Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Mittwoch, 5. August 2009
Bein Konsum
nnier | 05. August 2009 | Topic In echt
Wenn einem in einiger Entfernung ein Mann entgegenkommt, der ein Kind trägt, und es nicht so richtig gut aussieht, wie der das Kind hält, und der Mann ein böses, rotes Gesicht hat, wenn er weit ausschreitet und unverständlich vor sich hinschimpft, bis er plötzlich das Kind hochhebt, es nur noch an den Fußknöcheln hält und mit aller Kraft zu Boden schleudert, dann ist es doch beruhigend, wenn man in diesem Moment erkennt, dass er genau derselbe ist, der einige Tage zuvor bei co op an der Kasse folgende Frage gestellt hat: "Haben Sie hier auch so Kühltruhen?" - "Äh." - "Na, so Kühltruhen, wo man seine Milch reinstellen kann!" - "Ach, die Milch, die finden Sie bei uns da hinten, ja, genau, in der Kühlung!", und wenn man sich erinnert, wie man dann dem Mann hinterherging und beobachtete, wie er zwei Liter Milch sowie eine Portion Hackfleisch aus seiner Umhängetasche nahm und diese ins Kühlregal legte, dass der Mann daraufhin zur Kasse ging und die Verkäuferin anstarrte, die ihr Lachen nicht gänzlich unterdrücken konnte, dass er vielleicht deshalb plötzlich so wütend wurde, jedenfalls schreiend hinaus- und ohne Rücksicht über die befahrene Straße rannte, wo ihm allerlei Dinge in kleinen Plastiktüten aus den Jackentaschen fielen, Autos hupten und bremsten, der Mann noch einmal kehrtmachte, seine Sachen einsammelte und dann endgültig wegrannte.

co op, der Laden mit dem faszinierenden Logo, denn es funktionierte in zweierlei Leserichtungen, war ein Laden mit einer für heutige Verhältnisse geradezu unglaublich kleinen Grundfläche (und dennoch Vollsortimenter!), wurde von großen Teilen der Bevölkerung Der Konsum genannt, mit Betonung auf der ersten Silbe. Es gab die Dinge des täglichen Bedarfs, Obst und Gemüse, Konserven, Getränke, Putzmittel, einen schmierigen Inhaber sowie eine Fleisch- und Wurstabteilung. Hier wurde man von einer Frau bedient, offenbar gab es auf so kleinem Raum also tatsächlich auch noch eine Angestellte, die auf eine penetrante und vor allem stereotype Art und Weise nach dem Abwiegen und Verpacken jeder Bestellposition fragte, ob man "SONST NOCH EINEN WUNSCH" habe:
- Hundert Gramm Salami
- SONST NOCH EINEN WUNSCH?
- Und hundert Gramm Mortadella
- SONST NOCH EINEN WUNSCH?
- Hundert Gramm Kalbsleberwurst
- SONST NOCH EINEN WUNSCH?
In Kombination mit der Margarinefrisur, dem fleckigen weißen Kittel und der penetranten Keifstimme half auch das zuckersüße Lächeln, welches sie Kindern gegenüber anknipste, nicht gegen den Grusel, der sich schon auf dem Hinweg zum Laden untergründig einstellte, beim Betreten desselben manifestierte und auf dem Weg zum Fleischtresen noch steigerte, bis einem das gefürchtete "BITTESCHÖN?" entgegenschallte, man musste das auch erst mal innerlich verarbeiten, auch als Kind möchte man ja die Contenance wahren und nicht plötzlich losschreien ("Nur einen einzigen. DARF ES SONST NOCH ETWAS SEIN! WAS DARF ICH IHNEN NOCH ANBIETEN! AUSSERDEM! HABEN SIE NOCH WEITERE WÜNSCHE! ABER NIE WIEDER 'SONST NOCH EINEN WUNSCH'", Krankenwagen, schreiend ab), und dass der Inhaber an der Kasse mit seiner Margarinefrisur und dem fleckigen, weißen Kittel einem auf öligste Weise nach dem Bezahlen stets noch einen "wunderschönen Tag" wünschte, stellte endgültig sicher, dass man den dann garantiert nicht hatte.

Die Tage der Wurstfrau waren gezählt, irgendwann war sie samt Fleischtresen verschwunden, in der Nähe eröffnete Plus, und bevor der Laden wenige Jahre darauf dichtmachte, wurde man an der Kasse immer seltener vom öligen Inhaber, sondern meist von wechselnden "jungen Dingern" bedient. Eine davon war es, die sich an jenem Tag das Lachen ebenso verbeißen musste wie mein Freund und ich. Wir zahlten, überquerten die Straße genau dort, wo der Mann seine Sachen verloren hatte, fanden noch eine seiner kleinen Tüten und nahmen diese an uns. Sie enthielt etwa zehn goldglänzende Patronen. Dann kauften wir beim Kiosk Fußballbilder.

Ach, das Kind, das war übrigens eine lebensgroße Plastikpuppe, puh.

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