Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Sonntag, 27. Mai 2012
Der Medienprengel
nnier | 27. Mai 2012 | Topic Gelesn
"Heimleiter Du / den das Spardiktat zwingt / die Reinigungskraft / schon um 5 30 Uhr..." "Ist gut, Herr Grass, hier ist Ihre Schnabeltasse." [Q, via]
Dieser Twitterwitz ist handwerklich gut gemacht und bringt einiges, das an GG nerven kann, auf den Punkt. Da lasse ich die etwas billig altersdiskriminierende Schnabeltasse mal schön im Schrank.

Für denselben Witz braucht Volker Weidermann in der FAZ erheblich länger. Ich muss sagen, dass ich die Überzeile "Noch'n Gedicht" ganz lustig fand, als sie mir das erste Mal begegnete, denn aus der Kombination Heinz Erhard und Günter Grass kann ich mir durchaus zwei, drei innere Schmunzler basteln, ralla fidili!, bloß liegt dieser Witz so nahe, dass ihn inzwischen jeder gebracht hat, so dass ich bei Herrn Weidermann nicht mehr lachen musste. Dann las ich seinen Artikel und stolperte über den Gegensatz zwischen Teaser ("... das Satiremagazin 'Titanic' hätte die Persiflage eines Grass-Gedichts auch nicht besser hinbekommen") und Artikel ("Dem Satiremagazin 'Titanic' ist es gelungen, ein Gedicht unter dem Namen 'Günter Grass' im Feuilleton der 'Süddeutschen Zeitung' zu platzieren.")

Im Artikel selbst kotzt sich Weidermann dann in erwartbarer Weise über Grass und die Süddeutsche aus, walzt den Scherz in die Länge ("... dass die 'SZ' dieses besonders alberne und unglaubwürdig schlechte Gedicht unter der Überschrift 'Europas Schande' als echtes Grass-Gedicht in ihrer Samstagsausgabe publizieren würde ...") und in die Breite ("... und in aller Eile alles zusammengeschrieben, was Google zu den Suchbegriffen Griechen, Antike und Europa so hergibt, haben dann jeweils die Satzstellung leicht verschoben, die unsinnigsten Genitivkonstruktionen aneinandergereiht und fertig") und trägt so dick auf, dass es der Titanic mit Sicherheit peinlich wäre. (Nebenbei würde mich interessieren, ob die eigentlich gefragt wurden, wie sie es finden, wenn sich jemand so lustig gemein machen will: "Ich glaube, viel mehr wollte die 'Titanic' mit ihrer lustigen Aktion gar nicht zeigen. Und das ist ihr gelungen." Nein, es ist Herr Weidermann, der da etwas zeigen will und meint, dass ihm das gelungen sei.)

Vielleicht experimentiert man bei der FAZ gerade mit unterlaufenen Leseerwartungen, zumindest war ich bei diesem Stück über den sympathischen Radfahrer mit der hübschen Freundin auch ein wenig irritiert ob der verwendeten Zeitform - normalerweise werden solche neckischen Impressionen ja im Präsens verarbeitet, jede Spiegel-Reportage fängt so an, aber, nein: "In den Gärten der Nachbarn blühten die Rhododendren. Nur manchmal schlich ein Auto vorbei. Frank Hanebuth stand im Tor", als sei das alles lange her und nicht die Szenerie, in der der Journalist auf das Objekt seines Interesses trifft. Aber das nur am Rande, vielleicht wollen sie ja das versuchen, was schon bei der taz nie funktioniert hat, die Vermischung von Ressorts, Reportage und Persiflage.

Bei Twitter kräht jemand los, ha ha!, die Titanic wieder!, und alle krähen mit, der Spiegel hängt sich dran und spricht ganz nebenbei von "dürren Zeilen", die die Süddeutsche mal wieder abgedruckt habe, und wenn Weidermann behauptet: "Günter Grass wird es immer weiter treiben mit der Absurdität seiner Selbstgewissheit und das ist dann genauso lustig, wie wenn es die 'Titanic' schreibt" [Q], dann muss ich sagen: Nein, die Titanic ist lustiger, und ob aus dem Griechenland-Gedicht tatsächlich (nur) "absurde Selbstgewissheit" spricht, darüber bin ich mindestens so unsicher wie bei der Suche nach den "absurden Genitivkonstruktionen", über die sich Weidermann mit seiner Titanic-Sockenpuppe so amüsiert.

Lustig dann manche Kommentare zum FAZ-Artikel:
Verlässt man sich nur drauf, dass ein kunstvoll gedrechseltes, krampfhaft sinnbeladenes Geschwurbel nur von ihm sein könnte? Diese Geschichte bezeugt nach meinem Empfinden gleich mehreres: Nachlässige Quellenkontrolle beim SZ-Feuilleton und schlechte Qualität von Grass' Geschreibsel, welches offenbar ruckzuck imitiert werden kann. Sehr geil, Taitännick! Bravo!
und
Es erfüllt mich mit großer Freude, dass die "Titanic" sich geoutet hat. Hatte ich doch für einen kleinen Augenblick die Befürchtung, dass Grass jetzt vollends den Verstand verloren hat.
bzw.
Die gute Nachricht zuerst: niemand ist gezwungen, diese neuen merkwürdigen Gedichte von Grass zu lesen
Die schlechte: keiner kann's ihm verbieten....
Ja: Lachen wir mal alles weg, der alte Sack nervt, er nu wieder, und diese "Dichter" mit ihrem "Geschwurbel", ha! ha!, kann ich auch, einfach untereinanderschreiben.

Mich widert das nicht weniger an als ein selbstgewisser Starrkopf, der gerne moralische Noten verteilt.

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Frisch eingemeißelt
nnier | 27. Mai 2012 | Topic Musiq
"Drive My Car" has the smooth bravado of a Jack Nicholson performance, grinning on the surface with wheels spinning like mad underneath.
Tim Riley: Tell Me Why. New York, 1988, S. 156.

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