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Obwohl ich mich immer für Musik begeistern konnte, habe ich nie ein Instrument gelernt. Aber ich besaß trotzdem mal eine elektrische Bassgitarre. Dazu einen Gitarrenverstärker (Röhre) und eine riesige Lautsprecherbox Marke Eigenbau. Alles zusammen hatte ich einem Bekannten abgekauft, der vermutlich froh war, das Zeug loszuwerden. Nun stand es in meinem Zimmer und ich wartete darauf, dass ich plötzlich Bass spielen könnte. Ab und zu zupfte ich darauf herum, was aber ebensowenig half wie Idee, mal den CD-Spieler an den Verstärkereingang anzuschließen und damit I Saw Her Standing There ("One-two-three-faw!") zu hören. Das war schön bassbetont, man konnte McCartneys Spiel hervorragend folgen, vermutlich auch drei Häuser weiter, denn wir wohnten in einem Reihenhaus. Mich wundert ohnehin im nachhinein immer mehr, dass mich niemand je überfallen oder mir die Fensterscheibe eingeworfen hat. Denn ich kaufte zu meiner Stereoanlage regelmäßig neue, noch stärkere Lautsprecherboxen und irgendwann gar einen riesigen Subwoofer. Und auch wenn ich die Musik also nicht durch das Bassgitarrenequipment jagte, hatten alle Nachbarn etwas davon. Wobei ich hoffe, dass auch diesen Menschen in jenen Tagen aufgefallen ist, was für ein guter Bassspieler McCartney ist. Egal, ob er nur (wie bei Get Back) den Grundton als Fundament spielt und bewusst auf jeden Schnickschnack verzichtet, oder ob er, wie beim direkt aus dem Jenseitigen empfangenen (da bin ich mir sicher; das kann kein Mensch geschrieben haben, nicht mal er) Golden Slumbers die gebrochenen Pianoakkorde mit so delikaten Figuren unterlegt, dass man immer wieder spontan niederknien möchte.
Zehn Jahre später, ich wohnte längst nicht mehr zu Hause, nach mehreren diskreten Hinweisen ("Dein Kram steht unseren Keller voll"), musste ich endgültig einsehen, dass ich immer noch nicht Bass spielen konnte und es wohl auch nicht mehr lernen würde. Ich verkaufte die Ausrüstung also an einen jungen Mann, der in Punkerkleidung mit einem Skateboard angerollt kam und zwei Stunden später die zentnerschwere Box, den ebenfalls gewichtigen Röhrenverstärker und das Instrument selbst draufstapelte und stadteinwärts schob, während ich ihm und meinen unrealisierten Musikträumen nachsah. Den Subwoofer hingegen hatte ich kurz zuvor an einen Mann verkauft, der mich während der Hörproben, Verkaufsverhandlungen und auch beim gemeinsamen Herunterschleppen des Trumms immer wieder so seltsam anlächelte, dass mir ganz blümerant zumute wurde. Meine Wohnung sah damals nach einer Junggesellenbude aus, und dass ich kürzlich Vater geworden war, sah man der Einrichtung noch nicht überall an. Frau und Säugling hatten auf meinen Wunsch hin - "es wird laut, ich will dem doch das Ding vorführen" - einen Spaziergang angetreten. Man konnte sich also durchaus über mich wundern. Aber erst als der Mann mit seinem Auto wegfuhr und ich in die Wohnung zurückkehrte, verstand ich sein ewiges Lächeln: Aus dem Halsausschnitt meines Pullovers, knapp unter meinem eigenen, schaute der Kopf eines weißen Plüschhasen heraus.
Mit den Saiteninstrumenten hatte ich's anscheinend nicht so, einen anderen Versuch startete ich aber kurz vor oder nach dem Bass: Ein Keyboard. Ein kleines, aber brauchbares Yamaha-Keyboard, DX 100 hieß es wohl, und kurz danach erstand ich einen Fostex-Vierspurrekorder. Ich kann ja keine Noten lesen. (Paul McCartney übrigens auch nicht.) Und doch meine ich, ein gutes Gehör zu haben. Ich winde mich, wenn jemand sich um einen Halbton verhaut. Warum nur kann ich trotzdem kein Instrument beherrschen? Nicht mal ansatzweise? Das Keyboard hatte lustige Sounds, mit denen ich herumspielte, und ich frickelte auch so einige Vierspurgeschichten zusammen, die ich gar nicht schlecht fand. Aber mit zwei Händen spielen? Gleichzeitig? Und dann auch noch links und rechts verschiedene Sachen? Nein, so weit kam ich nie. Und so blieb es bei den Spielereien, die ich alleine oder mit Freunden fabrizierte. Immerhin konnte man die Aufnahmen rückwärts anhören oder eine Spur nur mit dem geklatschten Rhythmus aufnehmen oder auf Topfdeckel klopfen und so weiter. Spaß hat's gemacht.
