Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Dienstag, 8. Dezember 2015
Red Nose Rohdaten
nnier | 08. Dezember 2015 | Topic Gulp
Sie kennen ja die Scherze über weiterverschenkte Rotweinflaschen, die irgendwann wieder bei einem selbst landen. Das Gleichgewicht fließt, manchmal stand ich im Laden und dachte, hmm, der sieht gut aus, kaufte eine Flasche, stellte sie zu den anderen, nahm sie Monate später (oder war es eine andere?) auf eine Party mit, bekam eine zum Geburtstag, stellte sie dazu, brauchte was für die Bratensoße, machte eine auf, trank einen Schluck, fand ihn gut oder nicht, wollte mir merken, vergaß doch wieder, war im Urlaub, probierte herum, fand Gefallen, kam nach Hause, war enttäuscht, und all das wird immer so weitergehen, wenn wir nicht langsam eine empirische Basis schaffen.



Man kann ja nicht ewig Sex haben, da muss was nachkommen, ich seh die doch da alle sitzen mit ihren geplatzten Adern in den seligen Gesichtern, die teilen ein Geheimnis, hinter das ich ("ein Beck's!") bislang nicht gekommen bin. Merlot Shmerlot, geh mir von der Hüfte, ich fange das ganz von vorne an, greife willkürlich in den Vorrat, und zu dokumentatorischen Sssswecken, hicks, gibt's dann immer Fotos und ein paar Daten, auf dass ich mich schpäter noch wieder an an den Schtoff erinnern kann oder paar Daten nachtragen. Weil ... Wenn man keine Ahnung hat, dann weiß man ja nichts. Verschteht ihr, dann kann man ja nur raten, ob Rioja jetzzz eine Sorte ist oder eine Landschaft. In Schpaaaanien, weiss do jeder.

Ist das normal, dass es einfach heißt: Rioja? Der gute Tropfen z.B. heißt Foronda Rioja Reserva 2008, bloß dass ich deswegen ja noch nicht weiß, welche Trauben das sind! Ist das normal? Weiß man das sowieso? Oder ist es nicht so wichtig? Kann ich mir nicht vorstellen. Aber bestimmt werde ich es noch herausbekommen.



Also öffnen wir mal eines dieser Verlegenheitsgeschenke, nichts für ungut, aber hast du doch selbst gesagt! Aufgeschraubt und dran geschnuppert, das riecht schon nach ein wenig Trockenheit und ein paar Waldbeeren, macht durchaus Hoffnung, interessiert Sie das überhaupt?, dieses ewige Weingequassel hat mich schon immer genervt: Ich rieche Brombeere! Im Abgang Thymian und Nelken!, wie diese Esoteriktypen, Ich spüre was! Und immer schön um den eigenen Bauchnabel kreisen!, und der erste Schluck enttäuscht gleich maßlos, ist wirklich nicht persönlich gemeint, aber über Geschmack lässt sich nicht streiten, das erinnert mich an diese eine Medizin, als ich Keuchhusten hatte. Da ist kein Körper, das ist vollkommen zweidimensional, von schnöder Bitterkeit geht's flach in Essigregionen, und kein doppelter Boden ist da und nichts folgt oder kontrapunktiert. Im Sommer geht so etwas vielleicht mit einem Stück Zucker und ein paar Eiswürfeln, aber für hier und jetzt ist das nichts. Was mich zu der Frage führt: Wohin mit all den angefangenen Flaschen?



Pfalz Pfalz Vier Jahreszeiten Blaufränkisch Rotwein halbtrocken von 2012, Deutscher Qualitätswein, 12,5%. Nicht so gut.

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Samstag, 5. Dezember 2015
So a schöner Tag
nnier | 05. Dezember 2015 | Topic Brainphuq
Doch wenn i sig was in da Zeitung steht
Woaß i erst wie guats ma geht




Ist mir unangenehm irgendwie, es gibt ja ganz andere Schicksale. Trotzdem fühle ich mich vom Jahr 2015 ein wenig angeschossen, und das liegt nicht nur daran, dass ich zweimal komplett flach und einmal direkt auf der Schnauze lag.



Ich hatte als Kind eine Schwäche für die Spider Murphy Gang, und einmal im Jahr muss ich das 82er Album Tutti Frutti rausholen, dann juckt es mich schon auf dem Heimweg, dann kann ich das nervöse Synthesizer-Intro kaum erwarten, die Heavy-Gitarre, Du bist so bafegd / Gefühle gut vastegd / Tränen / Hast du nie geweint: Das erste Lied ist gleich das beste, und man findet es nicht mal in diesem bescheuerten Internet.



