Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Dese Boots
nnier | 04. April 2009 | Topic In echt
Letzten Donnerstag, so höre ich, seien die Dächer noch weiß gewesen. Ja, ich erinnere mich dunkel. Aber gestern konnte ich die Balkontür öffnen. Draußen war der Frühling.



Bald, müssen Sie wissen, verschwinde ich wieder im dunklen Tann. Ich will nun doch mal sehen, was das Hotel so macht! Der Mann hat gesagt, fünf Riesen bar vorab, er hat da jemanden an der Hand, er ruft mich dann auf jeden Fall an, aber die haben da natürlich auch Funklöcher im Harz, und die sind ja auch total beschäftigt mit den ganzen Arbeiten, alleine schon das Dach und die Fenster, und da werde ich dann einfach mal vorbeischauen und ihnen ein paar Ostereier vorbeibringen.

Ich bereite mich auf eine solche Reise natürlich vor. Gutes Schuhwerk etwa ist im Harz unbedingt vonnöten! Was leider nicht jeder Flachländer beherzigt. Und dann siehst du sie mit ihren Sandalen am Brocken scheitern - Pech gehabt! Dumm gelaufen! Nein, ich kann leider nicht helfen! Aber nehmen sie doch die Rolltreppe! Ha! Ha! Ha! Oder soll ich dem Abdecker bescheid sagen! Ha! Ha! Ha! Also, ich muss weiter! Ich trinke dann im Gipfelrestaurant einen auf Sie!

Ich hingegen besitze ein Paar grobprofilige Wanderschuhe, die ich einst auf der Britischen Insel erstand. Und zwar kurz nach den Doc Martens (eine Erfindung des deutschen Dr. Klaus Maertens, wie ja jeder weiß), die dort vergleichsweise günstig, allerdings nur in ganzen Größen abgestuft feilgeboten wurden, weshalb ich eine fatale Fehlentscheidung traf und mich für das kleinere der beiden infragekommenden Paare entschied. Was noch kein Drama gewesen wäre - für den gepflegten Nachmittagsspaziergang in britischen Industriestädten hätt's allemal gelangt. Gleich am nächsten Tag hingegen eine ehrgeizige Wanderung darin anzutreten - das war die nächste Fehlentscheidung, und noch heute überkommt mich in jedem Schuhgeschäft beim Anprobieren allzu enganliegender Fußbekleidung die schaurige Erinnerung an das rohe Fleisch meiner wundgescheuerten Fersen.



Irgendwann, leider war es längst zu spät, stapfte ich schließlich in blutigen Socken durch die spätwinterlich-hügelige Landschaft, die schwarzen Docs an den zusammengebundenen Schnürsenkeln um den Hals baumelnd, ach, es war ein Elend. Welches aber wiederum zu einer meiner besten Kaufentscheidungen führte (denn es war nicht ratsam, auf die Dauer sockfuß durch England zu laufen, die ließen mich ja schon meiner Hosen wegen nicht ins Restaurant: "Sorry, no ripped jeans here!" - ja, auch ich war einmal jung. Sorry my ass, sucker.)

Was also lag näher, als ein Paar exzellenter und garantiert nicht zu kleiner Wanderschuhe zu erstehen? Man kann bis zu drei Paar Socken übereinander anziehen, findet trotz der zusätzlichen Notbandagierung (extrasaugfähige Papiertaschentücher) immer genug Platz und kann die exzellente Schnürung dennoch so stramm anziehen, dass der Fuß bequem und stabil darin geborgen ist. So gewappnet bezwingt man Mittelgebirge mit einem Lächeln.

Weit über eine Dekade liegt der Erwerb jener treuen Wanderstiefel nun zurück, und ich lasse ihnen, das ist nur recht und billig, regelmäßige Pflege angedeihen. Denn auch wenn Monate oder Jahre zwischen den jeweiligen Einsätzen liegen, wollen die braven Gesellen unterdessen nicht gänzlich ignoriert werden. So genügsam ihr Erscheinungsbild, so anspruchslos ihr gesamtes Wesen - man vergesse nie, was man ihnen zu verdanken hat und künftig noch verdanken wird (denn, dessen bin ich sicher, auch weitere Jahrzehnte werden sie mir treulich dienen), und fette sie also gelegentlich ein. Allzu schmerzlich wäre doch der Anblick brüchig gewordenen Leders oder ausgefranster Nähte. Und wie schmiegsam die Laschen! Wie glänzend das robuste Leder! Der ganze Schuh erblüht aufs Neue und sieht aus wie das rotwangig-glänzende Kind auf der Zwiebackpackung.



Frühling ist's! Und was ist da schon ein Stündchen bei geöffneter Balkontür, dieses opfert man doch gerne und putzt endlich mal Schuhe, war ja höchste Zeit, mach die anderen doch auch gleich.

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jean stubenzweig, Samstag, 4. April 2009, 15:06
Anfänglich ihres Essais hatte ich schon die Befürchtung, Sie seien ein (heimlicher) Wandergeselle, so über Stock und Stein und als guter Deutscher den Wald und selbstverständlich auch den Harz liebend und am Ende gar vielleicht mit Skistöcken an der Seite. Aber dann ging's ja nochmal gut, halten Sie doch lediglich das gute Alte in Ehren.

