Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Sonntag, 31. Juli 2016
71@71:#19
nnier | 31. Juli 2016 | Topic Musiq
It's just a silly phase I'm going through
(10cc, I'm Not in Love)

Wo waren wir stehengeblieben - ach ja! Wenn man mal überlegt, mit wem McCartney nach den Beatles musikalisch wirklich zusammengearbeitet hat, denkt man wahrscheinlich zuerst an den Wings-Gitarristen Denny Laine. Das war in den 70ern, und womöglich fällt einem noch ein, dass in den späteren 80ern Elvis Costello völlig verfrüht als "neuer Lennon" ausgerufen wurde, weil er einige brauchbare Songs mit Paul geschrieben hatte.

Was unser Kandidat aber nicht weiß: Es gab dazwischen den Herrn Stewart, Eric, der auf vier McCartney-Alben der frühen bis mittleren 80er Jahre an der Gitarre und teilweise eben auch als Songwriting-Partner in Erscheinung getreten ist. Und damit verbleibt der Hauptpreis auch diese Woche im Jackpot, nicht traurig sein, danke fürs Mitmachen und Sie bekommen eine dufte Bürotasse von Radio MAD.

Was aber will uns dieser Random Fact sagen? Nicht so voreilig da hinten, denn: Wie ja jeder weiß, war Eric Stewart einer der Köpfe der Band 10cc und somit ganz heißer Scheiß in den 70ern. Wer hat damals nicht seinen bekifften Liebeskummmer mit diesem Schmachtfetzen genährt! Es gibt Geschichten darüber, dass die Plattenbosse sich damals vor Begeisterung über den neuartigen Sound fast entleibt hätten, damals wurde ja noch richtig Geld gezahlt, und man der Band einen fantastischen Plattenvertrag aufnötigte, praktisch Blankoscheck.

Erinnern Sie sich an weitere Hits von 10cc? Ich auch nicht, also keine Ahnung, ob die Plattenfirma da ein gutes Geschäft gemacht hat. Aber was mich schon immer gewundert hat, waren eben diese vielstimmigen Chöre, die es bei McCartney in einer Phase seit den frühen 80ern gegeben hat. Nehmen wir das heutige Stückchen, 1982 als Single erschienen und damals durchaus im Radio gespielt: Da gibt es Mitschnitte von frühen Proben, bei denen man sich die Ohren zuhalten möchte und denkt, herrje, das wird doch nichts (nichts für ungut, Linda).

Und doch ist kurz darauf ein knackiges Stück Pop daraus geworden, sicher: Mehr Handwerk als Kunst, aber hier sieht man mal, was eine gute Produktion und ein wenig Mühe beim Arrangieren ausmachen können. Der Einstieg mit dem Bass, das galoppierende Schlagzeug beim Refrain, die knackigen Bläser und eben die vielspurigen Hintergrundchöre gegen Ende sind keineswegs Zierrat, sondern heben das harmlose Liedchen für mich qualitativ auf eine ganz andere Ebene.



Eric Stewart soll enttäuscht gewesen sein, als nicht er, sondern Hugh Padgham das (sagenhaft unbeliebte und später von McCartney geflissentlich ignorierte) Album Press to Play produzieren durfte, für das er mehrere Titel co-komponiert hat, und so ging man danach wieder auseinander. Mindestens soundmäßig hat Mr. Stewart aber deutliche Spuren hinterlassen.

Platz 19: Take It Away (1982)

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Sonntag, 24. Juli 2016
KL 604
nnier | 24. Juli 2016 | Topic In echt


Leute sagen, ich sei in den Urlaub gefahren, noch gar nicht lange her soll das sein. Und manchmal kommt es mir tatsächlich so vor, als sei da etwas gewesen: Vage Erinnerungen an Kuhglocken und Motorsägenduft stellen sich dann ein, an Brettljausen und Bergwanderluft, und auch das Körpergedächtnis meldet sich bisweilen - drei Wochen Dauergrinsen schreiben sich hirnphysiologisch ein, da kannst du noch so griesgrämig in den Alltag schauen, das wirkt nach.



