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His face starts to fade
As we pull down the shade
And the picture we made
Is in glorious cinemascope
Über Musik schreiben ist wie über Architektur tanzen - sagt Elvis Costello, Intellektuello. Ich kann ja nicht tanzen, dabei kommt höchstens der Flughafen Berlin heraus. Und ich habe wirklich keinerlei Ahnung von Musik, dennoch will ich versuchen, die Liste meiner 71 Top-McCartney-Non-Beatles-Titel zu erstellen, solange der Mann 71 ist. Es müssen ja keine Flugzeuge drauf landen.
Da war diese Zeit, als alle riefen: Endlich! Endlich hat er wieder ein würdiges musikalisches Gegenüber! Seht, er muss einen Partner haben, er darf nicht alles alleine machen, denn dann neigt er zur Selbstgenügsamkeit, aber wenn er gefordert wird: Haha! Und in der kurzen Songschreibingpartnerschaft mit Elvis Costello sind ja tatsächlich ein paar ganz hübsche Stücke entstanden. Weil sie's drunter nicht tun, riefen sie diesen dann auch gleich zum neuen Lennon aus. Und zum x-ten mal gefragt, ob denn das Schreiben mit Costello so wie das mit John gewesen sei, antwortete Paul irgendwann genervt: Ja, sie trugen beide eine Brille.
Costello finde ich oft zu anstrengend, zu bemüht. Ich dachte mal, den müsste ich gutfinden und kaufte ein paar CDs. Das blieb aber alles Kopfsache, das ist wie jemand, der die Rezepte und Zutaten kennt und sie auch anwendet, doch es bleibt Bescheidwisserei, hier, gucke, was ich alles kann - und mein Zuhörerherz bleibt kalt.
Das Stück Back On My Feet war eine dieser versteckten B-Seiten. 1987 erschienen, lernte ich es erst wesentlich später kennen als Bonustrack auf einer CD. Klangmäßig typischer 80er-Jahre-Pop, die Melodie nicht weiter aufregend, der Refrain (I don't need love/ Though temptation is sweet/ Give me your hand/ Til I'm back on my feet) mauer Standard: Was ich an dem Lied mag, ist die abgehackte Rhythmik in den Strophen, dieses Gefühl von Verspätung, wenn der Gesang immer erst einen Beat weiter einsetzt: Focus in on the breath of a man, und es ist sehr schwierig, wenn man den Text vor sich hat, sich vorzustellen, wo gedehnt, wo verzögert, wo beschleunigt wird.
Hat man sich an die Struktur von Strophe und Refrain gewöhnt, kommt so etwas wie die Middle Eight oder meinetwegen eine Brücke, ich kenne mich da ja nicht so aus: I'll stand up again/ Kick up a fuss again too/ I'll be right again/ Be upright without you, das erweitert die Melodie ganz erfreulich und bereitet ein famoses Ende vor: Diese Chöre, die er in den 80ern sowieso gerne eingebaut hat, singen unerwartet und ganz wunderbar drauflos (Well there you go, though we tried hard to know him/ It's there on his face/ He's a case where there's clearly no hope: Würden Sie das so betonen, wenn Sie's lesen?), und wenn es schließlich in zweistimmige Harmonie übergeht (ab: His face starts to fade), freue ich mich noch mehr: Das ist kein intellektuelles Gewichse, das ist versteckte Popkomplexität, danke dafür, auch an Herrn MacManus.
Platz 71: Back On My Feet (1987).
As we pull down the shade
And the picture we made
Is in glorious cinemascope
Über Musik schreiben ist wie über Architektur tanzen - sagt Elvis Costello, Intellektuello. Ich kann ja nicht tanzen, dabei kommt höchstens der Flughafen Berlin heraus. Und ich habe wirklich keinerlei Ahnung von Musik, dennoch will ich versuchen, die Liste meiner 71 Top-McCartney-Non-Beatles-Titel zu erstellen, solange der Mann 71 ist. Es müssen ja keine Flugzeuge drauf landen.