Ich hab übrigens auch solche Schuhe, nicht so chique, also priemfarbene, wie die Ihren, aber ebenfalls fürs Feste erstanden, jedoch ebenfalls untauglich, da nach ein paar Metern bereits schmerzend. Ich kann Ihr Leid also nachvollziehen. Und muß deshalb auch nicht wandern. Wie Sie.

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nnier, Samstag, 4. April 2009, 21:16
Das Wahahahahahahandern
Das Wahahahahahahandern
Das Wandern
Das Wandern
Das Wa - han - dern!
Dass ich den Harz seit einigen Jahren wiederentdecke, habe ich hier ja schon zu Protokoll gegeben. Ich werde weiter berichten, fahre diesmal übrigens in ein mir noch unbekanntes Gebiet - oh! Die hartgekochten Eier sind fertig und ich muss meine Kniebundhosen noch ausbürsten. Fallera! Bleiben Sie munter!

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venice_wolf, Montag, 6. April 2009, 14:33
Wandern ist auch des Venezianer's Lust!
Da bleibt das schnelle laute Auto auf einmal zurück, der Wald, die Ferne und die Landschaft bleiben stehen, der Berg oder das Feld erhält seine volle Grösse zurück, ein Kilometer dauert wieder je nach Steigung 12-15 oder 20 Minuten und nicht 30 Sek die jeder beim Autofahren bald kennt, und davon im Sinne getäuscht wird. Man glaubt fast, es ginge nicht langsamer, bis man sich da Schritt um Schritt um den Planeten bewegt.
Beim Schuhwerk habe ich folgende Strategie entwickelt:
Winterlich auf 100% professional gesetzt, da soll man sich bei Minusgrade im Tiefschnee nicht verlassen fühlen, Sommerlich 100% auf jedes Billigprodukt das bequem ist, da meine Ziele normalerweise auch mit Turnschuhen zu bewältigen sind. Image ist dabei wieder Nebensache, kurze Hose und ewiges abgewetztes grünes Polo Pflicht. Wanderstöcke vom Aldi als einziges Trendgerät, der Rückgrat bedankt sich (und der Johannes am Buckel ist munter und zufrieden).
Ich kann immer lachen, wann ich tiptop gestylte Wanderer vom Auto zum Gasthaus spazierengehen sehe.

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venice_wolf, Montag, 6. April 2009, 14:54
Hotel war auch eine tolle Story... wer weis, vielleicht wird's mal was?

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nnier, Freitag, 10. April 2009, 12:42
"Vom Auto zum Gasthaus" - voilà! Es ist ja sowieso interessant, wie sehr die Klamotten-/Ausrüstungsfrage alles überwiegt. Auch beim Joggen / "Walken" usw ...

Hotel: Ich komme irgendwann darauf zurück!

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mark793, Montag, 6. April 2009, 16:04
Ah, die Geruchsorgel spielt auf drei Manualen gleichzeitig, wenn ich diese Bilder sehe: Leder, Schuhcreme, eventuell noch eine Note Imprägnierspray.

Ich will jetzt auch gar nicht wieder das alte Fass aufmachen "Bundspecht gegen Zivi", wenn ich sage: Die Frage nach festem Schuhwerk hat das Vaterland seinerzeit für mich beantwortet. Meine zwei Paar Bundeswehr-Stiefel sind nach über 25 Jahren immer noch fit wie ein Turnschuh, und nie im Leben wäre ich zwischenzeitlich auf die Idee gekommen, mir Doc Martens-Treter (von denen ich eh keine hohe Meinung habe) oder Wanderschuhe anzuschaffen. Aber soo der Wandersbursch oder gar Klettermaxe bin ich eh nicht, sonst wäre ich vielleicht doch da und dort versucht gewesen, mir etwas leichteres Schuhwerk zu gönnen.

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nnier, Freitag, 10. April 2009, 12:38
Durfte man die Knobelbecher behalten? Ich weiß wohl, auch als Ungedienter, dass manche Ausrüstungsgegenstände der Bundeswehr brauchbar sind. Obwohl man zwischendurch auch so etwas lesen konnte. Das Kochgeschirr zum Beispiel benutzen offenbar auch friedliebende Pfadfinder ganz gern. Und ein(?) EPA habe ich auch mal vertilgt.

Die Docs, das waren meine ersten und letzten. Ich weiß gar nicht, was mich dazu bewegt hat, die zu kaufen. Vermutlich war es mal wieder der niedrige Preis. Das gewöhne ich mir übrigens mein Leben lang ab, inzwischen bin ich halbwegs drüber weg, während man mir früher nur das "50%"-Schild vor die Nase halten musste, um höhere Hirnfunktionen abzuschalten.

Ich bin hier noch am Auspacken, melde mich also noch mal ab, aber ich kann vermelden, dass meine Engländer mich auch diesmal zuverlässig durch karstiges Gestein, tiefe Höhlen und über hohe Berge begleitet haben. Wenn ich nicht gerade barfuß im Schnee. Aber das erzähle ich vielleicht später.

(Ja, die Geruchsorgel. Man bekommt die dezente Note Schuhcreme auch mit Seife kaum von den Fingern.)

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