Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Christopher Street Day
nnier | 06. September 2009 | Topic In echt
Stop the world
(Captain Sensible)
Heute war autofreier Sonntag, und deshalb bin ich in die Stadt gefahren, um mir das mal anzusehen. (Ist dieser Einstieg nicht schon mal der Brüller?) Private Sicherheitskräfte standen an den Absperrungen und erklärten ungläubig staunenden Autofahrern, dass sie hier heute leider nicht durchfahren dürften; und so spazierte ich durch die gespenstisch leere, verlassene Innenstadt und bemerkte, dass hier tatsächlich kein einziges Auto fuhr, es war wirklich schön leise, es stank nicht, es war ruhig, es war sehr ruhig, es war praktisch wie tot, mit anderen Worten: es war exakt so, wie es sonntags immer ist.

Ich weiß ja nicht, wie Sie den gestalten würden, so einen autofreien Sonntag, vermutlich würden Sie so etwas sagen wie: "Damit man etwas davon bemerkt, wie schön es ist, wenn es autofrei ist, kombinieren wir den autofreien mit einem verkaufsoffenen Sonntag, denn schließlich ist es so: Jeder hat jeden Tag die Wahl, aufs Auto zu verzichten, doch spürt er von den positiven Auswirkungen seiner individuellen Tat nur sehr wenig; nötigt man jedoch die Menschen in einem symbolischen Akt zum gleichzeitigen Verzicht, dann ist es denkbar, dass dieser oder jener dadurch erst erkennt, wie angenehm eine Stadt ohne Autoverkehr sein kann - und bing!, verkauft er sein Auto. Ist immerhin möglich." Oder so ähnlich.

Man könnte aber auch sagen: "Was soll das jetzt wieder mit dem Autofreien, das nervt doch nur, muss das wirklich sein - gut, machen wir's halt da, wo's keiner merkt. Also am Sonntag in der Innenstadt, die zwar nur halb so groß ist wie der Friedhof von Chicago, aber doppelt so tot - kleiner Scherz meinerseits."

Du, Winfried, das fällt dann aber vielleicht doch auf, wenn alles so ist wie sonst, und ich hab' da grad so 'ne Idee. Vielleicht wär das was. Auf dem Betriebshof stehen doch die ganzen Fahrradständer rum, genau, diese teuren, die nie benutzt werden. Lass doch die Jungs am Samstag mit dem LKW die Dinger in die Innenstadt fahren, was meinst du?, die sitzen da doch eh nur rum. Vier Leute, der große LKW, lass die das mal machen da am Samstag, da sieht das auch jeder, da kaufen die Leute ja alle ein, da erregt das dann auch richtig Aufmerksamkeit, wenn die da mit dem Laster immer durch die Menge pflügen, und die sagen dann jedem: Ist fürs Klima, und dann freuen sich die Leute.

Ja, sicher, da stellt sonst auch keiner sein Fahrrad ab am Sonntag - was soll man da auch am Sonntag, gehst
du etwa am Sonntag in die Innenstadt? Aber sie könnten ihr Fahrrad da abstellen, darum geht's doch. Jedenfalls bis abends um neun, da schick ich dann die Jungs wieder los, die Dinger einsammeln. Komm, lass uns nicht lang reden, so machen wir das, was meinste.

Hach, was hört man den da für einen Lärm. Das klingt ja wie ein Straßenfest mit Autoscootermusik. Lass uns doch mal schauen. Ah, ja, da sind schon die Stände mit den Luftballons und hier das obligatorische Skateboarddingens und da das obligatorische Fahrradbummens. Da geht's um den autofreien Sonntag, deswegen läuft da das Mädchen in dem transparenten Plastikball herum. Diese Musik ist aber wirklich "cool", sie ist bestimmt sogar "hip", so wie die jungen Leute - und auch wir waren ja mal jung - es nun mal mögen, und sie ist so laut, damit jeder merkt: Heute ist autofrei! Da hört man die Musik noch zwei Straßen weiter! Und kein Verkehr übertönt sie! Und wie die Grillen zirpen!

Jetzt geh ich direkt los und entdecke meine Stadt neu. Hier zum Beispiel: Das ist doch wirklich beeindruckend heutzutage, wie sich alles beschleunigt! Heute noch ein Rohbau, und in drei Tagen wird ein Drogeriemarkt darin eröffnet! Du - im Ernst, wenn die alle durcharbeiten, kann das noch klappen, ich hab neulich mit meinem Schwager die Dachpappe vom Doppelcarport an einem einzigen Wochenende komplett ausgetauscht. Blöd wäre hier nur, wenn noch dauernd ein LKW mit Fahrradständern oder so was vorbeifahren würde.

