Die Füß' halt warm, den Kopf halt kalt,
dann wirst du hundert Jahre alt.
(Auch bekannt als: Kopf kalt, Füße warm / macht den Doktor arm.)
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Ich bin ja nicht so ein Wirtschaftsmensch. Manchmal wäre ich gern einer, z.B. wenn ich mich daran erinnere, dass ich meine ersten paar Gehälter einfach hätte in Aktien auszahlen lassen müssen, um heute erheblich weniger Sorgen zu haben. Andererseits brauchte ich das Geld nun mal, es war ja nicht "übrig" (so liest man ja immer: Aktien nur, wenn man etwas "übrig" hat), und, hätte ich damals trotzdem gekauft, dann hätte es auch gut sein können, dass ich sie auch bald wieder verkauft hätte, etwa zu dem Zeitpunkt, als sich der Wert verdoppelt hatte - wunderbar, etwas Extrageld ohne Arbeit - anstatt auf den Papieren sitzen zu bleiben, die dann im Lauf der Jahre ihren Wert tatsächlich verfünfzigfacht (in Worten: verfünfzigfacht) haben. Aber mein Trägheitsmoment (man bräuchte ja erst mal ein Aktiendepot, das ist bestimmt kompliziert!) hat mir andererseits einen gewissen Stress erspart, denn ich hätte natürlich ständig überlegt, die Anteilsscheine zu verkaufen, so wie ich umgekehrt immer sicher war: Jetzt ist's eh zu spät, sie haben sich ja schon verdoppelt, gar verdreifacht, jetzt brauchst du auch keine mehr zu kaufen, höher kann's ja nicht mehr gehen!
Dennoch, eine schöne Vorstellung manchmal, wenn wahrscheinlich auch eine trügerische. Denn die Gegenbeispiele sind zahlreich, und dass es auf den "Märkten" nicht immer rational zugeht, ist ja inzwischen eine Binsenweisheit. Ich habe schon als Kind gelernt: Angebot und Nachfrage beeinflussen zwar den Preis - aber längst nicht alleine! Es gibt noch ganz andere Faktoren. So hatten wir z.B. eines Tages festgestellt, dass 7-Zoll-Vinyl-Single-Schallplatten ("Singles") über großartige Flugeigenschaften verfügen. Ich selbst besaß trotz des hohen Kaufpreises von 6.- DM für nur zwei Lieder einige dieser Scheiben, so z.B. schon als kleines Kind die damals von mir geliebten El Bimbo und Dolanes Melody, später dann die Titelmelodie von Timm Thaler, die ich wie einen Schatz hütete und geschätzte fünfhundertmal mit Vorder- und Rückseite, gerne auch mal verlangsamt auf 33 1/3, anhörte. Aber insgesamt waren Singles doch eher unökonomisch, um nicht zu sagen überteuert, wenn man für 20.- DM gleich eine ganze Langspielplatte oder für noch etwas mehr Geld eine MusiCassette erwerben konnte. Und somit dauerte es bis zu dem Tag, an dem mein Freund A. Captain Sensible's Wot mit einem goldfarbenen Lackstift glaubte veredeln zu müssen, dass uns eines dieser wertvollen Stückezum Unsinnm zu experimentellen Zwecken Verfügung stand. Weder der Klangqualität noch der Diamantnadel seines Plattenspielers war die Färbung nämlich zuträglich gewesen, so dass wir entschieden, diese schwarzgoldene Scheibe mit dorthin zu nehmen, wo heute ein Badeparadies zu finden ist, damals aber eine riesige Wiese brachlag und herausragende Möglichkeiten für Wurfspiele, etwa mit dem Bumerang, bot, um einmal herauszufinden, was man mit so einer Single noch anfangen konnte. Ein erster Probewurf offenbarte Erstaunliches: Sie flog besser als jedes Frisbee! Begeistert fanden wir heraus, dass die Flugbahn bei waagerechtem Abwurf einer exponentiellen Kurve folgend anstieg, bis die Scheibe vom höchsten Punkt aus taumelnd abstürzte, während man für einen Geradeauswurf die Schallplatte am besten exakt senkrecht zwischen Daumen auf der einen sowie Zeige- und Mittelfinger auf der anderen Seite hielt, um sie dann mit aller Kraft und explosiv nach vorne zu schleudern. Schon kleine Abweichungen um wenige Winkelgrade oder leichte Seitenwinde reichten aus, um die Flugbahn unvorhersehbar zu verändern, und so sirrte die fast unsichtbar senkrecht heransausende Scheibe mit ihrem scharfen Rand einige Male nur knapp an meinem Kopf vorbei, als wir darauf verfielen, sie uns gegenseitig aus großer Entfernung zuzuschmeißen.
Der Schwachpunkt des Fluggeräts war seine Fragilität, und folglich wurden unsere aerodynamisch-ballistischen Experimente vorzeitig dadurch beendet, dass die Scheibe in zwei Teile zerbrach. Da wir Blut geleckt hatten, war klar, dass für Nachschub gesorgt werden musste, und so kratzten wir etwas Taschengeld zusammen und klapperten einige Trödelläden ab. In einem gab es tatsächlich alte Singles aus den 50er und 60er Jahren in einer großen Kiste, die pro Stück fünfzig Pfennig kosten sollten. Als wir herumdrucksten und dem Inhaber mitteilten, dass wir aber "viele" kaufen würden und es auch egal sei, welche er uns gäbe, ging er auf einen Preis von "fünfzehn Stück für fünf Mark" herunter, was uns immer noch nicht ganz zufriedenstellte, bis wir ihm mitteilten, wofür wir die Scheiben benötigten. "Ach so!", sagte der gute Mann und überließ uns einen ganzen Stapel von fünfzig Singles für fünf Mark - aus derselben Kiste, wir durften sogar selbst aussuchen. Und trotz meiner Freude über den günstigen Kauf dachte ich auf dem Rückweg zur Eiswiese darüber nach, dass ich doch etwas über die Preisbildung durch Angebot und Nachfrage gelesen hatte. Warum sollte dann jemand den Verkaufspreis seiner Ware davon abhängig machen, was man hinterher damit anstellte? Aber die Erfahrung wiederholte sich auch später noch öfter auf dem Flohmarkt: "Was kosten die Singles?" - "Stück fünfzig Pfennig!" - "Aber wir wollen damit rumschmeißen" - "Ach so! Dann könnt ihr die geschenkt haben". Merkwürdig, so wie viele Jahre darauf auch das Verhalten einer WG-Mitbewohnerin, die ihren Polo Fox verkaufen wollte und dafür von mir und einem Freund, die über diese gemeinsame Anschaffung ernsthaft nachdachten, viertausend Mark verlangte und von dem Preis auch nicht ansatzweise abrücken wollte, sondern viele Argumente dafür hatte, warum der Wagen das auch locker wert sei. Eine Woche darauf hatte sie ihn einem Autohändler für zweitausendzweihundert Mark verkauft, und als ich nach den Gründen fragte, sagte sie: "Der muss den ja auch erst mal wieder loswerden und will schließlich noch etwas daran verdienen!"
Da wundert's mich nicht mehr, wenn irgendwelche Piraten ankommen und rumargumentieren*, dass sie ja schließlich auch erhebliche Kosten "für Gehälter und Hinweise" bei der Kaperung eines Öltankers zu stemmen gehabt hätten und ihre Lösegeldforderung deshalb nun wirklich angemessen sei. Ich weiß ja, dass das funktioniert.
