Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Samstag, 5. Dezember 2009
9019
nnier | 05. Dezember 2009 | Topic In echt
Noch heute weiß ich die Telefonnummer der Anzeigenannahme unseres lokalen Käseblatts auswendig.

Die Sache war die: Wir hatten eine lange Mittagspause, und es gab da diese Telefonzelle, und wenn man nicht schon wieder Wände bem Steckdosen ka Fußball spielen wollte, kam man gelegentlich auf Ideen.

So hatte man sich eines Tages kundig gemacht, wie so eine Kleinanzeige eigentlich aufgegeben wurde: Man rief an, nannte Namen und Anschrift, gab Rubrik und Text durch, wurde nach seiner Bankverbindung gefragt, die Anzeige erschien, das Geld wurde abgebucht (bitte beachten Sie die Reihenfolge). Schon hatten sich neue Möglichkeiten der Freizeitgestaltung aufgetan.

Ein kleiner Testlauf wurde gestartet, der darin bestand, einen harmlosen Text ("Wohnzimmerschrank, Eiche rustik., gut erh., umsth. abzug.") mit einer beliebigen Telefonnummer zu versehen, diesen unter Nennung eines Allerweltsnamens und Angabe einer plausiblen Bankverbindung durchzugeben und dabei nicht in Lachen auszubrechen.

Nachdem man am Samstagmorgen eifrig den Kleinanzeigenteil durchforstet und die Annonce entdeckt hatte, war es nicht leicht, noch zwei Tage abzuwarten, bis man am Montagfrüh endlich wieder in die Schule gehen und an den grinsenden Gesichtern der Bundesgenossen sofort erkennen konnte, dass auch diese am Wochenende Zeitung gelesen und sich ein paar Gedanken gemacht hatten.

Wie man sich denken kann, liefen die folgenden Wochen nach dem immer gleichen Schema ab: Einen Anzeigentext entwickeln, der möglichst so attraktiv formuliert war, dass er viele Menschen zum Anrufen animieren würde und für sich genommen harmlos klang; einen unverdächtigen Namen und eine realistische Bankverbindung bei der Anzeigenaufgabe nennen; eine in der Annonce abzudruckende Telefonnummer aus dem Telefonbuch heraussuchen, die zusammen mit dem Anzeigentext einen spaßigen Akkord ergab.

Ein harmloses Beispiel: "Guten Tag, Schreiner mein Name, ich wollte so eine Kleinanzeige aufgeben. Der Text: Frische Landeier tägl. günstig abzugeben, Tel. 12345. Ja, meine Adresse: X, und meine Bankverbindung, Moment: Y. Ja, danke. Ja, für Samstag."

Sie denken es sich bereits: Die Telefonnummer war die einer Familie sagenwirmal Henne, die wir dann am Montag aus unserer Zelle auch anriefen. "Guten Tag, ich habe Ihre Kleinanzeige gelesen. Ich interessiere mich für die ... wie bitte? Aber das steht doch in der ... Ich habe das doch hier vor mir: Frische Land- ... ach? Ein Fehler? Na, sowas! Auf wiederhören!", man konnte gerade noch auflegen und wieherte erst mal fünf Minuten drauflos, ehe man den anderen erklären konnte, wie bitter sich der Mann beklagt habe, dass die ganze Zeit Leute anriefen und dabei gebe es bei ihnen gar nichts zu kaufen. Einer musste es dann gleich übertreiben und noch mal anrufen: "Guten Tag, es handelt sich um Ihre Kleinanzeige. Wie jetzt, Fehler. Ich will aber Eier kaufen. Oder haben Sie keine Eier? Nicht? Sie Armer!", na ja, Neuntklässler halt, und man lachte dann doch, bis man Bauchschmerzen hatte.

Die Geschichte war nach einigen Wochen (gut erh. MAD-Hefte bei Herrn Alfred Neumann usw.) langsam ausgereizt, und nachdem man zunächst einige Ausflüge in Grenzbereiche des Absurden unternommen hatte ("Ytong-Steine, gebraucht, gut erh., ca. 21 Stück, günstig abzug."), wurde es langsam Zeit, sich wieder anderen Dingen zuzuwenden, z.B. der Störungsstelle, die man sogar kostenfrei anrufen konnte. Aber zunächst musste die finale Umdrehung der Schraube getätigt werden.

Wieder wurde eine Anzeige geschaltet, dies lief inzwischen äußerst routiniert ab, besonders witzig war der Text diesmal nicht und sollte es auch nicht sein - Ziel war vielmehr eine möglichst hohe Anruffrequenz. Der Teil "Bitte vor 7:00 oder nach 22:00 anrufen" war intern umstritten, da er womöglich Verdacht erregen konnte, wurde von der Bruderschaft aber schließlich akzeptiert und erschien auch so in der Zeitung.

Montags dann der Testanruf; man spürte, was hinter den Leuten gelegen haben musste, man äußerte Verständnis und Mitgefühl, man legte auf, man übergab den Hörer an jemanden, der das Finale garantiert nicht versauen würde, und lauschte dessen seriös vorgetragenen Worten.

"Guten Tag, Frau X, hier spricht Egon Kiesel von der Y-Zeitung. Uns ist zu Ohren gekommen, dass in unserer Kleinanzeigenabteilung ein Fehler passiert ist. Da hat es einen Dreher gegeben in der abgedruckten Telefonnummer. Wir bedauern das sehr. Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, auch im Namen der Kollegen. Wie in solchen Fällen üblich, möchten wir Ihnen eine Entschädigung von 50.- DM anbieten. Diese können Sie sich morgen ab 16:00 in unserer Geschäftsstelle abholen, bitte nennen Sie einfach Ihren Namen, die Kollegen wissen bescheid. Und entschuldigen Sie bitte vielmals."

Ich hatte dann doch etwas anderes vor, am nächsten Tag um 16:00, aber was immer das auch war: es kann nicht so gut gewesen sein wie das, was ich verpasst habe.

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