Manche bezeichnen in absichtlicher Verkürzung der Tatsachen die zweite Seite der Abbey Road als "Pauls bestes Soloalbum". Und es ist ja tatsächlich so, dass er auf dieser Seite nicht nur dominiert, sondern mit You Never Give Me Your Money das grandiose Finale einer grandiosen Platte einleitet, die nicht nur kompositorisch, sondern auch von der Instrumentenbeherrschung und nicht zuletzt produktionstechnisch noch mal einen ganz großen Schritt nach vorn markiert. Umso bemerkenswerter finde ich es, dass er kurz darauf sein erstes Soloalbum vollkommen anders gestaltet hat. Mit nicht viel mehr als einer Vierspurmaschine und einem Mikrophon (kein Mischpult; alles wurde direkt übers Mikrophon aufgenommen) nahm er auf wahrlich dilettantische Weise belanglose Stücke auf. Kein Vergleich, wirklich keiner, mit der polierten und perfekt produzierten Abbey Road. Sondern unbedarfter Heimstudioklang. Und wenn man das weiß - wenn man so etwas zu schätzen weiß, dann gefällt einem vielleicht auch so etwas. Oder das. Ich jedenfalls freue mich immer mit, wenn ich mir vorstelle, wie er da Spur für Spur einspielt und ganz bewusst auf Perfektion verzichtet. Oder mal richtig Quatsch macht.
Zehn Jahre später, ich wohnte längst nicht mehr zu Hause, nach mehreren diskreten Hinweisen ("Dein Kram steht unseren Keller voll"), musste ich endgültig einsehen, dass ich immer noch nicht Bass spielen konnte und es wohl auch nicht mehr lernen würde. Ich verkaufte die Ausrüstung also an einen jungen Mann, der in Punkerkleidung mit einem Skateboard angerollt kam und zwei Stunden später die zentnerschwere Box, den ebenfalls gewichtigen Röhrenverstärker und das Instrument selbst draufstapelte und stadteinwärts schob, während ich ihm und meinen unrealisierten Musikträumen nachsah. Den Subwoofer hingegen hatte ich kurz zuvor an einen Mann verkauft, der mich während der Hörproben, Verkaufsverhandlungen und auch beim gemeinsamen Herunterschleppen des Trumms immer wieder so seltsam anlächelte, dass mir ganz blümerant zumute wurde. Meine Wohnung sah damals nach einer Junggesellenbude aus, und dass ich kürzlich Vater geworden war, sah man der Einrichtung noch nicht überall an. Frau und Säugling hatten auf meinen Wunsch hin - "es wird laut, ich will dem doch das Ding vorführen" - einen Spaziergang angetreten. Man konnte sich also durchaus über mich wundern. Aber erst als der Mann mit seinem Auto wegfuhr und ich in die Wohnung zurückkehrte, verstand ich sein ewiges Lächeln: Aus dem Halsausschnitt meines Pullovers, knapp unter meinem eigenen, schaute der Kopf eines weißen Plüschhasen heraus.
Mit den Saiteninstrumenten hatte ich's anscheinend nicht so, einen anderen Versuch startete ich aber kurz vor oder nach dem Bass: Ein Keyboard. Ein kleines, aber brauchbares Yamaha-Keyboard, DX 100 hieß es wohl, und kurz danach erstand ich einen Fostex-Vierspurrekorder. Ich kann ja keine Noten lesen. (Paul McCartney übrigens auch nicht.) Und doch meine ich, ein gutes Gehör zu haben. Ich winde mich, wenn jemand sich um einen Halbton verhaut. Warum nur kann ich trotzdem kein Instrument beherrschen? Nicht mal ansatzweise? Das Keyboard hatte lustige Sounds, mit denen ich herumspielte, und ich frickelte auch so einige Vierspurgeschichten zusammen, die ich gar nicht schlecht fand. Aber mit zwei Händen spielen? Gleichzeitig? Und dann auch noch links und rechts verschiedene Sachen? Nein, so weit kam ich nie. Und so blieb es bei den Spielereien, die ich alleine oder mit Freunden fabrizierte. Immerhin konnte man die Aufnahmen rückwärts anhören oder eine Spur nur mit dem geklatschten Rhythmus aufnehmen oder auf Topfdeckel klopfen und so weiter. Spaß hat's gemacht.