Da war diese Zeit, als alle riefen: Endlich! Endlich hat er wieder ein würdiges musikalisches Gegenüber! Seht, er muss einen Partner haben, er darf nicht alles alleine machen, denn dann neigt er zur Selbstgenügsamkeit, aber wenn er gefordert wird: Haha! Und in der kurzen Songschreibingpartnerschaft mit Elvis Costello sind ja tatsächlich ein paar ganz hübsche Stücke entstanden. Weil sie's drunter nicht tun, riefen sie diesen dann auch gleich zum neuen Lennon aus. Und zum x-ten mal gefragt, ob denn das Schreiben mit Costello so wie das mit John gewesen sei, antwortete Paul irgendwann genervt: Ja, sie trugen beide eine Brille.
Costello finde ich oft zu anstrengend, zu bemüht. Ich dachte mal, den müsste ich gutfinden und kaufte ein paar CDs. Das blieb aber alles Kopfsache, das ist wie jemand, der die Rezepte und Zutaten kennt und sie auch anwendet, doch es bleibt Bescheidwisserei, hier, gucke, was ich alles kann - und mein Zuhörerherz bleibt kalt.
Das Stück Back On My Feet war eine dieser versteckten B-Seiten. 1987 erschienen, lernte ich es erst wesentlich später kennen als Bonustrack auf einer CD. Klangmäßig typischer 80er-Jahre-Pop, die Melodie nicht weiter aufregend, der Refrain (I don't need love/ Though temptation is sweet/ Give me your hand/ Til I'm back on my feet) mauer Standard: Was ich an dem Lied mag, ist die abgehackte Rhythmik in den Strophen, dieses Gefühl von Verspätung, wenn der Gesang immer erst einen Beat weiter einsetzt: Focus in on the breath of a man, und es ist sehr schwierig, wenn man den Text vor sich hat, sich vorzustellen, wo gedehnt, wo verzögert, wo beschleunigt wird.
Hat man sich an die Struktur von Strophe und Refrain gewöhnt, kommt so etwas wie die Middle Eight oder meinetwegen eine Brücke, ich kenne mich da ja nicht so aus: I'll stand up again/ Kick up a fuss again too/ I'll be right again/ Be upright without you, das erweitert die Melodie ganz erfreulich und bereitet ein famoses Ende vor: Diese Chöre, die er in den 80ern sowieso gerne eingebaut hat, singen unerwartet und ganz wunderbar drauflos (Well there you go, though we tried hard to know him/ It's there on his face/ He's a case where there's clearly no hope: Würden Sie das so betonen, wenn Sie's lesen?), und wenn es schließlich in zweistimmige Harmonie übergeht (ab: His face starts to fade), freue ich mich noch mehr: Das ist kein intellektuelles Gewichse, das ist versteckte Popkomplexität, danke dafür, auch an Herrn MacManus.
Platz 71: Back On My Feet (1987).
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Was soll schon schief gehen, wenn der King Of Pop mit einem Mitglied der legendären Jackson 5 ein Lied schreibt?Du bist in Warschau Verona Wien gewesen, alles ohne mich: Das ist gemein, so gemein, hundsgemein! Faktisch läuft seit 5 Jahren so etwas wie eine Never Ending Tour, ob sie nun gerade On the Run heißt oder Up and Coming oder Out There!: Das Programm ändert sich nur graduell, und was ich davon halte, dass inzwischen auch eindeutige Lennon-Stücke wie Being For the Benefit of Mr. Kite gespielt werden, kann ich noch gar nicht sagen. Und werde es vielleicht nie erfahren! Denn ich werde keines dieser drei Kontinentalkonzerte besuchen können.
Man kann diese dynamischen Seiteninhalte nicht verlinken, dämliches Javascriptgeklicke, andererseits können Sie den oben zitierten, von mir sehr schön gefundenen Satz ja einfach suchen und sich durch die 71 Non-Beatle-Songs klicken, die Maik Brüggemeyer da im Rolling Stone zusammengestellt hat.
Meine Rangliste wäre eine andere: Aber immerhin tut es mal jemand.
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Establishing Shot