--
*Mehr dazu hier: Piraten in der Kostenfalle
Dennoch, eine schöne Vorstellung manchmal, wenn wahrscheinlich auch eine trügerische. Denn die Gegenbeispiele sind zahlreich, und dass es auf den "Märkten" nicht immer rational zugeht, ist ja inzwischen eine Binsenweisheit. Ich habe schon als Kind gelernt: Angebot und Nachfrage beeinflussen zwar den Preis - aber längst nicht alleine! Es gibt noch ganz andere Faktoren. So hatten wir z.B. eines Tages festgestellt, dass 7-Zoll-Vinyl-Single-Schallplatten ("Singles") über großartige Flugeigenschaften verfügen. Ich selbst besaß trotz des hohen Kaufpreises von 6.- DM für nur zwei Lieder einige dieser Scheiben, so z.B. schon als kleines Kind die damals von mir geliebten El Bimbo und Dolanes Melody, später dann die Titelmelodie von Timm Thaler, die ich wie einen Schatz hütete und geschätzte fünfhundertmal mit Vorder- und Rückseite, gerne auch mal verlangsamt auf 33 1/3, anhörte. Aber insgesamt waren Singles doch eher unökonomisch, um nicht zu sagen überteuert, wenn man für 20.- DM gleich eine ganze Langspielplatte oder für noch etwas mehr Geld eine MusiCassette erwerben konnte. Und somit dauerte es bis zu dem Tag, an dem mein Freund A. Captain Sensible's Wot mit einem goldfarbenen Lackstift glaubte veredeln zu müssen, dass uns eines dieser wertvollen Stücke
Der Schwachpunkt des Fluggeräts war seine Fragilität, und folglich wurden unsere aerodynamisch-ballistischen Experimente vorzeitig dadurch beendet, dass die Scheibe in zwei Teile zerbrach. Da wir Blut geleckt hatten, war klar, dass für Nachschub gesorgt werden musste, und so kratzten wir etwas Taschengeld zusammen und klapperten einige Trödelläden ab. In einem gab es tatsächlich alte Singles aus den 50er und 60er Jahren in einer großen Kiste, die pro Stück fünfzig Pfennig kosten sollten. Als wir herumdrucksten und dem Inhaber mitteilten, dass wir aber "viele" kaufen würden und es auch egal sei, welche er uns gäbe, ging er auf einen Preis von "fünfzehn Stück für fünf Mark" herunter, was uns immer noch nicht ganz zufriedenstellte, bis wir ihm mitteilten, wofür wir die Scheiben benötigten. "Ach so!", sagte der gute Mann und überließ uns einen ganzen Stapel von fünfzig Singles für fünf Mark - aus derselben Kiste, wir durften sogar selbst aussuchen. Und trotz meiner Freude über den günstigen Kauf dachte ich auf dem Rückweg zur Eiswiese darüber nach, dass ich doch etwas über die Preisbildung durch Angebot und Nachfrage gelesen hatte. Warum sollte dann jemand den Verkaufspreis seiner Ware davon abhängig machen, was man hinterher damit anstellte? Aber die Erfahrung wiederholte sich auch später noch öfter auf dem Flohmarkt: "Was kosten die Singles?" - "Stück fünfzig Pfennig!" - "Aber wir wollen damit rumschmeißen" - "Ach so! Dann könnt ihr die geschenkt haben". Merkwürdig, so wie viele Jahre darauf auch das Verhalten einer WG-Mitbewohnerin, die ihren Polo Fox verkaufen wollte und dafür von mir und einem Freund, die über diese gemeinsame Anschaffung ernsthaft nachdachten, viertausend Mark verlangte und von dem Preis auch nicht ansatzweise abrücken wollte, sondern viele Argumente dafür hatte, warum der Wagen das auch locker wert sei. Eine Woche darauf hatte sie ihn einem Autohändler für zweitausendzweihundert Mark verkauft, und als ich nach den Gründen fragte, sagte sie: "Der muss den ja auch erst mal wieder loswerden und will schließlich noch etwas daran verdienen!"
Da wundert's mich nicht mehr, wenn irgendwelche Piraten ankommen und rumargumentieren*, dass sie ja schließlich auch erhebliche Kosten "für Gehälter und Hinweise" bei der Kaperung eines Öltankers zu stemmen gehabt hätten und ihre Lösegeldforderung deshalb nun wirklich angemessen sei. Ich weiß ja, dass das funktioniert.
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*Mehr dazu hier: Piraten in der Kostenfalle
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Eins der schönsten Geräusche ist das von unberührtem Schnee auf einer Wiese, über den man mit grobbesohltem Schuhwerk läuft, kein Pulverschnee darf es sein, sondern der sog. "Papp-" oder "Packschnee", aus dem man auch die guten Schneebälle machen kann.
Dass ich älter werde, merke ich an der (für mich neuen) Hoffnung, "gut über den Winter" zu kommen.
Dass ich älter werde, merke ich an der (für mich neuen) Hoffnung, "gut über den Winter" zu kommen.
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... grinste mich dieser eine Mitschüler in der Oberstufe an, neben dem ich im Englischkurs saß und der öfter mal spätnachts am Gänseliesel mit einer Flasche Rotwein o.ä. anzutreffen war, als ich ihn, gleichzeitig die Luft anhalten und nach Luft schnappen wollend, nachdem er sich neben mich gesetzt hatte, ob der unmenschlichen allzu eindeutigen Gerüche wohl doch ziemlich entsetzt angesehen haben muss, und zeigte dabei triumphierend auf seinen Wintermantel, der nur Zentimeter entfernt von meiner eigenen Jacke und damit auch von mir über seiner Stuhllehne hing. Während dieser Schulstunde konnte mich dann nur schlecht konzentrieren, so wie einige Monate später vermutlich auch die Sparkassenmitarbeiter in der repräsentativen Hauptstelle gegenüber des alten Rathauses, die es damals noch gab, als ich eines Tages dem Kassierer in seinem Schalter nur noch zuraunen konnte: "Mir wird schlecht ... ich glaube, ich muss mich übergeben", er mich gerade noch rechtzeitig aus der Schalterhalle und im Laufschritt in einen langen Flur führte, mir bedeutete, dass "unten die Toiletten" seien, ich an lauter offenen Bürotüren vorbeirannte und dann doch zu früh und aus vollem Lauf meterweit und in hohem Bogen so heftig in den Flur reiherte, dass es keiner Special-Effects-Abteilung bedurft hätte ... der Rückweg durch denselben Flur, eine halbe Stunde später und nach ausgiebiger Fortsetzung des begonnenen Werks eine Etage tiefer, war eine der demüti interessantesten Erfahrungen meines Lebens. Komisch - warum ich daran heute die ganze Zeit denken muss? Einen Moment, mir ist den ganzen Tag schon so flau, ich glaube, ...
Bis später (vielleicht!)
Bis später (vielleicht!)
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Eins meiner Ziele ist es ja, die Welt jeden Tag ein bisschen besser zu machen, und deshalb behalte ich dieses Geheimnis nicht für mich, sondern veröffentliche den Wortlaut einer E-Mail, die ich kürzlich zur Abwehr weiterer Nachstellungen und Heiratsanträge durch Kolleginnen und sogar Kollegen an ebendiese schickte, nachdem eine kleine Knabberei, die ich zum Verzehr bereitgestellt, aufgrund ständiger Entzückungsschreie und drängender Rezeptwünsche doch zu erheblichen Störungen in den betrieblichen Abläufen geführt hatte, man verzeihe also den vertraulichen Tonfall der folgenden Zeilen, aber das Thema ist zu wichtig, um hier auf Formfragen Rücksicht zu nehmen.
OK, das Rezept und ein paar Anmerkungen dazu. (Ich bin ja mit den Mengen gleich hoch rangegangen, vermutlich kann man auch alles einfach halbieren.)Ich hab's euch gesagt. Mehr kann ich nicht tun.
- Große Pfanne mit hohem Rand, evtl. auch Topf, sofern der einen schweren Boden hat und sich gut reinigen lässt
- Großer Kochlöffel
- Reichlich Backpapier und Platz
- 1 kg ganze Mandeln, nicht geschält
- 500 g normaler Zucker
- 500 ml Wasser
- 2-3 Päckchen Vanillinzucker
- etwas Zimt
(zusätzlich: 4-5 Esslöffel Sesam, wenn man will)
Das Wasser in der Pfanne mit Zucker, Vanillezucker und Zimt aufkochen, bis sich alles aufgelöst hat. Hitze nur wenig runterregeln. Die Mandeln hineinschütten und von jetzt ab immer fleißig rühren. Langsam verdampft das Wasser. Irgendwann wird's klebrig, dann sogar sandig (der Zucker wird wieder trocken). Jetzt wird es ernst: Der Zucker schmilzt am Boden der Pfanne, die Mandeln rösten mit, nun die unterste Schicht mit dem Kochlöffel immer wieder langsam nach oben holen (sonst verbrennen sie) und mit viel Geduld so lange weitermachen, bis alles von einer glänzenden Schicht umgeben ist und keine trockenen Krümel mehr vorhanden sind. Dann die Mandeln löffelweise aus der Pfanne holen und sie so aufs Backpapier streuen, dass sie nicht alle zusammenklumpen. Eventuell mit zwei Gabeln auseinanderziehen, solange das noch geht. Dafür kann man gut eine zweite Person gebrauchen.
