Es war immer ein gewisses Risiko dabei, denn es konnte passieren, dass ältliche Damen einem plötzlich die Wange hinhielten und nachdrücklich den Austausch körperlicher Zärtlichkeiten einforderten: Du hast es versprochen, ich habe bezahlt, jetzt will ich auch erotisch auf meine Kosten kommen! Das war grausig, und die Furcht peinigte mich schon Tage vorher.
Eigentlich begann mit dem Martinstag die schöne Jahreszeit, in der man selbstvergessen Bilder mit weihnachtlichen Motiven malte, Laternen bastelte, Stofftiere und Puppen schon mal vorfeiern ließ und nebenbei massenhaft Süßes vertilgte. Denn der erste Einschlag des Bombardements aus Dominosteinen, Spekulatius, seltsamem Geleezeug sowie Schokoladenhohlkörperfiguren erfolgte an einem bestimmten Tag im November.
Das Problem an dem Lied war weniger der psychedelische Text, denn dass man unterm Tisch sitzt, wenn man gebratene Fische isst, kommt einem als Kind auch nicht merkwürdiger vor als vieles andere, das in weihnachtlichen Zusammenhängen vermittelt wird - sondern es war die allzu konkrete Aussage am Ende des Liedes, die als persönliches Versprechen auszulegen seitens fremder Omis sicherlich perfide ist, aber bring das mal rüber mit sieben Jahren. Warum konnte nicht auch die Nuss irgend so einen lautmalerischen Unfug hinter sich herziehen wie der Apfel und die Birne? Verzapfen und Verzwirnen, bitte, gerne, aber doch keinen Kuss!
Was konnte man tun? Schnell den Beutel zuhalten und "Ich mag keine Nüsse!" rufen, wenn sich eine faltige Hand mit ölhaltiger Schalenfrucht nähern wollte? Den letzten Vers vermurmeln? Die Finger hinter dem Rücken kreuzen? "Schuss" statt "Kuss" singen? All dies war ausprobiert, jedoch keine der Lösungen für allgemein brauchbar befunden worden.
Herr R. war es, der schließlich den Ausweg wies. Er hatte uns im Religionsunterricht die rührende Geschichte des St. Martin, der seinen Mantel mit dem Bettler teilt, aufs Lebhafteste vermittelt, und im anschließenden Musikunterricht lernten wir bei ihm das folgende, viel schönere Lied kennen:
St. Martin war in diesen Tagen ein echter Held, wir sangen das Lied manchmal sogar auf dem Schulweg und nahmen uns fest vor, beim Martinsingen die moralisch hochstehende Variante vorzutragen. Das werde die alten Menschen sicher besonders rühren, waren wir uns einig, und von uns selbst waren wir auch ganz gerührt, denn auch wir würden sicher unser Pferd anhalten und den Mantel mit einem Schwerthieb entzweihauen, und bevor der Bettler uns für diesen grenzenlosen Edelmut überhaupt danken könnte, wären wir schon wieder enteilt, und voller Ergriffenheit drückten wir auf den ersten Klingelknopf, eine alte Dame schaute freundlich aus der Tür, schnell kreuzten wir die Finger und sangen drauflos: "Maaaaatin ist ein guuuuteher Mann, schäääänkt uns Äääääpfel und Nöööössää."
Eigentlich begann mit dem Martinstag die schöne Jahreszeit, in der man selbstvergessen Bilder mit weihnachtlichen Motiven malte, Laternen bastelte, Stofftiere und Puppen schon mal vorfeiern ließ und nebenbei massenhaft Süßes vertilgte. Denn der erste Einschlag des Bombardements aus Dominosteinen, Spekulatius, seltsamem Geleezeug sowie Schokoladenhohlkörperfiguren erfolgte an einem bestimmten Tag im November.
Martin ist ein guteher MannDieses Lied leierte man (Teil 1 übrigens zur Melodie von "Alle Vögel sind schon da") herunter, hielt seinen Beutel hin, bekam hoffentlich etwas Brauchbares hineingegeben und rannte dann den anderen hinterher, eine Etage höher, durch die gebohnerten Treppenhäuser.
