Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Der Tod kam aus dem Auspuff
nnier | 15. Februar 2010 | Topic In echt
Hilflos hing ich da. Die Gurte fesselten mich an den Sitz, das Auto lag auf der Seite, und es konnte sich nur noch um Sekunden handeln, bis sich aus dem ausgelaufenen Benzin und dem reichlich vorhandenen Sauerstoff ein hochexplosives Gemisch bilden würde, welches mich in meine Moleküle zerlegen und in einer schwarzen Wolke gen Himmel entsenden würde.

Aus der erfolgreichen Bastei-Romanserie Vrooooom! Heiße Kisten, Coole Cops diese Woche Band 1067: Spannung und Spaß wie noch nie, echt jetzt. Alle kaufen!

Nehmen wir mal diesen alten Ford Capri, mit dem wir zum Badesee, dem sogenannten "Grünen See" nahe einer Kleinstadt, die "Witzighausen" zu nennen der Mann mit dem Hut sich doch tatsächlich nicht hatte nehmen lassen, ich meine: auf manche Witze hat man seit Beendigung der Grundschule dann doch lieber verzichtet, fahren wollten. Alles klar auf der Andrea Doria jedenfalls - zu fünft ging es los, die ersten Kilometer auch durchaus problemlos, bis es vernehmlich knackte, der Besitzer und Fahrer des Wagens laut zu lachen begann und uns Beifahrern den abgebrochenen Schalthebel präsentierte. Sauber am untersten Ende abgetrennt präsentierte sich das stählerne Stängchen, und während ich überlegte, wie man nun zurück nach Hause käme, stellten die anderen fest: Wegen so etwas muss man doch noch lange nicht umkehren, der dritte und der vierte Gang funktionieren doch einwandfrei! Man musste lediglich bei getretener Kupplung mit der abgebrochenen Stange fest und präzise gegen das kleine, übriggebliebene Reststück derselben schlagen, um zwischen diesen beiden Gängen zu wechseln. Nach einem Stopp in Witzighausen bei der Eisdiele, die auch Ende der 80er noch lediglich 30 Pfennig pro Kugel Eis verlangte, demnach mit 5 mal 10 = 50 Kugeln zu insgesamt 15.- DM ausreichend versorgt, erreichte man den Badesee und konnte sich dort vom Gestank der abgehobelten Kupplungsscheiben erst mal ein Weilchen erholen.

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Ich selbst war keiner von denen, die den Führerschein unbedingt schon vor dem 18. Geburtstag erwerben und dann pünktlich mit Erreichen der Volljährigkeit ein Auto kaufen und losfahren mussten. Das lag an finanziellen Realitäten mindestens ebenso wie daran, dass ich als Stadtbewohner praktisch alle Ziele zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichen konnte. Und ein Schrauber oder Bastler war ich, was motorisierte Fahrzeuge angeht, nie; zwar wechsele ich die Glühbirnen selber (bei den heutigen Fahrzeugen auch keine ganz leichte Übung mehr) und habe sogar einige Jahre lang den Wechsel von Winter- und Sommerbereifung eigenhändig vorgenommen, und wenn ich einen Drehmomentschlüssel gehabt hätte, dann wäre es mir auch erspart geblieben, eines Tages mit den durchgedrehten Bolzen bei der Werkstatt ankommen zu müssen und mir vorrechnen zu lassen, dass ich für die fälligen Reparaturkosten locker 25 Jahre lang zweimal jährlich die Reifen in der Werkstatt hätte wechseln lassen können. Aber im Rahmen meiner Möglichkeiten tue ich, was ich kann - Öl und Scheibenwischwasser nachfüllen, Reifendruck prüfen, Autoradio einbauen; der Motor hingegen ist und bleibt mir ein geheimnisvolles Ding. Gutgemeinte Ratschläge wie etwa der, mit einem Hammer auf den Anlasser zu hauen, scheitern bei mir jedenfalls schon daran, dass ich den gar nicht finden würde.

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Als der schaltknüppelamputierte Ford Capri ersetzt werden musste, denn es war allemal günstiger, ein neues Fahrzeug zu erwerben, mein Bekannter hatte dies schon mehrere Male getan, allein in seinem ersten Führerscheinjahr waren meiner Erinnerung nach sieben oder acht Fahrzeuge durch seine Hände gegangen, fragte er mich um meinen Beistand beim Erwerb eines alten Fiat 500. Als Käufer von Gebrauchtwaren und Flohmarkthändler hatten wir schon einige gute Erfahrungen mit unserem gemeinsamen, rollenverteilten Auftreten gesammelt, so konnte z.B. einer ein mehr als unverschämtes Angebot unterbreiten, welches im Fall eintretenden Widerspruchs ("Waaas? Ich höre wohl nicht richtig!") der andere dann relativierend zurücknehmen konnte ("Nein, das finde ich auch zu wenig. Ich würde durchaus mehr bezahlen.")