Tipps: In den Rezepten, die ich gefunden habe, ist meist noch mehr Zucker im Verhältnis zu den Mandeln genannt. Das hat bei mir nicht geklappt, da hatte ich am Ende einen riesigen Klumpen aus steinharter Masse, von dem man scherbenförmige Brocken abschlagen musste, die dann wirklich die Zähne ruinierten. Und: Das mit dem Sesam war etwas gefährlich, da diese kleinen Körnchen viel schneller anbrennen, man sollte sie also recht spät hinzufügen, so dass sie gerade noch leicht mit angeröstet werden.
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Because the wind is high
It blows my mind
(The Beatles, Because)
Gehörte ich zu jenen, die stets eine Digitalkamera oder wenigstens ein Mobiltelefon mit entsprechender Funktion mit sich tragen, dann hätte ich heute früh meine abenteuerliche Fahrradfahrt durch den Sturm zweimal unterbrochen und folgende Motive abgelichtet:
a) Den Originalwindwirbel aus American Beauty mit der originalen Plastiktüte, voll echt, genau wie im Film. (In meinem Stadtteil ist heute "Gelber Sack").
b) Einen dieser PKW-Anhänger, die, mit überdimensionalen Aufbauten versehen, zu Werbezwecken in der Gegend herumstehen. Dieser hatte einen besonders hohen Aufbau und dem böigen Wind offenbar nicht genug Standkraft entgegenzusetzen. Er warb für Fitness- oder Diätkram. Die Aufschrift lautete: "Balance".
It blows my mind
(The Beatles, Because)
Gehörte ich zu jenen, die stets eine Digitalkamera oder wenigstens ein Mobiltelefon mit entsprechender Funktion mit sich tragen, dann hätte ich heute früh meine abenteuerliche Fahrradfahrt durch den Sturm zweimal unterbrochen und folgende Motive abgelichtet:
a) Den Originalwindwirbel aus American Beauty mit der originalen Plastiktüte, voll echt, genau wie im Film. (In meinem Stadtteil ist heute "Gelber Sack").
b) Einen dieser PKW-Anhänger, die, mit überdimensionalen Aufbauten versehen, zu Werbezwecken in der Gegend herumstehen. Dieser hatte einen besonders hohen Aufbau und dem böigen Wind offenbar nicht genug Standkraft entgegenzusetzen. Er warb für Fitness- oder Diätkram. Die Aufschrift lautete: "Balance".
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Er musste gemeinsam mit seinem Bruder oder dem Nachbarjungen täglich den weiten Schulweg zurücklegen, je eine Stunde hin und zurück, und einmal, als Jugendliche, an einem Sommertag, querten sie wie jeden Tag den kleinen Ort, in dem es eine Gaststätte mit Ausschank an der Straße gab, dort gönnten sie sich jeder für ein paar Groschen ein Dunkelbier, welches weder mit süßem Malzbier, noch mit dem dunklen Starkbier vergleichbar war, leerten ihre Humpen, dann, angetrieben weniger von Durst als von Abenteuerlust, schlich er sich in einem unbeobachteten Moment hinter den Ausschank, um heimlich noch mehr Bier in sein Glas zu zapfen. Der Hahn ließ sich leicht umlegen, das Bier strömte in den Humpen, doch dann, das Glas war voll, klemmte der Hahn irgendwie, das Bier floss weiter, das Glas lief über, er ließ es stehen und rannte und rannte und musste hernach auf Schul- und Nachhauseweg jeweils einen Umweg von einer halben Stunde in Kauf nehmen, jahrelang, um bloß nie mehr an jener Gaststätte vorbeigehen zu müssen.
Interessant an dieser Geschichte finde ich, dass ich sie noch weiß. Sie wurde mir nämlich nur ein einziges Mal erzählt, das ist mehr als drei Jahrzehnte her, und der Erzähler war nicht nur Rektor meiner Grundschule, sondern in den ersten beiden Jahren auch mein Klassenlehrer. Auf uns Kinder wirkte er schon damals uralt, weißhaarig mit Gehstock, dabei blieb er auch danach noch einige Jahre im Schuldienst und kann also nicht älter als Ende fünfzig, Anfang sechzig gewesen sein. In unserer kleinen Schule, die es längst nicht mehr gibt und die nach einem "Begründer der modernen Pädagogik als Wissenschaft" benannt war, welcher aber auch als Philosoph und Psychologe geführt wird und über dessen Leben und die darin vorkommende Musik - er hatte eine Klaviersonate geschrieben - wiederum jener Lehrer und Rektor eine "musikbiographische Skizze" in einem Jahrbuch der Stadt veröffentlich hat (was einem das Internet so alles offenbart!), in dieser Schule also war auf einiges stets Verlass: Man stellte sich bei Pausenende auf dem Schulhof in Zweierreihen auf, bis es klingelte, und ging so geordnet in den Klassenraum zurück; man sang zu den Geburtstagen "Viel Glück und viel Segen", und zwar in der Version mit "Gesundheit und Wohlstand", und zwar im Kanon, und zwar dirigiert durch Herrn R.; man stand vor dem Unterricht auf, wenn der Lehrer hereinkam, wartete sein "Guten Morgen!" ab, antwortete im Chor "Guten Morgen!" und setzte sich erst dann, wenn er dies verbal oder mit einer kleinen Handbewegung anzeigte; man stellte bei Schulschluss die Stühle hoch. Und in mancher Schulstunde kam man in den Genuss einer Geschichte aus Kindheit oder Jugend des Herrn R.:
Im Winter war es in der Schule klirrend kalt. Lediglich in einer Ecke des Klassenzimmers gab es einen Kamin, und wenn die Tinte in den Fässchen gefror, hatte der Lehrer manchmal ein Einsehen und gestattete den Schülern, eine halbe Stunde lang Holz sammeln zu gehen. Wenn das Feuer dann endlich brannte, hatten es die Schüler in den hinteren Reihen am besten, was sonst nicht der Fall war, da die Sitz- zugleich auch die Rangordnung der Schüler war, der Kamin aber entwickelte seine Wärme nur sehr langsam und die guten Schüler weiter vorne hatten bis zum Schulende praktisch nichts davon, außer dass sie ihre hartgefrorenen Butterbrote auf den Sims legen und dort wenigstens etwas antauen lassen konnten.
Schon am allerersten Schultag, mir war vor Angst und Aufregung schlecht, hatte er uns in seinen Bann gezogen, denn wir wurden Zeugen eines schier unglaublichen Geschehens: Herr R. erzählte uns, dass in seinem Pult jemand wohne, und noch während er sprach, hörte man eine verzerrte Stimme von unten rufen: "Haaallooooo Kinder! Hallooooo!", und plötzlich kam ein Kasper hinter der Kante des Pults zum Vorschein, worüber Herr R. vollkommen überrascht war, bevor er schließlich mit dem kleinen Kerl zu sprechen begann. In den folgenden Wochen, als ich meine Mitschüler langsam kennenlernte, sprachen wir in den Pausen und auf dem Nachhauseweg noch oft darüber, wie das wohl funktioniert habe, bis O. uns eines Tages verschwörerisch ansah: "Mein Vater sagt, der hat'n Cassettenrecorder dahinter!", was uns aber auch nicht restlos überzeugte, so dass wir noch jahrelang nach dem Kasper fragten.
Gerne erinnere ich mich auch an unsere erste Hausaufgabe: "Malt ein Haus mit einem Schornstein, aus dem immer Rauch rauskommt." Natürlich fertigte ich das Bild eifrig zu Hause an, traute mich am nächsten Tag aber nicht, es vorzuzeigen (und bereute dies lange, denn ich hatte es doch gemacht und nun musste er denken, ich wäre so einer, der seine Hausaufgaben nicht macht.)
Eines Tages wurde ich mit zwei Mitschülerinnen in eine Gärtnerei geschickt, um dort die zu Unterrichtszwecken bestellten Blumenzwiebeln abzuholen, für welche, wie Herr R. uns mitteilte, der Gärtner kein Geld haben wollte und weshalb wir bitte ausdrücklich die Worte "Herr R. lässt herzlich danken!" zu verwenden hätten. Es war eine wirkliche Auszeichnung, diesen Botengang für ihn antreten zu dürfen, und so eilten wir voller Stolz zur Gärtnerei, nahmen die Zwiebeln in Empfang, murmelten "Danke!" und rannten zurück zur Schule, wo Herr R. von uns wissen wollte, ob wir denn wirklich seinen Wortlaut wiedergegeben hätten, was wir sehr überzeugend bejahten.