Schenkt uns Äpfel und Nüsse
Als wir unterm Tüschehe saßen
Und gebratne Füschehe aßen
Dachte ich in meinehem Sinn
Hier da wohnt ein Reicher drin
Geben Se mir n Apfel
Den kann ich gut verzapfen
Geben Se mir ne Bürne
Die kann ich gut verzwürne
Geben Se mir ne Nuss
Dann kriegen Se auch n Kuss
Das Problem an dem Lied war weniger der psychedelische Text, denn dass man unterm Tisch sitzt, wenn man gebratene Fische isst, kommt einem als Kind auch nicht merkwürdiger vor als vieles andere, das in weihnachtlichen Zusammenhängen vermittelt wird - sondern es war die allzu konkrete Aussage am Ende des Liedes, die als persönliches Versprechen auszulegen seitens fremder Omis sicherlich perfide ist, aber bring das mal rüber mit sieben Jahren. Warum konnte nicht auch die Nuss irgend so einen lautmalerischen Unfug hinter sich herziehen wie der Apfel und die Birne? Verzapfen und Verzwirnen, bitte, gerne, aber doch keinen Kuss!
Was konnte man tun? Schnell den Beutel zuhalten und "Ich mag keine Nüsse!" rufen, wenn sich eine faltige Hand mit ölhaltiger Schalenfrucht nähern wollte? Den letzten Vers vermurmeln? Die Finger hinter dem Rücken kreuzen? "Schuss" statt "Kuss" singen? All dies war ausprobiert, jedoch keine der Lösungen für allgemein brauchbar befunden worden.
Herr R. war es, der schließlich den Ausweg wies. Er hatte uns im Religionsunterricht die rührende Geschichte des St. Martin, der seinen Mantel mit dem Bettler teilt, aufs Lebhafteste vermittelt, und im anschließenden Musikunterricht lernten wir bei ihm das folgende, viel schönere Lied kennen:
Sankt Martin, Sahankt Martin,Nicht nur melodisch, auch textlich wirkte diese Umsetzung der Geschichte wesentlich edler und differenzierter, das sahen wir sofort ein, und Herr R. wies uns darauf hin, dass in dem gebräuchlicheren Lied ja auch nur die Rede davon sei, dass der Hl. Martin den Kindern Äpfel und Nüsse schenke, von seinem wahren Edelmut sei gar nicht die Rede, und wenn wir am Martinstag singen gingen, dann sollten wir doch dieses Lied vortragen, das werde auch die aufgesuchten Menschen sehr freuen, man werde sicher besonders gelobt werden und, wer weiß, vielleicht sogar eine besonders schöne Anerkennung erhalten.
Sahankt Martin ritt durch Schnee uhund Wind
Sein Ross das trug ihn fort geheschwind
Sankt Martin ritt mit leichtem Mut,
Sehein Mantel deckt ihn warm und gut.
Im Schnee saß, ihim Schnee saß,
Ihim Schnee, da saß ein alteher Mann,
Hatt Kleider nicht, hatt Lumpehen an.
O helft mir doch in meiner Not,
Sohonst ist der bittre Frost mein Tod.
Sankt Martin, Sahankt Martin,
Sahankt Martin zog die Zügehel an,
Sein Roß stand still beim armehen Mann.
Sankt Martin mit dem Schwerte teilt
Dehen warmen Mantel unverweilt.
Sankt Martin, Sahankt Martin,
Sahankt Martin gab den halbehen still
Der Bettler rasch ihm dankehen will
Sankt Martin aber ritt in Eil'
Hihinweg mit seinem Mantelteil.
St. Martin war in diesen Tagen ein echter Held, wir sangen das Lied manchmal sogar auf dem Schulweg und nahmen uns fest vor, beim Martinsingen die moralisch hochstehende Variante vorzutragen. Das werde die alten Menschen sicher besonders rühren, waren wir uns einig, und von uns selbst waren wir auch ganz gerührt, denn auch wir würden sicher unser Pferd anhalten und den Mantel mit einem Schwerthieb entzweihauen, und bevor der Bettler uns für diesen grenzenlosen Edelmut überhaupt danken könnte, wären wir schon wieder enteilt, und voller Ergriffenheit drückten wir auf den ersten Klingelknopf, eine alte Dame schaute freundlich aus der Tür, schnell kreuzten wir die Finger und sangen drauflos: "Maaaaatin ist ein guuuuteher Mann, schäääänkt uns Äääääpfel und Nöööössää."
