umleitung. Stau. Roooohr. Irgendwie klingt das nicht richtig, da kann er mir sagen, was er will. Roooohr.

Weißt du - wir fahren besser doch nicht mehr nach Süddeutschland heute, wir übernachten hier, sind immerhin schon 200 km vorangekommen. Chrrrr-püh! Chrrrr-püh! So, nun lass uns weiterfahren, die warten nicht auf uns mit der Hochzeit.

Da sind wir! Jetzt die Klamotten für die Hochzeit anziehen, die werden ja noch wichtig für die Geschichte, nicht wahr, das HEMD da hinten auf seinem BÜGEL. So! Und dann fahren wir morgen ganz früh wieder los, damit wir nicht erst abends zu Hause sind. Ist schade, man fährt so weit und geht nicht einmal im Wald spazieren, ist so ne schöne Gegend, aber lass uns schön früh fahren, dann kommen wir nicht erst abends an, ist ja wieder Schule am Montag. Tschü-hüs! War schön mit euch!

Stau. Stau. Stau. ROOOOHR. Umleitung. ROOOHR. Sag was du willst, das klingt nicht gut. Stau. Umleitung. ROOOOOOOOOHR Paff! Rrrrrrrrrrrrrrrrrr. RRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRR! Da stimmt was nicht, da muss ich mal halten, hier geht es nicht, hoffentlich hält das, wann kommt endlich eine Parkbucht, ROOOOOOOOOOOOOOOOOOOOOHR, Rrrrrrrrrrrrr, RRRRRRRRRRRRRRR, gleich, bitte, nur noch kurz, da vorne, da halte ich, HUUUUUUUUUP, ja lustig! LUSTIG! ICH HABE AUCH EINE HUPE! MEINST DU, ICH HALTE HIER ZUM SPASS! DO!

Und da kann man verdammt froh sein, wenn man sein Hemd in der Wäscherei waschen lässt, weil erstens: Weniger Bügelarbeit und zweitens: Womit bitte soll man seinen Auspufftopf denn unter dem Bodenblech befestigen? Mit einem Spanngurt etwa?

Gut, das habe ich natürlich als erstes getan, schön durchgefädelt und gespannt, das hielt auch ganz wunderbar, jedenfalls an den Stellen, die nicht durchgeschmolzen sind. Dann stehst du da wieder mit deinem Warndreieck und HUUUUUP! JA GLAUBST DU, ICH STELLE MICH ZUM SPASS HIER AN DEN RAND! Haben wir nicht einen Draht oder sowas. Irgendwas müssen wir doch. Gib mal den Kopfhörer von deinem MP3-Player. Ob das wohl hält? Sind ja so dünne Drähtchen drin, kriegst dann einen neuen. Aber ach, die sind doch viel zu dünn. Mach mal den Kofferraum auf, ob da nicht doch irgendw- JAAA! JAAAAA! Guck mal da! Nimm mal mein Hemd da raus! Deine Hände sind noch sauber! Gib mir mal den Bügel! Yeah! Yeah! Yeah! Yeah! Yeah!



Den Gauloises-Aufkleber will ich unbedingt mal heraussuchen, im Keller muss irgendwo so eine Kiste sein, ich weiß schon, wo ich den hinklebe.

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Samstag, 17. August 2013
Radio Niedersachsen
nnier | 17. August 2013 | Topic In echt
Dieser August will bezwungen werden. Superwetter nennen das manche, da nehme ich das nasse Tuch vom Gesicht und schnaufe verächtlich. Dickes Blut hämmert zäh durch den Schädel, lauwarmer Schwarztee mit Aspirin einzige Nahrung. Kaltschweiß.























Trotzdem mal raus, Radius erweitern. Allerdings Brasilien wohl zu weit, und da soll es auch sehr heiß sein.

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Sonntag, 16. Juni 2013
Zwei Tage mit Gustav
nnier | 16. Juni 2013 | Topic In echt
Establishing Shot








Meanwhile






Next Day














Dramatic Turn










Um welche Art Notfall handelt es sich? Sir, sind Sie noch da?