Er konnte sich vom freundlichen Herrn innerhalb weniger Momente in einen furios schimpfenden Wüterich verwandeln, was uns regelmäßig ziemlich erschreckte. Besonders oft bekam dies mein bester Freund A. zu spüren, der mich morgens immer abholte und ein ganz lieber Junge, leider aber kein guter Schüler war. Hatte jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht, vergaß jemand das mitzubringende Geld für den Wandertag, dann konnte es passieren, dass Herr R. den betreffenden Schüler buchstäblich am Kragen packte, vom Stuhl riss und fürchterlich auf ihn einschrie. Und eine recht unangenehme Erfahrung machte auch meine Mitschülerin S.; man muss dazu wissen, dass Herr R. ein gläubiger Christ war, und zwar ein evangelischer, der regelmäßig die Dummheit der Katholiken (Beichte! Papst!) anprangerte, was mir als zumindest nominellem Mitglied jener Minderheit manchmal etwas unangenehm war, auch wenn ich mich nicht direkt angesprochen fühlte. Und als wir im Religionsunterricht einmal darüber belehrt wurden, dass man den Namen des Herrn nicht fluchen oder auch nur leichtfertig gebrauchen solle ("so wie manche Menschen abwertend 'Ach, Gottchen!' sagen"), äußerte S., dass aber auch er, Herr R., dies schon getan habe, womit sie auch eindeutig recht hatte. Herr R. wollte dies nicht glauben oder zugeben, blieb aber freundlich und wies uns an, ihn, sollte dies doch einmal vorkommen, doch bitte darauf hinzuweisen.
Nicht lange danach hatte er aus irgendeinem Grund einen Wutanfall und schrie jemanden mit "Herrgottnochmal!" an. Und die mutige S. meldete sich und sagte ganz zaghaft: "Jetzt haben Sie's wieder gesagt", woraufhin Herr R. sie mit wutverzerrtem Gesicht anschrie: "JA! HABE ICH AUCH!" und wir alle sehr still wurden.
Als er nach zwei Jahren unsere Klasse an eine andere Lehrerin übergab, waren wir alle sehr traurig. Immerhin als Religions- und Musiklehrer - er konnte übrigens sehr gut Geige spielen - blieb er uns aber erhalten, so dass wir noch viele Kanons singen ("Ehre sei Gott in der Hö-ö-he ...") und Geschichten hören konnten, seien es nacherzählte wie die von dem Mann, der den Bratenduft, in welchen ein Mittelloser sein Stück Brot gehalten hatte, mit dem Klang seiner Goldmünze bezahlte (das muss in Religion gewesen sein), seien es selbsterlebte wie die von den Vorräten, die er in Notzeiten mit seinem Bruder in einer abenteuerlichen Kletteraktion vom elterlichen Balkon stibitzt hat.
Das einzige Mal, dass ich ihn nach Verlassen der Grundschule noch sah, war etwa drei Jahre später, als ich ihm, der gerade spazierenging, mit meinem Rennrad entgegenfuhr und vor Verlegenheit nicht wusste, was ich sagen sollte, mir statt dessen einredete, dass er mich bestimmt nicht erkenne und deshalb grußlos an ihm vorüberfuhr.
Man ist mit zwölf, dreizehn auch nicht im geeigneten Alter, um jemandem zu sagen, wie froh man ist, ihn als Lehrer gehabt zu haben. Aber schade ist es auch.
Interessant an dieser Geschichte finde ich, dass ich sie noch weiß. Sie wurde mir nämlich nur ein einziges Mal erzählt, das ist mehr als drei Jahrzehnte her, und der Erzähler war nicht nur Rektor meiner Grundschule, sondern in den ersten beiden Jahren auch mein Klassenlehrer. Auf uns Kinder wirkte er schon damals uralt, weißhaarig mit Gehstock, dabei blieb er auch danach noch einige Jahre im Schuldienst und kann also nicht älter als Ende fünfzig, Anfang sechzig gewesen sein. In unserer kleinen Schule, die es längst nicht mehr gibt und die nach einem "Begründer der modernen Pädagogik als Wissenschaft" benannt war, welcher aber auch als Philosoph und Psychologe geführt wird und über dessen Leben und die darin vorkommende Musik - er hatte eine Klaviersonate geschrieben - wiederum jener Lehrer und Rektor eine "musikbiographische Skizze" in einem Jahrbuch der Stadt veröffentlich hat (was einem das Internet so alles offenbart!), in dieser Schule also war auf einiges stets Verlass: Man stellte sich bei Pausenende auf dem Schulhof in Zweierreihen auf, bis es klingelte, und ging so geordnet in den Klassenraum zurück; man sang zu den Geburtstagen "Viel Glück und viel Segen", und zwar in der Version mit "Gesundheit und Wohlstand", und zwar im Kanon, und zwar dirigiert durch Herrn R.; man stand vor dem Unterricht auf, wenn der Lehrer hereinkam, wartete sein "Guten Morgen!" ab, antwortete im Chor "Guten Morgen!" und setzte sich erst dann, wenn er dies verbal oder mit einer kleinen Handbewegung anzeigte; man stellte bei Schulschluss die Stühle hoch. Und in mancher Schulstunde kam man in den Genuss einer Geschichte aus Kindheit oder Jugend des Herrn R.:
Im Winter war es in der Schule klirrend kalt. Lediglich in einer Ecke des Klassenzimmers gab es einen Kamin, und wenn die Tinte in den Fässchen gefror, hatte der Lehrer manchmal ein Einsehen und gestattete den Schülern, eine halbe Stunde lang Holz sammeln zu gehen. Wenn das Feuer dann endlich brannte, hatten es die Schüler in den hinteren Reihen am besten, was sonst nicht der Fall war, da die Sitz- zugleich auch die Rangordnung der Schüler war, der Kamin aber entwickelte seine Wärme nur sehr langsam und die guten Schüler weiter vorne hatten bis zum Schulende praktisch nichts davon, außer dass sie ihre hartgefrorenen Butterbrote auf den Sims legen und dort wenigstens etwas antauen lassen konnten.
Schon am allerersten Schultag, mir war vor Angst und Aufregung schlecht, hatte er uns in seinen Bann gezogen, denn wir wurden Zeugen eines schier unglaublichen Geschehens: Herr R. erzählte uns, dass in seinem Pult jemand wohne, und noch während er sprach, hörte man eine verzerrte Stimme von unten rufen: "Haaallooooo Kinder! Hallooooo!", und plötzlich kam ein Kasper hinter der Kante des Pults zum Vorschein, worüber Herr R. vollkommen überrascht war, bevor er schließlich mit dem kleinen Kerl zu sprechen begann. In den folgenden Wochen, als ich meine Mitschüler langsam kennenlernte, sprachen wir in den Pausen und auf dem Nachhauseweg noch oft darüber, wie das wohl funktioniert habe, bis O. uns eines Tages verschwörerisch ansah: "Mein Vater sagt, der hat'n Cassettenrecorder dahinter!", was uns aber auch nicht restlos überzeugte, so dass wir noch jahrelang nach dem Kasper fragten.
Gerne erinnere ich mich auch an unsere erste Hausaufgabe: "Malt ein Haus mit einem Schornstein, aus dem immer Rauch rauskommt." Natürlich fertigte ich das Bild eifrig zu Hause an, traute mich am nächsten Tag aber nicht, es vorzuzeigen (und bereute dies lange, denn ich hatte es doch gemacht und nun musste er denken, ich wäre so einer, der seine Hausaufgaben nicht macht.)
Eines Tages wurde ich mit zwei Mitschülerinnen in eine Gärtnerei geschickt, um dort die zu Unterrichtszwecken bestellten Blumenzwiebeln abzuholen, für welche, wie Herr R. uns mitteilte, der Gärtner kein Geld haben wollte und weshalb wir bitte ausdrücklich die Worte "Herr R. lässt herzlich danken!" zu verwenden hätten. Es war eine wirkliche Auszeichnung, diesen Botengang für ihn antreten zu dürfen, und so eilten wir voller Stolz zur Gärtnerei, nahmen die Zwiebeln in Empfang, murmelten "Danke!" und rannten zurück zur Schule, wo Herr R. von uns wissen wollte, ob wir denn wirklich seinen Wortlaut wiedergegeben hätten, was wir sehr überzeugend bejahten.