Manche bezeichnen in absichtlicher Verkürzung der Tatsachen die zweite Seite der Abbey Road als "Pauls bestes Soloalbum". Und es ist ja tatsächlich so, dass er auf dieser Seite nicht nur dominiert, sondern mit You Never Give Me Your Money das grandiose Finale einer grandiosen Platte einleitet, die nicht nur kompositorisch, sondern auch von der Instrumentenbeherrschung und nicht zuletzt produktionstechnisch noch mal einen ganz großen Schritt nach vorn markiert. Umso bemerkenswerter finde ich es, dass er kurz darauf sein erstes Soloalbum vollkommen anders gestaltet hat. Mit nicht viel mehr als einer Vierspurmaschine und einem Mikrophon (kein Mischpult; alles wurde direkt übers Mikrophon aufgenommen) nahm er auf wahrlich dilettantische Weise belanglose Stücke auf. Kein Vergleich, wirklich keiner, mit der polierten und perfekt produzierten Abbey Road. Sondern unbedarfter Heimstudioklang. Und wenn man das weiß - wenn man so etwas zu schätzen weiß, dann gefällt einem vielleicht auch so etwas. Oder das. Ich jedenfalls freue mich immer mit, wenn ich mir vorstelle, wie er da Spur für Spur einspielt und ganz bewusst auf Perfektion verzichtet. Oder mal richtig Quatsch macht.
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Ich kenne diese Welt nicht. In meiner Familie war es nicht üblich, im Sportverein zu sein. Zwar habe ich mal einen kläglichen Anlauf in der D1 gestartet, wurde dann in die C2 versetzt und habe nie ein Spiel mitgemacht, sondern überhaupt nur ein paar Wochen am Training teilgenommen. Dann, denn ich war damals durchaus fußballbegeistert, spielte ich lieber wieder mit meinen Freunden auf irgendeinem Rasen. Die Vereinsfußballjungs waren viel besser. Und ich fühlte mich fremd und fehl am Platz.

Das andere waren die Kleingärtner. Auch dazu gehörten wir nicht. Ich bekam aber mit, wie die Eltern meines Freundes A. in ihrem Kleingarten viel Zeit, noch mehr allerdings im Vereinshaus verbrachten. Peter Alexander sang im Hintergrund, man saß zusammen und trank Alkohol in bedenklicher Dosierung, die Mutter meines Freundes saß am Tresen und rauchte Zigarillos, umgeben von drei Männern, die ihr um die Wette Feuer reichten, während ihr Mann still danebensaß und noch mehr trank. Irgendeinen Grund zum Feiern gab's immer, Günni hatte Geburtstag oder Achim und Hanna Hochzeitstag.

Wenn wir als Kinder mal hinkamen, fühlte ich mich einerseits abgestoßen vom Lärmen der manchmal unzurechnungsfähigen, lallenden Menschen, von ihrem Krakeelen, ihrer betrunkenen Langsamkeit, ihrem aufdringlichen Gewitzel, und zugleich auf merkwürdige Weise fasziniert von dieser doch meist fröhlichen und anscheinend auch verlässlichen und nicht zuletzt egalitären Gemeinschaft. (Da fragt dich keiner / was du hast oder bist). Sie grillten zusammen, halfen einander in den Gärten oder führten Gemeinschaftsarbeiten durch (Vereinshaus renovieren).

Mit viel Verspätung lerne ich die Vereinswelt nun kennen. Als Begleiter. Nicht als Aktiver.

Oder doch als Aktiver. Man steht beim Hallenturnier hinter einem Tresen mit Kaffee, Kuchen, Brötchen, Würstchen und macht Kasse. Man trägt Tore zu Platz 4, sieh mal nach, ob der noch abgestreut werden muss.

