Morgen bin ich zum Billard verabredet. Wir hatten einen Lehrer, er unterrichtete bei uns NW, also Naturwissenschaften, denn man war der Ansicht, dass die traditionelle Aufteilung in die Fächer Biologie, Chemie und Physik überholt sei, und dass man besser eine Zeitlang fünf Stunden die Woche eine Unterrichtseinheit "Magnetismus" habe und dann wieder was mit Blumen. Aus demselben Grund gab es auch nicht Geschichte, sondern G/R*, weshalb mir bis heute ein chronologisches Denken in Geschichte ("Seid ihr schon bei der Französischen Revolution?") ziemlich fremd ist.
Dieser NW-Lehrer kam erst später dazu, in der 7. Klasse, und sah aus wie Charles Bronson. Ich meine damit keine oberflächliche Ähnlichkeit - nicht einfach einen Schnauzbart o.ä., sondern ich meine: Er sah aus wie Charles Bronson, beinahe wäre man versucht gewesen, ihn als Wiedergänger des Charles Dennis Buchinsky zu bezeichnen, und nachdem mich mein Sitznachbar einige Wochen lang nahezu täglich auf diesen frappierenden Umstand hingewiesen hatte (z.B. mit den Worten: "Der sieht aus wie Charles Bronson!"), wobei er sich einer wirklich störenden deutschen Aussprache mit kombinierter Anlautverhärtung befleißigte, so dass es beinahe klang wie "Pansen" - jedenfalls musste ich immer an Pansen denken, wenn er das sagte, und damit an den Dalmatiner Asta und einen widerlich stinkenden Eimer mit Pansen, aber das führt jetzt zu weit, ein Nachbar hatte den Eimer beim Untermieter vorbeigebracht und ich ging die Treppe hinunter, das Treppenhaus stank und ich sah diese brechreizerregende Netzstruktur auf dem lappigen Zeug, und als sei die ganze Angelegenheit nicht schon offensichtlich genug, fragte der NW-Lehrer nach ein paar Wochen, ob wir denn mal gemeinsam den Film Spiel mir das Lied vom Tod ansehen wollten. Den ich immer noch großartig finde, alleine schon, weil eine Viertelstunde lang drei Charaktere aufs Sorgfältigste eingeführt werden, nur damit Charles Pansen sie abknallen kann. ("Falsch. Ihr habt zwei zuviel!")
Und dieser Lehrer, dem übrigens fortwährend ein gewisser intellektueller Dünkel entgegenschlug, man merkte das an Kleinigkeiten, z.B. an dem vielsagenden Augenrollen, wenn er "ebend" sagte, und der mal davon erzählte, wie er als armes Nachkriegskind, vermutlich Flüchtling, das weiß ich nicht mehr so genau, jedenfalls auf einem Bauernhof mit großen Augen den mit belegten Broten reich gedeckten Tisch hungrig anstarrte, woraufhin ihm die junge Bäuerin eine Stulle in die Hand drücken wollte, von der alten aber zurückgepfiffen wurde, die die Wurstscheibe herunternahm und ihm erst dann das Brot gab, der uns gegenüber aber (8. Klasse ist die schlimmste Zeit, dann wird's langsam wieder besser) oft den richtigen Ton traf ("Ich geh euch gleich mit der Eisenstange dazwischen!" vs. "Ich find das nicht so gut"), eröffnete uns eines Tages, dass das Spiel Billiard bzw. Biljard gar nicht so geschrieben werde, wie man meine, sondern: Billard. Mit Brillanten legte er gleich noch einen drauf, und in die dadurch entstehende, ungläubig staunende Stille hinein versetzte er uns den entscheidenden Schlag: Queue.
Was mich an den 1.6.08 erinnert, Sie wissen schon: Der erste Juni vor knapp zwei Jahren, denn erstens war ich mit einer Billigfluglinie angereist, bei der man sich vor dem Gate in zwei "Qs" ein-q-te, nämlich die "Priority Q" und die andere "Q", je nachdem, ob man prioritär oder nur regulär borden durfte und für ersteres also entweder eine Priority Fee gezahlt oder aber per Internet eingecheckt hatte, ein System, das niemand verstand, wodurch in den beiden "Qs" heillose Verwirrung entstand, und zwar bei Hin- und Rückflug, und ich vermute, das lag nicht zuletzt daran, dass gar nicht jeder Reisende das neckische "Q" so spontan in das homophone englische "Queue" zu übersetzen in der Lage war, und zweitens, weil ich an der legendären Anfield Road, die übrigens in einer wirklich stark heruntergekommenen Gegend liegt, meinte, mich an den viele hundert Meter lang diszipliniert aufgereiht Wartenden diskret vorbeischlängeln zu können, bis mich eine junge Engländerin erbost anstarrte und loskeifte: "This is a single-line queue! You have to go back!", woraufhin ich verschämt grinste, ein paar Pseudometer zurückging und dann wirklich noch schön weit vorne stand in dem Konzert (das übrigens echt gut war!)