Closing Credits




[Special Thanks to Bremer Tiernotruf]

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Sonntag, 9. Juni 2013
Wenn man nichts machen kann
nnier | 09. Juni 2013 | Topic In echt
In unserer Gegend wohnte ein Mädchen, das mit mir und meinem Freund A. in die Grundschule ging. Sie hatte die unangenehme Eigenschaft, sich bei den Lehrern durch vordergründig erwünschtes Verhalten beliebt zu machen, während sie hintenrum oft feixte und mich einmal völlig aus der Fassung brachte: Da stand sie im Museum hinter unserer strengen Lehrerin, die uns einen Vortrag hielt, und tat die ganze Zeit so, als würde sie ihr einen langen Stock in den Hintern bohren und diesen ganz wild hin- und herbewegen. Ich musste mich richtig zusammenreißen und hätte sie dafür mögen können, wenn sie nicht so eine hinterhältige Petze gewesen wäre. Oft erwischte es A., der als schlechter Schüler sowieso einen schweren Stand hatte und obendrauf noch eine Extraportion Ärger bekam, wenn sie ihn wieder einmal angeschwärzt und dabei noch die Wahrheit verdreht hatte. Kam er im Unterricht dran und wusste die Antwort nicht, lachte sie ihn offen aus. Wir hatten Grund, sie zu hassen und freuten uns deshalb auf den Heimweg: Da vorne ist sie!, rannten wir los, Lasst mich in Ruhe!, keifte sie, und wir rächten uns.

Trotzdem rief sie manchmal an und wollte zum Spielen vorbeikommen. Es gab im Garten einen Sandkasten, in dessen Mitte buddelten wir dann schnell ein Loch, legten eine Plastiktüte drüber und streuten Sand drauf. Lass uns um die Wette springen, sagten wir als erstes, wenn sie ankam, jeder hat seine Bahn, dann sprang A. links und ich rechts. Sie wollte nicht, wir sagten: Los, da ist nix, diesmal ist da wirklich nix, also sprang sie und fiel die 20 cm ins Loch. Wir lachten, sie heulte und rannte nach Hause. Wir haben das ziemlich oft gemacht.

Es gab andere Jungs in der Gegend, vor denen ich regelrechte Angst hatte. Sie verfolgten und quälten uns jahrelang. Meine Angst vor ihnen war so groß, dass ich alles tat, was sie verlangten, und sie feixten und lachten. Leider hatte ich das Verhaltenselement Hau ihm doch einfach eine rein nicht in meinem Repertoire, das hätte vielleicht etwas geändert. Statt dessen schmissen sie mein Fahrrad in den Kanal und lachten sich kaputt. Ich kämpfte mich durch Schlamm und Brennesseln, und nach einer Weile wurde den beiden da oben mulmig: Soll ich dir helfen, rief einer, Brauchste nicht, rief ich durch den Tränenschleier zurück und zog und zerrte mein Fahrrad irgendwie durch das Ufergestrüpp. Es wurde inzwischen dunkel, und sie hatten auf mich gewartet: Wenn du nach Hause kommst, und deine Eltern fragen dich, was passiert ist, dann sagst du, dass ein großer Junge dein Fahrrad in den Fluss geschmissen hat. Wehe, du sagst was von uns. Daran hielt ich mich und verstrickte mich in ein Lügengestrüpp.

Einer von diesen Jungs war sogar ein Jahr jünger als ich, galt aber als besonders gefährlich. Als ich neu in die Gegend gezogen war und mich mit A. angefreundet hatte, warnte dieser: Bei dem musst du aufpassen. Der hat mich schon oft verkloppt. Und es gibt ja diese Menschen, denen man es ansieht, oft ist es ein höhnischer Zug um den Mund und ein ganz bestimmter beleidigter, zugleich herausfordernder Blick - jedenfalls sah ich zu, dass ich möglichst nicht in seine Nähe kam. Einmal schrak ich fürchterlich zusammen: Da war er morgens auf dem Schulweg plötzlich neben mir, und A. war ausnahmsweise nicht dabei. Er plauderte drauflos und erzählte unter anderem, dass er neulich einem anderen Jungen "mit dem Messer in den Kopf gestochen" habe. Zwar erfuhr ich später, dass das bloß so ein kleines Plastikmesser und ein oberflächlicher Ritzer gewesen war, das half aber auch nichts mehr: Für mich blieb er der Inbegriff des brutalen Gewalttäters, dem man nichts entgegensetzen kann.

