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Er musste gemeinsam mit seinem Bruder oder dem Nachbarjungen täglich den weiten Schulweg zurücklegen, je eine Stunde hin und zurück, und einmal, als Jugendliche, an einem Sommertag, querten sie wie jeden Tag den kleinen Ort, in dem es eine Gaststätte mit Ausschank an der Straße gab, dort gönnten sie sich jeder für ein paar Groschen ein Dunkelbier, welches weder mit süßem Malzbier, noch mit dem dunklen Starkbier vergleichbar war, leerten ihre Humpen, dann, angetrieben weniger von Durst als von Abenteuerlust, schlich er sich in einem unbeobachteten Moment hinter den Ausschank, um heimlich noch mehr Bier in sein Glas zu zapfen. Der Hahn ließ sich leicht umlegen, das Bier strömte in den Humpen, doch dann, das Glas war voll, klemmte der Hahn irgendwie, das Bier floss weiter, das Glas lief über, er ließ es stehen und rannte und rannte und musste hernach auf Schul- und Nachhauseweg jeweils einen Umweg von einer halben Stunde in Kauf nehmen, jahrelang, um bloß nie mehr an jener Gaststätte vorbeigehen zu müssen.
Interessant an dieser Geschichte finde ich, dass ich sie noch weiß. Sie wurde mir nämlich nur ein einziges Mal erzählt, das ist mehr als drei Jahrzehnte her, und der Erzähler war nicht nur Rektor meiner Grundschule, sondern in den ersten beiden Jahren auch mein Klassenlehrer. Auf uns Kinder wirkte er schon damals uralt, weißhaarig mit Gehstock, dabei blieb er auch danach noch einige Jahre im Schuldienst und kann also nicht älter als Ende fünfzig, Anfang sechzig gewesen sein. In unserer kleinen Schule, die es längst nicht mehr gibt und die nach einem "Begründer der modernen Pädagogik als Wissenschaft" benannt war, welcher aber auch als Philosoph und Psychologe geführt wird und über dessen Leben und die darin vorkommende Musik - er hatte eine Klaviersonate geschrieben - wiederum jener Lehrer und Rektor eine "musikbiographische Skizze" in einem Jahrbuch der Stadt veröffentlich hat (was einem das Internet so alles offenbart!), in dieser Schule also war auf einiges stets Verlass: Man stellte sich bei Pausenende auf dem Schulhof in Zweierreihen auf, bis es klingelte, und ging so geordnet in den Klassenraum zurück; man sang zu den Geburtstagen "Viel Glück und viel Segen", und zwar in der Version mit "Gesundheit und Wohlstand", und zwar im Kanon, und zwar dirigiert durch Herrn R.; man stand vor dem Unterricht auf, wenn der Lehrer hereinkam, wartete sein "Guten Morgen!" ab, antwortete im Chor "Guten Morgen!" und setzte sich erst dann, wenn er dies verbal oder mit einer kleinen Handbewegung anzeigte; man stellte bei Schulschluss die Stühle hoch. Und in mancher Schulstunde kam man in den Genuss einer Geschichte aus Kindheit oder Jugend des Herrn R.:
Im Winter war es in der Schule klirrend kalt. Lediglich in einer Ecke des Klassenzimmers gab es einen Kamin, und wenn die Tinte in den Fässchen gefror, hatte der Lehrer manchmal ein Einsehen und gestattete den Schülern, eine halbe Stunde lang Holz sammeln zu gehen. Wenn das Feuer dann endlich brannte, hatten es die Schüler in den hinteren Reihen am besten, was sonst nicht der Fall war, da die Sitz- zugleich auch die Rangordnung der Schüler war, der Kamin aber entwickelte seine Wärme nur sehr langsam und die guten Schüler weiter vorne hatten bis zum Schulende praktisch nichts davon, außer dass sie ihre hartgefrorenen Butterbrote auf den Sims legen und dort wenigstens etwas antauen lassen konnten.
Schon am allerersten Schultag, mir war vor Angst und Aufregung schlecht, hatte er uns in seinen Bann gezogen, denn wir wurden Zeugen eines schier unglaublichen Geschehens: Herr R. erzählte uns, dass in seinem Pult jemand wohne, und noch während er sprach, hörte man eine verzerrte Stimme von unten rufen: "Haaallooooo Kinder! Hallooooo!", und plötzlich kam ein Kasper hinter der Kante des Pults zum Vorschein, worüber Herr R. vollkommen überrascht war, bevor er schließlich mit dem kleinen Kerl zu sprechen begann. In den folgenden Wochen, als ich meine Mitschüler langsam kennenlernte, sprachen wir in den Pausen und auf dem Nachhauseweg noch oft darüber, wie das wohl funktioniert habe, bis O. uns eines Tages verschwörerisch ansah: "Mein Vater sagt, der hat'n Cassettenrecorder dahinter!", was uns aber auch nicht restlos überzeugte, so dass wir noch jahrelang nach dem Kasper fragten.
Gerne erinnere ich mich auch an unsere erste Hausaufgabe: "Malt ein Haus mit einem Schornstein, aus dem immer Rauch rauskommt." Natürlich fertigte ich das Bild eifrig zu Hause an, traute mich am nächsten Tag aber nicht, es vorzuzeigen (und bereute dies lange, denn ich hatte es doch gemacht und nun musste er denken, ich wäre so einer, der seine Hausaufgaben nicht macht.)