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Das kleine rote Autochen stand auf dem Parkplatz vor dem großen Mietshaus in der Satellitenstadt, es sah gut aus, es hatte ein Schiebedach, die Besitzerin hatte es für mehr als angemessene 450.- DM inseriert, und wir spulten unser Programm ab. "Ach, ich weiß nicht ..."; "Ich habe ja eigentlich auch gar nicht so viel Geld"; "Ich kann dir ja was leihen", "Nein, ich mache es lieber doch nicht, mein Vater wird dann sauer", all diese wohldosiert eingestreuten Konversationsstückchen trugen vermutlich dazu bei, dass die Verkäuferin auf das selbst für unsere Verhältnisse ziemlich freche erste Angebot von 200.- DM sofort einging.

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Wir stiegen in das Wägelchen ein, knatterten davon, und während ich, nicht mehr ganz minderjährig und trotzdem noch führerscheinlos, mich auf ein paar Runden auf dem angesteuerten Kiesplatz freute, testete der Fahrer und neue Besitzer des Wagens mit einer Hand das Schiebedach, denn es war ein heißer Sommertag. Mit offenen Fenstern und aufgekurbeltem Schiebedach erreichten wir so den Schützenplatz, auf dem ich dann auch endlich ans Steuer durfte.

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Ich hatte schon einige Male im ersten Gang ein paar Meter zurücklegen dürfen, ich wusste grundsätzlich etwas darüber, wofür Kupplung, Bremse und Gas gedacht waren, doch nun wollte ich mein Wissen auch mal ernsthaft praktisch anwenden und schaltete also forsch in den zweiten Gang, gab Gas, sah zur Rechten meinen Beifahrer mit lässig aus dem Fenster gelehntem Ellbogen, von oben schien die Sonne herein, es machte Spaß und ich schaltete in den dritten Gang, kurz bevor ich der riesigen Schlaglöcher gewahr wurde, die da vor mir lagen und denen ich mit einer beherzten Linksdrehung des kleinen Lenkrades ausweichen wollte.

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Der Wagen lag auf der Seite, und wie ich da so hektisch wie erfolglos versuchte, mich aus dem Gurt zu befreien, denn das wusste man ja aus zahlreichen Filmen, dass so ein Auto nach dem Umkippen umgehend explodieren und in einem Feuerball aufgehen würde, fiel mir das Bild des aus dem Fenster lehnenden Beifahrerellbogens wieder ein, denn, wer in Physik (UE: Zentrifugalkraft) aufgepasst hat, weiß es bereits, die Beifahrerseite war es natürlich, auf die wir gekippt waren. Allerdings war meine Sorge zum Glück unbegründet, denn er hatte den Arm offensichtlich rechtzeitig hineingezogen und sich bereits aus dem Gurt befreit. Jedenfalls verließ er das Auto gerade seitlich durch das Schiebedach. "Bleib du mal drin sitzen", hörte ich, und mit einem kräftigen Schubser gegen das Dach stand der Wagen dann auch schon wieder auf seinen vier Rädern, so dass wir weiterfahren konnten.

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Wahrscheinlich nicht direkt aufs Dorf, aber auch auch dorthin führte uns in jenen Tagen manchmal eine Kleinanzeige. Wir hatten uns auf den Handel mit Comics verlegt und die Annonce eines jungen Erwachsenen gelesen, der seine Sammlung veräußern wollte. Also fuhren wir in das von ihm genannte Dorf, kamen in dem randlagigen* Siedlungsgebiet aber vom Weg ab und bewegten uns plötzlich nicht mehr auf Asphalt, sondern auf einem Feldweg, der einen weiten Bogen um ein Rapsfeld beschrieb. "Dann fahren wir eben außenrum", beschlossen wir, erblickten dann allerdings am Ende dieses Weges mehrere blaulichtbewehrte Fahrzeuge, die die Durchfahrt versperrten, so dass wir lieber kehrt machen wollten. Dazu hieß es allerdings erst ein Stück rückwärts fahren, und schnell saßen wir in einer Bodenvertiefung fest, aus der herauszukommen wir schon einige Minuten lang versucht hatten, als eines der Blaulichtfahrzeuge herangefahren kam und zwei Polizisten ausstiegen.

