Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Lernmittelfreiheit
nnier | 19. August 2009 | Topic In echt
Als die Welt noch einfach war, dachte ich: Jawoll, es ist wichtig, dass die Schulbücher nichts kosten. Bildung für alle!

Als Kind war es für mich ganz normal, dass sämtliche Lernmittel selbst bezahlt wurden. Einmal pro Jahr, in den Sommerferien, wurde ordentlich Geld in die Buchhandlungen geschleppt, um den Atlas, das Mathebuch, das Mathe-Arbeitsbuch usw. zu besorgen. Dann wurde darüber gesprochen, wie teuer das alles ist. Und man dachte: Wie rückständig, anderswo bekommen die Kinder ihre Bücher umsonst.

Warum ich daran inzwischen zweifele, hängt mit dem alten Spruch "Was nichts kostet, ist auch nichts wert" zusammen. Wird ein Buch, für das man 25.- EUR bezahlt hat, nicht möglicherweise besser behandelt und auch mehr wertgeschätzt als eines, das man einfach so bekommt? Wird es nicht sorgsam in Folie eingeschlagen und möglichst pfleglich behandelt, damit es nach dem Schuljahr zum halben Preis weiterverkauft werden kann? (So war das üblich.)

Es ist bestimmt nicht bei jedem so, aber man kann schon den Eindruck gewinnen, dass mit dem Allgemeinbesitz oft wesentlich ruppiger umgegangen wird: Ist doch nicht meins ...

Da sind dann keine Eltern, die den Kindern sagen: Pass auf, wir haben dafür soundsoviel bezahlt, behandle es bitte ordentlich! Oder: Wenn du dein Buch so zerfetzt, kaufst du ein neues von deinem Taschengeld.

Es irritiert mich, wenn inzwischen anscheinend nichts mehr etwas kosten darf: Man muss sich einmal anhören, wie wortreich die Lehrerin auf dem Elternabend inzwischen erklärt, dass es ja absolut sinnvoll sei, noch ein Englisch-Arbeitsbuch zu beschaffen, dieses sei leider zum Hineinschreiben und könne deshalb nicht von der Schule ausgegeben werden, aber es sei fürs Lernen wirklich wichtig, nur müsse man das leider selbst bezahlen und das koste ja eine ganz schöne Stange Geld, zehn oder fünfzehn Euro, das sei ja wirklich viel Geld, und gerne biete sie natürlich an, die Summe zunächst auszulegen, und man könne das dann ja in Raten abbezahlen, und es gebe übrigens auch einen Rabatt, wenn man einen ganzen Klassensatz bestelle, aber da müsse ja auch jeder einverstanden sein, und sie wäre ja sooo glücklich wenn sie dieses Arbeitsbuch anschaffen dürfe, ja? [Unsicheres, fragendes Lächeln, dann erleichterte Dankbarkeit, dass niemand protestiert]

Es stimmt etwas mit den Prioritäten nicht, wenn es mürrische Gesichter gibt, sobald einmal im Halbjahr die fünf Euro für die Klassenkasse (für Bastelmaterial usw.) eingesammelt werden, längst nicht jeder zahlt, die Lehrer müssen geradezu werben, bitte, bitte, bezahlen Sie, wir können Sie ja nicht zwingen, und wer das gar nicht kann, für den finden wir auch eine Lösung.

Es ärgert mich, wenn die Schule sich in eine solche Bittstellerposition begibt und mit einer unglaublichen Unterwürfigkeit Eltern umwirbt, die dann doch bitte-bitte nicht den Daumen senken. Nächstes Jahr dann mit Schautanzeinlage, um die Eltern milde zu stimmen? Geben Sie sich doch etwas Mühe, Frau Lehrerin, wenn Ihnen das Englisch-Arbeitsheft so wichtig ist!

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g., Donnerstag, 20. August 2009, 08:29
Ihren Argumenten vermag ich durchaus zuzustimmen. Auch in meiner Schulzeit war es üblich, dass die Bücher selbst gekauft und die Eltern darauf achteten, dass sie pfleglich behandelt wurden. Nur: es waren andere Zeiten, zumindest bei mir in den 60er und 70er Jahren. Es gab nicht so viel Armut, die Gesellschaft war deutlich egalitärer, soll heißen: die Meisten hatten ihr Auskommen und einen bescheidenen Wohlstand mit VW-Käfer und einem Jahresurlaub in Jesolo. Heute ist die Gesellschaft sehr viel gespaltener, die Leute sind sehr viel mehr darauf bedacht, sich von einander abzugrenzen. Zu meiner Zeit wurde einfach zusammengelegt, wenn sich jemand die Bücher nicht leisten konnte und gut war, heute – so meine Wahrnehmung – muss man zumindest mitleidige oder gar abfällige Blicke aushalten. Dazu kommt, dass die Grundfinanzierung öffentlicher Schulen (zumindest in Berlin) in einem Maße heruntergefahren wurde, dass die Lehrer die Kinder nach Geld angehen zum Renovieren der Klassenräume, die Eltern dürfen dann zum Subotnik am Sonnabend kommen. Einem Freund von mir ist das passiert. Da wurde auch nicht höflich gebeten, sondern deutlich gefordert (in der Form einer Bitte) und die Grundschüler um ihr Taschengeld erleichtert.

