Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Dienstag, 4. Juni 2013
Brunettifressen mit T. Spargel
nnier | 04. Juni 2013 | Topic In echt
Ich will alles
Ich will alles
Und zwar sofort
(Gitte Haenning)
Ich bin sehr empfänglich für Suggestionen, und wenn ich mir nur vorstelle, kein Essen zu bekommen, bricht mir der Schweiß aus. Mir ist das sehr unangenehm, denn ich halte es für eine der wichtigsten menschlichen Eigenschaften, seine Bedürfnisse kontrollieren und deren Befriedigung aufschieben zu können. Damit befinde ich mich mein Leben lang im Widerspruch zu all den esoterischen Befreiungspredigern, die einem ständig "Hör auf deinen Bauch!" ins Ohr brüllen und regalweise empfehlen, die blöde Rücksicht und all den sozialen Verpflichtungs­scheiß endlich hinter sich zu lassen: Lass dein inneres Kind raus! Fick deine Nachbarin! Und schmeiß gefälligst mehr Essen weg.

Dieses hatte seine Zeit, so wie alles seine Zeit hat: Als verhärmte Kloster­schülerinnen sich die Butter auf dem Brot nicht gönnten, als unglückliche Ehen ums Verrecken weitergeführt werden mussten und so weiter. Solchen Leuten bin ich schon länger nicht mehr begegnet. Aber durchaus solchen, die mit großer Geste stolz verkünden: "Ich achte jetzt nur noch auf mich selber!" und anscheinend erwarten, dass man zu solch tabubrecherischem Gratismut noch gratuliert.

Kotzen könnte ich manchmal. Da wird auf dem Elternabend so getan, als sei es ein Verstoß gegen die Genfer Konventionen, wenn die Kinder bei der Klassenfahrt nachts ihre Smartphones abgeben müssen: Aber die müssen sie doch nachts aufladen! Können Sie dann nicht wenigstens ganz viele Mehrfach­steckdosen mitnehmen und die Handys immer nachts im Lehrer­schlafzimmer aufladen? Als Lehrer würde ich sagen: Handys her und alle raus, Holz sammeln! Wasser vom Brunnen holen! Und zwar nicht die Kinder.

Man muss sich das mal klarmachen: Wenn die früher einen Weinberg oder einen Acker angelegt haben, wenn sie Obstbäume gepflanzt haben, dann hatten sie lange nichts davon als Arbeit und die Hoffnung, dass es Kindern und Enkeln zugutekommt. Wir heulen los, wenn die neueste Staffel einer TV-Serie nicht sofort verfügbar ist. Und alle tun so, als wäre dieses Am-Wochenende-zu-Hause-Sitzen-und-beim-Seriengucken-ein-Glas-Nutella-löffeln der Gipfel mensch­lichen Daseins und keine infantile Regressions­scheiße.

Was wollte ich jetzt eigentlich erzählen: Ach ja! Wenn ich Petzi gelesen habe: PFANNKUCHEN! Wenn ich Asterix gelesen habe: SCHWEINEBRATEN! Und dann diese Essensbeschreibungen bei Andrea Camilleri, das sind Krimis mit einem sizilianischen Commissario Montalbano, die ich eine Zeitlang gerne gelesen habe: ICH WILL ALLES ESSEN UND ZWAR SOFORT! Dauernd diese gefüllten Kühlschränke (Haushälterin!) und Besuche in der Trattoria, das hielt ich kaum aus, da flossen die Enzyme, da bebten die Magenwände, da rannte ich in die Küche und aß und aß und aß. Es ist meine große Schwäche. Selbst wenn ich manchmal gar nicht weiß, was es ist, das die da essen, klingt es doch so appetitanregend, dass ich ganz unruhig werde und nur noch auf meinen Bauch höre.