Das mit dem Kö wollte damals keiner glauben, alleine die paar Französischkursler zogen die Stirn kraus und meinten, hm, doch, theoretisch könne das wohl sein, und in dieser Zeit ging das auch los, dass wir abends mal in die Stadt gingen, um Billard zu spielen. Man musste zunächst eine Kneipe mit Billardtisch finden, dann musste der Tisch auch frei sein, und schließlich galt es, trotz Verzehrzwangs angesichts des knappen Budgets möglichst wenig zu trinken und also immer einen Rest Cola im Glas zu lassen. Unter den argwöhnischen Augen der Wirte versuchten wir, die am wenigsten krummen Kös zu erwischen, nahmen dann mit lässiger Miene die Kreide zur Hand, drehten den Kö mit der Spitze nach oben und versetzten ihn profimäßig in Drehbewegungen, indem wir die auf dem Boden stehende Seite mit einem Fuß gegen den anderen hin- und herbewegten. Die Spitze wurde abgepustet, die Kreide weggelegt, das Dreieck mit den Kugeln noch einmal millimetergenau zurechtgerückt, ein Schluck Cola genommen, bevor der erste Stoß erfolgte, die Queuespitze in den grünen Bezugsstoff fuhr und die weiße Kugel über die Bande vom Tisch sprang.
"Die Queues hier sind echt scheiße", waren wir uns einig, und jahrelang stand der Wunsch nach einem eigenen Queue in so einem schicken, schlanken Holzköfferchen ganz oben; mancher besorgte sich, da erschwinglicher, wenigstens einen weißen Billardhandschuh. Und nach einigen Jahren der Übung waren wir tatsächlich besser geworden. So kam es, dass wir uns auch mal in einen echten Billardsalon trauten, dort, wo es die großen Tische gab, wo die Atmosphäre ruhig und kühl war, wo man für einen Tisch richtig Geld zahlte. Heimlich von den eingesessenen Spielern beäugt und deshalb etwas nervös, zogen wir die Queuetesternummer durch, kreideten die Spitze ein, bliesen das Stäubchen weg, rückten das Kugeldreieck zurecht und versetzten der weißen Kugel den initialen Stoß. Die Spitze fuhr ins Grüne. Die Kugel hüpfte vom Tisch. Und morgen gehe ich mal wieder Billardspielen.
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Gesellschaftslehre/Religion, ist doch klar!**
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**Ja, da war auch Erdkunde dabei. Ja, das hieß noch "Religion". Ja, komisch.
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Wenn man ein Bett hat, das noch ziemlich neu ist.
Und wenn das ein ganz schönes Bett ist.
Und wenn man zwei gute Lattenroste dafür gekauft hat.
Und wenn es ein passendes Nachtschränkchen gibt.
Und wenn man damit auch wirklich zufrieden ist.
Und wenn dann plötzlich eine Undichtigkeit im temporalen Schutzschild auftritt.
Und wenn man aber noch die Chance hat, einen oder zwei sperrige Gegenstände zu retten.
Und wenn das einfach nur so ein Kasten ist mit einer Auflage aus Schaumstoff.
Und wenn man aber immer gut darin geschlafen hat.
Und wenn es dazu noch diese passende Truhe gibt.
Und wenn das aber eine Tagesreise ist.
Und wenn man gar nicht weiß, wie gut das ab- und wieder aufgebaut werden kann.
Und wenn man bezweifelt, ob das in irgendein verfügbares Auto passt.
Und wenn man sich fragt, ob es zum restlichen Mobiliar passt.
Und wenn das einfach so unschlagbar toll aussieht! Was soll man da denn machen! Doh!

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Nun habe ich mich hier schon des öfteren bis auf die Knochen entblößt und lang und breit von meiner steckengebliebenen Entwicklung berichtet - der regelmäßige Leser kennt also meine ans Obsessive grenzende Begeisterung für John Lennon (überhaupt die Stones), Kampfstern Galactica usw.; andererseits möchte ich den verschlissenen und ohnehin hauchdünnen Tarnschleier auch nicht gänzlich fallenlassen.

Bei Ausgrabungen jedenfalls* fand man kürzlich nahe der Stadt G. diese Tonscherbe. Nach Ansicht amerikanischer Wissenschaftler stammt sie aus voreuropäischer Zeit und wurde vermutlich in der Gegend um Südgrönland bei rituellen Sonnenwendbeschneidungen auf hoher See zur navalen Positionsbestimmung eingesetzt.
