Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Ich war dabei
nnier | 22. Dezember 2013 | Topic In echt
Sonntagfrüh um 8:15 sind bisher kaum Pakete geliefert worden, sage ich, und der DHL-Bote macht dieses grunzende Geräusch: Sonntags langweilen wir uns doch sonst. Da hatte ich den großen Karton schon entgegengenommen und den komischen Plastikstift in der Hand, mit dem ich beiläufig und wie selbstverständlich meine Unterschrift auf das elektronische Dingens kritzelte. "Bringen Sie's hinter sich", sagte ich noch zu dem Mann, der bereits wieder die Treppe herunterrannte. Das alles hat etwa 30 Sekunden gedauert.

"Guten Tag Frau X", schreibe ich derzeit wieder Mails, "bitte bestellen Sie das Buch Y mit der ISBN Z", dann bekomme ich als Antwort: "Lieber Herr nnier, das machen wir gerne -- ab morgen ist es im Haus. Momentan kommt sehr viel Ware. Sollten Sie es einrichten können, wäre es gut, wenn sie nicht vor 10 Uhr kämen. Vermutlich ist es zwischen 14 und 16 Uhr am ruhigsten, wenn das bei Ihnen passt", und dann ist es fast wie früher. Bequemer wäre es natürlich, ich ließe es mir direkt ins Haus schicken.

Tja, sagen dann manche, das ist eben wie damals bei der Industrialisierung, da sind ja auch Berufe obsolet geworden, und wer das nicht kapiert, wird von der Geschichte weggefegt. Zum Glück bin ich Internetvordenker!

"Die Leute wollen Online", sagen die schrecklichen Samwers, und ich fürchte, sie haben recht. Ich bin lange nicht mehr einfach so in den Buchladen gegangen und habe gestöbert oder mich beraten lassen. Ich wusste immer schon, welches Buch ich wollte, und da der Preis sich nichts nimmt, habe ich versucht, den lokalen Händler zu unterstützen. Was aber wäre gewesen, wenn der Onliner auch noch die besseren Preise geboten hätte?

Dieses Jahr erlebe ich als Umbruch. Lange waren es vor allem standardisierte Artikel wie Bücher und CDs, doch wenn ich in mein E-Mail-Postfach schaue, sehe ich aus den letzten Monaten auch Kaufbestätigungen für Leuchtmittel, einen Außenspiegel Beifahrerseite, einen Raclettegrill, Brettspiele, Gewürzmühlen und allerlei mehr. Vor allem aber erstmalig nennenswert: Klamotten, und in dem Zusammenhang fällt mir schon auf, dass ich der Innenstadt und dem stationären Handel in diesem Winter noch fast kein Geld ins Haus gebracht habe.

Es hat sicherlich damit zu tun, dass ich weitgehend geschafft habe, was ich mir all die anderen Jahre doch nur vorgenommen hatte: Kein Weihnachtsstress, keine Verlegenheitsgeschenke. Diesmal also keine 24 kleinen Dingse für den selbstgebastelten Adventskalender, sondern einen gekauften (online bestellten). Diesmal also kein Last-Minute-Trip für die Flasche Doppelherz im Präsentkorb, sondern was Kreatives (online Entworfenes).

Aus herzlicher Abneigung dulde ich kein Zalando im Haus, und doch ist längst Realität, was man vor kurzem noch für absurd gehalten hätte: Schuhe nach Hause zu bestellen. Oder Küchen.

Wie die Dinge hergestellt werden, sehen wir schon lange nicht mehr. Jetzt verschwindet auch der Handel aus unserem Blickfeld: Irgendjemand packt irgendwo etwas ein. Dann ist es plötzlich da. Die Entfremdungsspirale dreht sich munter weiter.

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