Eines Tages wurde ich mit zwei Mitschülerinnen in eine Gärtnerei geschickt, um dort die zu Unterrichtszwecken bestellten Blumenzwiebeln abzuholen, für welche, wie Herr R. uns mitteilte, der Gärtner kein Geld haben wollte und weshalb wir bitte ausdrücklich die Worte "Herr R. lässt herzlich danken!" zu verwenden hätten. Es war eine wirkliche Auszeichnung, diesen Botengang für ihn antreten zu dürfen, und so eilten wir voller Stolz zur Gärtnerei, nahmen die Zwiebeln in Empfang, murmelten "Danke!" und rannten zurück zur Schule, wo Herr R. von uns wissen wollte, ob wir denn wirklich seinen Wortlaut wiedergegeben hätten, was wir sehr überzeugend bejahten.
Er konnte sich vom freundlichen Herrn innerhalb weniger Momente in einen furios schimpfenden Wüterich verwandeln, was uns regelmäßig ziemlich erschreckte. Besonders oft bekam dies mein bester Freund A. zu spüren, der mich morgens immer abholte und ein ganz lieber Junge, leider aber kein guter Schüler war. Hatte jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht, vergaß jemand das mitzubringende Geld für den Wandertag, dann konnte es passieren, dass Herr R. den betreffenden Schüler buchstäblich am Kragen packte, vom Stuhl riss und fürchterlich auf ihn einschrie. Und eine recht unangenehme Erfahrung machte auch meine Mitschülerin S.; man muss dazu wissen, dass Herr R. ein gläubiger Christ war, und zwar ein evangelischer, der regelmäßig die Dummheit der Katholiken (Beichte! Papst!) anprangerte, was mir als zumindest nominellem Mitglied jener Minderheit manchmal etwas unangenehm war, auch wenn ich mich nicht direkt angesprochen fühlte. Und als wir im Religionsunterricht einmal darüber belehrt wurden, dass man den Namen des Herrn nicht fluchen oder auch nur leichtfertig gebrauchen solle ("so wie manche Menschen abwertend 'Ach, Gottchen!' sagen"), äußerte S., dass aber auch er, Herr R., dies schon getan habe, womit sie auch eindeutig recht hatte. Herr R. wollte dies nicht glauben oder zugeben, blieb aber freundlich und wies uns an, ihn, sollte dies doch einmal vorkommen, doch bitte darauf hinzuweisen.
Nicht lange danach hatte er aus irgendeinem Grund einen Wutanfall und schrie jemanden mit "Herrgottnochmal!" an. Und die mutige S. meldete sich und sagte ganz zaghaft: "Jetzt haben Sie's wieder gesagt", woraufhin Herr R. sie mit wutverzerrtem Gesicht anschrie: "JA! HABE ICH AUCH!" und wir alle sehr still wurden.
Als er nach zwei Jahren unsere Klasse an eine andere Lehrerin übergab, waren wir alle sehr traurig. Immerhin als Religions- und Musiklehrer - er konnte übrigens sehr gut Geige spielen - blieb er uns aber erhalten, so dass wir noch viele Kanons singen ("Ehre sei Gott in der Hö-ö-he ...") und Geschichten hören konnten, seien es nacherzählte wie die von dem Mann, der den Bratenduft, in welchen ein Mittelloser sein Stück Brot gehalten hatte, mit dem Klang seiner Goldmünze bezahlte (das muss in Religion gewesen sein), seien es selbsterlebte wie die von den Vorräten, die er in Notzeiten mit seinem Bruder in einer abenteuerlichen Kletteraktion vom elterlichen Balkon stibitzt hat.
Das einzige Mal, dass ich ihn nach Verlassen der Grundschule noch sah, war etwa drei Jahre später, als ich ihm, der gerade spazierenging, mit meinem Rennrad entgegenfuhr und vor Verlegenheit nicht wusste, was ich sagen sollte, mir statt dessen einredete, dass er mich bestimmt nicht erkenne und deshalb grußlos an ihm vorüberfuhr.
Man ist mit zwölf, dreizehn auch nicht im geeigneten Alter, um jemandem zu sagen, wie froh man ist, ihn als Lehrer gehabt zu haben. Aber schade ist es auch.
