Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Dienstag, 9. Februar 2010
Come on, it's such a joy.
nnier | 09. Februar 2010 | Topic In echt
Den Übergang von der Grund- in die weiterführende Integrierte Gesamtschule kann man sich kaum abrupter vorstellen. Nicht nur, dass es plötzlich keine Noten mehr gab, dass man in den Pausen nicht auf den Schulhof musste, morgens nicht aufstand, wenn der Lehrer hineinkam, beim Geburtstag kein Lied mehr sang, die Klasse nicht mehr Klasse hieß und die Lehrer nicht mehr Lehrer - sondern sie wurden auch noch geduzt und beim Vornamen gerufen. So kommt es, dass ich, wenn ich an eine bestimmte Lehrerin zurückdenke, nicht an "Frau X", sondern an "E." denke. Sie war Tutorin (so hieß das) in einer Parallelklasse (so hieß das nicht, aber ich setze ab jetzt auf Ihre Abstraktionsfähigkeit) und fiel zwischen all den anderen unkonventionellen Erwachsenen dennoch äußerlich sofort auf, da sie stets rot oder orange gewandet und mit auffälligen Ohrringen und großen, hölzernen Perlenketten behängt war.

Da so vieles neu und ungewohnt war, die Architektur des Gebäudes, die ganzen neuen Wörter, das Sitzen im Stuhlkreis, die Partner- oder Teamarbeit, das Mittagessen in der Schule, die langen Unterrichtstage, der weitgehende Verzicht auf leistungsbezogene Rückmeldungen, die Konzentration auf "soziales Verhalten" und vieles mehr, war es auch nicht weiter verwunderlich, dass eine, wie man bald von den Mitschülern erfuhr, von diesem Guru, du weißt schon, als Lehrkraft tätig war und aus ihrem Glauben keinen Hehl machte. Was ihr Äußeres anging. Irgendwelche Versuche der Indoktrination habe ich dagegen nie mitbekommen. Jedenfalls nicht, was diese Frau und den Bhagwan von Poona anging.

In unserer Klasse unterrichtete sie Musik, das funktionierte so, wie es damals eben war: Einmal hörten wir das instrumentale Intro von Pink Floyds Shine on You Crazy Diamond und malten dazu psychedelische Bilder. Einmal versuchten wir, Da da da ich lieb dich nicht du liebst mich nicht aha aha aha von Trio auf dem Klavier zu spielen. Einmal holten wir die ganzen teuren Metallophone aus dem üppig ausgestatteten Instrumentenraum und schlugen darauf herum. Einmal sollten wir, Hacke, Spitze, 1,2,3, hüpf!, klatsch!, tanzen. Ich fand es grauenhaft. Ich fühlte mich wie in einer Parallelwelt, man nannte es Unterricht, aber ich fühlte mich wie in einem Labor. Jeden Tag konnte alles anders sein, meine Bezugssysteme waren hier weitgehend unbrauchbar, vieles schien willkürlich und chaotisch zu sein, aber da ich gerne an diese Schule gewollt hatte und man uns auch täglich erzählte, was für ein Glück wir hätten, dort hingehen zu dürfen, kreidete ich mir mein Unbehagen selbst an, denn wer hier nicht glücklich war, mit dem musste etwas nicht stimmen. Anderswo gab es Noten! Anderswo wurde nicht diskutiert! Anderswo musste man Hausaufgaben machen!, hieß es, wenn jemandem mal etwas nicht gefiel.

Also lief ich manchmal ziemlich desorientiert und mit einem Kloß im Hals durch das riesengroße Gebäude, in dem man so tolle Sachen machen konnte, ein Fotolabor gab es und einen Irrgarten und Theater-AGs. Und saß bockig auf meinem Stuhl, die Arme verschränkt, als Hacke, Spitze, 1,2,3, hüpf!, klatsch! gegeben werden sollte. Warum ich denn nicht mitmachte, fragte mich E. Weil das alles doof ist und Mist und Scheiße, antwortete ich und stierte böse auf den Boden.

Als die anderen in die Pause gingen, musste ich noch dableiben. Und nun geschah etwas Wunderbares.

