Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Montag, 7. November 2011
Die Straße meiner Kindheit (4)
nnier | 07. November 2011 | Topic In echt
Einmal, als mir langweilig war, fotografierte ich aus dem Fenster die Autos unserer Nachbarn mit meiner Pocketkamera. Die Bilder kleben in meinem ersten Fotoalbum. Auf einem sieht man einen gelben Ford Fiesta, erstes Modell. Dieses Auto war mir immer unsympathisch.

Es war schon nicht allzugut losgegangen. Wir waren umgezogen, kurz bevor ich in die Schule kam, es war also Sommer, und an einem der ersten Tage im neuen Garten hatte meine Mutter eine Wassermelone aufgeschnitten und uns einen großen Teller hingestellt. Wir probierten die Schaukel aus und aßen von der Melone, und immer, wenn von einem Stück nur noch die Schale übrig war, warfen wir diese über den Zaun in den angrenzenden Garten. Nach einer Weile gingen wir zurück ins Haus.

Später, als ich noch einmal nach draußen ging, bemerkte ich im Nachbargarten eine auffallend kleine Frau mittleren Alters, die etwas aufsammelte. Ich schaute hinüber, unsere Blicke trafen sich kurz, die Brille war groß und eckig, dann schleuderte sie die abgeknabberten Melonenschalen mit hasserfülltem Gesicht in meine Richtung und drehte wortlos um.

Sie hatten einen Hund, einen Boxer namens Aldo, der Mann betrieb ein kleines Geschäft für Anglerbedarf, die Frau arbeite auch irgendwo, er fuhr mit dem Fiesta, sie mit dem Klapprad, ich sah sie mittags oft nach Hause kommen, wenn ich von der Schule kam, es waren diese altmodischen Satteltaschen dran und einmal fiel das Fahrrad um, sie hatte es kurz ans Gartentor gelehnt und schloss die Haustür auf, da kullerten ganz viele Flaschen heraus, die sammelte sie schnell ein und schaute mich nicht an.

Wir hatten ein Aquarium, mein Vater sagte: Frag doch mal den Herrn S., der hat im Keller ganz viele Fische, ich mochte nicht recht und zierte mich, schließlich ging ich doch hin und musste warten, bis sie mit dem Abendessen fertig waren. Ich erinnere mich noch gut an das glänzende Stück Butter im Mundwinkel von Frau S. und wie ich die Übelkeit unterdrücken musste. Im Keller standen knapp zwanzig Aquarien, Herr S. gab mir verschiedene Fische, mir war das entsetzlich unangenehm, dann musste ich fragen, was die denn kosten, mein Vater hatte das gesagt, und Herr S. wollte kein Geld und sagte, das sei doch selbstverständlich und nicht der Rede wert.

Ich vermied die beiden, wie ich nur konnte, wechselte Straßenseiten und ging Umwege, einmal aber kam ich zufällig an seinem Geschäft vorbei, er sah mich, kam heraus und redete lange auf mich ein. Wie alt meine Schwester eigentlich inzwischen sei, wollte er wissen und vieles mehr, das dauerte endlos und ich nahm mir vor, nie wieder diesen Weg in die Stadt zu nehmen. Dass er meiner Schwester viel zu oft und viel zu aufdringlich über die langen Haare strich, erfuhr ich erst später.

Das muss doch einen Grund haben, dass die Frau so trinkt, sagte eine Nachbarin zu meiner Mutter, Frau S. war wieder mit dem Fahrrad hingefallen und hatte eine Wunde an der Stirn davongetragen. Sie sei ja nun schon lange so still und scheu, nur neulich, bei einer Geburtstagsfeier, da sei es fast wie früher gewesen, da sei sie mal ein bisschen lustig geworden, aber da habe sie auch ganz schön, nicht wahr, und die Geste mit dem zurückgelegten Kopf und dem unsichtbaren Glas an den Lippen verstand auch ich, 's Hantje nenne man sie dann, die Frau S., und er soll sie sogar mit der Hundeleine schlagen.

Mir war der Fiesta gruselig und der Hund und der frische Pansen, mir war der Hut gruselig und die Brille und der kurze Bart, mich grauste vor dem kleinen Fahrrad und den karierten Satteltaschen, ich schauderte vor den großen Augen der kleinen Frau S. und davor, dass sie manchmal so einen engen, schwarzen Lederblouson trug.

