Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Sonntag, 27. September 2015
This is
nnier | 27. September 2015 | Topic In echt
Im Alugeländer an der Außentreppe ist seitlich ein kleines Bohrloch, und wenn ich zum Rauchen vor die Tür gegangen bin, habe ich die ausgedrückte Kippe oft hineingesteckt. Der hohle Handlauf hat einen ordentlichen Querschnitt und führt von da aus ein paar Meter abwärts, so dass man es innen leise hinabrutschen hörte. Oft musste ich mir mit leisem Schauder den Moment vorstellen, wenn ich das unverwüstliche Geländer eines Tages demontiere, denn es ist rostfrei und praktisch, aber überhaupt nicht schön: Die Endkappe abnehmen, den Handlauf umstülpen und mit fasziniertem Grauen eine Mülltonnenladung gelber Stummel herausklopfen.

Muss ich dran denken, weil das mit dem Rauchen jetzt schon eine Weile her ist. An Spätsommertagen zum Kaffee würde es gut passen, und wenn man abends mal irgendwo landet, wo es Bier und Musik gibt, kommt von ferne leises Verlangen: Wie gut, dass dieses Schwitzen da ist, der latente Kopfschmerz, das subliminale Kratzen im Hals, da lächelt man und sagt, nee, raucht ihr mann!, ihr habts gut!, genießt es!, ich komm schon klar.



Befindlichkeiten - Shmindlichkeiten. Es gibt ein Lied, das mich zu Tode deprimiert, das hat die Coverband zum Bier gespielt: Man will heile durch den Alltag kommen, das gelingt mal besser und mal schlechter, und seit mehreren Jahren haut mir dieses Lied dazwischen. Ich wusste nie, wer mich da so quält, habe nun die Suchmaschine befragt und gelernt, es ist dieser harmlose Song, der mir jede Lebensenergie raubt. Da rühren schon die ersten Gitarrentöne an den falschen Rezeptoren, die absteigenden Melodielinien zerren mit aller Kraft, die freudlose Stimme kickt einem in die Kniekehle: Das könnte man noch irgendwie wegstecken, folgte nicht der schreckliche, hohle, zwiestimmig gesungene Refrain. Schweißtreibende, frühkindliche Alpträume, das ganze Klanggebilde eine Zwinge, die sich enger und enger um das verzweifelnde Herz schraubt - innerlich gebrochen krieche ich an solchen Tagen direkt in den Keller.

Apropos Herz, früher habe ich noch diese "Bücher" gelesen, jetzt habe ich ein Smartfon und spiele Hearts. Es ist ein Kartenspiel, das schon bei Windows eingebaut ist. Jahrelang sah ich im Nachbargebäude eine Angestellte tagein, tagaus in ihrem Büro spielen und dachte: Sicherlich besser, als seinem Chef den Bürolocher in den Schlund zu rammen, aber warum nicht Solitaire oder Minesweeper?



Neugierig probierte ich es eines Tages doch aus: Ein stichbasiertes Spiel zu viert, bei dem man vor jeder Runde ein paar Karten mit dem Nachbarn tauscht, dabei schlechte loswerden möchte und seinerseits spekulieren muss, welche man wohl zugeschoben bekommt.

Das war vor ein paar Jahren, ich spielte gegen die vom Computer simulierten Gegner und durchschaute deren Spielweise irgendwann genug, um die meisten Spiele zu gewinnen. Also ließ ich es wieder bleiben.

Bis ich herausfand, dass man mit dem Telefon gegen echte Menschen spielen kann. Seither ist mein Leben ein anderes. Eingereiht in die Armee hohlwangiger Zombies wische ich auf dem Ding herum, muss "erst noch schnell" ein Spiel zu Ende bringen, steige im Ranking langsam auf und schnell wieder ab, warte ungeduldig auf langsame Mitspieler, beteilige mich am fröhlichen Spielgeplauder, werde alt, verschroben, nehme zu.



Trotzdem hat mich diese Statistik erschreckt - und irgendwie an das Zigarettengeländer erinnert: Ich habe zehntausend mal Karten bekommen, angesehen, weitergegeben und die Runde gespielt? Rechne das mal um in Blumenpflücken, Bergsteigen, lieb zur Gattin sein: Da geschieht es dir glatt recht, dass du rotäugig auf dem Bett liegst mit deinen schwitzigen Fingern, im Hals ein Kratzen und im Ohr den schrecklichen Song, where you gonna go, where you gonna sleep tonight?

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Sonntag, 20. September 2015
Ear me?
nnier | 20. September 2015 | Topic In echt

(Ikea, ca. 7.- EUR)

Das Jahr holpert vor sich hin, und kaum drehe ich mich um und schaue auf die Uhr, da is scho Herbst: Nicht mal mehr zum Sonntagsblogger reicht es! Trotzdem von einem Ausflug an den liebsten Ort geträumt: Klappt nicht mehr, und mit etwas Pech wird aus dem schlappen Sonntagsgefühl die erste fette Erkältung.