Er konnte sich vom freundlichen Herrn innerhalb weniger Momente in einen furios schimpfenden Wüterich verwandeln, was uns regelmäßig ziemlich erschreckte. Besonders oft bekam dies mein bester Freund A. zu spüren, der mich morgens immer abholte und ein ganz lieber Junge, leider aber kein guter Schüler war. Hatte jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht, vergaß jemand das mitzubringende Geld für den Wandertag, dann konnte es passieren, dass Herr R. den betreffenden Schüler buchstäblich am Kragen packte, vom Stuhl riss und fürchterlich auf ihn einschrie. Und eine recht unangenehme Erfahrung machte auch meine Mitschülerin S.; man muss dazu wissen, dass Herr R. ein gläubiger Christ war, und zwar ein evangelischer, der regelmäßig die Dummheit der Katholiken (Beichte! Papst!) anprangerte, was mir als zumindest nominellem Mitglied jener Minderheit manchmal etwas unangenehm war, auch wenn ich mich nicht direkt angesprochen fühlte. Und als wir im Religionsunterricht einmal darüber belehrt wurden, dass man den Namen des Herrn nicht fluchen oder auch nur leichtfertig gebrauchen solle ("so wie manche Menschen abwertend 'Ach, Gottchen!' sagen"), äußerte S., dass aber auch er, Herr R., dies schon getan habe, womit sie auch eindeutig recht hatte. Herr R. wollte dies nicht glauben oder zugeben, blieb aber freundlich und wies uns an, ihn, sollte dies doch einmal vorkommen, doch bitte darauf hinzuweisen.
Nicht lange danach hatte er aus irgendeinem Grund einen Wutanfall und schrie jemanden mit "Herrgottnochmal!" an. Und die mutige S. meldete sich und sagte ganz zaghaft: "Jetzt haben Sie's wieder gesagt", woraufhin Herr R. sie mit wutverzerrtem Gesicht anschrie: "JA! HABE ICH AUCH!" und wir alle sehr still wurden.
Als er nach zwei Jahren unsere Klasse an eine andere Lehrerin übergab, waren wir alle sehr traurig. Immerhin als Religions- und Musiklehrer - er konnte übrigens sehr gut Geige spielen - blieb er uns aber erhalten, so dass wir noch viele Kanons singen ("Ehre sei Gott in der Hö-ö-he ...") und Geschichten hören konnten, seien es nacherzählte wie die von dem Mann, der den Bratenduft, in welchen ein Mittelloser sein Stück Brot gehalten hatte, mit dem Klang seiner Goldmünze bezahlte (das muss in Religion gewesen sein), seien es selbsterlebte wie die von den Vorräten, die er in Notzeiten mit seinem Bruder in einer abenteuerlichen Kletteraktion vom elterlichen Balkon stibitzt hat.
Das einzige Mal, dass ich ihn nach Verlassen der Grundschule noch sah, war etwa drei Jahre später, als ich ihm, der gerade spazierenging, mit meinem Rennrad entgegenfuhr und vor Verlegenheit nicht wusste, was ich sagen sollte, mir statt dessen einredete, dass er mich bestimmt nicht erkenne und deshalb grußlos an ihm vorüberfuhr.
Man ist mit zwölf, dreizehn auch nicht im geeigneten Alter, um jemandem zu sagen, wie froh man ist, ihn als Lehrer gehabt zu haben. Aber schade ist es auch.
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trink nicht so viel Kaffee!" (Carl Gottlieb Hering*, 1766-1853)
Mancher ordnet seine Plattensammlung nicht alphabetisch oder chronologisch, sondern biographisch. Und mancher könnte sein Leben in Kaffeephasen einteilen.
Die Erkenntnis, dass Kaffee vom Luxus- zum Billigtrunk verkommen ist, ist ja keine neue. Und während man einerseits am geheimnis- und verheißungsvollen Klang des Wortes "Bohnenkaffee", welches ältere Menschen noch selbstverständlich verwendeten, sowie an der prominenten Position des vakuumverpackten Filterkaffees in den Vorschlagslisten zur vorweihnachtlichen Spendensammlung für DDR-Pakete, welche zu meiner Grundschulzeit alljährlich und selbstverständlich durchgeführt wurde, und nicht zuletzt anhand beeindruckender Szenen in der Literatur (so wird in dem Jugendbuch Damals war es Friedrich geschildert, wie der echte Kaffee nur für den strengen Großvater kräftig aufgebrüht und serviert wird) bemerken konnte und musste, dass es damit etwas ganz Besonderes auf sich hatte, war doch parallel und im Widerspruch dazu schon früh ein verschwenderischer und vor allem geringschätziger Umgang mit dem Schwarzen Gold zu beobachten; da konnten Frau Sommer und Roger Whittaker in der Werbung erzählen und säuseln, was und wie sie wollten.
Auch wenn die Kaffeepreise durchaus noch beliebtes Gesprächsthema waren und es einmal fast zu einer Revolution gekommen wäre, als einige Hersteller die 500- durch eine 400-Gramm-Packung zu ersetzen versuchten und dabei noch dummdreist von "höherer Ergiebigkeit" fabulierten, bis es hieß: "Egal, wie dick das Pfund sich bläht - entscheidend bleibt die Qualität!", gab es doch schon vor zwanzig, dreißig Jahren eher einen Kaffee umsonst als ein Glas Wasser. Überall standen tagsüber die Kannen auf den Warmhalteplatten, überall wurden abends großzügig die Reste weggekippt, jedenfalls bevor es Mikrowellengeräte gab, die dann ja vorrangig dazu verwendet wurden, kalten Kaffee wieder zu erhitzen.
Instantpulver hatte damals, vermutlich zu Recht, einen schlechteren Ruf als jeder Zichorie-Ersatzkaffee; und noch in den 90ern habe ich das Zeug nicht angerührt, dafür aber eine interessante Entdeckung gemacht: Wenn man das kochende Wasser statt in den Kaffeefilter direkt in die volle Blechdose mit dem gemahlenen Kaffeepulver schüttet (was morgens mit müdem Kopf nun mal passieren kann), lässt sich daraus ein Konzentrat bilden, das man bis zu zwei Wochen im Kühlschrank aufbewahren und dann im Verhältnis 1:3 mit kochendem Wasser aufgießen kann, wenn's mal schnell gehen muss. Das muss ungefähr zu jener Zeit gewesen sein, als im WG-Plenum beschlossen wurde, trotz ständiger Budgetknappheit ab sofort und ausschließlich den fair gehandelten Magenkiller aus dem "Welt-Laden" zu kaufen und zu trinken; meine Petition mit dem Anliegen, neben der Sandino Dröhnung auch eine kleine Reserve konventioneller Ware vorhalten zu dürfen, wurde abschlägig beschieden (und nur knapp konnte ich die sofortige Vernichtung der restlichen Vorräte abwenden, indem ich so etwas wie "hat auch keiner mehr was von" vorbrachte).
Natürlich ist klar, was folgt: Einmal solcher Kollektivknechtung entkommen, stand der Rückzug ins Private an und neben der obligatorischen Bodum-Drückerkanne bald eine Espressomaschine, und zwar eines jener Modelle, die auf den Aufbau von Dampfdruck gänzlich verzichten, deshalb konstruktiv wesentlich weniger aufwändig sind und sich folgenden Tricks bedienen: Das Wasser für 1-2 Tassen wird zunächst erhitzt, und wenn das Anzeigelämpchen erlischt, will ein Drucktaster betätigt werden, wodurch der Espressopulverbehälter in schnelle Rotation versetzt wird, auf dass zentrifugale Kräfte wirken und das heiße Wasser durch das Pulver treiben, bis es Farbe und Geschmack annimmt und in die Tassen tröpfelt. 20.- Mark musste ich für das fast neue Gerät inklusive zweier Tässchen hinlegen, da, wie mir die ältere Dame mitteilte, sie diesen "Expresso" nicht vertrage und sie habe ihren Kindern doch gesagt, dass sie nur normalen Filterkaffee trinke, und nun stehe das Geschenk einfach herum, 20.- Mark sind doch nicht zuviel, junger Mann?
