Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Donnerstag, 31. März 2011
Bauxit sparen
nnier | 31. März 2011 | Topic Brainphuq
Die älteren unter Ihnen werden sich erinnern, es gab eine Zeit, in der die Schokoladentafeln nicht in eine stabile Folie aus Kunststoff eingeschweißt, sondern in Papier (außen) und eine dünne Alufolie (innen) verpackt waren. Man begegnet solchem meines Wissens heute nur noch im Premiumbereich, und vermutlich haben es die Käufer solch hochwertiger Ware nicht mehr nötig, die Folie glattzustreichen und aufzubewahren.

Höchstens der Concierge, dem eine anständige Bezahlung sicherlich wesentlich lieber gewesen wäre als eine aufgemotzte Berufsbezeichnung, hätte dafür Verwendung gefunden, denn er musste die Automatenmünzen verwalten, die man zum Stückpreis von 15 Cent in Zehnerröllchen bei ihm erwerben konnte, der sitzt da ja rum, der kann das doch machen, und so sah ich ihn immer wieder hinter riesigen Haufen Kaffecoins sitzen, die Silberlinge zu unzähligen Zehnerhäufchen aufschichten und diese dann mühsam in kleine Stückchen Alufolie einrollen.

"Ich hätte gerne 100 Coins", sagte ich dann, und er sah mich erschrocken an: "Hun-dert?", er betonte es jedes Mal so, und jedes Mal fragte er: "Für die ganze Abteilung oder wie?", und dass ich schon mehrfach erklärt hatte, nein, die seien nur für mich, das schien er sich nicht merken zu können. In Listen musste das dann alles eingetragen werden, ausgefüllt und unterschrieben, nicht dass da jemand eineh Schwarzhandel aufzieht und die Dinger für, sagen wir, 10 Cent unter der Hand weitergibt. Und hätte jemand meine oberste Schublade geöffnet, wer weiß, unter welchen Verdacht ich geraten wäre!

Dabei war ich nur ein ehrlicher Konsument, der alle paar Wochen den Concierge aufsuchte, ein wenig plauderte - und sich auf Dauer zu fragen begann, ob man ihm, der tagein, tagaus an seinem Platz sitzen und freundlich gucken musste, nicht wenigstens ab und zu eine Rolle Alufolie zur Verfügung stellen mochte, so abgenutzt sahen die Folienstücke aus, so sparsam verwendete er die mühsam zurechtgezupften und ganz offensichtlich mit den Fingernägeln glattgestrichenen Fetzen.

Wir haben ein stabiles Wachstum, und wir müssen alle wirtschaftlich denken, hier muss sich jeder immer wieder fragen: Was kann ich ganz persönlich zum Erfolg des Unternehmens beitragen, und wenn es für sich betrachtet wie eine Kleinigkeit erscheint - Herr B., z.B., wie wäre es, wenn Sie künftig die Silberfolie aus den Schokoladentafeln von zu Hause mitbringen, Sie sitzen da ja nur, Sie können doch nebenbei diese Folie glattstreichen und mit nur einer einzigen Folie, ich habe das mal ausgemessen, locker sechs bis acht Röllchen Kaffeecoins einwickeln, auch das ist ein Beitrag und zeigt, wie sich jeder mit dem Unternehmen identifiziert, und da Herr B. nicht wagt, die andächtige Stimmung bei der Weihnachtsfeier schon während der Ansprache des Vorstands zu stören, wird das ein trauriger Heiligabend im Hause B., Mama, wieso haben wir denn kein Lametta dieses Jahr, fragt die traurige Kinderstimme, und mit bösem Seitenblick spricht Frau B.: Weil dein Vater die Alufolie jetzt immer mit zur Arbeit nimmt, du armes Kind, Herr B. atmet hörbar aus, sieht zur Zimmerdecke und verspricht, dass bald alles anders werde. Dann steigt er in den Schwarzhandel ein, lose Münzen werden gegen die Parole "Können Sie mir bitte diesen Fünf-Euro-Schein kleinmachen" über den Tresen geschoben, die Wirtschaftsprüfer werden aufmerksam, plötzlich ist Herr B. nicht mehr da, man sagt, er habe sich mit dubiosen Lametta-Termingeschäften versucht und sei zuletzt wieder ins Münzrecycling eingestiegen.