Als wir den Schulhof erreichten und ich erleichtert aufatmete, kam ein Mädchen angelaufen und lachte ihn aus: Ha ha ha! Du mit deinem Schulranzen! Du Idiot!

Entsetzt konnte ich nur starren und erwartete ansatzloses Dreinschlagen. Statt dessen sah er mich an, schlug die Hand gegen die Stirn und rief: Wir wandern ja heut! Ha ha ha, riefen immer mehr Kinder, und ich bekam eine ganz leise Ahnung davon, dass solche Leute nicht unbedingt immer die Oberhand behalten müssen.

Dennoch mied ich seine Gegenwart noch lange, und umso überraschter war ich, als es eines Tages klingelte. Der Fluss war über die Ufer getreten, das Hochwasser hatte unsere Straße erreicht und lediglich der Bordstein bildete noch die Grenze zwischen lustigem Anblick und nasser Katastrophe. Unten stand er mit seinem Schulranzen und einer Sporttasche. Ich soll zu euch, sagte er, meine Mutter hat mich geschickt, bei uns ist alles vollgelaufen.

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Dienstag, 4. Juni 2013
Brunettifressen mit T. Spargel
nnier | 04. Juni 2013 | Topic In echt
Ich will alles
Ich will alles
Und zwar sofort
(Gitte Haenning)
Ich bin sehr empfänglich für Suggestionen, und wenn ich mir nur vorstelle, kein Essen zu bekommen, bricht mir der Schweiß aus. Mir ist das sehr unangenehm, denn ich halte es für eine der wichtigsten menschlichen Eigenschaften, seine Bedürfnisse kontrollieren und deren Befriedigung aufschieben zu können. Damit befinde ich mich mein Leben lang im Widerspruch zu all den esoterischen Befreiungspredigern, die einem ständig "Hör auf deinen Bauch!" ins Ohr brüllen und regalweise empfehlen, die blöde Rücksicht und all den sozialen Verpflichtungs­scheiß endlich hinter sich zu lassen: Lass dein inneres Kind raus! Fick deine Nachbarin! Und schmeiß gefälligst mehr Essen weg.

Dieses hatte seine Zeit, so wie alles seine Zeit hat: Als verhärmte Kloster­schülerinnen sich die Butter auf dem Brot nicht gönnten, als unglückliche Ehen ums Verrecken weitergeführt werden mussten und so weiter. Solchen Leuten bin ich schon länger nicht mehr begegnet. Aber durchaus solchen, die mit großer Geste stolz verkünden: "Ich achte jetzt nur noch auf mich selber!" und anscheinend erwarten, dass man zu solch tabubrecherischem Gratismut noch gratuliert.

Kotzen könnte ich manchmal. Da wird auf dem Elternabend so getan, als sei es ein Verstoß gegen die Genfer Konventionen, wenn die Kinder bei der Klassenfahrt nachts ihre Smartphones abgeben müssen: Aber die müssen sie doch nachts aufladen! Können Sie dann nicht wenigstens ganz viele Mehrfach­steckdosen mitnehmen und die Handys immer nachts im Lehrer­schlafzimmer aufladen? Als Lehrer würde ich sagen: Handys her und alle raus, Holz sammeln! Wasser vom Brunnen holen! Und zwar nicht die Kinder.

Man muss sich das mal klarmachen: Wenn die früher einen Weinberg oder einen Acker angelegt haben, wenn sie Obstbäume gepflanzt haben, dann hatten sie lange nichts davon als Arbeit und die Hoffnung, dass es Kindern und Enkeln zugutekommt. Wir heulen los, wenn die neueste Staffel einer TV-Serie nicht sofort verfügbar ist. Und alle tun so, als wäre dieses Am-Wochenende-zu-Hause-Sitzen-und-beim-Seriengucken-ein-Glas-Nutella-löffeln der Gipfel mensch­lichen Daseins und keine infantile Regressions­scheiße.

Was wollte ich jetzt eigentlich erzählen: Ach ja! Wenn ich Petzi gelesen habe: PFANNKUCHEN! Wenn ich Asterix gelesen habe: SCHWEINEBRATEN! Und dann diese Essensbeschreibungen bei Andrea Camilleri, das sind Krimis mit einem sizilianischen Commissario Montalbano, die ich eine Zeitlang gerne gelesen habe: ICH WILL ALLES ESSEN UND ZWAR SOFORT! Dauernd diese gefüllten Kühlschränke (Haushälterin!) und Besuche in der Trattoria, das hielt ich kaum aus, da flossen die Enzyme, da bebten die Magenwände, da rannte ich in die Küche und aß und aß und aß. Es ist meine große Schwäche. Selbst wenn ich manchmal gar nicht weiß, was es ist, das die da essen, klingt es doch so appetitanregend, dass ich ganz unruhig werde und nur noch auf meinen Bauch höre.