Zurück nach Hause also, bei dieser Hitze fühlt sich ohnehin alles flimmrig-fiebrig an, und je näher alles rückte, desto unwirklicher wurde es. Emotionale Amplituden, unsen letzten Gast verabschieden, einen unglaublich lieben Kerl aus Mexiko, der zum Schluss mütterlichen Abholbesuch bekommen hatte: Abends noch einmal Essen gehen am Fluss, frühmorgens Tränen weglächeln am Flughafen, dann arbeiten gehen. Zu Hause gründlich durchlüften, viel mehr Zeit blieb ja nicht, und das Bett frisch beziehen. Sich dabei nicht vorstellen können, dass sie nun bald wieder da sein wird, und zwischendurch abrupt begreifen: Das schnürt dir die Luft ab, da musst du dich hinsetzen, irgendwann gehst du ins Bett und träumst ganz intensiv.



Leute behaupten, ich hätte Urlaub gehabt, neulich erst und gar nicht mal so kurz. Es stimmt, ich war unterwegs, mir ging es gut, dann kam ich wieder und alles wurde irreal, dazu die Hitze und dieses fiebrige Flimmern: Mein tolles, liebes Kind ist wieder da, unglaublich, ich bin überglücklich. Und total erledigt.

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Donnerstag, 14. Juli 2016
Olymp
nnier | 14. Juli 2016 | Topic Musiq
Neulich, auf dem Konzert, wurde mir noch mal klar, dass er jetzt deutlich über 70 Jahre alt ist. Was für ein feiner, bescheiden gebliebener Mann, dachte ich, und wie unglaublich lange das alles her ist: Hamburg. Kaiserkeller. Star Club. Er hat mit den ganz Großen zusammengespielt: John Lennon. George Harrison. Ringo Starr. Und macht überhaupt kein Aufhebens davon.



Als Bassist ist er wirklich nicht schlecht, und viele wissen ja gar nicht, wie oft er auch in den 70er Jahren noch mit John, George und Ringo zusammengespielt hat - eigentlich sogar mehr als zu seiner Zeit mit den Beatles.

Ich stand an der Bühne und glaubte zu spüren, wie er sich freute: Eleanor Rigby. Here, There and Everywhere. Was für schöne Lieder das sind! Die Leute schauten und waren glücklich. Er schaute zurück und sah glücklich aus.

Ich war ihm näher als je zuvor und hätte endlich fragen können, wie es sich eigentlich anfühlt, an einem so unbegreiflichen Album wie Revolver mitgewirkt zu haben. Ach was, buchstäblich anfassen hätte ich ihn können, aber so einer bin ich ja nicht und genoss also den Abend im Olympiastadion zu München still und mit geschlossenen Augen, d.h. wenn ich nicht gerade laut jubelte oder die Freudentränen wegwischte.

Ob ich diesmal nicht doch nach einem Autogramm frage, überlegte ich, und das ist doch nicht zu glauben, dass du mit so jemandem am gleichen Ort bist. Und wenn ich schon nicht nach Lennon oder Harrison fragen mag, dachte ich, denn das kommt ihm bestimmt zu den Ohren raus, dann vielleicht nach Behrens oder Krawinkel, die verdanken ihm ja ebenfalls eine Menge, und auch das weiß längst nicht jeder. Dann ließ ich ihn lieber in Ruhe.

Das Konzert schien ihm echte Freude zu bereiten, doch gegen Ende begann es ihn anzustrengen, das war unverkennbar, und mir selbst fällt es auch nicht mehr so leicht, stundenlang zu stehen: Kein Wunder, dass er sich zwischendurch auch mal hinsetzte. Zum Finale aber war er wieder voll da, alle waren glücklich, und es mag komisch klingen, denn er hat in seinem Leben bestimmt schon genug Autogramme gegeben - trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er sich über meine Frage gefreut hat.



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Sonntag, 3. Juli 2016
Ein Nachbar
nnier | 03. Juli 2016 | Topic In echt
Uns trennten ein paar Jahre, das merkte man manchmal bei Kneipengesprächen über ZDF-Vierteiler oder Musik: Da wussten wir meist genau, wovon der andere sprach, aber wenn es zu früh in die 70er oder zu spät in die 80er ging, sagte man: Ja, doch, schon mal gehört, aber ...

Er kam aus dem Norden des einen Bundeslandes, ich aus dem Süden des anderen: Luftlinie ist das keine Strecke, und meist wussten wir genau, wovon der andere sprach, nur manchmal hatte man zwar schon mal gehört, aber ...