Meanwhile


Next Day






Dramatic Turn




Um welche Art Notfall handelt es sich? Sir, sind Sie noch da?


Closing Credits

[Special Thanks to Bremer Tiernotruf]



Meanwhile


Next Day






Dramatic Turn




Um welche Art Notfall handelt es sich? Sir, sind Sie noch da?


Closing Credits

[Special Thanks to Bremer Tiernotruf]
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In unserer Gegend wohnte ein Mädchen, das mit mir und meinem Freund A. in die Grundschule ging. Sie hatte die unangenehme Eigenschaft, sich bei den Lehrern durch vordergründig erwünschtes Verhalten beliebt zu machen, während sie hintenrum oft feixte und mich einmal völlig aus der Fassung brachte: Da stand sie im Museum hinter unserer strengen Lehrerin, die uns einen Vortrag hielt, und tat die ganze Zeit so, als würde sie ihr einen langen Stock in den Hintern bohren und diesen ganz wild hin- und herbewegen. Ich musste mich richtig zusammenreißen und hätte sie dafür mögen können, wenn sie nicht so eine hinterhältige Petze gewesen wäre. Oft erwischte es A., der als schlechter Schüler sowieso einen schweren Stand hatte und obendrauf noch eine Extraportion Ärger bekam, wenn sie ihn wieder einmal angeschwärzt und dabei noch die Wahrheit verdreht hatte. Kam er im Unterricht dran und wusste die Antwort nicht, lachte sie ihn offen aus. Wir hatten Grund, sie zu hassen und freuten uns deshalb auf den Heimweg: Da vorne ist sie!, rannten wir los, Lasst mich in Ruhe!, keifte sie, und wir rächten uns.
Trotzdem rief sie manchmal an und wollte zum Spielen vorbeikommen. Es gab im Garten einen Sandkasten, in dessen Mitte buddelten wir dann schnell ein Loch, legten eine Plastiktüte drüber und streuten Sand drauf. Lass uns um die Wette springen, sagten wir als erstes, wenn sie ankam, jeder hat seine Bahn, dann sprang A. links und ich rechts. Sie wollte nicht, wir sagten: Los, da ist nix, diesmal ist da wirklich nix, also sprang sie und fiel die 20 cm ins Loch. Wir lachten, sie heulte und rannte nach Hause. Wir haben das ziemlich oft gemacht.
Es gab andere Jungs in der Gegend, vor denen ich regelrechte Angst hatte. Sie verfolgten und quälten uns jahrelang. Meine Angst vor ihnen war so groß, dass ich alles tat, was sie verlangten, und sie feixten und lachten. Leider hatte ich das Verhaltenselement Hau ihm doch einfach eine rein nicht in meinem Repertoire, das hätte vielleicht etwas geändert. Statt dessen schmissen sie mein Fahrrad in den Kanal und lachten sich kaputt. Ich kämpfte mich durch Schlamm und Brennesseln, und nach einer Weile wurde den beiden da oben mulmig: Soll ich dir helfen, rief einer, Brauchste nicht, rief ich durch den Tränenschleier zurück und zog und zerrte mein Fahrrad irgendwie durch das Ufergestrüpp. Es wurde inzwischen dunkel, und sie hatten auf mich gewartet: Wenn du nach Hause kommst, und deine Eltern fragen dich, was passiert ist, dann sagst du, dass ein großer Junge dein Fahrrad in den Fluss geschmissen hat. Wehe, du sagst was von uns. Daran hielt ich mich und verstrickte mich in ein Lügengestrüpp.