Kommen wir zu Brunetti: Das war diese betuliche TV-Serie mit Joachim Król in Venedig. Alles lieb und nett und ZDF-harmlos, und Donna Leon veröffentlicht ihre Bestseller angeblich nicht auf Italienisch, damit sie da halbwegs in Ruhe leben kann, aber auch auf Deutsch habe ich mich bislang nicht allzusehr dafür interessiert: Schöne Stadtkulisse, Bilderbuchfamilie, attraktive Sekretärin, selbstverliebter Boss, das schien mir doch zu formelhaft. Wohl kein Schund, dachte ich, aber auch nichts, das ich lesen muss.

Einen ganzen Stapel der deutschen Ausgabe konnte ich neulich erhaschen und schenkte ihn unbesehen weiter. Dann lagen sie auf Englisch herum, und ich nahm ein paar mit: Gut geschrieben, angenehmer Lesestoff, nicht zu viele Klischees (soweit ich das beurteilen kann), das lullt schön in den Schlaf und macht verdammten HUNGER! Verdammt noch mal! Mittags geht's nach Hause, da bringt die akademische Universitätsfrau das Essen selbstver­ständlich mehrgängig auf den Tisch, und Dessert, und Grappa, und Caffè, und abends gleich noch mal. Oder man ist auf Murano und speist mit den Arbeitern die himmlisch einfachen Traditionsgerichte in der Geheimtipp­kantine: AUCH HABEN! Ich bin sowas von suggestibel, ich habe gestern ganz alleine nicht nur mehrgängig gegessen, sondern auch ein Glas Rotwein getrunken, und das tue ich sonst nie.

"Kompakt" nannte neulich jemand meine physische Anmutung, und ich wusste endgültig, dass die Spargeltarzanjahre vorbei sind. Ob Sie das alles wissen wollen? Interessiert mich überhaupt nicht, ich achte jetzt nur noch auf mich selber.

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Sonntag, 2. Juni 2013
Von der eigenen Kaffeetasse verhöhnt.
nnier | 02. Juni 2013 | Topic In echt

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Sonntag, 26. Mai 2013
Ich Rabotnik
nnier | 26. Mai 2013 | Topic Musiq
They wanted to create concept albums about robots and Edgar Allen Poe; they wanted to drain rock music of every last ounce of human vitality and vigor in order to create something of lasting musical value. Unfortunately, they misjudged rock and roll ... the music will forgive any number of sins, but never a lack of passion. [Q]
Ich will gar nicht stören in euren finnischen Clubs, es ist nur, weil ich meinen musikalischen Ruf eh gerade verspiele: Mich hat mal wieder diese Platte im Griff. Ja, es ist Alan Parsons Project, ja, das sind die mit Don't Answer Me und Schmus.



Es war 1979, würde ich sagen, und in der Wohnung unter uns wohnte jemand, der bei Karstadt arbeitete. Er war irgendwann mit seiner Freundin eingezogen, und einmal, sie waren noch beim Renovieren, kamen sie zum Essen, hatten eine Flasche Cointreau dabei, schenkten eine Runde aus und nahmen die Flasche dann wieder mit. Ich habe noch oft daran denken müssen.

Vorher hatte ein anderes Paar in der Wohnung gelebt. Die Frau arbeitete im Großhandel und konnte Schlümpfe um 10% billiger bekommen. Oft saß ich am Fenster und wartete, bis sie nach Hause kam, denn ich gab fleißig Bestellungen auf. Der neue Mieter bekam bei Karstadt Rabatt. Ich sollte aber nicht so oft fragen.

Seine Freundin zog schon bald wieder aus, und kurz darauf tauchte eine andere Frau auf, die auch bei Karstadt arbeitete. Sie war dann immer öfter da. Ungefähr in dieser Zeit zeigte er mir diese Platte. Ich kannte das Project natürlich nicht und sollte erst viel später lernen, dass es sogar eine Verbindung zu den Beatles gab. Die futuristische Plattenhülle drückte bei mir die richtigen Knöpfe, und der Sound haute mich um: Ein Instrumentalstück zu Beginn? Disharmonische Chöre zwischen Discostücken? Er überspielte mir die LP auf eine Cassette.