Nur dass Sie bescheid wissen, man wirft mir nämlich immer vor, an meiner Stimmung zu merken, dass ich krank würde: Ich sei dann überempfindlich und würde "immer gleich rummeckern". Haha! Die Wahrheit ist, ausgerechnet wenn ich krank werde, fangen die an, mich den ganzen Tag zu nerven: Die Ketchupflasche muss natürlich in den Kühlschrank gelegt werden, damit sie besser ausläuft. Oder dieser komplett unintelligent hingestellte Blumentopf am Fuße der Außentreppe: Zum fünften Mal trete ich mit meinen Gartencrocs auf den Unterteller, so dass ein kalter Schmutzwasserschwall meinen Socken (und immer den rechten!) durchnässt. Wenn ich dann freundlich auf die Problematik hinweise ("Schmeiß ich weg, das Scheißding"), werden die noch süffisant: "Schieb doch ein Stück zur Seite" - die reine Provokation.

Ist ja nicht so, dass man nicht engelsgeduldig mit durch die Stadt "gebummelt" wäre, in diese furchtbaren Läden voller Sachen, Ramsch und Zeug, und sich wohlmeinend ein Teil Nippes ("Oh Gott!") nach dem anderen ("Bloß nicht!") hätte zeigen lassen. Und als ich vorhin mein Frühstück ans Bett bekommen habe, bin ich noch auf die zudringlichsten Fragen ("Denkst du, du schaffst einen kleinen Spaziergang?") sensibel eingegangen ("Also ich mache heute garantiert nichts").

Draußen viel zu hell, überall Geräusche, und nicht einer von fünf Kaffees hat geschmeckt - das kann einen doch krank machen, oder nicht?

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Montag, 7. September 2015
Ich bin Phil
nnier | 07. September 2015 | Topic Musiq
Jetzt schaut bloß mal, was ihr angerichtet habt.

1980:


1996:


Was ist da geschehen? 1980: Der junge Mann im Vordergrund hat ein ganzes Konzert als Leadsänger bestritten und legt zum Abschluss ein Drumduett hin, wie man es sich nur wünschen kann. Locker und hochkonzentriert, vor allem aber mit Vollbart und gelbem Hawaiihemd.

1996: Ja, eben! Das schmerzverzerrte Gesicht, die freudlose Ausstrahlung, das lässt sich medizinisch doch gar nicht verantworten.

"Warum wird der eigentlich so gehasst", werde ich von jungen Menschen gefragt, und man erzählt dann von den Jahren, in denen er kurz vor der endgültigen Machtübernahme stand: Der Flug mit der Concorde, um bei Live Aid als einziger Künstler in London und Philadelphia aufzutreten. Die industriell gefertigten Midtempo-Hits, der omnipräsente Schlagzeugsound, Phil als Gaststar bei Miami Vice, ein bescheuerter Kinofilm, und wenn er mal nicht als Solokünstler zu hören war, dann aber garantiert als Sänger einer ebenso vielgeschmähten Band.

Ja, aber die Sachen sind doch gar nicht so schlecht, sagen die jungen Leute, und man schmunzelt wissend: Doch, doch, da gibt es schon ein paar schlimme Machwerke, und wisst ihr, was das Traurige ist: Gerade mit denen hatte er die größten Erfolge. Das geht schon los damit, dass er zum Start zwei eher dunkel grundierte Soloalben vorgelegt hat: Musikalisch anspruchsvoll, die Texte von Trennungs- und Weltschmerz getränkt, und dann wird ausgerechnet so ein harmloses Motown-Cover zum großen Erfolg in den Charts. Da wurden völlig falsche Anreize gesetzt.

1985 habe ich selber jeden Tag dreimal No Jacket Required gehört, obwohl die Scheibe einem auf die Nerven gehen konnte mit ihrem bei Prince geklauten Anfang und vor allem dieser einen Ballade, die einem ständig entgegenquoll. Und wie gräßlich vor allem diese andere Ballade ist, wurde mir erst Jahre später so richtig klar, als Mariah Carey ihr den Todesstoß verpasste.

Verteidigt habe ich ihn dennoch bis über die 80er hinaus, trotz Two Hearts und allerlei weiterer Belanglosigkeiten, da folgte Hit auf Hit, das schien für immer so weiterzugehen, das war Futter fürs Formatradio, das war ein Synonym für Mainstream, das war Reißbrettpop aus dem Reinraum, und doch mochte ich ihm eine gewisse innere Qualität, eine solide Handwerksbeherrschung einfach nicht absprechen.

Dabei hatte ich massiv unter ihm gelitten, weil er, wie mir schien, die von mir damals innig geliebten Querköpfe, verschrobenen Prog-Dinosaurier, Schöpfer abseitiger Siebenminutenstücke, Beherrscher komplexester Rhythmik, Verfasser verstiegener Verse, Meister der wunderlichen Instrumentalsuiten, weil er die verklemmten Brillenträger und linkischen Doppelhalsgitarrenspieler seiner urbritischen Herkunftsband zu bloßen Facharbeitern im Dienste der schnöden Hitparadenindustrie degradiert hatte, die nun kilometerweit unterhalb ihrer Talente und Möglichkeiten echten Schweinerock für die internationalen Märkte raushauten, wenn sie nicht gerade als anonym geduldete Begleitband zur nächsten normsterilen Ballade des allgegenwärtigen C. auf Schicht gehen mussten: Was bin ich zusammengezuckt, wenn der Name des Sängers mit dem der Band verwechselt oder synonym gebraucht wurde, gerade weil ich spürte, dass da kein großer Unterschied mehr bestand.