Kommen wir zu Brunetti: Das war diese betuliche TV-Serie mit Joachim Król in Venedig. Alles lieb und nett und ZDF-harmlos, und Donna Leon veröffentlicht ihre Bestseller angeblich nicht auf Italienisch, damit sie da halbwegs in Ruhe leben kann, aber auch auf Deutsch habe ich mich bislang nicht allzusehr dafür interessiert: Schöne Stadtkulisse, Bilderbuchfamilie, attraktive Sekretärin, selbstverliebter Boss, das schien mir doch zu formelhaft. Wohl kein Schund, dachte ich, aber auch nichts, das ich lesen muss.

Einen ganzen Stapel der deutschen Ausgabe konnte ich neulich erhaschen und schenkte ihn unbesehen weiter. Dann lagen sie auf Englisch herum, und ich nahm ein paar mit: Gut geschrieben, angenehmer Lesestoff, nicht zu viele Klischees (soweit ich das beurteilen kann), das lullt schön in den Schlaf und macht verdammten HUNGER! Verdammt noch mal! Mittags geht's nach Hause, da bringt die akademische Universitätsfrau das Essen selbstver­ständlich mehrgängig auf den Tisch, und Dessert, und Grappa, und Caffè, und abends gleich noch mal. Oder man ist auf Murano und speist mit den Arbeitern die himmlisch einfachen Traditionsgerichte in der Geheimtipp­kantine: AUCH HABEN! Ich bin sowas von suggestibel, ich habe gestern ganz alleine nicht nur mehrgängig gegessen, sondern auch ein Glas Rotwein getrunken, und das tue ich sonst nie.

"Kompakt" nannte neulich jemand meine physische Anmutung, und ich wusste endgültig, dass die Spargeltarzanjahre vorbei sind. Ob Sie das alles wissen wollen? Interessiert mich überhaupt nicht, ich achte jetzt nur noch auf mich selber.

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Sonntag, 2. Juni 2013
Von der eigenen Kaffeetasse verhöhnt.
nnier | 02. Juni 2013 | Topic In echt

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Samstag, 11. Mai 2013
Kein Kartoffelkartell
nnier | 11. Mai 2013 | Topic In echt
An der Ecke ist diese Kneipe, und einmal ging ich rein, da sahen sie mich an wie einen Störenfried. In meinem Wohnzimmer will ich auch keinen ungebetenen Besuch, und die kennen sich alle. Vormittags steht schon der Schiebewagen mit dem Posthorn da, nachmittags trudelt der Rest ein, spät nachts kommen die Taxis und müssen lange auf ihre Fahrgäste warten.

Es sind Metallsammler darunter und Leute mit dickem Mercedes, und als ich heute den Weg zum großen Elektromarkt antrat, schrak meine Begleitung zusammen: Was trägt der denn da? Einen einbalsamierten Hund!?

Bei unserer Rückkehr roch es nach Straßenschlacht. Eine Mülltonne qualmte intensiv, so eine große, metallene Gewerbemülltonne mit vier Rädern und gewölbtem Deckel. Spiritus- und Benzinaroma durchströmte das Viertel.

Auf dem Tisch vor der Kneipe lag ein Kadaver. Kein Hund, sondern ein Ferkel, in dessen Schwarte Rechtecke geschnitten waren. Aus der Mülltonne ragten zwei menschliche Beine.

Hat der seine Grillkohle weggeschmissen oder was, sagte ich, was macht der denn, das verkokelt doch alles. Aus dem Fenster sah ich, wie der Mensch immer und immer wieder mit dem Oberkörper bis zur Hüfte in der Tonne verschwand. Das Schwein war nicht mehr zu sehen.