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Sie untersuchten den festgefahrenen Wagen aufs eindringlichste (TÜV, Wagenheber, Verbandskasten etc.), sie behandelten uns, wie es Schwerverbrechern auf der Flucht gebührte ("Sie haben uns gesehen und sind dann sofort umgekehrt! Die Ausweise!"), sie überhörten geflissentlich unsere Bitte um Hilfe und verabschiedeten sich schließlich mit den unfreundlichen Worten: "Sehen Sie zu, dass Sie den Wagen hier wegbekommen."

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Etwas abgekämpft erreichten wir zu Fuß das Haus des potentiellen Comicverkäufers, der unsere zweistündige Verspätung nicht weiter erwähnte und den wir mit städtischer Ignoranz "mal eben" um Hilfe bei der Autobefreiung fragten, denn in den Dörfern fuhren doch alle Traktor. Wortlos tippte er daraufhin eine dreistellige Nummer (Dorf!) in sein Telefon, ich war wirklich dankbar, doch als er zu sprechen begann: "Hier ist Jens, ist Jens da?", war's schon wieder um mich geschehen. Ich konnte nur noch lachen. Dieses verzweifelt unterdrückte, dann umso schlimmer doch hervorbrechende Lachen, dieses Lachen, das man nicht möchte, und je mehr man sich bemüht, es in Schach zu halten, desto unvorhersehbarer verhält es sich, man hustet dann oder heult, es spritzen die Tränen, man macht zwischendurch ein betont ernstes Gesicht, man sieht zu Boden, man versucht in normalem Tonfall etwas zu sagen, Sie kennen das, in der Schule ist mir das auch dauernd passiert, und man weiß dann wirklich nicht, wie man aus der Nummer wieder rauskommen will, so wie ich aus diesem Beitrag hier.

--
*In der Geographie geht der Trend eindeutig zur Adjektivierung.

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jean stubenzweig, Dienstag, 16. Februar 2010, 02:36
Witzenhausen ist (war) aber auch schon komisch. Da gab's Anfang der Siebziger Straßen, bei denen das Linksabbiegen verboten war. Na gut, das mag zonenrandlich bedingt gewesen sein, so genau weiß ich das nicht. Aber auf jeden Fall wurde man von der Polizei verfolgt, wenn man das tat. Zwar hat die Gesetzeshut in ihrem ollen, etwas stärker geratenen Wagen des Volkes gegen den – zu ihm scheint es mich zur Zeit zu drängen – R4 gewonnen, aber es war dann doch nicht so schlimm. Vor allem, nachdem ich den Herren erklärt hatte, daß mein Linksabbiegen kein politischer Akt war, sondern die Flucht vor einer Frau, seinerzeit de jure (m)eine Ehefrau. Dafür hatten die Überwacher des Systems dann doch wieder Verständnis und beließen es bei fünf Mark, vermutlich für den Stromverbrauch des Blaulichts.

Mit so einem entzückenden kleinen Italiener, die man im Berlin der Sechziger für fünfundzwanzig Markt am Tag mieten konnte (allerdings durfte man die Insel nicht verlassen), wäre das sicher nicht passiert. Mit dem konnte man vielleicht Kurven tänzeln (wenn man nicht so ruckartig, also etwas sanfter mit ihm umging)! Aber als ich mir später in sehnsuchtsvoller Erinnerung und angesichts des knuddeligen Flitzers in der Garage eines Bekannten, etwa wie der Blick der Frau in den Kinderwagen der anderen Frau, dann einen herrlich rotglänzenden kaufen wollte, kostete der bereits 3.800 Mark. Inclusive des völlig verrosteten Unterbodens. Wenn man da den Hammer gefunden hätte! Dann hätte es nichts mehr zu lachen gegeben.

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nnier, Dienstag, 16. Februar 2010, 22:31
Oh. Ich weiß genau, was Sie meinen. Man machte zwangsweise eine Runde um den Kern der Kirschen- und Universitätsstadt. Die auch einen Ortsteil mit etwa 1203 Einwohnern hat. Bei dem sich ein wassergefüllter und phytoplanktonreicher Gipssteinbruch befindet. Wenn ich jetzt bloß noch einen Wikipedia-Eintrag über die Eispreise der späten 80er in WIZ fände! Sonst glaubt mir wieder keiner.

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