Das sind ziemlich infantile Texte sonst, Zwoa Zigarettn auf da Schuitoalettn, und es rührt mich geradezu, dass sich damals (Skandal um Rosi!) noch jemand über Showowowow-Peep-Peep aufregen konnte: Jede Stunde möcht ich bei dir sein! Schon wieder werf ich eine Münze rein! Und wenn dich deine Frau nicht liebt / Wie gut, dass es die Rosi gibt!



50 Wohnungen in München oder ein geliehener Wohnwagen, man kann wohl froh sein, wenn man irgendwie durchkommt, und ich bin überhaupt kein großer Weintrinker. Trotzdem überkommt mich einmal im Jahr das Bedürfnis nach einem schweren Rotwein, einem, bei dem du den ersten Schluck noch im Mund hast und es drückt dir gleich das Hirn zu den Ohren raus. Ich kann mir einfach nicht merken, welche Sorten das sind, dann probiert man wieder einen und sagt, danke schön, guter Versuch, ich nehme ihn zum Kochen.

Wie gut, dass es die Rosi gibt, bzw. diesen guten Freund, der einen wenigstens versteht: Du willst etwas, das dir den Mund zusammenzieht, es soll dein Herz zum Schlagen bringen, wir reden hier also nicht von einem leichten Sommerwein oder so einem Mist - pass auf, ich war auf einer Weinprobe und hab mir da diese Kiste gekauft, bring ich dir mal mit.



Die Flasche stand dann ziemlich lange da, und man muss sich manchmal ins Private zurückziehen, rückhaltlos regredieren, den Rolladen herunterlassen: Liebe Liebe / Liebe ist gesund! Liebe Liebe / Liebe ist gesund! Liebe! Liebe! Liebe!



Ein feiner, feister Tropfen ist das, man möchte ihn in seine Venen spritzen, er drückt einem die Augen raus und wölbt die Schädeldecke: Fantastisch, vielen Dank, mein Freund, das hat bafegd gepasst! Und das Jahr ist bald geschaft.

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Dienstag, 24. November 2015
Bodenkontakt
nnier | 24. November 2015 | Topic In echt


Vielleicht lasse ich das so. Gestern hatten wir Blitzeis, erfuhr ich im nachhinein, aber morgens mag ich kein Radio hören, und ich verstehe auch diese Leute nicht, die immer gleich Input brauchen: Was ist so schlimm an ein wenig Stille, man muss doch erst mal wieder mit seiner Geworfenheit klarkommen, dann hört man dem Wasserkocher zu, schlürft seinen Kaffee, räuspert sich, knackt mit den Zehengelenken, murmelt was vor sich hin ("Schoiße, alles") und lauscht dem Heizkörper, all das ist doch mehr als genug, und wozu soll man sich erzählen lassen, dass draußen wieder Verkehr ist oder Wetter. Ich bin mir sogar relativ sicher, dass ich es auch bei laufendem Radio nicht mitbekommen hätte, denn ich riegele von innen hermetisch ab wie gegen den Bohrer beim Zahnarzt, vermutlich haben sie den ganzen Morgen Obacht! gerufen und Fahrt vorsichtig! und der schnellste Verkehrsservice für den ganzen Norden.

Dass man über die Straße schuppert und erst gar nicht akzeptieren will, was gerade passiert, ist das eine, und dass zwei hilfsbereite Frauen einem aufhelfen wollen, einen Moment bitte, ist echt nett von Ihnen, langsam, ich brauch noch ne Minute, haben Sie gewusst, dass das so glatt ist, danke, ich muss noch kurz klarkommen, ich bedanke mich bei Ihnen, nein, wirklich, jetzt geht es, ich bringe dann mal mein Fahrrad nach Hause, vielen Dank, heute wohl besser mit dem Bus, einen schönen Tag Ihnen noch.

Aber dass da eigentlich eine Menge Autos langfahren, und dass die überhaupt nichts machen können, wenn dir das Vorderrad wegrutscht und du über die Straße schlidderst, simple Physik und eine Sache des Zufalls, das erschüttert mehr als die Knochen, und irgendwie passt es in dieses Jahr.