Einer von diesen Jungs war sogar ein Jahr jünger als ich, galt aber als besonders gefährlich. Als ich neu in die Gegend gezogen war und mich mit A. angefreundet hatte, warnte dieser: Bei dem musst du aufpassen. Der hat mich schon oft verkloppt. Und es gibt ja diese Menschen, denen man es ansieht, oft ist es ein höhnischer Zug um den Mund und ein ganz bestimmter beleidigter, zugleich herausfordernder Blick - jedenfalls sah ich zu, dass ich möglichst nicht in seine Nähe kam. Einmal schrak ich fürchterlich zusammen: Da war er morgens auf dem Schulweg plötzlich neben mir, und A. war ausnahmsweise nicht dabei. Er plauderte drauflos und erzählte unter anderem, dass er neulich einem anderen Jungen "mit dem Messer in den Kopf gestochen" habe. Zwar erfuhr ich später, dass das bloß so ein kleines Plastikmesser und ein oberflächlicher Ritzer gewesen war, das half aber auch nichts mehr: Für mich blieb er der Inbegriff des brutalen Gewalttäters, dem man nichts entgegensetzen kann.
Als wir den Schulhof erreichten und ich erleichtert aufatmete, kam ein Mädchen angelaufen und lachte ihn aus: Ha ha ha! Du mit deinem Schulranzen! Du Idiot!
Entsetzt konnte ich nur starren und erwartete ansatzloses Dreinschlagen. Statt dessen sah er mich an, schlug die Hand gegen die Stirn und rief: Wir wandern ja heut! Ha ha ha, riefen immer mehr Kinder, und ich bekam eine ganz leise Ahnung davon, dass solche Leute nicht unbedingt immer die Oberhand behalten müssen.
Dennoch mied ich seine Gegenwart noch lange, und umso überraschter war ich, als es eines Tages klingelte. Der Fluss war über die Ufer getreten, das Hochwasser hatte unsere Straße erreicht und lediglich der Bordstein bildete noch die Grenze zwischen lustigem Anblick und nasser Katastrophe. Unten stand er mit seinem Schulranzen und einer Sporttasche. Ich soll zu euch, sagte er, meine Mutter hat mich geschickt, bei uns ist alles vollgelaufen.
Trotzdem rief sie manchmal an und wollte zum Spielen vorbeikommen. Es gab im Garten einen Sandkasten, in dessen Mitte buddelten wir dann schnell ein Loch, legten eine Plastiktüte drüber und streuten Sand drauf. Lass uns um die Wette springen, sagten wir als erstes, wenn sie ankam, jeder hat seine Bahn, dann sprang A. links und ich rechts. Sie wollte nicht, wir sagten: Los, da ist nix, diesmal ist da wirklich nix, also sprang sie und fiel die 20 cm ins Loch. Wir lachten, sie heulte und rannte nach Hause. Wir haben das ziemlich oft gemacht.
Es gab andere Jungs in der Gegend, vor denen ich regelrechte Angst hatte. Sie verfolgten und quälten uns jahrelang. Meine Angst vor ihnen war so groß, dass ich alles tat, was sie verlangten, und sie feixten und lachten. Leider hatte ich das Verhaltenselement Hau ihm doch einfach eine rein nicht in meinem Repertoire, das hätte vielleicht etwas geändert. Statt dessen schmissen sie mein Fahrrad in den Kanal und lachten sich kaputt. Ich kämpfte mich durch Schlamm und Brennesseln, und nach einer Weile wurde den beiden da oben mulmig: Soll ich dir helfen, rief einer, Brauchste nicht, rief ich durch den Tränenschleier zurück und zog und zerrte mein Fahrrad irgendwie durch das Ufergestrüpp. Es wurde inzwischen dunkel, und sie hatten auf mich gewartet: Wenn du nach Hause kommst, und deine Eltern fragen dich, was passiert ist, dann sagst du, dass ein großer Junge dein Fahrrad in den Fluss geschmissen hat. Wehe, du sagst was von uns. Daran hielt ich mich und verstrickte mich in ein Lügengestrüpp.
