Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Dienstag, 26. Januar 2016
Bildverlust
nnier | 26. Januar 2016 | Topic Art
Als Kind wusste ich gar nicht, was wir in Deutschland für ein Glück hatten: Gewöhnliche Comic-Hefte wie Micky Maus wurden hier ganz selbstverständlich auf gutem Papier im aufwendigen Kupfertiefdruckverfahren hergestellt. Das macht einen ganz erheblichen Unterschied zu dem grobgerasterten und farbverschobenen Erscheinungsbild der US-Comics auf ihrem schlichten Zeitungspapier, und obwohl ich die Amerikaner oft um ihre reiche Comic-Kultur beneidet habe, bin ich damals, was Farbbrillanz und Konturschärfe angeht, ordentlich verwöhnt worden.

Es sind ganz frühkindliche, intensive Eindrücke, an die ich mich da erinnere, die klaren Linien, die schönen Grundfarben, dazu die lustigen Figuren mit ihren Kindchenschemagesichtern: Diese Hefte waren ein Schatz, und ich las sie immer wieder. Fix und Foxi konnten bieder und nervig sein, aber noch heute erinnere ich mich an das wunderschön kolorierte Schlussbild einer Geschichte, die an Weihnachten spielte: Alle Fuxholzener stehen in einer abendlich sonnenbeschienenen Schneelandschaft und singen "Stihille Nacht", während am Bildrand eine kleine Maus genervt die Ohren zuhält und so etwas sagt wie "Von wegen stille Nacht", was ich mit sechs oder sieben Jahren wirklich witzig fand.

Was man Ligne Claire nennt, war hingegen nie mein Fall: Von Tim und Struppi bekam ich zuverlässig Kopfschmerzen, da hilft mir der comicgeschichtliche Stellenwert dieser Reihe rein gar nichts, und auch Superhelden und Abenteuerzeug las ich nur, wenn wirklich nichts anderes in Reichweite war. Aber sonst hatte ich sie alle, Asterix, Lucky Luke, Kauka, vor allem aber Disney: Micky Maus, Mickyvision, Donald Duck Sonderheft, Donald Duck Taschenbuch, Lustiges Taschenbuch, das konnte nicht genug sein und artete manchmal richtig in Stress aus.

Eines Tages stand ich im Kiosk, und wieder war es ein bunter, visueller Eindruck, der so stark war, dass ich etwas anderes als geplant kaufte: Das da war mein erstes MAD-Heft, und ich finde den Gag immer noch gut, außer dass ich geschworen hätte, aus der Rakete wäre noch eine kleine Sprechblase gekommen: "Würg!"

Das deutsche MAD hatte damals enorm gute Titelbilder, führte mich aber insofern vom Weg ab, als es im Inneren aus schnöden Graustufen bestand. Und so ist es kein Wunder, dass ich schließlich bei den schwarz-weißen Underground-Comics von (vor allem) Robert Crumb landete, die mich jahrelang beschäftigten und begeisterten: Das waren plötzlich ganz andere Inhalte, Sex, Neurosen, Autobiographisches, meisterhaft gezeichnet von einem, der, das spürte man, seine Kindheit in alten Comic-Heften verbracht und die guten Sachen intensiv studiert hatte.

Irgendwann war ich auch damit durch. Und es folgte nichts nach. Natürlich gibt es gute "Graphic Novels", gelegentlich lese ich auch mal eine, aber dass mich etwas ganz direkt und unmittelbar anspricht, so dass ich es unbedingt haben und lesen will, ist mir seither nicht mehr passiert.

Bis ich neulich auf einer Quatschseite einen Link zu Joan Cornellà fand: Nanu, was ist denn das!? Gibt's das auch als Buch? (Ja, und ich muss das unbedingt haben.)

Das sind absurde, surrealistische, grausame und saukomische Comics, die ihr euch am besten alle der Reihe nach anguckt: Ich finde die richtig gut, diese klaren Linien und schönen Grundfarben!

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Mittwoch, 20. Januar 2016
71@71:#26
nnier | 20. Januar 2016 | Topic Musiq
Weeeeeelll come into this house / Stop all that yackety yack!

Wenn etablierte Künstler in der Spätphase ihrer Karriere versuchen, back to the roots zu gehen, ist das schnell peinlich. Oder langweilig. Meist beides.

Denen fällt nichts mehr ein, die sind durch, die suchen sich eine Ladung Standards zusammen und surfen auf dem Nostalgietrip. Versuchen vergeblich, eine gute alte Zeit heraufzubeschwören, klingen hohl und abgeschmackt.

McCartney hat das einmal getan, 1987 mit dem sogenannten "Russischen Album", welches eines der wenigen von ihm ist, die ich tatsächlich nie höre. Leblos und langweilig, einzig vielleicht erklärbar als panisch-regressive Korrekturbewegung nach dem Misserfolg von Press To Play: Keiner mag die elektronisch-kühle Produktion mit diesen 80er-Sounds? Dann nehmen wir schnell ein Rock'n'Roll-Album auf und klingen wie die Altherrenband beim Frühschoppen.

