Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Take this, brother, may it serve you well
nnier | 15. September 2011 | Topic Musiq


Es gibt ja Ignoranten, die nicht mal das Lied Good Night kennen. So sprach einst jemand, als es aus meinen Lautsprechern erscholl, zu mir: Was ist das denn?, und als ich sagte: Na - das letzte Lied vom umgangssprachlich so genannten Weißen Album, das ja in Wahrheit den schlichten Titel The Beatles trägt und das einzige originäre Doppelalbum der Gruppe ist, dessen äußerliche Schlichtheit und Eleganz ja auch mit dem musikalischen Inhalt korrespondieren, ein grafischer (und eben auch musikalischer) Richtungswechsel nach den überbordend bunt-psychedelischen Jahren mit Leutnant Pfeffer, Walrössern und Erdbeerfeldern, man achte in dem Zusammenhang bloß mal auf die Vielzahl der schlichten Gitarrensongs auf dem Weißen Album - oder könne man sich Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band und Magical Mystery Tour mit WEISSEN Hüllen überhaupt nur vorstellen, und das hier diskutierte Doppelalbum dafür in Regenbogenfarben? Wie absurd! Tatsächlich hat übrigens John und nicht, wie man vermuten könnte, Paul dieses sentimentale Liedchen für Ringo geschr - He, warte!, rief ich, er aber rannte und schrie: JEDENFALLS SCHALTE ICH BEI DIESER NERVIGEN KLANGCOLLAGE IMMER AUS, DAS HÄLT JA KEIN MENSCH AUS, NUMBER NINE! NUMBER NINE! NUMBER NINE! Und jetzt lass mich in Ruhe!

Mich hat das tatsächlich erstaunt, denn immer wieder pfeife ich das von vielen so vehement abgelehnte vorletzte Stück vor mich hin, neulich erst wieder, und während man z.B. Zwetschgenkuchen backt, kann man der ihm, dem Lied, innewohnenden Dramaturgie aufs Beste folgen. Es sind ja mitnichten "einfach so" aneinandergereihte Klangfetzen, die auch, Moment, was würden die Leute sagen, genau: Ein Affe am Senderwahlknopf des Radios zustandebringen könnte. Es gibt Spannungsbögen, Höhepunkte und Auflösungen, und auch wenn man Lennon deswegen nicht gleich wieder in einen Geniestatus erheben muss und er ganz bestimmt nicht der erste Mensch war, der mit Bandschleifen experimentiert und Klangcollagen gebastelt hat (möglicherweise war er ja nicht mal der erste Beatle, der das getan hat - behauptet Paul McCartney, ich weiß bloß grad nicht, wer das seiner Ansicht nach stattdessen war), so kann man doch nicht leugnen, dass das Stück eine ausgefeilte innere Struktur hat, die eben nicht jeder zustandebringen würde, der mal ein bisschen im Studio herumspielen darf.



A propos Affe, ich habe ja kürzlich ein bisschen in der Küche herumgespielt und einen Teig ohne Rezept komponiert, der überraschend gut gelungen ist. "Voll lecker" sei der Kuchen, wurde mir von mehreren jungen Mädchen zugetragen, und der sei gar nicht zu dick, der Teig, und das seien gar nicht zu wenige Zwetschgen obendrauf, und ich murmelte etwas von American Zwetschgenkuchen (eine plumpe Pizza-Analogie, aber das können die noch nicht verstehen.) Der Nachteil an gelungenen Teigen ohne Rezept ist, dass man ihre Herstellung nicht so einfach wiederholen kann, und so beschloss ich, ein einfaches Rezept herauszusuchen und auszuprobieren, statt nach dem einmaligen Ausflug ins Experimentelle gleich wieder zum geliebten dünnen Mürbeteig zurückzukehren.

Die Zutaten:

250 g Butter
250 g Zucker
250 g Mehl
250 g Haferflocken
Vanillinzucker
Backpulver


Die Haferflocken überraschen natürlich, ich habe dann mangels Spezifikation einen Teil ganze und einen Teil blütenzarte genommen, außerdem nur mal so zum Spaß die Hälfte der Butter durch Margarine ersetzt, alles zu einem weichen Teig zusammengerührt und diesen als Klumpen aufs Backpapier befördert, wo ich ihn mit einem Teigschaber verstrichen und mit ordentlich aufgereihten Zwetschgen belegt habe.



In diesen Zeiten des Mangels musste ich allerdings bald feststellen, dass ich viel zu wenige dieser prächtigen Früchte zur Verfügung hatte, ein ungewohnter Zustand, denn normalerweise stehen die Dinger bei mir senkrecht und dichtgedrängt auf dünnem Teig, nun musste ich umgekehrt eine riesige Menge Teig mit zu wenigen Zwetschgen irgendwie abdecken, ich lichtete hier und dünnte dort aus, legte sie nahezu flach nebeneinander - und doch musste ich am Ende zu einer Alternative greifen, die zwar der Zwetschge in Form und Farbe nur entfernt ähnelt, dafür aber wesentlich mehr Kalzium enthält.



Das Ergebnis lässt sich essen und so ein Stück macht, laut mehrstimmiger Mädchenaussage, richtig satt.