Grillt der da in der Mülltonne oder was, sagte ich, ohne zu ahnen, wie recht ich hatte: Denn plötzlich bemerkte ich den an der Stirnseite der Mülltonne außen angeflanschten Elektromotor. Zwischen Motor und Mülltonnenaußenwand befand sich ein dreispeichiges Metallrad, womöglich ein altes Lenkrad, das sich fast unmerklich drehte.

Mein Wunschberuf war Erfinder. Ich schraubte für mein Leben gerne Dinge auseinander und träumte von der großen Zufallserfindung, die ich aus einer alten Schreibmaschine, einer kaputten Stehlampe und anderen Sperrmüllfunden erschaffen würde.

Briefträger waren mal Postbeamte mit hoheitlichem Auftreten. Damals fuhr ich staunend in die großen Städte zu den Riesengeschäften voller Technik, zwanzig Meter CD-Player! Ich war der ideale Kunde, technikbegeistert, musikliebend, und immer brauchte ich ein Kabel oder nahm die Leercassetten in Zehnerpacks mit. Sie haben mich längst verloren.

Schon am Eingang schrecken sie mich ab, da ist alles voller Telefone und Computer, bzw. voller kleiner Computer in Telefonformat und großer Computer in Tablettformat. Ich sollte nach etwas gucken für jemanden, aber ich schaffte es nicht, da war alles voller Menschen, die pausenlos auf den kleinen und großen Dingern herumwischten und fragten: Kann ich damit auch einen Screenshot machen, und läuft darauf WhatsApp. Und sonst habe ich immer noch die Runde durch den Laden gemacht, diesmal aber musste ich ganz schnell wieder weg.

Nein, ich habe da nichts für dich gefunden, tut mir leid, und siehst du die Tonne da drüben, achte mal auf das Rad mit den drei Speichen. Doch, sieh genau hin, das dreht sich ganz langsam, und rate mal warum! Das muss der Mann gebastelt haben, der hier immer Metall sammelt, der grillt da. Weiß nicht, ob ich das in einer Mülltonne machen würde. Aber toll, wenn man sowas kann.

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Montag, 1. April 2013
En la Abknöpfería
nnier | 01. April 2013 | Topic In echt
Ich muss ja irgendwann das Bad neu machen, und da war gerade diese Fliesenausstellung.













Hier langen sie wirklich zu, da kostet schon der Parkplatz mehr als eine Ferienwohnung, und man kann nur raten, in welche der Schlangen man sich stellen muss, um irgendwann ahnungslos stammelnd vor der genervten Kassiererin zu stehen, neben deren Fenster endlich ein winziges und kaum entzifferbares Zettelchen unterschiedlichste Preise listet (wofür aber gelten die?) und die schließlich unter Augenverdrehen den nicht geringen Eintritt entgegennimmt, dabei in wirklich abfälligem Ton immerhin noch mitteilend, dass man zunächst zwei Stunden warten, dann aber unbedingt und pünktlich an diesem und jenem Eingang sein muss.





Trotzdem bin ich froh, dass ich das gesehen habe, wenn auch nach der elend feuchtkalten Wartezeit im Laufschritt und deshalb geradezu schmerzhaft oberflächlich.



Und das Bad muss noch warten. Aber ein Anfang ist gemacht.

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Donnerstag, 28. März 2013
En Andalucía
nnier | 28. März 2013 | Topic In echt
Im Spanischunterricht, ungefähr gleichzeitig mit dem Gerundium, lernte ich, dass Andalusien schön und arm ist. Ein rückständiges Agrargebiet - klar: mit turismo -, aber es überwogen Bilder von kargen Olivenhainen und armen Bauern mit Eseln.



Vorweg: Ich habe eine schöne Woche gehabt. Trotzdem bin ich irritiert. Das geht damit los, dass ich für ein Taschengeld anreisen konnte. Das geht damit weiter, dass der Mietwagen knapp seine Kosten decken mag. Und es hört nicht damit auf, dass die Ferienwohnung hinterhergeschmissen war.



Klar: Vorsaison. Klar: Lockangebot. Klar: Mischkalkulation. Vielleicht auch: Glück gehabt. Aber wie kann so etwas auf die Dauer funktionieren?