Bald darauf musste es auch noch eines jener damaligen Topmodelle für den herkömmlichen Kaffee sein: Eine Maschine, die das Aufbrühen per Hand simulierte und dabei auch noch gut aussah. Ein gläserner Wasserbehälter befand sich über dem Filter und dieser wiederum über der Kanne. Ein schlankes, rundes Design, das so gar nichts mit der konventionellen Kaffeemaschine gemein hatte und vor allem wirklich besseren Kaffee produzierte, da das Wasser zunächst tatsächlich zum Kochen gebracht wurde, statt handwarm und von röchelnden Geräuschen begleitet über das Pulver getropft zu werden, und dann das schwall-artige Aufgießen samt Quellphase, wie man es von Hand vollziehen sollte, recht wirkungsvoll simulierte.
Die Jahre gingen vorüber, eines im Zeichen des Milchkaffees, ein anderes in dem des Cappuccino, die Maschinen gingen kaputt, und da sie wertvollen Küchenarbeitsplatz blockiert hatten, stand eine Abrüstungsrunde an: Eine gläserne Drückerkanne, eine Espressokanne für aufm Herd, eine stählerne Kanne mit Sieb zum Erzeugen des Milchschaums, mehr braucht's nicht mehr.
Und dann Instantkaffee.
---
* Der übrigens, wie ich gerade lerne, auch "Morgen, Kinder, wird's was geben" und "Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp!" vertont hat.
Mancher ordnet seine Plattensammlung nicht alphabetisch oder chronologisch, sondern biographisch. Und mancher könnte sein Leben in Kaffeephasen einteilen.
Die Erkenntnis, dass Kaffee vom Luxus- zum Billigtrunk verkommen ist, ist ja keine neue. Und während man einerseits am geheimnis- und verheißungsvollen Klang des Wortes "Bohnenkaffee", welches ältere Menschen noch selbstverständlich verwendeten, sowie an der prominenten Position des vakuumverpackten Filterkaffees in den Vorschlagslisten zur vorweihnachtlichen Spendensammlung für DDR-Pakete, welche zu meiner Grundschulzeit alljährlich und selbstverständlich durchgeführt wurde, und nicht zuletzt anhand beeindruckender Szenen in der Literatur (so wird in dem Jugendbuch Damals war es Friedrich geschildert, wie der echte Kaffee nur für den strengen Großvater kräftig aufgebrüht und serviert wird) bemerken konnte und musste, dass es damit etwas ganz Besonderes auf sich hatte, war doch parallel und im Widerspruch dazu schon früh ein verschwenderischer und vor allem geringschätziger Umgang mit dem Schwarzen Gold zu beobachten; da konnten Frau Sommer und Roger Whittaker in der Werbung erzählen und säuseln, was und wie sie wollten.
Auch wenn die Kaffeepreise durchaus noch beliebtes Gesprächsthema waren und es einmal fast zu einer Revolution gekommen wäre, als einige Hersteller die 500- durch eine 400-Gramm-Packung zu ersetzen versuchten und dabei noch dummdreist von "höherer Ergiebigkeit" fabulierten, bis es hieß: "Egal, wie dick das Pfund sich bläht - entscheidend bleibt die Qualität!", gab es doch schon vor zwanzig, dreißig Jahren eher einen Kaffee umsonst als ein Glas Wasser. Überall standen tagsüber die Kannen auf den Warmhalteplatten, überall wurden abends großzügig die Reste weggekippt, jedenfalls bevor es Mikrowellengeräte gab, die dann ja vorrangig dazu verwendet wurden, kalten Kaffee wieder zu erhitzen.
Instantpulver hatte damals, vermutlich zu Recht, einen schlechteren Ruf als jeder Zichorie-Ersatzkaffee; und noch in den 90ern habe ich das Zeug nicht angerührt, dafür aber eine interessante Entdeckung gemacht: Wenn man das kochende Wasser statt in den Kaffeefilter direkt in die volle Blechdose mit dem gemahlenen Kaffeepulver schüttet (was morgens mit müdem Kopf nun mal passieren kann), lässt sich daraus ein Konzentrat bilden, das man bis zu zwei Wochen im Kühlschrank aufbewahren und dann im Verhältnis 1:3 mit kochendem Wasser aufgießen kann, wenn's mal schnell gehen muss. Das muss ungefähr zu jener Zeit gewesen sein, als im WG-Plenum beschlossen wurde, trotz ständiger Budgetknappheit ab sofort und ausschließlich den fair gehandelten Magenkiller aus dem "Welt-Laden" zu kaufen und zu trinken; meine Petition mit dem Anliegen, neben der Sandino Dröhnung auch eine kleine Reserve konventioneller Ware vorhalten zu dürfen, wurde abschlägig beschieden (und nur knapp konnte ich die sofortige Vernichtung der restlichen Vorräte abwenden, indem ich so etwas wie "hat auch keiner mehr was von" vorbrachte).
Natürlich ist klar, was folgt: Einmal solcher Kollektivknechtung entkommen, stand der Rückzug ins Private an und neben der obligatorischen Bodum-Drückerkanne bald eine Espressomaschine, und zwar eines jener Modelle, die auf den Aufbau von Dampfdruck gänzlich verzichten, deshalb konstruktiv wesentlich weniger aufwändig sind und sich folgenden Tricks bedienen: Das Wasser für 1-2 Tassen wird zunächst erhitzt, und wenn das Anzeigelämpchen erlischt, will ein Drucktaster betätigt werden, wodurch der Espressopulverbehälter in schnelle Rotation versetzt wird, auf dass zentrifugale Kräfte wirken und das heiße Wasser durch das Pulver treiben, bis es Farbe und Geschmack annimmt und in die Tassen tröpfelt. 20.- Mark musste ich für das fast neue Gerät inklusive zweier Tässchen hinlegen, da, wie mir die ältere Dame mitteilte, sie diesen "Expresso" nicht vertrage und sie habe ihren Kindern doch gesagt, dass sie nur normalen Filterkaffee trinke, und nun stehe das Geschenk einfach herum, 20.- Mark sind doch nicht zuviel, junger Mann?
Bald darauf musste es auch noch eines jener damaligen Topmodelle für den herkömmlichen Kaffee sein: Eine Maschine, die das Aufbrühen per Hand simulierte und dabei auch noch gut aussah. Ein gläserner Wasserbehälter befand sich über dem Filter und dieser wiederum über der Kanne. Ein schlankes, rundes Design, das so gar nichts mit der konventionellen Kaffeemaschine gemein hatte und vor allem wirklich besseren Kaffee produzierte, da das Wasser zunächst tatsächlich zum Kochen gebracht wurde, statt handwarm und von röchelnden Geräuschen begleitet über das Pulver getropft zu werden, und dann das schwall-artige Aufgießen samt Quellphase, wie man es von Hand vollziehen sollte, recht wirkungsvoll simulierte.
Die Jahre gingen vorüber, eines im Zeichen des Milchkaffees, ein anderes in dem des Cappuccino, die Maschinen gingen kaputt, und da sie wertvollen Küchenarbeitsplatz blockiert hatten, stand eine Abrüstungsrunde an: Eine gläserne Drückerkanne, eine Espressokanne für aufm Herd, eine stählerne Kanne mit Sieb zum Erzeugen des Milchschaums, mehr braucht's nicht mehr.
Und dann Instantkaffee.
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* Der übrigens, wie ich gerade lerne, auch "Morgen, Kinder, wird's was geben" und "Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp!" vertont hat.
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Während ich nicht nur als Kind, sondern auch noch als Jugendlicher wenig Verständnis dafür aufbringen konnte, dass Menschen freiwillig eine bittere, schwarze Brühe trinken, kann ich mir heute nur noch schwer vorstellen, wie man ohne dieses Getränk auskommen mag. Einerseits ist Kaffee für mich immer noch ein Genussmittel, andererseits aber auch der Treibsatz, der das morgendliche Aufstehen überhaupt erst erträglich, manchmal gar möglich macht (darin höchstens noch mit der heißkalten Dusche vergleichbar) und dann über den Tag noch mehrmals gezündet werden muss. Aktuell tut's zu Hause meist das billige Instantpulver vom Discounter, von dem ich auch an der Arbeitsstelle ein Glas für den Fall bereitstehen habe, dass ich nicht auf das Gesöff aus der silbernenen Melittamaschine zurückgreifen möchte, welche nach Einwurf spezieller Kaffe-"Coins", die man beim "Concierge" für 0,15€ pro Stück erwerben kann, je nach Einstellung sogenannten "Espresso", "Cappuccino", "Latte Macchiato" oder gar "Kaffee" ausspeit, den ich zumeist mit entsetzlich süßer "Heißer Schokolade" in einem großen Glas zusammenführe, auf dass die Kombination aus Koffein und Kalorien irgendwas bewirken möge.