Wir stellten irgendwann fest, dass wir so gut wie Nachbarn waren, gerade mal ein Sträßchen auseinander. Das war, als ich das Programmieren lernte, und ab und zu, vor Klausuren, verabredeten wir uns zum Üben.

Noch öfter verabredeten wir uns nach den Klausuren. An diese Abende erinnere mich gerne, ein gemischter Weiterbildungshaufen mit ihm als informellem Klassensprecher: Vollkommen unerwartet waren das keine blutleeren IT-Nerds, sondern Menschen mit einem Leben, und wir haben viel gelacht damals.

Wir blieben in Kontakt, hatten gleichaltrige Kinder, und vor zehn Jahren sah ich in seinem Garten dabei zu, wie Deutschland bei der WM gegen Italien ausschied, das ist mir gestern wieder eingefallen. Manchmal luden wir uns gegenseitig zum Geburtstag ein.

Es gab nicht genügend Schulplätze im Stadtteil, da hängten wir uns beide rein, er aber hatte diese natürliche Art, den Organisator und Kohortenführer zu geben: Termine und Treffen und Telefonate, das lief alles über ihn, und ich habe sein Engagement bewundert. Schulelternsprecher, Stadtteilbeirat, so brachte er sich ein, und ich schätze Menschen, denen so etwas wichtig ist, ohne dass sie sich selber wichtig tun.

Die Kinder wollten ins Ausland, da setzten wir uns zusammen und besprachen die Möglichkeiten. Sein Sohn war ein Jahr früher dran, jetzt ist mein Mädchen unterwegs. Wenn wir uns trafen, sprachen wir darüber. Er hatte eine riesige Comicsammlung und lieh mir Watchmen, als es noch keiner kannte; ich schenkte ihm Didi & Stulle und begeisterte ihn für Fil, bei dessen Auftritten wir uns seither immer begegneten.

Sie kennen das ja, man nimmt sich vor: Den rufe ich bald mal wieder an, oder man trifft sich auf der Straße: Lass uns doch mal wieder!, und immerhin, das haben wir nie abreißen lassen. Trotzdem musste ich überlegen: Wann haben wir uns eigentlich zuletzt gesehen?

Das war, als mir jemand sagte, dem geht es nicht gut, und ich habe dann noch eine Zeit gebraucht, bis ich mich gemeldet habe. Dann holte ich ihn ab und wir gingen zur Kneipe, blieben stundenlang und rauchten viel. Das Leben ist nicht fair, sagte er, nachdem er fertig erzählt hatte, und du brauchst nichts zu sagen, man kann eh nichts dazu sagen. Von seinen letzten Konzertbesuchen erzählte er und dass er bald zu Fil nach Hamburg fährt, denn in Bremen tritt der erst im Herbst wieder auf. Sudoku konnte er immer gut, sagte er, und jetzt sitzt er stundenlang an einem, über dem steht: "Leicht", und bekommt es nicht hin. Oder eine Excel-Tabelle sortieren: Keine Chance, sagte er, und das als Programmierer.

Da arbeitete er schon nicht mehr, und wir liefen durch die Nacht nach Hause, man musste nebenbei ein wenig auf ihn aufpassen, da ihm das Geradeauslaufen Probleme machte, und trotzdem vergrub er sich nicht zu Hause: Konzertbesuche, Zugreisen und Kneipenabende wollte er sich anscheinend nicht nehmen lassen, das fand ich unglaublich stark, und wir redeten noch über Filme und Musik und dass wir uns bald wieder verabreden wollten.

Beim Markt kamen wir uns entgegen und unterhielten uns ein paar Minuten, da musste ich weiter und sagte, ich melde mich noch vor meinem Urlaub, er ging mit Stock und sagte: Ja, besser du meldest dich, für mich ist das etwas schwer gerade. Ich bin dann in den Urlaub gefahren, schrieb noch eine Mail: "... und melde mich danach", aber das wird nicht mehr passieren.

Er hat hier gerne mitgelesen, das sagte er mir regelmäßig, und ich winkte ab: Doch, meinte er, ist immer eine angenehme Atmosphäre, freundliche Menschen, und als solchen werde ich ihn in Erinnerung behalten.

