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Ich werd dich jetzt verlassenMan kennt das aus tausend Filmen, diese Verfolgungsjagd, wenn jemand atemlos einem flüchtenden Bösewicht hinterherrennt oder -fährt, diese Hetze und der verzweifelte Blick nach links und rechts, wenn der Verfolgte plötzlich nicht mehr zu sehen ist und der Weg sich gabelt. Wenn sich plötzlich eine Schranke senkt, unter welcher der eine noch schnell hindurchrennen kann, während der Verfolger stehen bleiben muss und ein kilometerlanger Güterzug seinen Weg kreuzt.
und dann kannst du mich
von hinten sehn
(Trio, "Los Paul")
Neulich hatte ich es eilig, nach Hause zu kommen, und auch wenn mein Stadtteil sich in Bahnhofsnähe befindet, so ist es doch erstaunlich, wie schlecht er ÖPNV-mäßig an diesen (und überhaupt) angebunden ist. Früher soll es sogar eine Straßenbahn gegeben haben, ich aber verzichte fast immer darauf, die überfüllten und unübersichtlichen, gleichzeitigen* Bus- und Straßenbahnhaltestellen vor dem Bahnhofsgebäude anzusteuern, dort auf den Bus zu warten, eine umständliche Strecke um den Bahnhof herum und dann auch nur ganz ungefähr in meine Gegend zu fahren, um nach dem Aussteigen immer noch ein gutes Stück weit laufen zu müssen - auch wenn der insgesamte** Fußweg zwischen Bahnhof und Haustür sich tatsächlich noch länger hinzieht, als man ihn sich schöngesoffen hat. Manchmal kann man so etwas ja durchaus gebrauchen, neulich hingegen war eine gewisse Eile geboten, so dass ich, zunächst aus dem Hintereingang des Bahnhofs geschlüpft und stramm drauflosmarschiert, den gegen Ende meines Weges direkt an mir vorbeifahrenden Bus an der vorletzten Haltestelle doch lieber ersprintete, um wenigstens die paar Meter bis zur nächsten Station noch mitzufahren.
Natürlich stand die Ampel an der Kreuzung direkt vor dieser Haltestelle auf "Rot", und in meiner Ungeduld kam es mir schon bald so vor, als stehe sie ungewöhlich lange auf "Rot". Ich zwang mich, ruhig zu bleiben, weiß ich doch allzu gut, dass die Zeit mal dahineilt, mal still steht - nach einer Weile allerdings war ich relativ sicher, dass ich mein Zu-Fuß-Alter-Ego gerade ganz gemütlich am Bus vorbeischlendern sah, Sie kennen diesen Effekt ja heutzutage aus ganz vielen Filmen, wenn verschiedende Realitäten durchgespielt werden, nehmen wir mal Lola rennt als bekanntes Beispiel, oder der unzuverlässige Erzähler, oder der, der eigentlich schon tot ist, das war früher ja alles anders. Ich winkte mir zu, sah die ungeduldigen Gesichter der anderen Fahrgäste, sah den aufkeimenden Zweifel im Blick des Busfahrers, spähte um die Ecke, dorthin, wo ich längst ausgestiegen sein wollte, es waren zehn oder zwanzig Meter, und nach schier endloser Warterei bemerkte ich, wie der Fahrer vorsichtig einen halben Meter zurück- und dann wieder nach vorne fuhr.
Ein naheliegender Gedanke, wie mir schien, denn diese Induktionsschleifen im Asphalt sind nicht immer ganz zuverlässig - sicher haben auch Sie schon einmal vor einer Parkhausschranke an der Einfahrt gestanden und mussten einen Einkaufswagen heranholen, damit das blöde Ding endlich öffnet. Die Ampel stand auf "Rot", blieb auf "Rot" stehen und in mir kam ein Gefühl existentieller Verzweiflung auf.
Der Fahrer wiederholte sein Manöver zwei-, dreimal mit äußerster Vorsicht, und ich begann mich zu fragen, ob es sich hier womöglich um einen Fall von Instant Busfahrerkarma handelte, denn das weiß man ja, dass die sich mit ihren kleinen Funksendern die Ampeln viel öfter freischalten, als es ihnen zukommt. Oft nämlich sehe ich die Busse weit von der Ampel entfernt mit geöffneter Tür an der Haltestelle herumstehen, trotzdem schaltet die Ampel schon für sie frei - und man wartet und wartet. Die wartenden Menschen verstehen das immer nicht und jammern herum, bis ich ihnen sage: Da muss erst der Bus an uns vorbeifahren, erst dann wird für uns "Grün" - die sehen mich dann ungläubig an und sagen: Das kann nicht sein, der ist doch erst ganz da hinten, ich aber sage: Warten Sie's ab, und nach ein paar Minuten sagen sie: Gibt's doch nicht!, und meine Ungeduld wurde immer schlimmer, ich durchbrach die Mauer des Schweigens und sprach: Entschuldigen Sie, bitte, aber ich habe es extrem eilig, würden Sie mir bitte ausnahmsweise die Tür öffnen, ich muss wirklich dringend weiter, doch das durfte er nicht, wie er mir mitteilte - na ja, und nachdem er ein paar Mal die Zentrale angefunkt hatte und man dort irgendwas geregelt hatte, vielleicht ein Fax an die Ampelbehörde gesendet oder so, sprang die Ampel auf "Grün" und ich konnte meinen Weg nach Hause fortsetzen.