Ebenso stark gähnen muss ich bei manchem Lied, das er allzu offensichtlich im Stil der 50er oder frühen 60er schreiben wollte: Sachen wie Get Out of My Way von 1993 vergisst man gleich wieder, und das ist auch gut so.

Dann kommt er 1999 mit einem Rock'n'Roll-Album an, beendet sein Trauerjahr, lädt ein paar alte Säcke ein, nimmt eine Ladung Stücke aus den 50ern auf und komponiert nebenbei Songs, die sich exakt einfügen: Knackfrisch klingt das, unprätentiös und energisch, All Shook Up von Elvis Presley wie mit einer Ladung Pepperoni im Arsch, manches wie im Pub aufgenommen und anderes wie im Bierkeller, immer aber zügig voran und auf den Punkt. Gefällt mir sehr.

Ein Lied herauszuheben ist nicht ganz leicht, Honey Hush ist es geworden, vielleicht auch deshalb, weil ich es einmal unter besonderen Bedingungen live erleben konnte. Und wenn ich daran nur denke, wird mir so warm ums Herz, wie ihr es euch nicht vorstellen könnt.

Komischerweise findet man nur ein paar Liveversionen im Internet, die sind nicht schlecht, aber die Power der Studioaufnahme erreichen sie nicht ganz. Von dieser kann ich also leider nur einen Schnipsel verlinken:

Platz 26: Honey Hush (1999)

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Donnerstag, 14. Januar 2016
Drei Farben Rot
nnier | 14. Januar 2016 | Topic Gulp




Heimatbesuch am Wochenende. Der hier war eine Dreingabe zu irgendeinem Kauf, und also sprach ich: Halt, ich muss probieren. Aber wir wollten den doch zum Kochen nehmen, und er ist eine Dreingabe! Die Dame auf dem Etikett hat mich aber ausdrücklich darum gebeten. Hm. OK, kochen wir. (Dabei sagt Wikipedia, dass das eine sehr hochwertige Sorte sein kann.)



Schattoofurroobordoo. Diese Flasche war schnell leer. Angenehme Trockenheit, leichtes Adstringieren, und die Zeit in der Karaffe hat ihm gutgetan: Mehr gibt meine Erinnerung nicht her, man sollte sich mehr Notizen machen.





Auf dem Rückenetikett las ich: Grenache, Syrah, Mouvèdre, und inzwischen weiß ich schon, dass das in meine Richtung geht. Man sollte sich mehr Notizen machen, hicks, aber an den hat man sich so richtig schön herangeschmeckt: Karaffiert, geschnuppert, einen vorsichtigen Schluck und dann aber schnell nachschenken.

--
1) Oltrepo Varese Barbera von 2013. Gabs irgendwo dazu. Vordergründig, dünn und kratzig, nichts für mich.
2) Chateau Fourreau Bordeaux von 2011. Preis unbekannt, im Frankreichurlaub gekauft. Aus der Erinnerung: Trocken, adstringierend, aber sehr viel Frucht: Sehr angenehm zu trinken.
3) Côtes du Rhône Manoir du Chapelas von 2006. Preis und Herkunft unbekannt. Aus der Erinnerung: Schön trocken, vollfruchtig, kurz irritierend, dann immer besser.

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Dienstag, 5. Januar 2016
Mein G-Punkt
nnier | 05. Januar 2016 | Topic Musiq
Es gibt Dinge, die wird man anscheinend nicht los. Bei mir gehört dazu eine gewisse Empfänglichkeit für die Musik einer weithin mit Inbrunst gehassten Band. Coolnesspunkte sammelt man damit keine, aber wir sind ja nicht zum Spaß hier; und da es mich regelmäßig überkommt, muss ich mich dem Thema schließlich und endlich einmal stellen.

Fangen wir so an: Als alles längst vorbei war, auch für mich persönlich, kamen sie wiedervereint und gewohnt bombastisch für eine letzte Tour zurück. 2007 war das und mithin gute 15 Jahre nach der letzten gemeinsamen Platte. Da stand ich in Hamburg im Regen mit meiner Skepsis gegenüber der Maschinerie und dachte über den Zynismus nach, der auf dieser Veranstaltung zu liegen schien. Denn gerade der Sänger machte auf mich einen wirklich abgewichsten Eindruck: Ich ertappte mich jedenfalls zweidreimal bei dem Gedanken, dass der seine Zuschauer verachtet und seine Bandkollegen nicht mehr leiden kann, aber einmal noch Heu einfahren und vielleicht auch das gefledderte Ego des ehemaligen Superstars gestreichelt haben wollte, dessen Namen zu dem Zeitpunkt schon keiner mehr aussprechen mochte.

Ich stand da aber auch mit meinem lieben Sohn, und der erzählt mir bis heute, wie froh er ist, dass er dabeisein konnte und wie sehr er bedauert, dass dies das einzige Mal geblieben ist, denn, so seine Wahrnehmung, das war eins seiner besten Konzerte.