A propos Stück: Inzwischen haben also auch Sie den vorletzten Titel vom Weißen Album angehört? Und wollen mehr darüber lesen?



Dann empfehle ich wie immer Herrn Pollack. Good Night!

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einemaria, Freitag, 16. September 2011, 01:21
senkrecht und dichtgedränt. Ihr Bild deutet das auch an. Sehr schön. Aber der Teig ist dennoch ein wenig zu dick geraten ;) finde ich. Und Haferflocken?
De gustibus non est diputandum, dennoch glaube ich bei Ihnen auf offene Ohren zu stoßen, da Sie der süddeutschen Küche scheinbar sehr nahe stehen. Bei Apfelstrudel gilt ja ähnliches mit der Zusatzproblematik, daß beim Einrollen nicht die Äpfel durch den Teig kommen.
Vielen Dank für das viele Wasser, das mir bei Ihrer Seite oft in den Backentaschen entsteht ... und so schön fotografiert.

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nnier, Freitag, 16. September 2011, 11:06
"Der gumpt!", hätte mein Freund K. gesagt. Das war unter uns Fressern das größte Kompliment, das man einem Essen machen konnte, denn wir hatten einen hohen Grundumsatz und unsere Nahrung konnte nicht gehaltvoll genug sein. So erinnere ich mich gern an den Tag, als wir nach dreiwöchiger Urlaubspause wieder die Nordmensa aufsuchten und die Frau an der Kasse uns an unseren Tabletts erkannte, die mit Zusatzbeilagen und mehrfachem Früchtequark überladen waren. "Na, ihr wart aber lange nicht da!!", sprach sie und schaute dann auf. Wir rührten dann geschmolzene Butter in den Bananenquark und taten auch sonst alles dafür, dass das Essen gumpte. Auf die Außenwelt mochte das manchmal seltsam wirken, einmal z.B. hatte meine Oma anlässlich meines Geburtstags eine grandiose Donauwelle fabriziert, es war ein ganzes Blech, und als K. vorbeischaute, schnitt ich ihm einen ordentlich bemessenen Streifen quer übers ganze Blech ab, er langte zu und sprach erfreut: Der gumpt! und ich nehme mal an, dass das positive Gefühl auch irgendwie rübergekommen ist.

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einemaria, Freitag, 30. September 2011, 23:17
Die Zwetschgenrevanche ;) An Guadn.

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nnier, Samstag, 1. Oktober 2011, 23:49
Man freut sich mit Ihnen. Dagegen ist eine schnöde Dampfnudel wirklich nichts!

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einemaria, Sonntag, 2. Oktober 2011, 19:31
Ja, die Dampfnudel, dieses Armenessen, eine staubtrockene Angelegenheit. Da kann ich verstehen, daß man alles drüberkippt, was man zur Hand hat - meinetwegen auch Vanillesauce.

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jean stubenzweig, Freitag, 16. September 2011, 17:00
Ich wollte (oder sollte) neulich auch Datschi backen. Also pflückte ich sie direkt vom Baum runter, der neben meiner Sommerresidenz steht. Es kam nicht zum Kuchen. Sie landeten roh in mir. Alle. Da braucht's keinen Teig dafür, und sei er noch so mürbe. Es habe wohl daran gelegen, wie mir meine Madame Lucette erläuterte, daß es wilde gewesen seien. Nie wieder kaufe ich auch nur annähernd ausssehende Früchte. Die taugen nämlich bestimmt nur für Zwetschgenkuchen.

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nnier, Freitag, 16. September 2011, 18:24
Das ist immer noch das Allerschönste. Ich liebe diesen Geschmack, wenn er denn da ist - die massive Säure, die vom sonnigen Zucker gerade so weit besiegt wird, dass es einem die Wangen und Eingeweide vor lauter Freude auf die nächste zusammenzieht. Übrigens auch als Kompott die reine Freude.

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jean stubenzweig, Freitag, 16. September 2011, 18:40
Ach herrje, ich werde immer vergeßlicher. Aber dank Ihrer freundlichen Lese- und Kuckhilfe meine ich so langsam tatsächlich zwischen Pflaumen und Zwetschgen unterscheiden zu können. Am Geschmack ohnehin.

Ich jage gleich nochmal den Nachbarn auf den Baum.

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kid37, Sonntag, 18. September 2011, 23:11
Müßte der erste Klangcollagen-Beatle nicht George Harrison gewesen sein? (Alternativ natürlich George Martin.)

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nnier, Montag, 19. September 2011, 10:20
Das weist schon in eine interessante Richtung, gemeint war aber noch ein anderer. (Ich bin ja immer ein wenig hin- und hergerissen, kann ich doch diesen Teil gut verstehen: McCartney galt in der Öffentlichkeit nie als Avantgardist; er galt immer als der süße Beatle, der Balladen wie "And I love her" und "Yesterday" schrieb, ein Image, mit dem er nie sonderlich glücklich war, andererseits kann man bei einigen seiner Einlassungen der letzten Jahre dann doch den Eindruck bekommen, er habe eigentlich alles alleine gemacht - und das betrifft eben zwei, die dazu auch nichts mehr entgegnen können.)

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