Außer Instantkaffee besitzen wir aber auch eine der typischen Steigrohrmaschinen, mit denen man angeblich keinen richtigen Espreso kochen kann, wir aber tun's und er schmeckt. Als typischer Hybridkonsument habe ich da plötzlich Ansprüche: Kein Lavazza, kein Tchibo, sondern dieser spezielle Espresso Classico muss es sein, frisch gemahlen in espressokannengemäß grober Körnung, den's in diesem einen Teeladen gibt. Und da das Zeug auch in Plastiktüte in Tupperdose in Kühlschrank zum Verduften neigt, kann man davon keine richtigen Vorräte anlegen, sondern muss es regelmäßig und frisch kaufen, und eben dies zu tun hatte ich heute geplant, als ich direkt gegenüber des kleinen Ladens, in dem es stets stark, aber nie unangenehm duftet und wo man noch alte Waagen mit Zeigerskala verwendet, eine Parklücke erblickte, an dieser vorbeifuhr und den Blinker setzte, um rückwärts hineinzustoßen, mich noch nach potentiell zu gefährdenden Radfahrern umsah und vorsichtig zurücksetzen wollte, mir jedoch ein junger Mensch zuvorkam, der mit seinem Auto von weiter hinten vorwärts in jene Lücke schoss, triumphierend grinsend ausstieg und breitbeinig zum Dönerladen stapfte, woran ich heute abend wieder erinnert wurde, als ich mich an einer Runde Ligretto beteiligte. Dieses Spiel appelliert an niedere Instinkte, denn im Unterschied zu den meisten anderen Kartenspielen wird nicht der Reihe nach abgelegt, sondern jeder Spieler versucht, seine Karten nach bestimmten Regeln so schnell es geht auf immer neuen Stapeln abzulegen. Es geschieht alles gleichzeitig, so dass gelegentlich gleich zwei Spieler etwa die gelbe "6" auf den Stapel mit der gelben "5" legen möchten, aber nur die Karte zählt, die zuerst liegt. Zu welchem Spielverhalten dies führt, mag sich jeder ausmalen. Und einen Adrenalinpegel wie nach einigen Ligretto-Spielen erreiche ich sonst nur nach dem fünften Kaffee.
Außer Instantkaffee besitzen wir aber auch eine der typischen Steigrohrmaschinen, mit denen man angeblich keinen richtigen Espreso kochen kann, wir aber tun's und er schmeckt. Als typischer Hybridkonsument habe ich da plötzlich Ansprüche: Kein Lavazza, kein Tchibo, sondern dieser spezielle Espresso Classico muss es sein, frisch gemahlen in espressokannengemäß grober Körnung, den's in diesem einen Teeladen gibt. Und da das Zeug auch in Plastiktüte in Tupperdose in Kühlschrank zum Verduften neigt, kann man davon keine richtigen Vorräte anlegen, sondern muss es regelmäßig und frisch kaufen, und eben dies zu tun hatte ich heute geplant, als ich direkt gegenüber des kleinen Ladens, in dem es stets stark, aber nie unangenehm duftet und wo man noch alte Waagen mit Zeigerskala verwendet, eine Parklücke erblickte, an dieser vorbeifuhr und den Blinker setzte, um rückwärts hineinzustoßen, mich noch nach potentiell zu gefährdenden Radfahrern umsah und vorsichtig zurücksetzen wollte, mir jedoch ein junger Mensch zuvorkam, der mit seinem Auto von weiter hinten vorwärts in jene Lücke schoss, triumphierend grinsend ausstieg und breitbeinig zum Dönerladen stapfte, woran ich heute abend wieder erinnert wurde, als ich mich an einer Runde Ligretto beteiligte. Dieses Spiel appelliert an niedere Instinkte, denn im Unterschied zu den meisten anderen Kartenspielen wird nicht der Reihe nach abgelegt, sondern jeder Spieler versucht, seine Karten nach bestimmten Regeln so schnell es geht auf immer neuen Stapeln abzulegen. Es geschieht alles gleichzeitig, so dass gelegentlich gleich zwei Spieler etwa die gelbe "6" auf den Stapel mit der gelben "5" legen möchten, aber nur die Karte zählt, die zuerst liegt. Zu welchem Spielverhalten dies führt, mag sich jeder ausmalen. Und einen Adrenalinpegel wie nach einigen Ligretto-Spielen erreiche ich sonst nur nach dem fünften Kaffee.
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Nebenbei könnte man natürlich lässig einfließen lassen, dass Charlotte Roche einen so richtig nett angelächelt hat, als man beim Bierholen an ihr vorbeigegangen ist, und dass man, nachdem man sich etwas Mut angetrunken hat, Heinz Strunk eine Frage zu seinem Werk, die einen schon länger beschäftigt hatte, stellte, damals an diesem Hochsommerabend nach der Penislesung, als beide noch lange an den Biertischen draußen saßen, so mitten unter dem Volk, aber das wäre ja bloßes Namedropping und hätte mit dem Thema dieses Beitrags rein gar nichts zu tun.
Extrem heiß war's vor der Veranstaltung vor dem Veranstaltungsort, schweißtreibend geradezu, und dass in der Stadthalle nebenan, die "AWD-Dome" zu nennen ich mich nach wie vor weigere, ja, auskunftsbegehrenden Ortsfremden auf Ihre Frage: "Wissen Sie, wo der AWD-Dome ist?", stets antworte: "Nein, leider nicht, ich kann Ihnen aber gerne den Weg zur Stadthalle erklären", denn, mal ganz im Ernst, "Dome" heißt ja nichts anderes als "Kuppel", und eine Kuppel sucht man dort nun wirklich vergebens, und der Dom wiederum ist noch mal ganz woanders, außerdem habe ich was gegen die feindliche Übernahme öffentlicher Einrichtungen, und sei es nur der Name, der durch dubiose "Finanzdienstleister" oder ähnliche Gesellschaften der Gesellschaft weg- und dreist in Besitz genommen wird, denn das ist ja nun beileibe nicht "nur Sprache" oder "nur ein Name", dass also an jenem Abend in der Stadthalle Peter Maffay aufspielte und deshalb reger Publikumsverkehr auf der Bürgerweide herrschte, tut eigentlich auch nur insofern etwas zur Sache, als ich inmitten der dort entlangströmenden kurzbehosten und -behemdeten jungen und nicht mehr ganz jungen Menschen plötzlich Freund M. erblickte, auf den ich dort wartete und angesichts dessen dicker Lederjacke ich wohl doch leicht erstaunt geguckt haben muss.
Achselzuckend und ungefragt erklärte mir M., dass Mobiltelefon, Geldbörse und Schlüsselbund ja wohl "irgendwo hin müssen", oder, so fragte er mich, wohin ich "als Mann von Welt" diese Utensilien wohl verschwinden ließe? Wenn ich mich recht erinnere, antwortete ich etwa so: "Geld in Scheinen lose in der Hosentasche, Schlüsselbund vorne rechts, Handy vorne links". Wir unterhielten uns dann noch über die modischen Vor- und Nachteile von Herrenhandtaschen, ausgebeulten Buxen, dicken Arsch- (Geldbeutel!) oder ausgebeulten Hemdtaschen (Handy!) samt der in Kauf zu nehmenden Risiken bezüglich eines etwa beim Bücken herausfallenden (Hemdtasche) oder mechanisch überbeanspruchten (Hosentasche) Mobiltelefons und kamen insgesamt zu keinem recht brauchbaren Ergebnis. So hatte z.B. meine Idee, das Portemonnaie an jenem Abend zu Hause zu lassen und nur Bares einzustecken zur Folge, dass ich nicht in der Lage war, dem Zigarettenautomat gegenüber meine Volljährigkeit nachzuweisen (was einem menschlichen Gegenüber gegenüber per Gesichtskontrolle gerade zu dieser Tageszeit durchaus möglich gewesen wäre), so dass ich auf das Wohlwollen und Verständnis zweier betrunkener Frauen vertrauen bzw. auch hinarbeiten musste, von denen eine mir dann tatsächlich ("nur mal eben kurz!") ihre Kontokarte zwecks Altersnachweis zur Verfügung stellte.