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jean stubenzweig, Montag, 7. September 2009, 02:48
Sie sind ja sowas von fies sarkastisch!

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nnier, Montag, 7. September 2009, 13:14
Wie Sie wissen, entsteht so etwas häufig aus enttäuschter Liebe.

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venice_wolf, Montag, 7. September 2009, 15:05
Köstlich, köstlich... das gibt's bei uns auch. Vor einem Jahr, bei so einem Event, es kommt 4-5 mal im Jahr vor... ich stelle mir vor, ich steige mit dem Kinderwagen in den Bus, fahre (vielleicht gratis da ich sonst in der eigenen Wohnung gefangen bin?) zum Hauptplatz und geniesse die gute Luft während Johannes mit den Luftballons spielt. Das tue ich fast nie, in der Freizeit zieht es uns immer Stadtauswärts. Aber nun kommts... der Busfahrer besteht darauf das der Kinderwagen nicht rauf darf, mit dem Auto darf ich nicht raus, das Wetter war auch nicht so und 4 km zu Fuss waren mir doch ein bisschen zuviel.
Der Bussfahrer hatte einen schlechten Tag, mir war es mit umweltfreundlichen Stimmung auch passé als ich samst Kinderwagen eingestiegen bis und dem Bussfahrer erklärt habe, entweder er wirft mich hinunter oder ich bleibe da.
Das Eis aum Hauptplatz war auch nicht schlecht und die Luftballons gratis.

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nnier, Montag, 7. September 2009, 20:11
Bittewas, so oft!? Hier ist's reziprok, hier gibt's das eher alle 4-5 Jahre einmal. Übrigens bin ich sehr stolz darauf, dass mir der Begriff "reziprok" (den es auch als Substantiv gibt, hier, so: "Reziprok") einfach so eingefallen ist. Der Normalbürger nennt es auch gerne den Kehrwert. Beim Bruchrechnen, gell, Zähler mal Zähler und Nenner mal Nenner, so multipliziert man zwei Brüche, gell, und beim Teilen, nun, da multipliziert man eben mit dem Kehrwert. Ähm. Ja. Das Fleisch ist auch wirklich teuer geworden. Und, wie ist bei euch so das Wetter? Ach, was ich sagen wollte. Autofreier Sonntag. Das geht ja zurück auf die erste Ölkrise, Anfang der 70er, Helmut Schmidt war schon Kanzler, der hatte ja mehr so die Krisenthemen am Arsch, ey so voll so: Erst Ölkrise, dann RAF, na vielen Dank auch, andere machen hier großartig Westintegration oder Dings, hier, Aussöhnung mit dem Osten, und nun kommst du mit dem schnöden Tagesgeschäft, vielen "Dank" auch, Weltgeist, aber du kannst es dir nun mal nicht aussuchen. Jedenfalls wollte ich Helmut Schmidt gerade sehr stark in einen Zusammenhang mit dem autofreien Sonntag bringen, als mir direkt Zweifel kamen: Hat der nicht eher für den fernsehfreien Tag plädiert?

(P.S.: Venedig, autofrei, das kommt evtl. doch hin mit den 4-5 mal im Jahr, denke ich gerade so. Wenn nicht noch öfter.)

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venice_wolf, Dienstag, 8. September 2009, 11:10
Veendig ist sogar öfter Autofrei! Mein Beitrag bezog sich, wie jeder wissen wird, auf Mestre

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nnier, Dienstag, 8. September 2009, 15:35
Klar, für die weniger geographisch Orientierten sage ich auch immer ausdrücklich: Venedig bei Mestre, dann klingelt's.

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vert, Montag, 7. September 2009, 19:06
1. ich war auch da und durfte staunen, wie fahrradfahrer mit brutaler gewalt ihre straßenhegemonie gegen fußgänger durchsetzten. interessante soziale verschiebungen.

2. das übliche skateboarddingens mit der üblichen hippen musik: ich habe meinem namen entsprechend an einem bestimmten ort länger zugesehen und habe schmerzerfüllte blicke auf der ramp gesehen:
"jetzt mach doch mal andere musik, das ist ja schrecklich! das sagen alle!

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monnemer, Montag, 7. September 2009, 19:47
Was der einen Region ihre Gelbwurst, ist der anderen ihr Fahrradständer.
Immerhin ist ein erheblicher Zugewinn an zeitlichem Spielraum zu verzeichnen, denn welche Metzgerei hat schon bis um 21:00 geöffnet?
Insofern: Gut erwischt!

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