Interessant an dieser Geschichte finde ich, dass ich sie noch weiß. Sie wurde mir nämlich nur ein einziges Mal erzählt, das ist mehr als drei Jahrzehnte her, und der Erzähler war nicht nur Rektor meiner Grundschule, sondern in den ersten beiden Jahren auch mein Klassenlehrer. Auf uns Kinder wirkte er schon damals uralt, weißhaarig mit Gehstock, dabei blieb er auch danach noch einige Jahre im Schuldienst und kann also nicht älter als Ende fünfzig, Anfang sechzig gewesen sein. In unserer kleinen Schule, die es längst nicht mehr gibt und die nach einem "Begründer der modernen Pädagogik als Wissenschaft" benannt war, welcher aber auch als Philosoph und Psychologe geführt wird und über dessen Leben und die darin vorkommende Musik - er hatte eine Klaviersonate geschrieben - wiederum jener Lehrer und Rektor eine "musikbiographische Skizze" in einem Jahrbuch der Stadt veröffentlich hat (was einem das Internet so alles offenbart!), in dieser Schule also war auf einiges stets Verlass: Man stellte sich bei Pausenende auf dem Schulhof in Zweierreihen auf, bis es klingelte, und ging so geordnet in den Klassenraum zurück; man sang zu den Geburtstagen "Viel Glück und viel Segen", und zwar in der Version mit "Gesundheit und Wohlstand", und zwar im Kanon, und zwar dirigiert durch Herrn R.; man stand vor dem Unterricht auf, wenn der Lehrer hereinkam, wartete sein "Guten Morgen!" ab, antwortete im Chor "Guten Morgen!" und setzte sich erst dann, wenn er dies verbal oder mit einer kleinen Handbewegung anzeigte; man stellte bei Schulschluss die Stühle hoch. Und in mancher Schulstunde kam man in den Genuss einer Geschichte aus Kindheit oder Jugend des Herrn R.:
Im Winter war es in der Schule klirrend kalt. Lediglich in einer Ecke des Klassenzimmers gab es einen Kamin, und wenn die Tinte in den Fässchen gefror, hatte der Lehrer manchmal ein Einsehen und gestattete den Schülern, eine halbe Stunde lang Holz sammeln zu gehen. Wenn das Feuer dann endlich brannte, hatten es die Schüler in den hinteren Reihen am besten, was sonst nicht der Fall war, da die Sitz- zugleich auch die Rangordnung der Schüler war, der Kamin aber entwickelte seine Wärme nur sehr langsam und die guten Schüler weiter vorne hatten bis zum Schulende praktisch nichts davon, außer dass sie ihre hartgefrorenen Butterbrote auf den Sims legen und dort wenigstens etwas antauen lassen konnten.
Schon am allerersten Schultag, mir war vor Angst und Aufregung schlecht, hatte er uns in seinen Bann gezogen, denn wir wurden Zeugen eines schier unglaublichen Geschehens: Herr R. erzählte uns, dass in seinem Pult jemand wohne, und noch während er sprach, hörte man eine verzerrte Stimme von unten rufen: "Haaallooooo Kinder! Hallooooo!", und plötzlich kam ein Kasper hinter der Kante des Pults zum Vorschein, worüber Herr R. vollkommen überrascht war, bevor er schließlich mit dem kleinen Kerl zu sprechen begann. In den folgenden Wochen, als ich meine Mitschüler langsam kennenlernte, sprachen wir in den Pausen und auf dem Nachhauseweg noch oft darüber, wie das wohl funktioniert habe, bis O. uns eines Tages verschwörerisch ansah: "Mein Vater sagt, der hat'n Cassettenrecorder dahinter!", was uns aber auch nicht restlos überzeugte, so dass wir noch jahrelang nach dem Kasper fragten.
Gerne erinnere ich mich auch an unsere erste Hausaufgabe: "Malt ein Haus mit einem Schornstein, aus dem immer Rauch rauskommt." Natürlich fertigte ich das Bild eifrig zu Hause an, traute mich am nächsten Tag aber nicht, es vorzuzeigen (und bereute dies lange, denn ich hatte es doch gemacht und nun musste er denken, ich wäre so einer, der seine Hausaufgaben nicht macht.)
Eines Tages wurde ich mit zwei Mitschülerinnen in eine Gärtnerei geschickt, um dort die zu Unterrichtszwecken bestellten Blumenzwiebeln abzuholen, für welche, wie Herr R. uns mitteilte, der Gärtner kein Geld haben wollte und weshalb wir bitte ausdrücklich die Worte "Herr R. lässt herzlich danken!" zu verwenden hätten. Es war eine wirkliche Auszeichnung, diesen Botengang für ihn antreten zu dürfen, und so eilten wir voller Stolz zur Gärtnerei, nahmen die Zwiebeln in Empfang, murmelten "Danke!" und rannten zurück zur Schule, wo Herr R. von uns wissen wollte, ob wir denn wirklich seinen Wortlaut wiedergegeben hätten, was wir sehr überzeugend bejahten.
Er konnte sich vom freundlichen Herrn innerhalb weniger Momente in einen furios schimpfenden Wüterich verwandeln, was uns regelmäßig ziemlich erschreckte. Besonders oft bekam dies mein bester Freund A. zu spüren, der mich morgens immer abholte und ein ganz lieber Junge, leider aber kein guter Schüler war. Hatte jemand seine Hausaufgaben nicht gemacht, vergaß jemand das mitzubringende Geld für den Wandertag, dann konnte es passieren, dass Herr R. den betreffenden Schüler buchstäblich am Kragen packte, vom Stuhl riss und fürchterlich auf ihn einschrie. Und eine recht unangenehme Erfahrung machte auch meine Mitschülerin S.; man muss dazu wissen, dass Herr R. ein gläubiger Christ war, und zwar ein evangelischer, der regelmäßig die Dummheit der Katholiken (Beichte! Papst!) anprangerte, was mir als zumindest nominellem Mitglied jener Minderheit manchmal etwas unangenehm war, auch wenn ich mich nicht direkt angesprochen fühlte. Und als wir im Religionsunterricht einmal darüber belehrt wurden, dass man den Namen des Herrn nicht fluchen oder auch nur leichtfertig gebrauchen solle ("so wie manche Menschen abwertend 'Ach, Gottchen!' sagen"), äußerte S., dass aber auch er, Herr R., dies schon getan habe, womit sie auch eindeutig recht hatte. Herr R. wollte dies nicht glauben oder zugeben, blieb aber freundlich und wies uns an, ihn, sollte dies doch einmal vorkommen, doch bitte darauf hinzuweisen.