Statt mir zu erklären, wie toll das ist, was hier gemacht wird, und wie falsch von mir, dabei nicht mitzumachen, statt mich zu fragen, ob ich denn wohl lieber auf eine böse andere Schule mit Noten gehen wolle, statt mir zu sagen, dass gerade ich meinen Mitschülern gegenüber eine ganz besondere Verantwortung trüge und mich an ihrem weiteren Schicksal für immer schuldig machen würde, wenn ich jetzt nicht meine Haltung änderte, statt mich zu fragen, ob das vielleicht meine ganz besondere Form der Unterscheidung zwischen Haupt- und Nebenfächern sei, statt mir nahezulegen, es müsse mir doch klar sein, welch negatives Vorbild ich mit meinem Verhalten gegenüber X, Y und Z abgäbe, die sich eine solche Haltung im Gegensatz zu mir gar nicht leisten könnten, statt mir zu verstehen zu geben, dass ich sie mit meinem Verhalten auch ganz persönlich sehr traurig machte, statt mir also zu erklären, wie wichtig und richtig hier alles sei und dass mit mir wohl etwas nicht stimme, sah sie mich einfach nur freundlich an und sagte: "Du hast so einen Brast, hm?"

Sie war es auch, die sich um mich kümmerte, als ich auf einer Klassenfahrt krank wurde und fiebernd in einem Hauszelt lag, gegen dessen Stirnwand den ganzen Tag Elfmeter geschossen wurden. Und die einem ihrer Kollegen, der fürchterlich geschafft aussah und den man vormittags in seiner Klasse laut und ausdauernd hatte herumbrüllen hören, einen kalten Waschlappen auf die Stirn legte. "Na, Kranker?", sagte sie und ich beobachtete, wie er kurz die Augen schloss, ihre Hand nahm und für wenige Sekunden entspannt und friedlich aussah.

Wir machten ständig Witze über sie, die Worte Bhagwan und Poona und Rolls Royce fielen immer öfter, und es gab ein zwinkerndes Einverständns mit manchen ihrer Kollegen, die selbst ab und zu durchblicken ließen, für wie unsinnig sie es hielten, dass "eine erwachsene Frau" an diesen "Quatsch" glauben könne. Wenn ich mich recht erinnere, kam sie nach den Sommerferien äußerlich noch einmal deutlich verändert zurück, sie musste bei den Sannyasin gewesen sein, man merkte ihr an, dass sie an dieser Schule nicht mehr am richtigen Platz war, und als ihr ein Schüler gehässig entgegenrief: "Ha! Ha! Ha! Dein Guru ist verhaftet worden! Ha! Ha! Ha! Was sagst du jetzt zu deinem Guru!", schlug sie die Hände vor die Augen und rief: "Ihr wisst nicht, was ihr sagt!"

Sie verließ dann die Schule. Wir blieben noch jahrelang da.

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(inklusive Drogen, Sex und zynischen Menschen)
nnier | 09. Februar 2010 | Topic Gelesn
Gibt es Originalität oder nur Echtheit? Ganz Deutschland diskutiert über den Fall Hegemann!

Ehrlich jetzt, egal wo du bist: Bäcker, Straßenbahn, Tankstelle, Hermetisches Café - Millionen Deutsche fragen: Sind wir mal wieder betrogen worden, ist doch typisch, erst das Wetter, dann die Daten-CD, aber wehe, du brennst mal was selber, und jetzt die tabulose Beichte des minderjährigen Luders, lechz, was die da so schreibt ist ja un-ver-hoh-len, man müsste noch mal jung sein, denen würde man's, und in Berlin ist ja eh Sodom, sieht man ja an diesem feinen Herrn Canisius, denen würde ich die Eier aber sowas von, und diese jungen Dinger heute, die haben ja kei-ner-lei Hemmungen, wie sieht die denn eigentlich aus?























[Bilder von: http://www.bild.de/BILD/unterhaltung/kultur/2010/02/08/helene-hegemann-bestseller/debuetroman-axolotl-roadkill-plagiatsvorwuerfe.html]

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