Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Barfuß zum Nordpol: Macchia
nnier | 26. Februar 2009 | Topic In echt
[Fortsetzung]
Tres conejos
En un arbol
Tocando
El tambor.
Que si
Que no
Que si.
Lo he visto yo.
(Aus Paul McCartney's Liverpool Oratorio)
Man darf sich das durchaus angenehm vorstellen. Drei Wochen Spanien, das war bezahlbares Essengehen im Nachbardorf, Kaninchen mit Knoblauch und Thymian und Rosmarin, herrlich, auch der Rotwein aus der Kooperative und die Fortuna-Zigaretten waren erschwinglich, man spielte Schach oder Doppelkopf, lernte ein wenig Spanisch, gut, und dass ich den Gastgeber und Spanischlaiendozenten auf Basis meiner kümmerlichen Schulkenntnisse gelegentlich korrigieren musste, schien er mir prinzipiell verzeihen zu können. Mir hätt's ja egal sein können, ich hätte ja still sein können und nichts zu riskieren brauchen, bittschön, dann lernt eben was Falsches, aber, wenn reflexive Verben ausgerechnet am Beispiel von me gusta, te gusta etc. erklärt werden, dann kann ich meinen Mund eben doch nicht halten und muss diskret räuspernd und in Frageform vorsichtig meine Bedenken äußern, gustar, das sei doch gar kein reflexives ... doch, das konnte er akzeptieren, war auch insgesamt ein fairer und angenehmer Gastgeber, lediglich zu früher Morgenstund, also bis zum Mittagessen, wortkarg, missgelaunt, dünnhäutig, und wenn man über seine endlos dahingegrummelten Motzereien zum Thema Margarine, die schmecke ja "beschissen", die sei ja "eklig", wer denn die gekauft habe, die schmecke ja "wie aus Erdöl gemacht", irgendwann lachen musste, blickten einen zwei reichlich humorlose Augen sehr durchdringend an. Oder wenn er einem ausführlich den Weg zu einem ungenutzten Acker erklärt hatte, auf dem es überreichlich Macchia gebe, die man sehr gut als Feuerholz nutzen könne, man dann mit dem Auftrag hingefahren war, nicht mehr als einen Kofferraum voll zu holen, dann zwei Stunden lang vereinzelte dürre und grüne Zweiglein aufgesammelt hatte und doch nur mit wenig mehr als einem Arm voll Holz wiedergekommen war, dann verfinsterten sich Miene und Stimmung ziemlich drastisch; wobei auch andere Menschen ihre Eigenheiten hatten, der eine wollte früh schlafen und der andere lange feiern, der eine im Morgengrauen aufstehen und der andere unter der Mittagssonne frühstücken, das Übliche halt, kleine Psychosen und große Neurosen gaben sich das mir aus Gemeinschaftsurlauben bereits vertraute Stelldichein, Futterneid, Eifersucht, man kennt das ja alles, und auch ich begann eines Morgens beim Abwaschen, welches mir durch Druckbeschallung mit Iron Maidens Run to the Hills wesentlich leichter von der Hand zu gehen schien, angesichts der missgelaunt herüberschauenden Gesichter, vor allem aber des dramatisch verringerten Messerbestandes im Besteckkasten, mich zu fragen, ob man sich für die letzten Tage evtl. bewaffnen solle. Außerdem ließ sich das Thema der Rückreise langsam nicht mehr verdrängen, denn nach wie vor standen für zwei Personen keine Plätze in den Autos zur Verfügung, und während ich mich mit dem Gedanken anzufreunden versuchte, entgegen aller Schwüre evtl. doch wieder per Anhalter zu reisen, stand für mich fest: Keinen Fuß auf französischen Boden.

Eine der Reiseteilnehmerinnen, und zufällig die, die mir, sagen wir, sympathisch war (Aua! Da kannte ich dich doch noch gar nicht!), war entschlossen, sich auf folgenden Plan einzulassen: Wir stellen uns zu zweit an den Grenzübergang, wir warten gezielt auf Autos mit deutschen Kennzeichen, wir bleiben bis Deutschland zusammen, wir denken nicht mal darüber nach, irgendwo in Frankreich auszusteigen, wir fragen nach einem durchgängigen Lift bis auf deutschen Boden - ganz oder gar nicht, das war unser Motto.

Meine Tramper-Erfahrung hatte mich ja gelehrt, dass es gewisse geschlechtsspezifische, statistisch signifikante Unterschiede bei der Frage gibt, ob und wie schnell man mitgenommen wird. Nicht nur einmal hatte ich erlebt, wie nach stundenlangem Herumstehen eine vorzugsweise blonde Tramperkollegin erschien und den Daumen noch nicht ganz in der Luft hatte, bevor drei Autos quietschend bremsten und die Fahrer sich um den potentiellen Fahrgast stritten. Während man sich vorsichtig heranpirschte, wurden alle drei Türen wieder zugeknallt, die Autos fuhren weg - und aus einem winkte die Tramperin einem lächelnd zu. Ich konnte also durchaus realistisch annehmen, angesichts der Haarfarbe und insgesamt angenehmen Erscheinung meiner Mitreisenden (Aua! Wirklich, das war, bevor wir uns kannten!) auf eine erhöhte Mitnahmebereitschaft zu treffen. Und in der Tat hupten und grinsten in den ersten Stunden an der Grenze schätzungsweise zwanzig LKW-Fahrer, zeigten auf die, die sie gerne mitgenommen hätten, hielten manchmal auch an, sahen dann missmutig und enttäuscht zu mir herüber, versuchten wortreich zu erklären, wie gerne sie zwar, aber zwei Mitreisende, das ginge nicht, und fuhren dann alleine weiter.

[Bald ist Schluss]

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jean stubenzweig, Donnerstag, 26. Februar 2009, 12:58
Mannomann, das ist ja ein so langsam aus dem Ruder laufendes Tramperschicksal. Da kann ich ja froh sein, daß ich mir gleich am zweiten Tag meines Versuchs, kostenlos mitzureisen, gesagt hatte: Ende, Schluß, nie wieder.

A propos «Bald ist Schluß»: Das bedauerte ich sehr. Nicht, daß ich mich an Ihrem Leid laben möchte. Aber das Vergnügen möchte nicht enden, Ihnen dabei zuzuhören.

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nnier, Donnerstag, 26. Februar 2009, 19:15
"Im Urlaub lernt man die Leute erst richtig kennen", sagte einmal eine weise Frau zu mir, und damit hatte sie aus meiner Sicht sehr recht. Ich habe tatsächlich Urlaube abgebrochen, weil ich mir nicht sicher war, ob man sich andernfalls noch je würde in die Augen sehen können, und einmal fürchtete ich tatsächlich, es könne in körperlicher Gewalt enden. Aber ich will mir ja auch noch was zum Erzählen aufsparen. Schluss ist allerdings bald mit dieser Reise, und ich danke herzlich für die aufmunternden Zurufe!

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