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Donnerstag, 3. November 2011
Die Straße meiner Kindheit (3)
nnier | 03. November 2011 | Topic In echt
Das "Lädchen" hatte sich nach zweimaligem Besitzerwechsel zu einem reinen Kiosk gewandelt. Geführt wurde es von Herrn und Frau K., die unterschiedlicher nicht sein konnten. Frau K., deren Name draußen auf dem großen Schild stand, wirkte so, als habe sie permanent Migräne und sah auch so aus: Man zitterte beim Hineingehen vor Furcht, irgend etwas falsch zu machen oder zu sagen, und hoffte, oft vergeblich, irgendwie ohne Rüffel wieder herauszukommen. War es davor die reine Freude gewesen, mit ein paar Groschen in den Laden zu gehen, um sich erst mal in Ruhe umzusehen und dann, zwei davon und drei davon - nein, bitte kein rotes!, den Einkauf einiger Süßigkeiten gebührend abzuschließen und von den Inhabern ebenso freundlich verabschiedet zu werden, wie man zuvor begrüßt worden war, so überlegte man jetzt schon draußen sehr genau, was es sein sollte, um dann knapp und präzise, ohne zu stottern, nicht zu langsam, nicht zu schnell, nicht zu leise und nicht zu laut seinen Wunsch vorzutragen.

Später dann, im Jugendalter, machte ich mir einen Spaß daraus, meine Freunde unvorbereitet in das Kiosk zu schicken. Draußen wartete ich und konnte mir kaum das Grinsen verbeißen, bis sie mit konsterniertem Blick wieder herauskamen und sagten: Also die Frau da drin. Und auch die Erwachsenen schüttelten ihre Köpfe über die griesgrämige, unfreundliche Frau K., und dabei hat die so einen netten Mann!

Der war nicht oft da, aber wenn, dann strahlte er seine Kundschaft an. "Ich bin der E.", wollte er beim Vornamen genannt werden, auch von uns Kindern, und wie er sich über die Witze seiner Kunden freute!, einmal z.B., als ein Herr zwei Fläschchen Magenbitter kaufte, die seien doch hoffentlich nicht eisgekühlt, das vertrage er nicht,
da verriet ihm E. seinen Trick, er jedenfalls stecke die Fläschchen einfach ein paar Minuten in die Hosentasche, dann seien die schön trinkwarm. "Aber die Eier sind kalt! Schulligung", sprach der Mann, und E. warf sich vor Lachen in die Ecke. "Der war gut!"

Die sollen noch ein anderes Kiosk haben, irgendwo, hieß es, und so vermuteten wir, dass E. dann wohl meistens dort sei, denn in "unserem" Kiosk stand ja Frau K., von morgens 6:00 bis abends 20:00, manchmal war auch das Kind da. Aber der E. lag fast immer zu Hause, viel zu betrunken, berichtete Frau K. meiner Mutter, eines Tages, nach Jahren, und der sei dann total aggressiv.

Diesmal gab es keinen Nachfolger, als das Kiosk zumachte, es ist jetzt wieder eine Wohnung, und meine Freunde klauten das große Schild und schenkten es mir zum Geburtstag, ich weiß gar nicht, ob das noch irgendwo im Keller rumliegt.

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Sonntag, 30. Oktober 2011
When in the morning
nnier | 30. Oktober 2011 | Topic In echt






Was er hier macht, ist natürlich viel cooler, er spielt im Krankenzimmer mit Halskrause Gitarre, und ich möchte Sie für einen Moment bitten, sich das Liedchen einfach mal anzuhören.

Schön, ne?

Ich kann gar nichts, ich kann die Melodie nicht aus meinem Kopf herausschrammeln, ich kann dann bloß wieder Zwiebeln schälen und in ordentlich Butter andünsten, wenn ich mich am Morgen tot fühle, Kartoffeln schälen und in Scheiben schneiden, ein Schweinefilet mit Salz und Pfeffer einreiben und scharf anbraten, alles in den Römertopf geben und ein wenig Weißwein dazu. Ab in die Röhre.



Out of the darkness / And into the light



Ein Zweiglein Rosmarin hat gefehlt, it's true, und das ließ sich zur Melodie von About You ganz hervorragend kochen. Und essen.