Nicht lange danach hatte er aus irgendeinem Grund einen Wutanfall und schrie jemanden mit "Herrgottnochmal!" an. Und die mutige S. meldete sich und sagte ganz zaghaft: "Jetzt haben Sie's wieder gesagt", woraufhin Herr R. sie mit wutverzerrtem Gesicht anschrie: "JA! HABE ICH AUCH!" und wir alle sehr still wurden.
Als er nach zwei Jahren unsere Klasse an eine andere Lehrerin übergab, waren wir alle sehr traurig. Immerhin als Religions- und Musiklehrer - er konnte übrigens sehr gut Geige spielen - blieb er uns aber erhalten, so dass wir noch viele Kanons singen ("Ehre sei Gott in der Hö-ö-he ...") und Geschichten hören konnten, seien es nacherzählte wie die von dem Mann, der den Bratenduft, in welchen ein Mittelloser sein Stück Brot gehalten hatte, mit dem Klang seiner Goldmünze bezahlte (das muss in Religion gewesen sein), seien es selbsterlebte wie die von den Vorräten, die er in Notzeiten mit seinem Bruder in einer abenteuerlichen Kletteraktion vom elterlichen Balkon stibitzt hat.
Das einzige Mal, dass ich ihn nach Verlassen der Grundschule noch sah, war etwa drei Jahre später, als ich ihm, der gerade spazierenging, mit meinem Rennrad entgegenfuhr und vor Verlegenheit nicht wusste, was ich sagen sollte, mir statt dessen einredete, dass er mich bestimmt nicht erkenne und deshalb grußlos an ihm vorüberfuhr.
Man ist mit zwölf, dreizehn auch nicht im geeigneten Alter, um jemandem zu sagen, wie froh man ist, ihn als Lehrer gehabt zu haben. Aber schade ist es auch.
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nnier | 30. Oktober 2008 | Topic Klar jewesn
Männer können sich im Gegensatz zu Frauen nie ganz sicher sein, der Vater eines Kindes zu seinHö hö.
[Edit 11.11.2008: Sie haben's geändert, jetzt heißt es: "Männer können sich im Gegensatz zu Frauen nie ganz sicher sein, dass ein Kind von ihnen ist". Note to myself: Bei sowas immer einen Screenshot machen!]
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nnier | 29. Oktober 2008 | Topic Klar jewesn
Heute hatte ich's ja schon kurz von der taz, nach der Online- habe ich ausnahmsweise aber auch noch die papierne Ausgabe gelesen, gründlich gelesen, denn ich war mal wieder da, wo ich, um eine knappe Stunde zu überbrücken, Industrieapfelkuchen esse und Papierzeitungen lese, gründlich lese, und las also mit einigem Vergnügen in einer "KOLUMNE VON JOSEF WINKLER" unter anderem folgende Zeilen:
Ich wandte mich an die Supermarktfachkraft, die [...] auf meine Frage "Haben Sie auch Blutorangen?" mit einem halbwegs barschen "Haben wir WAS?" antwortete (Noch besser hätte ich gefunden, wenn sie gebellt hätte: "ICH stelle hier die Fragen!" [...] Zum Beispiel werden immer noch Krimis gedreht!, in denen der Kommissar irgendwann sagt: "ICH stelle hier die Fragen!" Wie vorletzten Sonntag im "Tatort" mit Klaus Behrendt. Mich würde interessieren, was sich ein Kommissarsdarsteller denkt, wenn ihm ein Drehbuchautor im Jahr 2008 den Satz "ICH stelle hier die Fragen!" in den Mund legt) [...] Ich kann nicht sagen, dass mich Uschi Glas oft in Staunen versetzt hätte, aber dies eine Mal doch. Als sie nämlich beim Vorbeizappen in einer Talkshow über ihre Kindheit sprach und meinte, es sei ja nicht leicht gewesen für sie, in den 50ern in der bayerischen Provinz, "evangelisch und als Neger". Wie gesagt: Ich staunte. Mir war einfach bis dahin nicht bewusst, dass Uschi Glas ein Neger ist. Mir ist es in der Tat immer noch nicht so recht bewusst. Es will, wie man so sagt, nicht in meinen Kopf rein, dass Uschi Glas ein Neger sein soll.Und so was Lustiges, gut Geschriebenes steht in einer Zeitung, die es anscheinend auch lustig findet, ihrem großen Nachbarn in Berlin nachzueifern:
was fehlt ...Da könnte ich den Apfelkuchen auch gleich wieder auskotzen. Was für ein Arschloch denkt sich so eine Überschrift aus? Oder gehen die taz-Redakteure nachts im Hinterhof von Kai Diekmanns Schmuddelpostille containern?
