Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Barfuß zum Nordpol: Es geht voran
nnier | 11. Februar 2009 | Topic In echt
[Fortsetzung]

Früh am Morgen erreichen wir mit dem Zug Lyon. Dort auszusteigen fällt schwer, am liebsten wäre man einfach sitzengeblieben, so warm und weich sind die Sitze, aber wir können uns das ja nicht leisten. Weder nach Römischen Theatern noch nach Kathedralen fragen wir deshalb in der Tourist Info, sondern nach einer guten Stelle für faire l'autostop. Seltsamerweise ernten wir nur verständnislose Blicke und werden unwirsch abgefertigt. Liegt das an meinem schlechten Französisch? Meinem doch langsam etwas heruntergekommenen Äußeren? Immerhin haben wir uns doch gerade in einer dieser herrlichen öffentlichen Toiletten ausgiebig frischgemacht! Gut, ohne Rasur und Parfum. Und so besonders viele frische Klamotten hat man ja auch nicht dabei, wenn man nur eben kurz nach Spanien trampen will.

Natürlich mag es auch an meinem inzwischen sehr deutlichen Hinken (die Knie! Die Schuhe!), diesem leicht gebückten, schleppenden Gang gelegen haben, denn wie man weiß, dient es ja der Erhaltung der Art, das ist evolutionär einfach so einprogrammiert, die Kranken und Schwachen auszusortieren, siehe Raben und Krähen und Eskimos und Indianer. Mitleid ist da lediglich eine kulturelle Überformung. Deshalb mögen auch die mutlose Aura und der flackernd-irrlichternde Blick aus rotgeäderten, übermüdeten Augen eben keine spontanen karitativen Instinkte, sondern deutlich ablehnende Reaktionen hervorgerufen haben. "Schleicht euch!", so schienen die Damen und Herren uns zuzuzischen, und nach Einnahme eines Kaffees und einem Blick auf die - immerhin! - ergatterte Umgebungskarte der Stadt entschieden wir, erneut Geld zu investieren und per Bus in einen südlichen Vorort namens Vienne zu fahren. Dort sollte man nun wirklich gut wegkommen.

Aus dem Bus auszusteigen tat ernsthaft weh, nicht nur in den Knien; es bedurfte dazu einer sehr ausgeprägten Willensanstrengung. Und irgendwann nahm uns tatsächlich jemand mit, brachte uns jedoch von der Strecke nach Süden ab, wir standen plötzlich im Niemandsland - aber einen Hypermarché gab's dort, in dem wir einkauften, ich konnte wirklich nicht mehr normal gehen, die Strecken in dem Riesensupermarkt erschienen mir endlos, wir aßen und tranken und saßen stundenlang herum. Und dann wurden wir doch noch mitgenommen, bis nach Valence, zurück auf die Strecke, immerhin, aber es war schon Abend. Ich kam kaum aus dem Auto heraus. Wir mussten irgendwo übernachten.

"Nimm keine Rücksicht auf mich, lass mich hier einfach liegen. Hauptsache, du überlebst. Sag meiner Familie, dass ich sie liebe", flüsterte ich meinem Reisegefährten zu, er aber schulterte mich und marschierte mit mir ins Zentrum des Städtchens, in dem er die ersten Palmen seines Lebens sah. "Reiß dich zusammen, wir sind heute doch gut vorangekommen. Fast hundert Kilometer!"

[Wird irgendwann fortgesetzt.]

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jean stubenzweig, Mittwoch, 11. Februar 2009, 13:14
Jetzt möchte ich aber wenigstens einen euphorischen Bericht über Valence haben. Na gut, es gibt schönere Städte im Land. Das überdies wahrlich keines für Anhalter war (und ist). Sie Ärmster.

Ich bin ja erst die nächsten Tage dran mit der Schilderung meiner Leidenstour. Sie sind schuld – Sie haben mich dazu animiert.

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nnier, Mittwoch, 11. Februar 2009, 14:01
Schau mer mal, was sich machen lässt mit Valence! Und dem, was folgt.

Ich hab' den Einstieg schon gelesen und freue mich drauf!

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