Ein bestimmtes Album habe ich gar nicht auf CD, sagte ich ihm neulich, und das war die Scheibe, mit der es für mich so richtig losgegangen ist: Mama, dieser totgespielte Song, hat bei mir damals etwas in Gang gesetzt, jahrelange Obsession und wildes Sammeln. Noch kam einem der Phil-Collins-Drumsound ja nicht zu den Ohren raus, und die dunkle Stimmung des Songs mit der leicht irren Lache war mir ein willkommener Gegenpol zur sonstigen Hitparadenmusik. (Dass sie die Hitparaden bald und für Jahre komplett kapern würden, bis alle nur noch kotzten, war noch nicht unbedingt abzusehen.)

Jetzt hat er mir das Album zu Weihnachten geschenkt und mich getriggert: Durchaus skeptisch legte ich es ins Abspielgerät. Erschreckend, dachte ich, wie nahe das nach über 30 Jahren noch ist, schon klebte ich fest und ließ die Scheibe nicht mehr aus dem Gerät. Und dann geht es wieder los, dann muss ich noch mehr Lieder anhören und endlos in den Fanforen herumlesen, eine sehr ambivalente Geschichte, da ich mich in diesem erstarrten Universum zwar sofort wieder heimisch, aber nie lange glücklich fühle.

Dennoch, ich war jetzt wieder ein paar Tage da drinnen und habe Ihnen etwas mitgebracht:

10 Gründe, diese verdammte Band zu mögen, die immerhin sechs Studioalben aufnehmen musste, bevor zum ersten Mal die Worte "I love you" in einem Lied vorkamen (und dann auch nur als Zitat!) Uff. Und ich bin für die nächsten Monate vielleicht erst mal wieder darüber hinweg.

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Samstag, 2. Januar 2016
Immer diese Abschiede
nnier | 02. Januar 2016 | Topic In echt
Das Jahr hat nicht mal richtig begonnen, da steht der erste Abschied an: Unsere liebe Brasilianerin wechselt planmäßig in die nächste Familie.

Mensch, L.! Das ist doch gar nicht lange her, dass du zu uns gekommen bist und erst mal über die vielen Fahrräder am Flughafen gestaunt hast. Du hast mächtig viel Gepäck dabeigehabt, mir hat es halb den Rücken gebrochen, aber auf die niedrigen Temperaturen warst du nicht wirklich eingestellt mit all deinen Kleidchen und Ballerinas, oder?

Wir sind noch am selben Tag mit dir Essen gegangen, Flammkuchen, und du warst über die großen Portionen sichtlich erleichtert: Essen ist wichtig für dich, das sagst du selber und ist mir sehr sympathisch!

Dass du dich auf dem Fahrrad anfangs unsicher gefühlt hast, habe ich nicht gleich gemerkt, denn du hattest vorher so von Fahrrädern geschwärmt und dich auf dein Gastfahrrad gefreut. Aber da, wo du herkommst, kann man einfach nicht fahren, das habe ich erst später verstanden, und jetzt flitzt du durch die Stadt wie alle anderen. Busse und Bahnen benutzt du genau so selbstverständlich und hast dir in der kurzen Zeit ein richtiges Sozialleben hier aufgebaut mit Tanztraining, Volleyball, Theater und vielen Freunden.

"Ja, habt ihr überhaupt was von ihr, wenn sie so viel unterwegs ist", wurden wir manchmal gefragt, und ich würde sagen: Auf jeden Fall! Das hat, so empfinde ich es, einfach gut gepasst für beide Seiten, denn wir müssen arbeiten und können nicht jeden Tag eine Rundumbetreuung organisieren, und du bist keine, die den ganzen Tag zu Hause sitzt und unterhalten werden will. Wenn wir trotzdem oft zusammen gekocht, Plätzchen gebacken, die Spülmaschine ausgeräumt, Skull King gespielt oder einfach geredet haben, hat mir das immer großen Spaß gemacht, und wie einfach das inzwischen geworden ist, kann ich kaum glauben!

Schließlich bist du mit nicht mehr als ein paar Brocken Deutsch hier angekommen, und die ersten Wochen haben wir Englisch miteinander gesprochen, wobei du deine neu gelernten Wörter immer gleich eingebaut hast: "On the next Wochenende, I would like to ...", das fand ich toll und ist doch kein Vergleich mit den langen, komplizierten Sätzen, die du jetzt so selbstverständlich sprichst, Zeitformen und Konjugationen inbegriffen.

Wichtiger als das finde ich, dass man zusammen lachen kann, das haben wir oft getan und werden wir morgen früh bestimmt noch mal tun, wenn die Gäste zu deinem Abschiedsfrühstück kommen, aber davon weißt du ja noch nichts!



Du musst immer lächeln, wenn ich deinen Namen aussprechen will, dabei denke ich, ich mache es richtig: Liebe L., bleib, wie du bist, und sei immer so glücklich wie im brasilianischen Restaurant in Berlin (wo du unglaubliche Mengen Fleisch verdrückt hast) oder beim Kochen von 2,5 kg Rinderhack in einem großen Topf, genieß den Rest von deinem Austauschjahr und besuch uns, OK?

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