Zu dieser Zeit las ich ein Jugendbuch, in dem es um Heroin, Obdachlosigkeit und Anschaffen ging. Das war nicht mehr wie bei den Drei ???. Mit diesem Coming-of-Age-Gefühl ist der Klang der Scheibe bei mir für immer verknüpft.

Ich kaufte später, vor bestimmt auch schon wieder 20 Jahren, die CD. Und es passiert etwa einmal im Jahr, woher auch immer der Impuls kommt, dass ich sie ganz plötzlich und umso dringender heraussuchen und anhören muss. So zwei-, dreimal hintereinander, und ich lausche zugleich mit alten und neuen Ohren. Man kann das kalt und überproduziert finden, Hintergrundmusik für Wissenschafts­sendungen am Nachmittag. Mir ist auch ziemlich wurscht, ob die ihrer Zeit studiotechnisch ein paar Jahre voraus waren.

Es gibt so Sachen wie Jean Michel Jarre, die sind zu sehr auf den Sound und auf den Effekt fixiert, die waren mir schon damals zu ingenieurhaft: Seht, wie ich hier am Knöpfchen drehe, dann kommt dieser Ton dabei raus und jetzt dieser andere.

Davon ist auch die hier besprochene Musik nicht frei, und man decke den Mantel des Schweigens über die Schmus- und Schlagerpampe, die erst noch folgen sollte.

Warum I Robot bei mir trotz allem überlebt: Erstens sind ein paar schöne Melodien dabei. Zweitens sorgen die Chöre für Spannung. Drittens: Wohlportionierter Orchesterbombast. Viertens ist das kein Rock'n'Roll. Und ich habe nicht mal Retrofuturismus geschrieben.

Now back to Finland.

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Freitag, 24. Mai 2013
Now & Zen
nnier | 24. Mai 2013 | Topic Brainphuq
Was ich an der Bremer Universität gut finde, ist, dass man für ihren Bau jede Menge Sand verwendet hat. Den Sand hat man ganz in der Nähe ausgebuddelt, dadurch ist ein schöner See entstanden.

Alternative Cut: Die Bremer haben sich mal einen richtig schönen See gegraben, und weil der Sand irgendwo hinmusste, haben sie eine Universität draus gebaut.

Interlude:
Ging ich zur einen - war ich genervt.
(Chor: Daaaa-mals)
Bin ich genervt - geh ich zum anderen.
(Chor: Hooooi-te)
Tra-la!



Eure hässlichen Institute ermöglichen den Wels.

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Sonntag, 19. Mai 2013
DDDer alte Sack geht mal raus
nnier | 19. Mai 2013 | Topic Tanztee
Mr Average hat das Haus gleich zweimal verlassen diese Woche: Oha! Da lagen diese Eintrittskarten, Beginn 20:00h, und 20:05h war er auch schon da: Nichts als gähnende Leere im Foyer. Ob das nicht deprimierend ist für den lesenden Kolumnisten, wenn da keiner kommt, murmelt Herr Normal und muss an Rolf Knie denken: Wie damals die Lokalzeitung Eintrittskarten verschenken wollte an die ersten fünf Anrufer, und wie er es dann erst nachmittags las und trotzdem noch probierte, wie er auch gleich eine bekam und seinem Freund sagte, ruf doch auch noch an, und der dann die nächste bekam, und sie dann noch Freunden und Geschwistern bescheid sagten, und sie am Ende alle fünf Freikarten hatten, und wie der Mann am Einlass flehend bat: Gehen Sie doch bitte ganz nach vorne, und wie sie fast alleine in der Stadthalle waren, und wie das dann aber ein ganz unterhaltsames Programm war!