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nnier,
Freitag, 11. Dezember 2009, 13:22
Um noch Öl ins Feuer der lodernden Diskussion zu gießen: Das oben angesprochene Lied "Martin ist ein guter Mann" ist dem Internet bis zum heutigen Tage tatsächlich kaum bekannt. Offenbar handelt es sich dabei um etwas sehr Lokalspezifisches. Und als alter Griesgram gebe ich zu, dass Gedanken wie die dort womöglich überdeutlich geäußerten in den letzten Jahren auch an meiner Hirnrinde angeklopft haben. Grmbl.
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monnemer,
Freitag, 11. Dezember 2009, 15:43
Hier geht´s ja ab!
Von der Version mit den mit den Fischen unterm Tisch habe ich noch nie gehört. Da unterscheiden sich wohl die regionalen Essgewohnheiten.
Mit der anderen Version hatte ich in meiner Kindheit ein Verständnisproblem weil ich das immer so hat Kleider, nicht hat Lumpen an verstand und daraus folgerte, dass St. Martin wohl ein Problem mit einem Bettler im Rock hatte.
Und das war nur eines von vielen Missverständnissen.
An den Türen hab ich trotzdem geklingelt, obwohl ich nicht kapierte um was es eigentlich geht. Womit wir dann bei Halloween wären.
Von der Version mit den mit den Fischen unterm Tisch habe ich noch nie gehört. Da unterscheiden sich wohl die regionalen Essgewohnheiten.
Mit der anderen Version hatte ich in meiner Kindheit ein Verständnisproblem weil ich das immer so hat Kleider, nicht hat Lumpen an verstand und daraus folgerte, dass St. Martin wohl ein Problem mit einem Bettler im Rock hatte.
Und das war nur eines von vielen Missverständnissen.
An den Türen hab ich trotzdem geklingelt, obwohl ich nicht kapierte um was es eigentlich geht. Womit wir dann bei Halloween wären.
nnier,
Freitag, 11. Dezember 2009, 16:53
Und da hatten Sie Mitleid, wie der Hl. Martin, denn man kann ja einen Mann schlecht in Frauenkleidern herumlaufen lassen. Das edle Motiv also bleibt! Und wenn man ehrlich ist, das mit dem Schnee und Wind, das hat auch jeder anders interpretiert. Exegeten sammer scho.
mark793,
Freitag, 11. Dezember 2009, 17:09
A propos Exegese: Ich habs sicher schon mal irgendwo in der Nachbarschaft zum Besten gegeben, aber die bekannte Phrase aus dem apostolischen Glaubensbekenntnis "...und an Jesus, seinen eingeborenen Sohn..." warf bei mir in der Kindheit irgendwann die Frage auf, ob das so zu verstehen sei, dass Jesus als, ähem, Neger (damals durfte man das noch sagen) geboren wurde. Denn "Eingeborene" kannte ich bis dato nur aus irgendwelchen Grzimek-Tierdokus aus Afrika.
monnemer,
Freitag, 11. Dezember 2009, 18:40
Ha! Der Eingeborene gab mir auch zu denken.
Heute frage ich mich, wie man bei "Filium eius unicum" auf diese Übersetzung kommt.
Heute frage ich mich, wie man bei "Filium eius unicum" auf diese Übersetzung kommt.
nnier,
Freitag, 11. Dezember 2009, 22:39
Sie haben's immerhin nicht als Genitiv aufgefasst ("Jesus seinen eingeborenen Sohn").
monnemer,
Samstag, 12. Dezember 2009, 13:15
Was den Kommunionsunterricht zur Vorhölle hätte werden lassen.
"Wem ist denn der Bub?" - "Das ist dem Jesus seiner!"
"Wem ist denn der Bub?" - "Das ist dem Jesus seiner!"
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