Spanien ist in der Krise, die Arbeitslosigkeit enorm, da müssen sie vielleicht billig vermieten - aber woher kommen diese geleckten, nagelneuen Siedlungen überall? Es wirkt wie in der ehemaligen DDR, als willkürlich Geld irgendwohingeschüttet wurde, die neugepflasterten Dorfplätze und komischen Marmorbrunnen plötzlich. En Andalucía: Kaum mal eine leere Plastiktüte am Straßenrand, selten mal ein verfallendes Haus, klar eingegrenzt die alten Hotelburgsünden. Statt dessen alle 20 Meter ein öffentlicher Mülleimer, Edelstahlduschen am täglich gesäuberten Strand. Und eine Disney-Siedlung nach der anderen.



Jaah, das ist da unten an der Küste, das ist wegen der Touristen, aber fahr doch mal ins Landesinnere. Gut! Dann nehmen wir mal diese abgelegene Gebirgsstrecke, vor der im Reiseführer gewarnt wird, weil sie so schlecht sein soll.



Jedoch! Jede Straße, jede Autobahn sieht nagelneu aus, da rumpelt nichts, da ist nur satter, dunkler Asphalt, man hört kaum sein Reifengeräusch, da sind überall schnurgerade und makellose Leitplanken: Tonnen von Stahl, der doch so teuer geworden sein soll. Alles sieht aus wie frisch gebaut, und ich frage mich, ob die EU hier kürzlich ein paar Infrastrukturmilliarden abgeworfen hat. Wenn ja: Muss es diese Strecke sein, auf dass die Touristen noch komfortabler vom Strand ins malerische Bergdorf fahren können?



Ach, deshalb ist der Flug so billig. Ach, und wart lieber mal die Schlussrechnung vom Mietwagen ab. Und der Vermieter wird schon wissen, was er tut: Besser als Leerstand, oder?



Wisst ihr was: Mir hat es da gefallen, die Landschaft beeindruckend, die weißen Dörfer schön, der Kaffee in den Bars grandios, aber es bringt mich ins Grübeln, sind das Angst- oder Sumpfblüten, und wenn es irgendwann richtig kracht, wundert mich das nicht.

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Montag, 25. Februar 2013
Abenteuerhaus
nnier | 25. Februar 2013 | Topic In echt
Etwas hat mich immer davon abgehalten, Fotos zu machen, deshalb gibt es hier jetzt keins. Es ist nicht weit von mir, und ich kenne Leute in dieser Straße, die fragte ich auch mal: Wisst ihr, wer da wohnt?

Für die Kinder war es das Abenteuerhaus, ein Reihenhaus, die ganze Straße ist ein langes Reihenhaus, und eines davon unterschied sich fundamental von allen anderen. Wir Individualisten haben Feng-Shui-Fassadenfarbe oder metaironische S/M-Zwerge im Vorgarten, pflastern mit italienischem Marmor oder dämmen mit nachwachsendem Rohstoff: Er ließ sein Haus zuwachsen, so konsequent und radikal, dass es mir von Anfang an Bewunderung abrang.

Sie stellen sich Efeu vor oder Weinranken, die - oha! - nicht sofort rechtwinklig aus dem Fenster nachgeschnitten werden. Ich aber meine zugewachsen im Sinne von zugewachsen, meterdick und bis aufs Dach, so dass man nicht an die Haustür kommt und keine Fenster sieht, der schmale Vorgarten vollgestellt und seinerseits komplett überwuchert, bloß ein schmaler Pfad blieb frei bis zu der Leiter im Gestrüpp.

Die Leiter schätze ich auf sieben Meter Länge, ein robustes und standsicheres Modell aus Aluminium, keine einfache Anlehnleiter, sondern eine mit Gelenken zum Abwinkeln, am Boden diese stabilisierenden und griffigen Kunststoffelemente, und alles stabil vertäut. Dies war offenkundig der einzig mögliche Weg ins Haus hinein und aus dem Haus heraus: Über die Leiter durch ein Fenster.

Da wohnt halt einer, der gerne über die Leiter rein- und rausgeht, dachte ich all die Jahre, gesehen habe ich nie jemanden, und jetzt haben sie entrümpelt und mit großen Buchstaben über DAS MESSIE-HAUS geschrieben. Ich habe bisher kein Foto gemacht und werde jetzt erst recht keines machen, mit Flatterband und gerodetem Vorgarten, aber ich hätte doch gerne eines, klein und eingerahmt. Sie haben ihn dann nach zwei Tagen gefunden, begraben unter seinem Zeug, und alles ans Tageslicht gezerrt.

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