Was ich aber immer dabeihabe und dabeihaben muss, ist mein Schlüsselbund. Er besteht aus mehreren, miteinander verketteten Schlüsselringen, beherbergt vier oder fünf Schlüssel sowie einen sog. Dongle*, mit dem ich mir Zutritt zur Anstalt verschaffe, einen ovalen Anhänger aus Metall mit Zeit-Emblem auf der einen und einer individuellen, eingeprägten Nummer auf der anderen Seite, auf der der potentielle Finder des potentiell zu verlierenden Schlüsselbundes freundlich gebeten wird, das Gefundene in seiner Gesamtheit unverpackt in den nächsten Briefkasten zu werfen, auf dass der Key-Refinder-Service das tue, wozu er da ist, nämlich anhand der eingeprägten Nummer den Schlüssel seinem Besitzer zuzuordnen und ihn ihm zuzustellen, eine, wie ich fand, ganz sinnvolle Aboprämie des Wochenblatts, und seit einigen Wochen einen USB-Stick, auch dieser übrigens eine Aboprämie, ich kann manchmal nicht aus meiner Haut und bestelle eine vollkommen unlesbare und grottenschlechte Zeitschrift wie tomorrow nicht etwa aus dem Grund, dass es für dreineunzig oder vierachtzig ein paar Probehefte gibt, die lege ich sofort zum Altpapier, sondern weil ich finde, dass dreineunzig oder vierachtzig für einen USB-Stick sehr günstig sind, zumal wenn dieser USB-Stick über eine Öse verfügt, mit der man ihn an einem Schlüsselbund befestigen kann, so etwas fehlte den Dingern bisher, und es sage bitte niemand, dass man so etwas nicht brauche, einen USB-Stick am Schlüsselbund, denn ich habe darauf immer das sehr schöne, poetische Stück Teilebahn von Heinz Strunks CD Trittschall im Kriechkeller, so etwas kann man manchmal wirklich dringend -
oh, einen Moment bitte!
- Scha-hatz, was machst du denn?
- Ich blogge!
- Was bloggst du denn?
- Ach, nur, dass ich meinen Schlüsselbund heute mitgewaschen habe!
- Was hast du?
- Ich habe den mitgewaschen! Und der USB-Stick funktioniert trotzdem noch!
- Und über so was bloggst du? Interessiert das denn jemanden?
- Weiß nicht.
--
* Wikipedia: An sich ist das Wort 'Dongle' ein englischer Begriff für etwas Unbenanntes (wie auch doodad, gadget oder whatchamacallit), der in den 1970er Jahren benutzt wurde.
Extrem heiß war's vor der Veranstaltung vor dem Veranstaltungsort, schweißtreibend geradezu, und dass in der Stadthalle nebenan, die "AWD-Dome" zu nennen ich mich nach wie vor weigere, ja, auskunftsbegehrenden Ortsfremden auf Ihre Frage: "Wissen Sie, wo der AWD-Dome ist?", stets antworte: "Nein, leider nicht, ich kann Ihnen aber gerne den Weg zur Stadthalle erklären", denn, mal ganz im Ernst, "Dome" heißt ja nichts anderes als "Kuppel", und eine Kuppel sucht man dort nun wirklich vergebens, und der Dom wiederum ist noch mal ganz woanders, außerdem habe ich was gegen die feindliche Übernahme öffentlicher Einrichtungen, und sei es nur der Name, der durch dubiose "Finanzdienstleister" oder ähnliche Gesellschaften der Gesellschaft weg- und dreist in Besitz genommen wird, denn das ist ja nun beileibe nicht "nur Sprache" oder "nur ein Name", dass also an jenem Abend in der Stadthalle Peter Maffay aufspielte und deshalb reger Publikumsverkehr auf der Bürgerweide herrschte, tut eigentlich auch nur insofern etwas zur Sache, als ich inmitten der dort entlangströmenden kurzbehosten und -behemdeten jungen und nicht mehr ganz jungen Menschen plötzlich Freund M. erblickte, auf den ich dort wartete und angesichts dessen dicker Lederjacke ich wohl doch leicht erstaunt geguckt haben muss.
Achselzuckend und ungefragt erklärte mir M., dass Mobiltelefon, Geldbörse und Schlüsselbund ja wohl "irgendwo hin müssen", oder, so fragte er mich, wohin ich "als Mann von Welt" diese Utensilien wohl verschwinden ließe? Wenn ich mich recht erinnere, antwortete ich etwa so: "Geld in Scheinen lose in der Hosentasche, Schlüsselbund vorne rechts, Handy vorne links". Wir unterhielten uns dann noch über die modischen Vor- und Nachteile von Herrenhandtaschen, ausgebeulten Buxen, dicken Arsch- (Geldbeutel!) oder ausgebeulten Hemdtaschen (Handy!) samt der in Kauf zu nehmenden Risiken bezüglich eines etwa beim Bücken herausfallenden (Hemdtasche) oder mechanisch überbeanspruchten (Hosentasche) Mobiltelefons und kamen insgesamt zu keinem recht brauchbaren Ergebnis. So hatte z.B. meine Idee, das Portemonnaie an jenem Abend zu Hause zu lassen und nur Bares einzustecken zur Folge, dass ich nicht in der Lage war, dem Zigarettenautomat gegenüber meine Volljährigkeit nachzuweisen (was einem menschlichen Gegenüber gegenüber per Gesichtskontrolle gerade zu dieser Tageszeit durchaus möglich gewesen wäre), so dass ich auf das Wohlwollen und Verständnis zweier betrunkener Frauen vertrauen bzw. auch hinarbeiten musste, von denen eine mir dann tatsächlich ("nur mal eben kurz!") ihre Kontokarte zwecks Altersnachweis zur Verfügung stellte.
Was ich aber immer dabeihabe und dabeihaben muss, ist mein Schlüsselbund. Er besteht aus mehreren, miteinander verketteten Schlüsselringen, beherbergt vier oder fünf Schlüssel sowie einen sog. Dongle*, mit dem ich mir Zutritt zur Anstalt verschaffe, einen ovalen Anhänger aus Metall mit Zeit-Emblem auf der einen und einer individuellen, eingeprägten Nummer auf der anderen Seite, auf der der potentielle Finder des potentiell zu verlierenden Schlüsselbundes freundlich gebeten wird, das Gefundene in seiner Gesamtheit unverpackt in den nächsten Briefkasten zu werfen, auf dass der Key-Refinder-Service das tue, wozu er da ist, nämlich anhand der eingeprägten Nummer den Schlüssel seinem Besitzer zuzuordnen und ihn ihm zuzustellen, eine, wie ich fand, ganz sinnvolle Aboprämie des Wochenblatts, und seit einigen Wochen einen USB-Stick, auch dieser übrigens eine Aboprämie, ich kann manchmal nicht aus meiner Haut und bestelle eine vollkommen unlesbare und grottenschlechte Zeitschrift wie tomorrow nicht etwa aus dem Grund, dass es für dreineunzig oder vierachtzig ein paar Probehefte gibt, die lege ich sofort zum Altpapier, sondern weil ich finde, dass dreineunzig oder vierachtzig für einen USB-Stick sehr günstig sind, zumal wenn dieser USB-Stick über eine Öse verfügt, mit der man ihn an einem Schlüsselbund befestigen kann, so etwas fehlte den Dingern bisher, und es sage bitte niemand, dass man so etwas nicht brauche, einen USB-Stick am Schlüsselbund, denn ich habe darauf immer das sehr schöne, poetische Stück Teilebahn von Heinz Strunks CD Trittschall im Kriechkeller, so etwas kann man manchmal wirklich dringend -
oh, einen Moment bitte!
- Scha-hatz, was machst du denn?
- Ich blogge!
- Was bloggst du denn?
- Ach, nur, dass ich meinen Schlüsselbund heute mitgewaschen habe!
- Was hast du?
- Ich habe den mitgewaschen! Und der USB-Stick funktioniert trotzdem noch!
- Und über so was bloggst du? Interessiert das denn jemanden?
- Weiß nicht.
--
* Wikipedia: An sich ist das Wort 'Dongle' ein englischer Begriff für etwas Unbenanntes (wie auch doodad, gadget oder whatchamacallit), der in den 1970er Jahren benutzt wurde.
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