...einer toten Oma die frische Luft
Ihre Nächstenliebe wurde einer 83-jährigen Rentnerin zum Verhängnis: Einen stillen Tod fand sie in ihrem eigenen Bettkasten ohne Aussicht auf einen würdevollen Abschied. [...]
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nnier | 29. Oktober 2008 | Topic Klar jewesn
Es gibt eine Simpsons-Episode, in der Ringo Starr Jahrzehnte nach der Beatlemania in seinem herrschaftlichen Anwesen sitzt. Sein Tagwerk besteht darin, fleißig die Fanpost aus den 60er Jahren zu beantworten. Meiner Erinnerung nach ist es für ihn in dieser Folge eine Frage der Ehre, keinen Brief unbeantwortet zu lassen, und wenn es noch so lange dauert.
Als Zeichentrickfigur sagt sich das so einfach; wenn man in der letzten Zeit überhaupt mal was vom echten Ringo gehört hat, dann vermutlich, dass ihm der Kopf abgeschlagen wurde oder dass er künftig nicht mehr auf Autogrammpost antworten will. Letzteres brachte er wirklich charmant in einem Filmchen auf seiner Homepage zum Ausdruck:
("Anyway, peace'n'love, peace'n'love!") Die Liverpooler regen sich auf, die Fans sind sauer, und da geht dann auch das übliche Gekloppe los ("er war der untalentierteste Beatle ... kann froh sein, dass er mitmachen durfte ...") und zugleich werden die üblichen Besitzansprüche erhoben ("er lebt ja von den Fans ... er sollte dankbar sein ..."). Wen's interessiert, der lese nur mal unter dem oben eingebundenen Video und dessen vielen Kopien bei youtube nach, was die Leutchen da so von sich geben; da reißt nämlich, wie so oft, wenn der Bär mal nicht tanzen will, die dünne Hülle des begeisterten Fans auf und eine gierige Fratze kommt zum Vorschein, die ihre Ansprüche auf eine so unverschämte Weise artikuliert, dass Ringos etwas harsch daherkommende Botschaft im nachhinein umso berechtigter wirkt. Und überhaupt ist mir das gar nicht so unsympathisch. Forscht man mal nach, dann erfährt man, dass er bisher äußerst zuverlässig Autogrammkarten verschickt bzw. eingeschickte Objekte (wie Bücher etc.) signiert hat, und dass sich einige Einsender für besonders clever hielten, die das Zeug in großen Massen erst an ihn geschickt und dann teuer über ebay verkauft haben. Und macht so was hier Spaß? Jeden Tag?
"Ebay, here it comes! ... I don't wanna see any of you guys gonna come back!" Nun hat er sich mal im falschen Moment selbst gefilmt und das gleich auf seine Website gestellt. Tja.
Als Zeichentrickfigur sagt sich das so einfach; wenn man in der letzten Zeit überhaupt mal was vom echten Ringo gehört hat, dann vermutlich, dass ihm der Kopf abgeschlagen wurde oder dass er künftig nicht mehr auf Autogrammpost antworten will. Letzteres brachte er wirklich charmant in einem Filmchen auf seiner Homepage zum Ausdruck:
("Anyway, peace'n'love, peace'n'love!") Die Liverpooler regen sich auf, die Fans sind sauer, und da geht dann auch das übliche Gekloppe los ("er war der untalentierteste Beatle ... kann froh sein, dass er mitmachen durfte ...") und zugleich werden die üblichen Besitzansprüche erhoben ("er lebt ja von den Fans ... er sollte dankbar sein ..."). Wen's interessiert, der lese nur mal unter dem oben eingebundenen Video und dessen vielen Kopien bei youtube nach, was die Leutchen da so von sich geben; da reißt nämlich, wie so oft, wenn der Bär mal nicht tanzen will, die dünne Hülle des begeisterten Fans auf und eine gierige Fratze kommt zum Vorschein, die ihre Ansprüche auf eine so unverschämte Weise artikuliert, dass Ringos etwas harsch daherkommende Botschaft im nachhinein umso berechtigter wirkt. Und überhaupt ist mir das gar nicht so unsympathisch. Forscht man mal nach, dann erfährt man, dass er bisher äußerst zuverlässig Autogrammkarten verschickt bzw. eingeschickte Objekte (wie Bücher etc.) signiert hat, und dass sich einige Einsender für besonders clever hielten, die das Zeug in großen Massen erst an ihn geschickt und dann teuer über ebay verkauft haben. Und macht so was hier Spaß? Jeden Tag?
"Ebay, here it comes! ... I don't wanna see any of you guys gonna come back!" Nun hat er sich mal im falschen Moment selbst gefilmt und das gleich auf seine Website gestellt. Tja.
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nnier | 29. Oktober 2008 | Topic Klar jewesn
[Konstantin] Wecker ist insofern eine solitäre Figur in der populären Kunst, weil kaum ein anderer die Unvereinbarkeit der Ziele von 1968 so auf den Punkt gebracht hat wie er: das soziale und sozialistische Weltverbessern und einen maßlosen, kapitalistischen Individualismus. [...](Peter Unfried in der taz über einen, den ich nur höchst oberflächlich kenne.)