Der Kolumnist hatte wohl pünktlich begonnen, war bereits am Vorlesen und der große Saal: Brechend voll. Hin- und hergerissen folgte Herr Durchschnitt nun dem Dargebotenen: "Sandte mir eine Leserin" und "Schickte mir ein Herr aus W.", "Fand ich im Internet" und "Berichtete ein Reisender", das könnte ebenso eine glatte Unverschämtheit sein wie die ausgedehnte Wiedergabe von falsch übersetzten Speisekarten im Jahr 2013. Charmant zu schwätzen allerdings, musste Herr Gewöhnlich einräumen, verstand der Mann auf der Bühne dann doch, und die Kunst, aus wenig viel zu machen, sowie die schiere handwerkliche Routine!, ließen ihn nicht unbeeindruckt: Kunst kommt von Können, nech.

Schlafi Schlafi, machte Herr Alltag, und Schaffi Schaffi, und wieder Schlafi, dann brachte er den Müll raus. Muss ja! Und Wäschi Wäschi. Dann wieder: Zahli Zahli. Und Schaffi Schaffi! Am liebsten aber: Schlafi Schlafi. Manchmal: Trinki Trinki. Damit Schlafi Schlafi! Damit wieder Schaffi Schaffi: Muss ja. Der kapitalistische Produktionsprozess reproduziert also durch seinen eigenen Vorgang die Scheidung zwischen Arbeitskraft und Arbeitsbedingungen.

Herr Unauffällig wird trotzdem alt. Kaum drei Tage später, heute hauen wir auf die Pauke, was kost' die Welt: Geht er ins Kino! Mit seinem exzentrischen Musikgeschmack (P. Collins) setzt er sich ohnehin von der Masse ab. Einmal im Bekenntnisfieber aber bricht es aus ihm heraus: Ich war ja mal ein ganz großer Fan von Star Trek! Ja: Man sieht es mir nicht an, das weiß ich wohl, aber den bieder-schnauzbärtigen VW-Arbeiter sehen nur die Oberflächlichen unter euch. Wenn ihr wüsstet! Meinen GTI habe ich tiefergelegt, den Unterboden blau beleuchtet, beim Mittelalter­rollenspiel bin ich immer der Schamane, und im Vulkanierkostüm auf der FedCon gehe ich endgültig aus mir heraus. Ihr wollt noch mehr? Here's to you: Auf der Erotikmesse "Venus" habe ich mich mal mit Gina Wild fotografieren lassen! Eat this, Motherfuckers.

Wahnsinn, Atze! Irre, Kalle! Echt krass, Manni! Was für ein einzigartiger Typ du bist! Lässt dich nicht verbiegen! Immer freakig bleiben! Born to be wild. Punx not dead. Free Willy.

Herr Steuerzahl, eben noch heftig gestikulierend, lässt die Arme hängen und starrt ins Leere. Ist nicht mehr wie früher. Ist nicht mehr dasselbe. Wäre Werder abgestiegen, dann hätte ich gesagt: Hoppla, ist doch glatt Werder abgestiegen. Und das wär's!

Na, sowas, Herr Untertan: Kein Interesse mehr? Und wenn wir Ihnen den neuen Star Trek in 3D zeigen!? Wäre das nichts? Ist das nichts? Kommen Sie: Mit den alten Figuren! Bloß in zeitgemäß!

Mit Stirnfalte sehen wir ihn da sitzen, den Herrn Koofmich, die alberne Brille auf der Nase, im Multiplex, da ist es bunt, da sind Effekte, da ist Action, da gibt es professionelle Ware: Das ist einwandfreie Unterhaltung, da kriegt man was geboten fürs Geld, das ist der athletische Fußball von heute, so einen langsamen Film kannst du heute nicht mehr machen, der hat ja eine halbe Minute, um den Ball anzunehmen! Früher, da brauchten sie einen ganzen Film fürs Sterben und gleich noch einen für die Wiederauferstehung. Heute wird beides in fünf Minuten abgehandelt, und es wird alles immer heller und heißer.

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