"Ist aber innerhalb der Popmusik dennoch" usw., ich höre mich noch reden, und man konnte damals wirklich meinen, es werde ewig so weitergehen. Es kam jedoch anders.

"We always need to hear both sides of the story", erscholl es 1993, und die Sekretärinnen drehten das Radio lauter. Es klang eigentlich wie immer, die Drums knallten ihr ewiges Gated Reverb, der Moog lieferte harmlos simple Harmonien, drübergesungen ein wenig Sozialkitsch, und doch war etwas anders: Das klang so richtig billig. Sollten das Gitarren sein?

Da hatte er also ein ganzes Album alleine eingespielt und sich völlig übernommen. Denn auch wenn seine frühen Solowerke ebenfalls im Heimstudio entstanden waren, hatte er es doch immer verstanden, Musiker der Extraklasse um sich zu scharen und seine sparsamen Arrangements mit ein paar genialen Gitarrensprengseln veredeln zu lassen. Hier dagegen: Nichts als unbeholfene Anfängergriffe, Malen nach Zahlen, und auch den möglichen Charme des Unfertigen und Skizzenhaften suchte man vergeblich, das klang einfach schlecht produziert. Meine Versuche, diese Platte dennoch irgendwie zu hören, blieben erfolglos.

Und das war es dann auch: Endgültig verloren hat er mich mit der unmotivierten Coverversion eines mediokren 80er-Jahre-Hits (True Colors von Cyndi Lauper), und plötzlich merkte man: Da war schon länger nichts, da kommt auch nichts mehr, da ist eine der beherrschenden Hitparadenfiguren der 80er vollkommmen in sich zusammengesunken und kann unter "erledigte Fälle" abgeheftet werden. (Danach noch Disney-Musical ff.)

Ist euch übrigens aufgefallen, dass der Mann seit 20 Jahren nicht mehr öffentlich lacht? Der ist völlig erledigt, auf einem Ohr taub, x-fach geschieden, kann keine Drumsticks mehr festhalten und hat vollkommen resigniert. Mitleid macht noch keine Musik besser, aber es ist schon knüppeldick für ihn gekommen (David Bowie subsequently dismissed his own critically reviled 1980s output as his "Phil Collins years/albums".) Ich frage mich also, ob es eine gute Idee ist, jetzt, da sich offenbar endgültig alle über die grobe Abscheulichkeit des Herrn Collins einig geworden sind, seine Soloalben in einer großen Kampagne ("Take a look at me now", ausgerechnet) wiederzuveröffentlichen: Schon die Idee, die originalen Coverfotos mit aktuellen des sichtlich gealterten Collins zu ersetzten, lädt doch geradezu ein, noch mal ordentlich draufzuhauen.

Und wirklich: Was eine wiederveröffentlichte No Jacket Required 30 Jahre später bringen soll, weiß ich nicht. Wenn ich die Scheibe einmal im Jahr raushole, ist das klangtechnisch noch immer tadellos. Und verdammt schlecht gealtert.

Aber das war nicht die ganze Geschichte, und wenn ich kurz auf das hier schon mal thematisierte I don't Care Anymore verweisen darf und diesen totgespielten Superhit, der trotzdem eine schöne Melodie hat - oder was soll's, hören wir doch einfach mal mitten in die erste Soloplatte rein: Das kann man doch mindestens respektieren, oder nicht?

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Sonntag, 30. August 2015
Inbound
nnier | 30. August 2015 | Topic In echt
- Welcome to ze Germany, did you had a good flight? Somsing I must tell you, we isn't supposed to speak many English wif you, as you should learn ze German here. So we is only speaking English wif you in ze start some weeks and den svitch to Tcherman, yavoll!?

- In Ordnung. Wollen wir den Zeitraum nicht präziser definieren?

- Good, good. You may want to make yourselve fresh after your long travel, and I will lay together some socks in the meantime. You can, come down whenever you wishes.


[1 hour later, Beatles-Music coming out of ze what's the name of that room where you just sit or do stuff or lay things together, or don't such a room exists in your country]

- Oh, sorry, there you is already, I will make ze music out.

- No, please leave it on, I really love the Beatles. And I went to a Paul McCartney concert a few months ago and that was the greatest thing ever, unbelievable, just the best thing you can do, I still can't believe I really saw him and was in the same place and breathed the same air.

- [Tiefes Luftholen]

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Mittwoch, 19. August 2015
KL 603
nnier | 19. August 2015 | Topic In echt




Auf dem Schild steht, dass Personen mit Herzschrittmacher sich melden sollen. Fast wäre ich hingegangen, aber ich habe gesehen, wie du dich freust, das hat es mir leichter gemacht.



Wahrscheinlich ist schon wieder Land unter dir, jetzt komm gut an, du Große, du Tolle.

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