Vor dem Weinen rettet nur noch der Gedanke an die Geschichte, in der Wecker ein Groupie mit ins Hotelzimmer nahm, bekam, was er wollte, Rührei für sich und sie bestellte - und am Ende auch ihr Rührei komplett aufaß. Stimmt die Geschichte? Er könne sich nicht mehr erinnern, hatte Wecker im Hotel gesagt. Und fidel so was hinterhergebrummt wie: Aber warum sollte es nicht so gewesen sein?
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Der Messias der Saison 2007/2008 hat einen Namen: Paul Potts. Wer noch nie von ihm gehört hat, besitzt entweder keinen Fernseher und keinen Computer - oder keinen Sinn für moderne Märchen.(Schreibt der Spiegel und erzählt dann noch was über den.)
Ich kenn' den nicht, allerdings: Computer hab' ich, Fernie auch, letzteren allerdings seit nun schon einigen Jahren in Kombination mit einem Festplattenrecorder, der sich als eine meiner sinnvollsten technischen Anschaffungen überhaupt entpuppt hat. Zwar ist er softwaremäßig wohl mit der heißen Nadel gestrickt worden, anders kann ich mir die gelegentlichen Komplettausfälle nicht erklären, dann tut er gar nix mehr, dann muss man ihm den Strom hart abklemmen und ihn später wieder ins Leben zurückholen; zwar hat die inzwischen dritte Ersatzfernbedienung auch schon wieder Ausfallerscheinungen. Aber was ist das gegen die Erleichterung, ganze Werbeblöcke mit einem Hüpfer zu überspringen! Was gegen die Möglichkeit, Sendungen auf Vorrat aufzunehmen und sie nur, wenn man dann noch Lust hat, später auch anzusehen! (Tatsächlich sehe ich seit einem halben Jahr fast gar nicht mehr fern, einmal die Woche vielleicht). Na, und dass ich nicht an moderne Märchen glaube, kann mir keiner erzählen! Auch wenn ich darunter vielleicht etwas anderes verstehe als eine Laientenorkarriere.
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nnier | 27. Oktober 2008 | Topic 'umor & more
Nach zwei Wochen Urlaub hat sich an der Arbeit natürlich so einiges angestaut; so musste ich z.B., bis ich alles nachgeholt hatte, ganz schön weit in der Titanic zurückblättern. Dort fand ich unter der liebenswerten Überschrift "Wenig bekannte Fakten" folgenden Eintrag* vom 18.10.08:
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* Den ich normalerweise verlinken würde, worauf ich aufgrund der vielen Sonderzeichen und der damit derzeit verbundenen Probleme bei blogger.de aber verzichte.
Wenn man die Instruktionen in Mike Krügers Song "Der Nippel" tatsächlich befolgt, öffnet sich ein kleiner Riß im Raum-Zeit-KontinuumUnd schon lässt sich so ein Montag wieder ertragen!
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* Den ich normalerweise verlinken würde, worauf ich aufgrund der vielen Sonderzeichen und der damit derzeit verbundenen Probleme bei blogger.de aber verzichte.
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trink nicht so viel Kaffee!" (Carl Gottlieb Hering*, 1766-1853)
Mancher ordnet seine Plattensammlung nicht alphabetisch oder chronologisch, sondern biographisch. Und mancher könnte sein Leben in Kaffeephasen einteilen.
Die Erkenntnis, dass Kaffee vom Luxus- zum Billigtrunk verkommen ist, ist ja keine neue. Und während man einerseits am geheimnis- und verheißungsvollen Klang des Wortes "Bohnenkaffee", welches ältere Menschen noch selbstverständlich verwendeten, sowie an der prominenten Position des vakuumverpackten Filterkaffees in den Vorschlagslisten zur vorweihnachtlichen Spendensammlung für DDR-Pakete, welche zu meiner Grundschulzeit alljährlich und selbstverständlich durchgeführt wurde, und nicht zuletzt anhand beeindruckender Szenen in der Literatur (so wird in dem Jugendbuch Damals war es Friedrich geschildert, wie der echte Kaffee nur für den strengen Großvater kräftig aufgebrüht und serviert wird) bemerken konnte und musste, dass es damit etwas ganz Besonderes auf sich hatte, war doch parallel und im Widerspruch dazu schon früh ein verschwenderischer und vor allem geringschätziger Umgang mit dem Schwarzen Gold zu beobachten; da konnten Frau Sommer und Roger Whittaker in der Werbung erzählen und säuseln, was und wie sie wollten.
Auch wenn die Kaffeepreise durchaus noch beliebtes Gesprächsthema waren und es einmal fast zu einer Revolution gekommen wäre, als einige Hersteller die 500- durch eine 400-Gramm-Packung zu ersetzen versuchten und dabei noch dummdreist von "höherer Ergiebigkeit" fabulierten, bis es hieß: "Egal, wie dick das Pfund sich bläht - entscheidend bleibt die Qualität!", gab es doch schon vor zwanzig, dreißig Jahren eher einen Kaffee umsonst als ein Glas Wasser. Überall standen tagsüber die Kannen auf den Warmhalteplatten, überall wurden abends großzügig die Reste weggekippt, jedenfalls bevor es Mikrowellengeräte gab, die dann ja vorrangig dazu verwendet wurden, kalten Kaffee wieder zu erhitzen.