Einer umstrittenen, alternativen Theorie zufolge handelt es sich hingegen um die frühe Darstellung eines menschlichen(?) Kopfes. Und mit etwas Phantasie - nun, entscheiden Sie selbst.

Als die Kunstlehrerin damals die Noten verteilte, stellte sie meinen Kopf demonstrativ ganz nach links, um die untere Grenze zu markieren. Ich hatte mich wohl mehr auf die Statik konzentriert und einen Zylinder mit Kreuzverstrebungen getöpfert. Nase dran, fertig.

Mein Sitznachbar und ich waren genervt von dem eitlen Ehrgeiz einiger Kursteilnehmer, die eine eher naturalistische Darstellung anstrebten und nicht nur mit aus verschiedenen Winkeln aufgenommenen Polaroid-Fotos, sondern teilweise sogar mit Gipsmasken gearbeitet hatten. Einer dieser Narzisten stand vorne an einem Pult, nahe der aufgeklappten Tafel, und kratzte ganz verliebt noch ein Stäubchen von seinem tönernen Schädel, der gleich gebrannt werden sollte.
"Mach mal die Tafel zu, bitte, wir können so nichts sehen", sprachen wir - und der Moment, als er mit Schwung die Tafel einklappte, der Moment, als er plötzlich verstand, der Moment, in dem er aber schon nicht mehr reagieren konnte, war auf eine zeichentrickhafte, ja: Tex-Avery-eske Weise wunderschön.
"Ach, Herrje. Den kann man bestimmt noch retten, sollen wir dir helfen?", fragten wir, doch er antwortete nicht und sprang wie wahnsinnig auf seinem Tonklumpen herum.
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*Klasse Überleitung!
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Man braucht ihn eben:
den Helfer in der Not
im Stil der neuen Zeit
den original SPRÜHOMAT
Interessant ist ja nicht nur, dass man sich damals - zumindest in Bergen-Enkheim - offensichtlich tiefgreifende Gedanken zur deutschlandweiten Verständlichkeit des Begriffs "Samstag" machte; immerhin gab es die DDR noch, wo man diesen Tag (wie übrigens auch in den Kreisen, in denen Max Goldt verkehrte), einzig und allein als "Sonnabend" bzw., bei Goldt, "Sonnahmt" kannte. Somit lautete jeder siebte Eintrag in diesem Jahreskalender konsequent "Samst. / Sonnabend", womit die Firma Heinrich König & Co. wesentlich mehr Sensibilität bewies als z.B. die Deutsche Bundespost, die schon Jahre vor dem ebenfalls plumpen "Ruf doch mal an!" den Bundesbürger regelmäßig anherrschte: "Schreib mal wieder!", woraufhin ein Politiker aus CSU-Land anklagend auf diesen Ausdruck des preußischen Kulturimperialismus hinwies: Das liege zur bajuwarischen Zunge absolut quer, man könne das ja kaum aussprechen; notfalls sei man bereit, sich auf ein kompromisshaftes "Schreib einmal wieder!" einzulassen; warum aber eigentlich solle man nicht auf eine so wohlklingende Formulierung wie "Schreib wieder einmal!" zurückgreifen?
Interessant ist auch, dass man damals wohl Branntwein- und Tabaksteuern jährlich zu bestimmten Terminen entrichten musste, die in dem Kalender dankenswerterweise aufgeführt waren. Glücklicherweise konnte ich jeweils kurz zuvor spürbare Geldeingänge verzeichnen.
Interessant schließlich, dass man in Bergen-Enkheim ganz offensichtlich zu den Pionieren der femininen Schreibung zählte, denn statt "Pole" hieß es konsequent "Polin", statt "Stuhl" folglich "Stuhlin" usf.; aber was soll ich noch groß erzählen - blättern Sie doch einfach selbst und informieren Sie sich, ob die Patina auf den Särgen damals noch echt bzw. wann 1975 Weihnachten war.
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Rechts daneben ein schmales Schubladenelement, Breite: 40 cm, Anzahl der Schubladen: 4. Den Abschluss der unteren Reihe bildete wiederum ein Holztürenelement wie zu Beginn beschrieben. Die Tiefe dieser unteren Elemente betrug meiner Schätzung nach 50 cm, und auf jedes dieser sagenwirmal gut hüfthohen Schrankteile war ein sagenwirmal 35 cm tiefer Oberschrank gesetzt, der die Höhe des Schranks ungefähr verdoppelte. Fangen wir wieder links an, obere Reihe:
Ein Oberschrank mit Holztüren wie unten. Folgend eine schmale Einheit ohne Tür oder Schubladen! Hier gab es lediglich Einlegeböden, so dass man dieses Element mit Fug als eine Art Regal bezeichnen könnte. Hier wurden die geschlossenen Fronten einmal aufgebrochen, so dass das Ensemble insgesamt weniger massiv wirkte. Diesem Gedanken folgte dann auch der ganz rechte Oberschrank, der zwar wiederum zwei Türen besaß, diese allerdings waren verglast und eigneten sich hervorragend, um eine Streichholzschachtelsammlung mit so Hunden drauf zu präsentieren.