Einer von diesen Jungs war sogar ein Jahr jünger als ich, galt aber als besonders gefährlich. Als ich neu in die Gegend gezogen war und mich mit A. angefreundet hatte, warnte dieser: Bei dem musst du aufpassen. Der hat mich schon oft verkloppt. Und es gibt ja diese Menschen, denen man es ansieht, oft ist es ein höhnischer Zug um den Mund und ein ganz bestimmter beleidigter, zugleich herausfordernder Blick - jedenfalls sah ich zu, dass ich möglichst nicht in seine Nähe kam. Einmal schrak ich fürchterlich zusammen: Da war er morgens auf dem Schulweg plötzlich neben mir, und A. war ausnahmsweise nicht dabei. Er plauderte drauflos und erzählte unter anderem, dass er neulich einem anderen Jungen "mit dem Messer in den Kopf gestochen" habe. Zwar erfuhr ich später, dass das bloß so ein kleines Plastikmesser und ein oberflächlicher Ritzer gewesen war, das half aber auch nichts mehr: Für mich blieb er der Inbegriff des brutalen Gewalttäters, dem man nichts entgegensetzen kann.
Als wir den Schulhof erreichten und ich erleichtert aufatmete, kam ein Mädchen angelaufen und lachte ihn aus: Ha ha ha! Du mit deinem Schulranzen! Du Idiot!
Entsetzt konnte ich nur starren und erwartete ansatzloses Dreinschlagen. Statt dessen sah er mich an, schlug die Hand gegen die Stirn und rief: Wir wandern ja heut! Ha ha ha, riefen immer mehr Kinder, und ich bekam eine ganz leise Ahnung davon, dass solche Leute nicht unbedingt immer die Oberhand behalten müssen.
Dennoch mied ich seine Gegenwart noch lange, und umso überraschter war ich, als es eines Tages klingelte. Der Fluss war über die Ufer getreten, das Hochwasser hatte unsere Straße erreicht und lediglich der Bordstein bildete noch die Grenze zwischen lustigem Anblick und nasser Katastrophe. Unten stand er mit seinem Schulranzen und einer Sporttasche. Ich soll zu euch, sagte er, meine Mutter hat mich geschickt, bei uns ist alles vollgelaufen.
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Ich will allesIch bin sehr empfänglich für Suggestionen, und wenn ich mir nur vorstelle, kein Essen zu bekommen, bricht mir der Schweiß aus. Mir ist das sehr unangenehm, denn ich halte es für eine der wichtigsten menschlichen Eigenschaften, seine Bedürfnisse kontrollieren und deren Befriedigung aufschieben zu können. Damit befinde ich mich mein Leben lang im Widerspruch zu all den esoterischen Befreiungspredigern, die einem ständig "Hör auf deinen Bauch!" ins Ohr brüllen und regalweise empfehlen, die blöde Rücksicht und all den sozialen Verpflichtungsscheiß endlich hinter sich zu lassen: Lass dein inneres Kind raus! Fick deine Nachbarin! Und schmeiß gefälligst mehr Essen weg.
Ich will alles
Und zwar sofort
(Gitte Haenning)
Dieses hatte seine Zeit, so wie alles seine Zeit hat: Als verhärmte Klosterschülerinnen sich die Butter auf dem Brot nicht gönnten, als unglückliche Ehen ums Verrecken weitergeführt werden mussten und so weiter. Solchen Leuten bin ich schon länger nicht mehr begegnet. Aber durchaus solchen, die mit großer Geste stolz verkünden: "Ich achte jetzt nur noch auf mich selber!" und anscheinend erwarten, dass man zu solch tabubrecherischem Gratismut noch gratuliert.