Instantpulver hatte damals, vermutlich zu Recht, einen schlechteren Ruf als jeder Zichorie-Ersatzkaffee; und noch in den 90ern habe ich das Zeug nicht angerührt, dafür aber eine interessante Entdeckung gemacht: Wenn man das kochende Wasser statt in den Kaffeefilter direkt in die volle Blechdose mit dem gemahlenen Kaffeepulver schüttet (was morgens mit müdem Kopf nun mal passieren kann), lässt sich daraus ein Konzentrat bilden, das man bis zu zwei Wochen im Kühlschrank aufbewahren und dann im Verhältnis 1:3 mit kochendem Wasser aufgießen kann, wenn's mal schnell gehen muss. Das muss ungefähr zu jener Zeit gewesen sein, als im WG-Plenum beschlossen wurde, trotz ständiger Budgetknappheit ab sofort und ausschließlich den fair gehandelten Magenkiller aus dem "Welt-Laden" zu kaufen und zu trinken; meine Petition mit dem Anliegen, neben der Sandino Dröhnung auch eine kleine Reserve konventioneller Ware vorhalten zu dürfen, wurde abschlägig beschieden (und nur knapp konnte ich die sofortige Vernichtung der restlichen Vorräte abwenden, indem ich so etwas wie "hat auch keiner mehr was von" vorbrachte).
Natürlich ist klar, was folgt: Einmal solcher Kollektivknechtung entkommen, stand der Rückzug ins Private an und neben der obligatorischen Bodum-Drückerkanne bald eine Espressomaschine, und zwar eines jener Modelle, die auf den Aufbau von Dampfdruck gänzlich verzichten, deshalb konstruktiv wesentlich weniger aufwändig sind und sich folgenden Tricks bedienen: Das Wasser für 1-2 Tassen wird zunächst erhitzt, und wenn das Anzeigelämpchen erlischt, will ein Drucktaster betätigt werden, wodurch der Espressopulverbehälter in schnelle Rotation versetzt wird, auf dass zentrifugale Kräfte wirken und das heiße Wasser durch das Pulver treiben, bis es Farbe und Geschmack annimmt und in die Tassen tröpfelt. 20.- Mark musste ich für das fast neue Gerät inklusive zweier Tässchen hinlegen, da, wie mir die ältere Dame mitteilte, sie diesen "Expresso" nicht vertrage und sie habe ihren Kindern doch gesagt, dass sie nur normalen Filterkaffee trinke, und nun stehe das Geschenk einfach herum, 20.- Mark sind doch nicht zuviel, junger Mann?
Bald darauf musste es auch noch eines jener damaligen Topmodelle für den herkömmlichen Kaffee sein: Eine Maschine, die das Aufbrühen per Hand simulierte und dabei auch noch gut aussah. Ein gläserner Wasserbehälter befand sich über dem Filter und dieser wiederum über der Kanne. Ein schlankes, rundes Design, das so gar nichts mit der konventionellen Kaffeemaschine gemein hatte und vor allem wirklich besseren Kaffee produzierte, da das Wasser zunächst tatsächlich zum Kochen gebracht wurde, statt handwarm und von röchelnden Geräuschen begleitet über das Pulver getropft zu werden, und dann das schwall-artige Aufgießen samt Quellphase, wie man es von Hand vollziehen sollte, recht wirkungsvoll simulierte.
Die Jahre gingen vorüber, eines im Zeichen des Milchkaffees, ein anderes in dem des Cappuccino, die Maschinen gingen kaputt, und da sie wertvollen Küchenarbeitsplatz blockiert hatten, stand eine Abrüstungsrunde an: Eine gläserne Drückerkanne, eine Espressokanne für aufm Herd, eine stählerne Kanne mit Sieb zum Erzeugen des Milchschaums, mehr braucht's nicht mehr.
Und dann Instantkaffee.
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* Der übrigens, wie ich gerade lerne, auch "Morgen, Kinder, wird's was geben" und "Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp!" vertont hat.
Mancher ordnet seine Plattensammlung nicht alphabetisch oder chronologisch, sondern biographisch. Und mancher könnte sein Leben in Kaffeephasen einteilen.
Die Erkenntnis, dass Kaffee vom Luxus- zum Billigtrunk verkommen ist, ist ja keine neue. Und während man einerseits am geheimnis- und verheißungsvollen Klang des Wortes "Bohnenkaffee", welches ältere Menschen noch selbstverständlich verwendeten, sowie an der prominenten Position des vakuumverpackten Filterkaffees in den Vorschlagslisten zur vorweihnachtlichen Spendensammlung für DDR-Pakete, welche zu meiner Grundschulzeit alljährlich und selbstverständlich durchgeführt wurde, und nicht zuletzt anhand beeindruckender Szenen in der Literatur (so wird in dem Jugendbuch Damals war es Friedrich geschildert, wie der echte Kaffee nur für den strengen Großvater kräftig aufgebrüht und serviert wird) bemerken konnte und musste, dass es damit etwas ganz Besonderes auf sich hatte, war doch parallel und im Widerspruch dazu schon früh ein verschwenderischer und vor allem geringschätziger Umgang mit dem Schwarzen Gold zu beobachten; da konnten Frau Sommer und Roger Whittaker in der Werbung erzählen und säuseln, was und wie sie wollten.
