Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Ethik Popethik
nnier | 13. September 2010 | Topic Gelesn
All das spiegelt unsere Ethik heute noch nicht wieder. Aber ich sehe gute Chancen, dass die Streetviewhausverpixeler nach der Einführung in Deutschland als Vandalen, Bilderstürmer und Egoisten gelten.
Einführung wessen, mag man sich da in Ermangelung eines Genitivobjekts im zweiten Satz fragen, und ich bin mir ziemlich sicher, dass, wenn die neue Ethik erst mal eingeführt ist, die Streetviewhausverpixeler als Vandalen, Bilderstürmer und Egoisten gelten. Jedenfalls wenn sie aus folgenden Legosteinen zusammengebastelt wird:
Dass wir in Deutschland über Gehälter nicht reden, leistet der Ausbeutung Vorschub. Woher soll ein Berufsanfänger wissen, wie viel er fordern kann?

Wenn ich eine Krankheit habe, wird es immer Menschen geben, die davon profitieren würden, wenn ich darüber öffentlich spreche. [...]

Das öffentliche Bekenntnis zur eigenen speziellen Sexualität hilft im Zweifel hunderten von anderen, die wegen der sozialen Kontrolle und dem mangelnden Austausch in ihrem Kaff sich selbst für pervers halten.
"Aber das sind doch völlig willkürlich zusammengesuchte und dann auch noch total aus dem Zusammenhang gerissene Beispiele dafür, dass es in einzelnen Fällen unter gewissen Voraussetzungen für bestimmte Menschen sinnvoll oder hilfreich sein kann, wenn sie irgendwoher Informationen bekommen können", sagen Sie jetzt, "daraus wird ja wohl niemand gleich eine allgemeine Regel machen wollen!"

In diesem Zusammenhang sei an den Entwicklungspsychologen Jean Piaget (1896-1980) erinnert, der sich mit der kognitiven Entwicklung von Kindern beschäftigt und diese in bestimmte Stufen eingeteilt hat. Charakteristisch für das Stadium des voroperatorischen bzw. anschaulichen Denkens (2-7 Jahre) ist u.a. der Vorgang des transduktiven Schließens, d.h. es wird weder induktiv (vom Speziellen aufs Allgemeine) noch deduktiv (vom Allgemeinen auf den Einzelfall) geschlossen, sondern vom Einzelfall auf den Einzelfall. Und wie süß das bei Kindern ist! Sie kennen das doch:

- Ein Wauwau!
- Nein, das ist ein Hase!
- Das ist ein Wauwau!
- Nein, schau, hier, das ist kein Hund, das ist ein Hase!
- Wohl ist das ein Wauwau. Gucke. Das hat Fell.
- Äh, ja, aber ...
- Ein Wauwau hat immer Fell. Also ist das WOHL ein Wauwau. Blödi.
- Elfriede! Dein Kind denkt ja transduktiv!

Niedlich, gell! Und wenn du den kleinen Rackern mal die Kiste mit den Duplosteinen ausschüttest, was die daraus alles bauen können - enorm! Guck, hier, aus drei, vier so Steinchen wird ein "Haus", he he, ja, ein schönes Haus hast du da gebaut, ei, da wohnt der Wauwau, ja, ein lieber Wauwau ist das, mit seinen zwei Schneidezähnen, und so eine schöne Ethik hast du da gebaut:
Egal was wir tun, was wir sind, wer wir sind: wenn wir persönliche Informationen veröffentlichen, helfen wir anderen.
(Alle Zitate - klar - daher.)

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mark793, Montag, 13. September 2010, 14:47
Lieber Herr nnier,

wie ich mit Erschütterung sehe, haben Sie die zugrundeliegende Metatheorie der Plattformneutralität noch nicht so richtig verinnerlicht. ;-)

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mymspro, Montag, 13. September 2010, 15:05
Das Schlussfolgern vom einen Einzelfall auf einen anderen, jedoch ohne eine klar determinierendes Regelsystem dafür aufzustellen, hat eigene methodologische Überlegungen längst gefunden. Wahrscheinlich kennst du aber das abduktive Schlussfolgern (Charles Sanders Peirce, Umberto Eco), das laterales Denken (Edward de Bono), oder die anerkennende Urteilskraft (Geoffrey Vickers), die Logik der Ambivalenz, der Ungewissheit, des Nichtwissens (Edgar Morin, Michael Smithson) und so weiter. Du bist ja schließlich philosophisch nicht im vorletzten Jahrhundert stecken geblieben, oder?