Man sieht sich eine ehrenhafte Heimniederlage (0:5) an, der Wind pfeift eiskalt, die Mädchen bekommen beim Abstoß den Ball nicht aus dem eigenen Strafraum, man beklatscht gelungene Spielzüge und freut sich über die glücklich und abgekämpft glänzenden Gesichter. Hätte schlimmer kommen können. Dann baut man die Tore ab, die müssen zum Schlackeplatz, und irgendwann sitzt man in der Vereinsgaststätte und wärmt sich mit einem Kaffee.

Die Menschen sehen ganz sympathisch aus.
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Sie sehen ja echt fertig aus mit ihrem Messer!Ich zerteilte gerade mit einem Brotmesser einen Apfel und zuckte ob dieser Unverblümtheit zusammen. Tatsächlich hatte ich mich etwas verhört. "Gefährlich" hatte sie gesagt, nicht "echt fertig". (Stimmte aber trotzdem.)
(Reinigungskraft in der Küche, ca. 2002)
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And in the end
The love you take
Is equal to the love
You make
(The Beatles)

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Ich liebte ein Mädchen in WannseeEnde der 80er, nach dem Abitur, zogen einige meiner Nächsten nach Berlin. Ich fuhr auch manchmal hin. Aber im Gegensatz zu ihnen blieb ich dann nicht, ausgerüstet mit kaum mehr als einer Zahnbürste, einfach da, sondern war immer nur auf Besuch und fand früher oder später meinen Weg zurück nach Westdeutschland.
Die konnt kein nackten Mann sehn
Ich liebte ein Mädchen in Wedding
Die wollte immer nur Petting
(Die Fröhlichen Insterburger)
Es waren Zeiten, in denen man noch viel von der gerade stattfindenden "Wende" merkte, in denen auf rußgeschwärzten Fassaden im Ostteil der Stadt plötzlich schreiende "McPaper"-Schilder auftauchten, die glänzenden Läden wie Fremdkörper in der heruntergekommenen Bausubstanz, daneben stand gerne auch mal "CDU" an eine Wand gesprüht und reichlich billiger Wohnraum überall zur Verfügung. Wenn man nicht gleich in einem besetzten Haus lebte. Einmal ging ich zum Frisör, 5.- DM kostete der Schnitt und sah dann auch so aus: Der bullige Schnippler wetzte seine angsteinflößenden Messer und schabte mir damit derart nachdrücklich über Nacken und Seiten, dass ich auf Nachfragen oder Diskussionen konsequent verzichtete. "Komische Frisur hast du", sagte mein Gastgeber später, nachdem ich mit einer Tüte
Mit einer solchen Frisur in besetzten Häusern zu verkehren, half nicht gerade dabei, dort wohlwollend aufgenommen zu werden, herrschte doch eine tiefgreifende Paranoia gegen "Zivis" und "Spitzel". (Obwohl, dachte ich immer, wenn ich doch ein solcher wäre, würde ich dann mit Fassonschnitt ...?) Aufgrund persönlicher Kontakte schließlich dennoch eingelassen, wurde man reichlich misstrauisch beäugt: Woher man denn käme, was man hier wolle, und es seien übrigens gerade "dreißig Wannen", also Mannschaftsfahrzeuge der Polizei, auf der Autobahn gesichtet worden, die Räumung stehe deshalb unmittelbar bevor. Man fand dann irgendwo einen Platz zum Schlafen, mit Glück auch behelfsmäßige sanitäre Anlagen und manchmal einen Kohleofen. Mehr Aufwand als in die Instandbesetzung schien aber in den Aufbau gewaltiger Verteidigungsanlagen gesteckt worden zu sein. Mit Schrecken sah ich z.B. einmal eine Tür, die oberhalb einer Treppe so hingelegt und verkeilt worden war, dass man sie durch Herausziehen einer Holzlatte senkrecht herunter- und den erwarteten Angreifern entgegenstürzen lassen konnte, samt der zahlreichen Ziegelsteine und rostigen Eisenträger, die man obendraufgestapelt hatte.
Die Bewohner konnten so das Treppenhaus natürlich selbst nicht nutzen; als Eingang wurde, wenn ich mich recht erinnere, ein Fenster im ersten Stock verwendet (die unteren waren verrammelt oder zugemauert worden). Man bekam eine Strickleiter oder so etwas heruntergelassen, wenn man das richtige Codewort wusste.