Hätte ich es in diesem Moment nicht nur eilig gehabt, sondern jemanden verfolgt, dann wäre der über alle Berge gewesen. Auch diese Studentin an diesem einen Wintertag, die hätte niemanden verfolgen dürfen, die hätte keine Chance gehabt. Und zwar haben die Studenten ja alle ihr Semesterticket, da reicht es ja, wenn alle halbe Stunde mal ein Bus Richtung Universität fährt, die Studenten haben ja Zeit und brauchen auch nicht so viel Platz, es reicht also ein normaler Bus, egal, wie viele Studenten das sind, gerade auch im Winter, und da ich diese Strecke ebenfalls nehmen musste, stand ich also im extremen Gedränge, und ich meine: extremen Gedränge, weit vorne, nahe der Fahrerin.
Als besagte Studentin aussteigen wollte, sie stand direkt neben mir, weit vorne, nahe der Fahrerin, und darum bat, doch bitte die Fahrertür zu öffnen, verkündete diese: "Ausstieg ist hinten!"
Unter den entsetzten Blicken der Mitfahrer musste die arme Frau nun beginnen, sich durch die Massen zu drängeln, was ihr auch nach mehreren Minuten höchstens zwei Meter Raumgewinn gebracht hatte, und während der eine Teil der Masse unruhig wurde und murrte, dass sich da jemand so durchdrängelte, murrte der andere Teil der Masse, weil der Bus nicht weiterfuhr, und als die junge Frau schließlich den hinteren Austieg erreicht hatte, welcher die ganze Zeit offengestanden, was bei den eisigen Temperaturen für noch mehr Unfrieden unter den Fahrgästen gesorgt hatte, als sie sich also weit genug durchgekämpft hatte, um endlich aussteigen zu können, schloss die Fahrerin die Tür und fuhr weiter.
Heute früh fuhr ich mit dem Fahrrad zur Arbeit, und ich bin nicht so einer, das müssen Sie mir glauben, aber vor mir fuhr jemand mit so einer Hüfthose, und, ich kann ja beim Fahrradfahren schlecht die ganze Zeit auf den Boden gucken, da sah ich etwas, das ich nicht sehen wollte. Zwar zog die Person gelegentlich die kurze Jacke herunter, aber es dauerte nicht lange, da waren entscheidende Zentimeter wieder nicht bedeckt. Nun ist es ja nicht so, dass ich nicht [laberrhabarber Altherrenwitz und so weiter], aber ich war doch ein wenig verstört, da sich das, was sich nun mal im Zentrum befindet, auf ungebührliche Weise horizontal im Takt des Pedaltritts hin- und herbewegte. Ich sah auf den Boden, ich sah mir die Autos an, ich zog ganz normal die dritte Wurzel aus den Zahlen auf den Nummernschildern, und es hörte nicht auf. Ich war mir nicht einmal sicher, ob es ein Mann oder eine Frau war, der oder die da vor mir fuhr, ich war nicht nahe genug, um das eindeutig beurteilen, und nicht weit genug entfernt, um es ignorieren zu können, es ging hin und her mit jedem Tritt, in enervierendem Gleichmaß, und ich wurde langsam wütend. Die Radfahrerampel sprang auf "Rot", egal!, ich hetzte hinterher, das wollte ich nun doch wissen, ich trat in die Pedale, vor mir ging es Links-Rechts-Links-Rechts, diese Obszönität wollte ich mir nicht bieten lassen, eine Frechheit, was man sich alles mitansehen muss!, ich kreuzte die nächste Straße, bald hätte ich es geschafft, da kam eine Straßenbahn. Die schamlose Person kam noch daran vorbei, dann kreuzte die Bahn meinen Weg und blieb an der Haltestelle stehen. Es gab kein Drumherum, ich musste warten, die Bahn stand da und fuhr nach Ewigkeiten wieder an, unendlich langsam - und vor mir: nichts!, niemand!, der Weg gabelte sich und ich hatte dieses total verzweifelte Gefühl, dagegen ist das, was Sie jetzt gerade empfinden, wirklich nichts.
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*"Gleichzeitigen", so kann man nicht schreiben! Aber wenn die dauernd mit ihrer "teilweisen Kernschmelze" ankommen, brauchen sie sich nicht zu wundern, ich kann noch ganz anders.
** Sag ich doch.
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