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Freitag, 28. Oktober 2011
Kleine Lektionen
nnier | 28. Oktober 2011 | Topic In echt


Was auslaufen kann, läuft aus. Die Shampooflasche versaut den ganzen Kulturbeutel, das Spülmittel den einen, einzigen, großen Bevorratungseinkauf. "Kein fließendes Wasser" ist ein Witz, solange man bloß mit dem Eimer zum Brunnen gehen muss: Richtig sparsam wird man erst, wenn man Schnee kochen muss. Mit ein paar Eimern, Schüsseln und Töpfen lernt man, das kostbare Nass effektiv einzuteilen: Trinkbar. Kaum gebraucht. Wird langsam dickflüssig. Nudelwasser: Nicht einfach wegkippen, sondern das Sieb über die Schüssel mit dem schmutzigen Geschirr halten. Und wenn man einen Kulturbeutel ausspült: In dem Schaumberg gleich ein paar Socken einweichen.

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Der Dschungel brennt
nnier | 28. Oktober 2011 | Topic In echt
(Ich mein,



















was soll ich'n da sagen? Hm?)

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Donnerstag, 27. Oktober 2011
Flusspferd unter Mordverdacht
nnier | 27. Oktober 2011 | Topic In echt
(Ich mein,



















































was soll ich da sagen.)

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Im Tal der Flusspferde
nnier | 27. Oktober 2011 | Topic In echt




















(Ich mein, was soll ich da sagen.)

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Mittwoch, 26. Oktober 2011
Weggefahren. Wiedergekommen.
nnier | 26. Oktober 2011 | Topic In echt


Jetzt: Intensives Rekalibrieren. Da tun ein paar übriggebliebene, sog. freie Tage nicht wohl.

Sondern Not.

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Donnerstag, 13. Oktober 2011
Ich? Sehe glücklich aus?
nnier | 13. Oktober 2011 | Topic In echt
Lange Unterhosen. Schlafsack. Schneeketten. Badehose. Warnweste. Wanderschuhe. Hm. Echt? Kann sein! Rei in der Tube. Löslicher Kaffee. Aspirin. Wolldecke. Regencape. Wissen Sie: Ich fahre mit einem, der mir wichtig ist, an einen Ort, der mir wichtig ist. Deshalb wahrscheinlich! Dauerwurst. Holundersirup. Streichhölzer. Speicherkarten. Bettzeug. Handtücher. Kann jetzt nicht länger plaudern - nix für ungut. Bücher. Stirnlampe. Shampoo. Kulturbeutel. Wollsocken.

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Montag, 10. Oktober 2011
Die Straße meiner Kindheit (2)
nnier | 10. Oktober 2011 | Topic In echt
Es gab da diese junge Frau, die man jedes Jahr wieder mit einem Säugling im Kinderwagen sah. Sie hatte ein bleiches Gesicht, dünnes Haar, das in fettigen Strähnen herunterhing, und sie schaute immer wie jemand, der gerade etwas sehr Schlimmes gesehen hat. "Das ist 'ne Nutte. Die treibt's mit jedem", wusste T., und obgleich ich mit diesen Worten nur unscharfe Bilder verband, schien das irgendwie damit zusammenzupassen, dass sie von diversen zahnlückigen Schnauzbartträgern begleitet wurde, solchen, die vormittags im Freibad Bier tranken oder die man beim Sperrmüllsammeln traf.

Einmal abends, wir waren inzwischen vielleicht zwölf, ging ich mit meiner Schwester und meinem Freund A. spazieren. Wir kamen an den Glutresten eines großen Feuers vorbei, womöglich waren größere Mengen Gartenabfälle verbrannt worden, und gingen neugierig schauen. Auf der anderen Seite des Feuers trank die junge Frau mit ihrem alten Gesicht und zwei Männern Schnaps, auf unserer Seite spielten zwei kleine Kinder. Ein kleines, blondes Mädchen kam auf uns zu. "Die haben hier eine Ratte reingeworfen", sagte das Kind, "die haben die Ratte gefangen und dann ins Feuer geworfen."

"Ey! Die ham ne Alte dabei", hörte man es von der anderen Seite, man sah dieses doppelte Grinsen ohne Eckzähne, und dann sangen sie: "Komm doch mal rüber!" (zur Melodie von Komm doch mal rüber!).

Wir sind dann lieber weitergegangen, denn man kam ums Feuer herum auf uns zu. Und das Kind hatte genau den Ausdruck in seinem kleinen Gesicht gehabt, den ich von seiner Mutter kannte.

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