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nnier, Montag, 13. September 2010, 16:07
Ambivalenz, Ungewissheit, Nichtwissen - genau diese vermisse ich in Ihren Beiträgen. Ich bin immer wieder überrascht, mit welcher Unbedarftheit Sie vom Konkreten ins Allgemeine wechseln und, da liegt auch der Unterschied zu den abduktiven Schlüssen z.B. in der Medizin, auch gleich ins gesellschaftlich Normative. Aus Einzelbeobachtungen (z.B.: wenn man das Gehaltsniveau kennt, kann man besser verhandeln) wird bei Ihnen: "Egal was wir tun, was wir sind, wer wir sind: wenn wir persönliche Informationen veröffentlichen, helfen wir anderen", bremmbremm. Und wenn Sie's unterhalb von "neue Ethik" und "Paradigma" nicht tun, sollten Sie fragilen intellektuellen Zweifelkram wie z.B. von Eco lieber nicht heranziehen.

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lorilo, Montag, 13. September 2010, 16:25
Danke Herr nnier für Ihre ungebrochen transparent-kritische Betrachtungsweise.

Btw: Was sind denn das für krude Argumente? (Über die Begrifflichkeiten und das Vermanschen wirrer Gedanken lass ich mich jetzt nicht aus.) - Gehalt, Krankheit, Sexualleben? Darüber kann und darf jeder offen frei sprechen und sich austauschen, so er das will - wo bitte gibt es denn da eklatante Intransparenz? Davon abgesehen, dass mich diese Themen ganz sicher weder von Herrn Seemann, noch anderen Gläubigern interessieren, nichmal wenn er sich die Finger blutig tippt mit seinen persönlichen Informationen.

Wer will, der soll können, solange er andere nicht stört - wer nicht will, soll nicht müssen - das für's Private - wo bitte ist denn die aktive Hirnzelle bei diesem Menschen, die diesen äußerst simplen Grundsatz begreift? Es braucht schließlich auch keinen Hinguck- und Ausziehzwang am Nacktbadestrand, um kollektiv Hemmungen abzubauen, bei Informationsexibitionisten wie Herrn Seemann bleibt darauf aber nur zu warten.

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nnier, Montag, 13. September 2010, 23:47
Tja, das muss alles völlig neu gedacht werden, und dann noch was mit radikal und Paradigmen und Idiosynkrasien.

Es fällt mir wirklich schwer, das ernstzunehmen, und zwar nicht, weil schwierige Wörter darin vorkommen - ich möchte nicht auf den antiintellektuellen bzw. -akademischen Reflex verfallen und ein solches Vokabular grundsätzlich ins Lächerliche ziehen. Manche komplizierten Dinge lassen sich eben auch nur kompliziert ausdrücken. Ich sehe hier aber keine komplizierten Gedanken, sondern einen Popanz, der sich "Diskurs" und "netzpolitische Szene" und mal ganz nebenbei "Ethik" umhängt, mal eben sechs Philosophen- oder Soziologennamen droppt, die ich natürlich nicht alle kenne, und seine leichtfertigen Verallgemeinerungen mit einer Selbstgewissheit in die Gegend kräht, dass ich mir nur verwundert die Augen reiben kann.

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kid37, Montag, 13. September 2010, 18:19
Toll. Ich wollte nach meinem Urlaub eigentlich entspannt in den Alltag starten.

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jean stubenzweig, Montag, 13. September 2010, 19:40
Bilderstürmererei? Dabei assoziiere ich religiöse Wahnvorstellung und daraus resultierende Zerstörung. Meinetwegen auch einen ideologischen Fond des Machterhalts. Allerdings muß in diesem Fall erstmal was hängen, das man stürmen und anschließend herunterreißen kann.

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kopfschuetteln, Dienstag, 14. September 2010, 16:39
und dann könnte man noch sagen: es ist ja gar nichts gestürmt weil, es ist ja noch da!
aktivisten müssen, glaube ich, plakative worte wählen. vor allem dann, wenn nichts zu beweisen ist.

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