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nnier, Donnerstag, 20. August 2009, 15:39
Ja, das ist alles nicht so einfach. Schon oft, etwa wenn es um die Frage ging, wie die paar Euro Gehalt für die Frau aus der Schulbibliothek zusammenkommen sollen, oder bei fast beliebigen anderen Themen, kam irgendwann der Vorschlag, ob man denn sammeln solle, das sei ja rechnerisch pro Kind nur ein Euro im Monat. Auch die "freiwillige" Elternmitarbeit sowie die schönen Sachspenden etc. haben alle ihre zwei Seiten: Hier klappt es noch irgendwie, und im nächsten Stadtteil langt es halt aus was auch immer für Gründen nicht für ein fröhliches gemeinsames Streichen, die Farbe bringt niemand "so" mit, keiner kann bei der Arbeit die Einladungen mal nebenbei drucken, einen Basar zur Finanzierung kann man nicht machen, weil die Leute ihr Zeug lieber privat verkaufen und umgekehrt nichts "nur so" kaufen, weil's ja für die Kinder ist ... schwieriges Thema. Ich bin absolut dafür, dass die Schulen personell und räumlich und überhaupt so gut ausgestattet sind, dass diese Elendsverwaltung nicht sein muss, die dann gerne als "kreatives Mitgestalten" verkauft wird.

Allerdings hat das eine Grenze, und ich bin z.B. der Ansicht, dass es niemanden umbringt (und sogar etwas Gutes ist), wenn die Schule ankommt und sagt: Ihre Kinder brauchen dieses Arbeitsbuch, es kostet 15 Euro, bitte besorgen Sie es. Man muss Kindern Schuhe kaufen, man muss Essen kaufen, und man muss eben auch mal ein paar Euro für die grundlegende Schulausstattung hinlegen.

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ein nachbar, Donnerstag, 20. August 2009, 17:34
Nun ist es doch nicht so, dass sich Eltern die Schulausstattung nichts kosten lassen. Und der Schulbeginn scheint ja, was die Feierlichkeiten und Geschenke angeht, Konfirmation und Jugendweihe allmählich abzulösen.
Und richtig, in den bildungsnäher geschichteten Stadtteilen bringen die 15 EUR hier und die 8 EUR da niemanden wirklich um.
Aber trotzdem knirsche ich innerlich immer wieder mit den Zähnen, wenn ich von LehrerInnen um Geld angegangen werde. Genauso, wenn eine Zahnarzthelferin die Praxisgebühr eintreibt. Der Grund ist ja nicht ein pädagogischer ("achte auf die Bücher" / "... deine Gesundheit"), dass könnte man gutheißen oder als sozialdemokratische Bevormundung ablehnen. Nein, für mich zeigt sich hier das (z.T. gewollte) Versagen der Gesellschaft: Bildung wird zur Privatangelegenheit ...

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nnier, Donnerstag, 20. August 2009, 20:03
Ich sehe da eine Grenze nach oben, d.h. es darf nicht sein, dass mehr als X pro Kind und Schuljahr von den Eltern getragen werden muss. Aber nach unten sehe ich auch eine zur Lächerlichkeit. Das berührt dann schon die Frage, was einem Bildung (und meinetwegen Gesundheit) eigentlich persönlich wert sind. Und es mutet manchmal schon seltsam an, wenn man sieht, wofür das Geld sehr reichlich fließt und wofür plötzlich so gar nichts da ist.

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frau braggelmann, Samstag, 22. August 2009, 01:09
4 kinder, eine davon studentin, gut 2 jahrzehnte mit einem schulleiter verheiratet.
ich versuch erst gar nicht hier zu schreiben. es würde ein abendfüllendes referat !
fachkräfte und wissenschaftler wandern ins ausland ab. studium nur noch, wenn mutti ab der geburt für die studiengebühren spart. unterrichtsausfälle usw.....sicherlich sollten wir überlegen, was uns die bildung unserer kinder wert ist.-aber als mein jüngster ( nach nun abgeschlossener lehre) kundtat, er würde gern ein studium dranhängen, habe ich schon überlegt, wie ich das ( auch noch) bezahlen soll.
bildung nur noch für kinder aus reichen familien ?
back to the roots ???? wir entwickeln uns zurück...

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nnier, Samstag, 22. August 2009, 19:42
Genau darum geht es - dagegen muss unbedingt etwas getan werden. Da geht die Schere auf zwischen denen, die das können und denen, die es nicht können. Sie geht (in Deutschland) hingegen nicht beim Kauf eines (eines!) Arbeitsbuchs auf.

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