Kotzen könnte ich manchmal. Da wird auf dem Elternabend so getan, als sei es ein Verstoß gegen die Genfer Konventionen, wenn die Kinder bei der Klassenfahrt nachts ihre Smartphones abgeben müssen: Aber die müssen sie doch nachts aufladen! Können Sie dann nicht wenigstens ganz viele Mehrfachsteckdosen mitnehmen und die Handys immer nachts im Lehrerschlafzimmer aufladen? Als Lehrer würde ich sagen: Handys her und alle raus, Holz sammeln! Wasser vom Brunnen holen! Und zwar nicht die Kinder.
Man muss sich das mal klarmachen: Wenn die früher einen Weinberg oder einen Acker angelegt haben, wenn sie Obstbäume gepflanzt haben, dann hatten sie lange nichts davon als Arbeit und die Hoffnung, dass es Kindern und Enkeln zugutekommt. Wir heulen los, wenn die neueste Staffel einer TV-Serie nicht sofort verfügbar ist. Und alle tun so, als wäre dieses Am-Wochenende-zu-Hause-Sitzen-und-beim-Seriengucken-ein-Glas-Nutella-löffeln der Gipfel menschlichen Daseins und keine infantile Regressionsscheiße.
Was wollte ich jetzt eigentlich erzählen: Ach ja! Wenn ich Petzi gelesen habe: PFANNKUCHEN! Wenn ich Asterix gelesen habe: SCHWEINEBRATEN! Und dann diese Essensbeschreibungen bei Andrea Camilleri, das sind Krimis mit einem sizilianischen Commissario Montalbano, die ich eine Zeitlang gerne gelesen habe: ICH WILL ALLES ESSEN UND ZWAR SOFORT! Dauernd diese gefüllten Kühlschränke (Haushälterin!) und Besuche in der Trattoria, das hielt ich kaum aus, da flossen die Enzyme, da bebten die Magenwände, da rannte ich in die Küche und aß und aß und aß. Es ist meine große Schwäche. Selbst wenn ich manchmal gar nicht weiß, was es ist, das die da essen, klingt es doch so appetitanregend, dass ich ganz unruhig werde und nur noch auf meinen Bauch höre.
Kommen wir zu Brunetti: Das war diese betuliche TV-Serie mit Joachim Król in Venedig. Alles lieb und nett und ZDF-harmlos, und Donna Leon veröffentlicht ihre Bestseller angeblich nicht auf Italienisch, damit sie da halbwegs in Ruhe leben kann, aber auch auf Deutsch habe ich mich bislang nicht allzusehr dafür interessiert: Schöne Stadtkulisse, Bilderbuchfamilie, attraktive Sekretärin, selbstverliebter Boss, das schien mir doch zu formelhaft. Wohl kein Schund, dachte ich, aber auch nichts, das ich lesen muss.
Einen ganzen Stapel der deutschen Ausgabe konnte ich neulich erhaschen und schenkte ihn unbesehen weiter. Dann lagen sie auf Englisch herum, und ich nahm ein paar mit: Gut geschrieben, angenehmer Lesestoff, nicht zu viele Klischees (soweit ich das beurteilen kann), das lullt schön in den Schlaf und macht verdammten HUNGER! Verdammt noch mal! Mittags geht's nach Hause, da bringt die akademische Universitätsfrau das Essen selbstverständlich mehrgängig auf den Tisch, und Dessert, und Grappa, und Caffè, und abends gleich noch mal. Oder man ist auf Murano und speist mit den Arbeitern die himmlisch einfachen Traditionsgerichte in der Geheimtippkantine: AUCH HABEN! Ich bin sowas von suggestibel, ich habe gestern ganz alleine nicht nur mehrgängig gegessen, sondern auch ein Glas Rotwein getrunken, und das tue ich sonst nie.
"Kompakt" nannte neulich jemand meine physische Anmutung, und ich wusste endgültig, dass die Spargeltarzanjahre vorbei sind. Ob Sie das alles wissen wollen? Interessiert mich überhaupt nicht, ich achte jetzt nur noch auf mich selber.
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