Auf weniger martialische Weise beeindruckten mich gigantische Fabriketagen, die leerstanden und die man ebenfalls besetzt oder günstig gemietet hatte. Auch wenn ich mich selbst nie zu einer solchen Lebensweise entscheiden habe, war ich hingerissen von dem vielen Platz und den tollen Möglichkeiten, sich einfach einen Claim abzustecken und diesen als Atelier, Spiel- oder Sportplatz zu gestalten. Und auch die ganz normalen Wohnungen, die Studenten in Zweier-WGs bewohnten, waren groß und schön - viele hatten Stuck an den sehr hohen Zimmerdecken.
Eine solche WG bewohnte ein lieber Freund, den ich einige Male besuchte. Ich wunderte mich immer, wie schnell man als Zugezogener anscheinend in Berlin heimisch werden konnte. Und das nicht nur, weil auch gestandene Hochdeutsche sofort "wa" und "dis" sagten und wie selbstverständlich von "36" und "61" sprachen, als gehöre die geographische und vor allem soziokulturelle Gliederung Kreuzbergs zum Weltwissen der Siebenjährigen. Sie schienen sich wohlzufühlen dort, wussten, wo man abends hingehen konnte, kannten viele Menschen und wirkten sehr großstädtisch.
Worauf läuft das hier denn wieder hinaus, höre ich Sie fragen. Dazu folgendes: Ich lasse mich nicht unter Druck setzen, und wenn ich Lust habe, dann flechte ich auch noch ein Kochrezept ein. Oder, stop: Ich hab's! Kennen Sie das, wenn man nachts plötzlich einen überwältigenden Hunger bekommt? Bei mir geht's in den letzten Jahren wieder, aber einige Zeit, samama von fuffzehn, sechzehn an bis vor fünf oder drei Jahren, war's echt schlimm. Da habe ich sogar mal einen Kameradendiebstahl begangen. Ich war mit einem Freund und Zivildienstkollegen auf einer Bildungsveranstaltung. Wir damals, wir mussten ja zwan-zig Monate! Und die wurden uns am Ende doch ziemlich lang. So freuten wir uns, als wir erfuhren, dass man das Anrecht auf einmal Bildung hatte, und meldeten uns irgendwofür an. Da waren auch so Punks zugegen, die am ersten Abend gleich laut und lustig Bier tranken. Und wir gingen gegen Mitternacht auf unser Zimmer, sprachen noch über dies und das, u.a. über die Punks, die "bestimmt noch feiern" und "morgen früh garantiert nicht pünktlich zum Seminar erscheinen" würden. Irgendwann, ich schlief tief und fest, hämmerte jemand gegen die Tür und rief: "Aufstehen! Ihr habt das Mittagessen verschlafen!", was mich erheblich nervte. Ich drehte mich um und murmelte: "Jene tumben Trunkenbolde haben nun Stund um Stunde dem Alkohol gefrönt, gehen schändlich spät ins Bett und finden gar billiges Vergnügen darin, uns, zwei rechtschaffen müde Gesellen, mit solch grotesk übertriebener Alberei zu tollschocken. 'Mittagessen verschlafen' - ich meine, hey!"
Andererseits, überlegte ich in den folgenden Minuten, gewisse Unregelmäßigkeiten in deiner circadianen Periodik sind nicht von der Hand zu weisen, wer weiß, vielleicht ist, obzwar gefühlt noch tiefste Nacht, es tatsächlich schon bald Zeit zum Frühstücken? Und ein reichliches Frühstück brauchst du unbedingt, denn schon um 8:30 beginnt das Seminar! Todmüde quälte ich mich also aus dem Bett und öffnete den Fensterladen. Die Sonne stand tief im Westen. Wir hatten das Mittagessen verschlafen.
Nun muss man wissen, dass mein Zimmer- und Zivildienstgenosse ein Mensch war, der Unmengen an Nahrung aufnehmen konnte. Und auch ich habe immer gut zugelangt, auch wenn man mir das nun wirklich nicht ansieht. Sagen sie immer alle. Einmal, da waren wir nach einer zweiwöchigen Pause zum ersten Mal wieder in der Nordmensa, das war die beste Mensa, die hatten da tolle Sachen! Und so Aktionen. Lachs- und Spargelwochen zum Beispiel. Und wir kamen nach dem zwei Wochen zur Kasse, wo die Kassiererin, ohne uns anzusehen, nur mit Blick auf unsere völlig überladenen Tabletts, sprach: "Ihr wart aber lange nicht da!"
