Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Nach kurzer schwerer Krankheit
nnier | 22. Februar 2013 | Topic In echt
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir uns kennenlernten, da standen wir beide auf dem Schulhof herum, etwas abseits des Getümmels, die Hände in den Taschen und mit Gesichtern, die gelangweilt wirken wollten. Er hatte immer diese Jeansjacke an; dennoch sah er mindestens so verängstigt aus wie ich. Er sprach mich an, dann unterhielten wir uns, saßen bald nebeneinander, waren fast unzertrennlich, ein paar Jahre.

Es gibt diese Beziehungsabbrüche mit dem großen Knall, der großen Enttäuschung, man spannt sich die Freundin aus oder nervt sich im Urlaub so schlimm an, dass es nie wieder wird wie vorher. Manchmal passiert es auch einfach so.

Wir waren ziemlich unterschiedlich, schon von den Elternhäusern her, und ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemals der eine beim anderen übernachtet hätte; doch hatte die Freundschaft zeitweilig etwas fast Exklusives an sich, wir nannten es "Club", wenn wir uns jeden Nachmittag trafen, und dieser Club bestand nur aus uns beiden.

Später begeisterten wir uns für Timm Thaler und gründeten einen Tommi Ohrner Club, Mitglieder: 2, inserierten dann irgendwas in der Bravo und bekamen haufenweise Zeitschriftenausschnitte zugeschickt, immer die gleichen mit dem strahlenden Tommi Ohrner. Begeistert wurden wir gefragt, wie man in unserem Club Mitglied werden könne. Das hatten wir uns gar nicht überlegt, fühlten uns verpflichtet, gerieten langsam in Stress, entwarfen einen Clubausweis und verfielfältigten ihn mit diesem lila Matritzending. Aber das Porto fürs massenhafte Versenden überforderte uns schon bald. Jahrelang gemahnte eine hölzerne Kiste voller Tommi-Ohrner-Artikel mit Vorhängeschloss in meinem Zimmer mich an all die wartenden, enttäuschten Tommi-Ohrner-Fans da draußen. (Damit ich es nie vergessen sollte, wurde bis vor wenigen Jahren automatisierte Werbung für "Herrn Tommi Club Ohrner" an meine Heimatadresse geschickt.)

"Was ist denn in der Kiste da", fragten mich später andere Freunde, "Weiß ich nicht", log ich zur Antwort, und dass ich den Schlüssel verloren hätte. Da war ich schon an der anderen Schule, das war diese besondere Schule, um die es einen Kulturkampf gegeben hatte, der Riss ging quer durch die Stadt und meine Lehrerin hatte mich ausdrücklich davor gewarnt, dorthinzugehen. Ich war begeistert von dem Gebäude; er ging vermutlich nur meinetwegen mit. Denn das passte eigentlich nicht, und all das Lehrergeduze und strukturlose Rumrennen überforderte ihn noch mehr als mich, so habe ich mir das immer erklärt. Ich war heiser und völlig k.o., wenn ich nach Hause kam; ihn ärgerten sie, er regte sich oft furchtbar auf, wurde krank, und wir verabredeten uns kaum noch, fuhren nachmittags ziemlich erledigt zusammen mit dem Bus zurück, dann ging jeder nach Hause.

Es können nur ein paar Wochen gewesen sein, und in meiner Erinnerung wird es unscharf. Die neuen Eindrücke waren massiv, alles war völlig anders als gewohnt, 30 laute Schüler in der Klasse, das große Gebäude, Gruppendynamik, Stuhlkreise, da kamen die ersten Ferien gerade recht. Es waren die Herbstferien und er rief mich an, ob wir uns mal treffen könnten, am besten gleich, und bitte bei ihm. OK, sagte ich, worum geht's denn, ach, das ist nicht so gut am Telefon, meinte er, und ich ging mit einem komischen Gefühl los. Ein paar Wochen vorher noch wäre es völlig normal gewesen, diesmal lief ich ganz angespannt hin und die Treppen hoch.

Die Situation war sehr schwierig für mich. Man hieß mich herzlich willkommen und pries unsere lange Freundschaft, es gab Kuchen, wir saßen am Tisch und ich spürte, dass die was wollten. Sie sagten, die neue Schule sei zu anstrengend für ihn und dass man da gar nichts lerne, er wolle gerne zu einer anderen Schule gehen, und wir seien doch so gut befreundet, und wir hätten dann auch wieder mehr Zeit nachmittags, und ich hörte es mir an und es zerriss mich halb, doch ich blieb dabei, ich sagte immer wieder, dass ich weiter zu dieser Schule gehen wolle, dass ich nicht wechseln wolle, da redeten sie auf mich ein und beschworen mich, dass ich es mir doch überlegen solle. Mit schlechtem Gewissen ging ich nach Hause und wusste, dass ich dabeibleiben würde.

Wir haben uns danach genau einmal wiedergesehen, beide mit den Müttern in der Stadt, trafen wir uns zufällig, sahen zu Boden und scharrten mit den Füßen, während man sich weiter oben erzählte, wie groß die Jungen geworden seien.

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kid37, Freitag, 22. Februar 2013, 16:47
Ich habe das früher lange nicht verstanden, was das heißt, ein "Lebensabschnitt". Abschnitt, wieso Abschnitt, es ist doch alles ein Fluß, eine Entwicklung, keine abrupten Wechsel, eher ein Mäandern. Und Ende erst dann, wenn Ende ist.

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