Übrigens saßen die Oberschränke nicht plump und stumpf auf den unteren auf, sondern die Rück- und Seitenwände der unteren waren gut und gerne 10 cm nach oben verlängert. Was jetzt kommt, wissen Sie: Die Rück- und Seitenwände der Oberschränke waren gleichermaßen nach unten verlängert. Aufeinandergestellt ergab sich dadurch nicht nur eine größere Schrankhöhe, sondern auch noch eine hervorragende Ablagefläche über die gesamte Breite und Tiefe der Unterschränke (die ja ca. 15 cm tiefer als die Oberschränke waren). Und natürlich überlegen Sie bereits, ob das nicht ein wenig "hart" ausgesehen haben müsse, so ein rechtwinkliger Vorsprung, ich kann Sie da allerdings beruhigen: Dem wurde Rechnung getragen, indem der bereits beschriebene Überstand der Unterschränke im 45-Grad-Winkel auf die geringere Tiefe der Oberschränke zurückgeführt wurde, so dass sich insgesamt ein harmonisches Bild ergab.
Ich hatte einige Jahre zuvor in der Schweiz das schokoladenhaltige Getränk Ovomaltine kennen- und schätzen gelernt. Zwar unterstellte man mir noch lange, ich sei lediglich auf die dort relativ präsente, für schweizerische Verhältnisse womöglich geradezu aufdringliche Werbung angesprungen, die ganz wesentlich aus leichtfertigen Fitnessversprechen bestand. Ich aber weiß noch heute, wie ich erstmals in einem Café neben dem fantastischen Rübenkuchen auch ein Glas Ovomaltine bestellte, da es keinen Kakao gab, und von dem malzig-herben Bei- und Nachgeschmack wirklich hingerissen war.
Eines Sommertags, die Schweiz war längst Geschichte, gerade wollte ich ein bestimmtes Asterix-Heft aus meinem Schrank holen, die Hefte waren in dem linken Unterschrank mit den zwei Türen, gelüstete es mich heftig nach dem genannten Getränk. Ich nahm den größten Humpen, den ich in der Küche finden konnte, goss einen knappen Liter Milch hinein und dosierte vorschriftsmäßig etwa 1/2 Dose Ovomaltine. Die Dosierungsangaben auf schokoladenhaltigen Getränkepulvern mögen oft arg übertrieben sein, was jedoch Ovomaltine angeht, kann ich nur sagen: Halten Sie sich daran. Ich weiß, es tut weh, das Zeug ist teuer, man will dann wenigstens an der Menge sparen - aber, so mein Rat, dann lieber selten und dafür richtig.
Glücklich lief ich mit dem gefüllten Trinkgefäß zurück und freute mich auf ein gemütliches Lesestündchen, dazu fehlte nur noch das Heft mit diesem Gallier, einen Moment, stell das Glas doch kurz hier auf den Boden und hol es aus dem Schrank -
Boden! Verstehen Sie?
Wo waren noch mal meine Asterix-Hefte?
Der Radius der Schranktür reichte problemlos aus, um das Glas frontal zu erwischen. Kostbare Ovomaltine ergoss sich über meinen Jugendzimmerboden. Die nächste Stunde verbrachte ich damit, den Putzeimer mit Wasser zu befüllen, verzweifelt mit dem Wischlappen über den Teppich zu rubbeln, das Wasser wegzubringen und frisches zu holen.
Als ich der Ansicht war, alles Menschenmögliche getan zu haben, hockte ich mich erschöpft auf den Boden. Mein Getränk fiel mir ein, das ich nicht hatte genießen können, und die Milch war nun alle - aber das Comic-Heft, das konnte ich nun doch noch lesen, meinte ich und öffnete die Schranktür. Davor stand der Eimer.
All dies fiel mir heute, nach so vielen Jahren, plötzlich wieder ein. Komisch manchmal - vielleicht war es, weil ich beim Fensterputzen den vollen Eimer mit dem saudreckigen Wasser von der Fensterbank gestoßen habe, über Sofa, Gardinen, Stereoanlage und so weiter.
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