Zerlöcherte Jeans kommen alle paar Jahre wieder in Mode, vielleicht lasse ich das so.

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Sonntag, 22. November 2015
Love, marriage
nnier | 22. November 2015 | Topic Sprak
- Würdest du denn gerne mit deiner Bekannten auf die Insel fahren?
- Ich bin nicht sicher, ob die andere überhaupt einverstanden wäre, die da mitfährt.
- Ich wollte wissen, ob du es willst.
- Ich weiß ja noch gar nicht, wie das Wetter wird.

~

- Schau mal, der Hund da, der hat ganz schön ---
- Ja?
- Der Hund eben, der war echt ziemlich ---
- Ja? Wie war er?
- Na, der Hund da, an dem wir gerade vorbeigegangen sind.

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Sonntag, 15. November 2015
Slice o' "life"
nnier | 15. November 2015 | Topic In echt
OK. The good news: Man kann sich auch im fortgeschrittenen Alter umgewöhnen. Es wohnt nun jemand anderes in ihrem Zimmer, lebt und frühstückt und kocht und spielt mit uns, und das alles ist so schnell gegangen, dass zum Nachdenken oder Traurigsein gar keine Zeit blieb.

Aber dazu gibt es auch keinen Grund: Dem Kind geht es gut da drüben, das spürt man durch alle Nachrichten. Nicht zuviel Kontakt, so dabei meine Devise, sonst fühlt es sich ja gar nicht an wie Wegsein: Ich glaube tatsächlich, dass man durch ständigen Echtzeitkontakt jemanden der wichtigen und lohnenden Erfahrung berauben kann, etwas ganz alleine zu bewältigen. Und gerade das ist es, was Austauschschüler hinterher oft als wertvoll beschreiben: Weg sein, auf sich gestellt sein, dabei schöne wie schwierige Momente erleben, ohne diese immer gleich mit Freunden oder Eltern rückzukoppeln.

Oder möchte man etwa nach einem Jahr zurückkommen und nicht gefragt werden: Wie war es, du musst uns unbedingt alles erzählen? Weil ohnehin schon alle alles wissen? Ich bin so gespannt, wie es dir ergeht, ich bin neugierig und muss viel an dich denken. Und ich will dich in Ruhe lassen. Wenn du mich brauchst, bin ich da.

So viel zur Theorie, und am letzten Wochenende haben wir Skype installiert und mal richtig gequatscht. Das liebe Gesicht, die vertraute Stimme, alles ist gut da drüben und der Papa musste gar nicht weinen.

Unser Gast macht es vollkommen anders, da wird täglich Brasilianischportugiesisch nach Hause telefoniert, und wer bin ich, mich einzumischen: Das täte ich nur dann, wenn es ein Problem wäre. Aber - keine Spur von Integrationsverweigerung, da ist Tanzen und Volleyball und Theater, da sind deutsche Freundinnen und andere Austauschschüler, da ist Essen in der Schulmensa und sind gegenseitige Übernachtungen, und da ist ein sehr schönes Zusammenleben mit den Gasteltern.

Mir hatte im voraus Leid getan, dass keine Gastgeschwister mehr im Hause sind, und als abenteuerlustiger Teenager mit zwei Erwachsenen zusammenzuleben, schien mir eine eher dröge Vorstellung. Jedoch! Es ist ein äußerst angenehmes Miteinander. Weder empfinde ich mich als bloßen B&B-Anbieter (was völlig in Ordnung wäre), noch werde ich mit zu hohen Erwartungen an Entertainment und Rundumbetreuung konfrontiert. Mal reden wir, mal spielen wir, mal kochen wir. Mal reicht ein kurzes "Alles OK?", mal verzieht sie sich in ihr Zimmer, mal ich auf mein Sofa: Mein Tag war lang, ich muss mich ausruhen, wir sehen uns später. Und ganz offensichtlich empfinde nicht nur ich das so, denn ich bekam dieser Tage einen ganz lieben Brief.



Anfang Januar steht der erste Wechsel an, dann zieht sie in die nächste Familie und wir holen einen australischen Neuankömmling vom Flughafen. Der kennt sich dann schon aus und weiß längst alles - denn er ist seit Wochen in Kontakt mit der ehemaligen und der aktuellen Bewohnerin seines zukünftigen Zimmers.

--
So weit bin ich mit dem Text gekommen, dann kamen die Meldungen aus Paris.

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