Panisch zogen wir uns an, rannten in die Küche des Tagungshauses und müssen dort einen so jämmerlichen Eindruck vermittelt haben, dass die mütterlichen Instinkte der Küchenfrauen massiv angesprochen wurden und man uns mit Übriggebliebenem päppelte. Später erfuhren wir, dass es um 18:00 Abendessen gebe. Dies trieb mir den Schweiß auf die Stirn, und auch mein Kollege sah ganz blass aus. Wie sollte das denn gehen - von einem so frühen Abendessen bis zum nächsten Morgen? Wir beratschlagten kurz und gingen nach dem Abendessen erneut zu unseren Freundinnen in die Küche. Sie gestatteten uns lächelnd ("Jungs! Ts!"), noch einige Graubrotscheiben mit Scheibenkäse zu belegen und mit Teewurst zu beschmieren, auch ein paar Tomatenhälften waren noch da, so dass wir halbwegs beruhigt mit in Papierservietten eingeschlagener Notration das gemeinsame Zimmer betreten und unsere Vorräte verstauen konnten.
Ich schlief früh ein, wachte zu unbestimmter Zeit im Dunklen auf, befand mich alleine im Zimmer, verspürte Hunger und aß gierig meine Brote. Mein Kollege, so vermutete ich, musste mit den anderen noch irgendwo ein Trinkgelage halten. Das ich ihm auch von Herzen gönnte, ich hingegen war zu müde und wollte lieber einmal richtig ausschlafen. Leider nagte weiter der Hunger an mir. Und, ich mach's kurz, ich habe nicht an mich halten können, nahm nach einer halben Stunde des inneren Kampfes sein Paket und aß seine Brote. All dies fand nicht im Schützengraben oder Lazarett nach Monaten des Mangels statt, nicht in der Wüste oder auf dem beschwerlichen Weg zum Pol; nein, es reichte eine Nacht, um mich zu solchem moralisch verwerflichen und durch nichts zu rechtfertigenden Handeln zu verleiten.
Nachthunger war es auch, der mich beim Berlinbesuch in der Wohnung meines Gastgebers von tiefster Dunkelheit umgeben zum Kühlschrank taumeln ließ, ich tastete mich langsam und vorsichtig voran, was in fremden Wohnungen eine durchaus anspruchsvolle Tätigkeit ist, wollte ja auch niemanden wecken, fand in der Küche den auf dem Boden stehenden Kühlschrank, öffnete ihn mit klopfendem Herzen und sondierte gerade den Inhalt, als von der Tür aus, seitlich von mir, ein herzliches Lachen ertönte. "Du siehst aus!", rief der gute Mensch, und diesmal bezog er sich nicht auf meinen militärischen Haarschnitt. Nein, erklärte er unter Tränen, es sehe so komisch aus, wie ich da stünde, aus dem Kühlschrank schräg von unten angeleuchtet, mit wölfisch-hyänenhaftem Gesichtsausdruck.
Ach Mensch! Nun bin ich gar nicht dazu gekommen, von Didi & Stulle zu erzählen. Mach ich dann irgendwann mal.
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- Also, wenn jemand sozial diskriminiert wird. Weil er einer Gruppe zugerechnet wird, der man etwas Negatives nachsagt. Und die halt eben quasi benachteiligt wird.
- Hä?
- Na, wenn man sagt: Du gehörst zu einer Randgruppe, die wir nicht so akzeptieren. Und du hast es deswegen schwerer als andere. Wirst abgelehnt, ausgegrenzt. Bekommst vielleicht keine Lehrstelle deshalb oder so.
- Sag doch mal ein Beispiel.
- Zigeuner. Obdachlose. Schwule. Na, und vor allem natürlich Milliardäre.
- Hä?
- Na, wenn man sagt: Du gehörst zu einer Randgruppe, die wir nicht so akzeptieren. Und du hast es deswegen schwerer als andere. Wirst abgelehnt, ausgegrenzt. Bekommst vielleicht keine Lehrstelle deshalb oder so.
- Sag doch mal ein Beispiel.
- Zigeuner. Obdachlose. Schwule. Na, und vor allem natürlich Milliardäre.
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