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Mittwoch, 1. Juni 2016
Zäpfel in Dü
nnier | 01. Juni 2016 | Topic Musiq
Zäpfel Kern hatte, wie wir wissen, ein paar nette, sehr niedliche Ohren erhalten, und er war immer etwas eitel auf seine kleinen Öhrchen gewesen. Und nun, entsetzlich, erblickte er an deren Stelle zwei ungeheure haarige Ungetüme, von denen er nichts anderes sagen konnte, als daß es zwei ausgewachsene Eselsohren waren.
(Otto Julius Bierbaum, Zäpfel Kern)
Wie ja jeder weiß, erzählte der Schriftsteller Otto Julius Bierbaum zu Beginn des 20. Jahrhunderts mal eben die Abenteuer Pinocchios nach, änderte ein paar Namen und gab seinem Buch den Titel Zäpfel Kern. Als mir mein Freund A. eine Pinocchio-Hörspielcassette zum Geburtstag schenken wollte, dann aber Zäpfel Kern auf dem Tisch lag, war ich zunächst enttäuscht, denn ich hatte die Figuren und Stimmen aus der bekannten Zeichentrickserie erwartet. Später begann ich das Hörspiel dennoch zu mögen, in dem der alte Tischler statt Gepetto eben Väterchen Zorntiegel hieß, und besonders beeindruckt hat mich das Kapitel "Bei Dr. Schlaumeier im Spiel-Immer-Land": Da geht es um Kinder, denen ein sorgloses Leben in einer Art ewigem Freizeitpark versprochen wird, und um den hohen Preis, den sie eines Tages dafür zahlen müssen, indem sie sich zu Eseln verwandeln und als solche für Dr. Schlaumeier arbeiten müssen oder von ihm verkauft werden.

Mich hat der Wind vor einigen Tagen nach Westen geweht, erst wunderte ich mich noch über die hohen Berge und tiefen Täler, Ennepetal, Neviges, Velbert, Wuppertal, das ist ein ewiges Auf und Ab und mit Rollator bestimmt noch anstrengender, und irgendwann fand ich mich in Düsseldorf wieder, einer Stadt, zu der ich jetzt immerhin sagen kann: Nu ja, und dann zeigte ein Pfeil zum Spiel-Immer-Land.

Mit ein paar anderen Kindern durfte ich schon vorher rein, als die Kapelle ein Stündchen probte. Vor Freude weinte ich auf meine Zuckerwatte, denn statt "Test-Test-1-2-3" wurden ganze Songs gespielt, und der Mann auf der Bühne war lieb zu uns und hatte sichtlich Freude an seinem Tun. Als er uns verabschiedete und viel Spaß für die Show am Abend wünschte, ging es noch mal raus ins Helle. Durch den Schleier sah ich den glücklichen Japaner, der neben mir gestanden und einen inneren Kulturkampf ausgefochten hatte: Man ist ja eher der zurückhaltende Typ und von außen betrachtet kein Kind mehr, aber, Herrgott, das kann doch gar nicht wahr sein, Konnichiwa Sayonara!

Einige Stunden träumte ich auf meinem Sitz vor mich hin, begleitet von angenehmer Musik, ein DJ kam drin vor und elektronisch verfremdete Versionen meiner musikalischen DNA. Dann erscholl ein Akkord, der mich 50 Jahre jünger machte, gleich konnte ich wieder stehen, und das kann doch gar nicht wahr sein, Domo Arigato!

Es gab ordentlich was auf die Ohren, und irgendwann begann ich mich zu fragen, ob das vielleicht wirklich nicht ganz wahr ist. Hinterher konnte man lesen, dass es Probleme mit dem Klang in der Arena gegeben habe. Vielleicht war es das. Vielleicht auch etwas anderes. Ich denke dabei nicht an Playback, der Mann singt wirklich, das habe ich aus der Nähe gesehen. Aber irgendwas klang fremd für mich, als ob da technisch getrickst und nachgeholfen würde, nicht schlimm und roboterhaft, aber auch nicht mehr pur und unverfälscht.



Und wen würde das wundern, mit fast 74, bei dem Dreistundenprogramm an der Gitarre, am Bass, am Klavier, und alle wollen das hören, alle wollen rein in das Spiel-Immer-Land und glücklich sein, und das waren sie, das waren wir, nur beim Rausgehen musste ich mir prüfend an die Ohren fassen.

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