Auch wenn die Kaffeepreise durchaus noch beliebtes Gesprächsthema waren und es einmal fast zu einer Revolution gekommen wäre, als einige Hersteller die 500- durch eine 400-Gramm-Packung zu ersetzen versuchten und dabei noch dummdreist von "höherer Ergiebigkeit" fabulierten, bis es hieß: "Egal, wie dick das Pfund sich bläht - entscheidend bleibt die Qualität!", gab es doch schon vor zwanzig, dreißig Jahren eher einen Kaffee umsonst als ein Glas Wasser. Überall standen tagsüber die Kannen auf den Warmhalteplatten, überall wurden abends großzügig die Reste weggekippt, jedenfalls bevor es Mikrowellengeräte gab, die dann ja vorrangig dazu verwendet wurden, kalten Kaffee wieder zu erhitzen.
Instantpulver hatte damals, vermutlich zu Recht, einen schlechteren Ruf als jeder Zichorie-Ersatzkaffee; und noch in den 90ern habe ich das Zeug nicht angerührt, dafür aber eine interessante Entdeckung gemacht: Wenn man das kochende Wasser statt in den Kaffeefilter direkt in die volle Blechdose mit dem gemahlenen Kaffeepulver schüttet (was morgens mit müdem Kopf nun mal passieren kann), lässt sich daraus ein Konzentrat bilden, das man bis zu zwei Wochen im Kühlschrank aufbewahren und dann im Verhältnis 1:3 mit kochendem Wasser aufgießen kann, wenn's mal schnell gehen muss. Das muss ungefähr zu jener Zeit gewesen sein, als im WG-Plenum beschlossen wurde, trotz ständiger Budgetknappheit ab sofort und ausschließlich den fair gehandelten Magenkiller aus dem "Welt-Laden" zu kaufen und zu trinken; meine Petition mit dem Anliegen, neben der Sandino Dröhnung auch eine kleine Reserve konventioneller Ware vorhalten zu dürfen, wurde abschlägig beschieden (und nur knapp konnte ich die sofortige Vernichtung der restlichen Vorräte abwenden, indem ich so etwas wie "hat auch keiner mehr was von" vorbrachte).
Natürlich ist klar, was folgt: Einmal solcher Kollektivknechtung entkommen, stand der Rückzug ins Private an und neben der obligatorischen Bodum-Drückerkanne bald eine Espressomaschine, und zwar eines jener Modelle, die auf den Aufbau von Dampfdruck gänzlich verzichten, deshalb konstruktiv wesentlich weniger aufwändig sind und sich folgenden Tricks bedienen: Das Wasser für 1-2 Tassen wird zunächst erhitzt, und wenn das Anzeigelämpchen erlischt, will ein Drucktaster betätigt werden, wodurch der Espressopulverbehälter in schnelle Rotation versetzt wird, auf dass zentrifugale Kräfte wirken und das heiße Wasser durch das Pulver treiben, bis es Farbe und Geschmack annimmt und in die Tassen tröpfelt. 20.- Mark musste ich für das fast neue Gerät inklusive zweier Tässchen hinlegen, da, wie mir die ältere Dame mitteilte, sie diesen "Expresso" nicht vertrage und sie habe ihren Kindern doch gesagt, dass sie nur normalen Filterkaffee trinke, und nun stehe das Geschenk einfach herum, 20.- Mark sind doch nicht zuviel, junger Mann?
Bald darauf musste es auch noch eines jener damaligen Topmodelle für den herkömmlichen Kaffee sein: Eine Maschine, die das Aufbrühen per Hand simulierte und dabei auch noch gut aussah. Ein gläserner Wasserbehälter befand sich über dem Filter und dieser wiederum über der Kanne. Ein schlankes, rundes Design, das so gar nichts mit der konventionellen Kaffeemaschine gemein hatte und vor allem wirklich besseren Kaffee produzierte, da das Wasser zunächst tatsächlich zum Kochen gebracht wurde, statt handwarm und von röchelnden Geräuschen begleitet über das Pulver getropft zu werden, und dann das schwall-artige Aufgießen samt Quellphase, wie man es von Hand vollziehen sollte, recht wirkungsvoll simulierte.
Die Jahre gingen vorüber, eines im Zeichen des Milchkaffees, ein anderes in dem des Cappuccino, die Maschinen gingen kaputt, und da sie wertvollen Küchenarbeitsplatz blockiert hatten, stand eine Abrüstungsrunde an: Eine gläserne Drückerkanne, eine Espressokanne für aufm Herd, eine stählerne Kanne mit Sieb zum Erzeugen des Milchschaums, mehr braucht's nicht mehr.
Und dann Instantkaffee.
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* Der übrigens, wie ich gerade lerne, auch "Morgen, Kinder, wird's was geben" und "Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp!" vertont hat.
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