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Mittwoch, 30. März 2011
Wenn's mal wieder länger dauert mit der Halbwertzeit
nnier | 30. März 2011 | Topic Gelesn


Vor einer mündlichen Prüfung im Grundstudium sprach der Professor: Ihr habt einen erhöhten Puls, schwitzt, zittert und seid physiologisch komplett auf Flucht gepolt - ist doch komisch, eigentlich, denn was soll schon passieren? Ist euer Leben bedroht? Eure Gesundheit? Werdet ihr angegriffen? Nein, ihr kommt rein und plaudert ein wenig mit mir.

Komisch, wirklich, so entwickelte sich das Gespräch weiter, dass man über die atomare Bedrohung spricht, sich ernsthaft Sorgen macht, über die Unfallgefahr beim Autofahren, über drohende Kriege und was noch so alles passieren kann, und dabei entspannt am Weinglas nippt. Warum sitzt man dann eigentlich nicht zitternd in der Ecke?

Seltsam finde ich das immer noch. Und auch wenn es wohl zu denjenigen Schizophrenien zählt, die man braucht, um weiterleben zu können, dieses Wissen, welche furchtbaren Dinge in jedem Moment geschehen, während uns der Nachbar mit seinem Rasenmäher ganz doll nervt - ab und zu erwischt es mich doch, dann muss ich mir vorstellen, wie das wohl ist, bei winterlichen Temperaturen in einer zerstörten Umgebung festzusitzen und verstrahlt zu werden, während anderswo die Menschen langsam ungeduldig werden, die dachten ja, das wäre bald abgehakt - und nun fragen sie, ob das etwa noch monatelang so weitergehen soll.

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Montag, 28. März 2011
Fundamentalist
nnier | 28. März 2011 | Topic In echt


Wegen so etwas brauche ich endlich ein Fundament. Und weil die Schlüssel sonst so abgenutzt werden.

Tag für Tag, sommers wie winters, sieht man mich mit unter den Arm geklemmtem Plastikwäschekorb das Haus verlassen, mal ist es ein dunkelblauer, mal ein weißer, mal ein kleinerer und mal ein größerer, in jedem Fall aber ein gut gefüllter. Die Menschen lächeln, ich grüße freundlich, steige die kurze Treppe von der Haustür hinab, dann fummele ich mit einer Hand den Schlüsselbund aus der Hosentasche, drehe mich um und wende mich der Treppe zum Kellereingang zu, welchen ich nach wenigen Stufen erreiche und den ich dann nur noch aufschließen muss, und zwar blind, da der Eingang recht schmal ist und mir der Korb die Sicht versperrt.

Wenig später sieht man mich mit einem anderen, frisch befüllten Korb den umgekehrten Weg gehen, also raus aus der Kellertür, diese irgendwie zuziehen, Treppe hoch, umdrehen, Schlüssel aus Hosentasche fummeln, nächste Treppe hoch, Haustür blind aufschließen, Korb abstellen, Treppe runter, verlorene Wäschestücke einsammeln, Treppe hoch, Tür zu. All dies findet auf offener Straße statt, seit Tag 1, denn es gibt im Haus keinen Zugang zum Keller, der Vorbesitzer hat das mal umgebaut.

Es wäre doch wirklich toll, denkt man, wenn man auf der Rückseite des Hauses vom Balkon einfach so in den Garten und von dort aus in den Keller gehen könnte mit seiner Wäsche. Eine Treppe müsste da eigentlich hin, unbedingt!

Gut, andere Menschen sind der Meinung, dass es ohnehin ganz schön wäre, wenn man in den Garten gehen könnte, ohne erst durch den Keller zu müssen (und zwar vornerum, raus aus der Haustür, rein in die Kellertür) - die wollen da dann z.B. "im Sommer mal frühstücken" etc., da habe ich dann natürlich auch nichts gegen.

Weil die Dinge aber gut überlegt sein wollen, nutzte ich jahrein, jahraus meine Schlüssel ab, die Ideen kamen und gingen, und eigentlich müsste man zuerst, und vielleicht muss man aber davor, und vielleicht ist es besser, wenn - bis dann ungeduldigere Menschen mal wieder Fakten schaffen und beschließen: Das wird jetzt eine pragmatische und günstige Lösung, nichts Geschweißtes, nichts für die Ewigkeit, aber ich will endlich eine Treppe haben, und es ist mir egal, ob "man vielleicht lieber zuerst noch mal wegen des Balkongeländers jemanden fragt", solche Menschen kommen dann plötzlich an mit zwei Holzbalken als Treppenwangen, einer Anzahl Metallstufen sowie ein paar Befestigungswinkeln. Dann geht es Schlag auf Schlag: Kaum sind Herbst und Winter vergangen, fangen sie an, ein rechteckiges Loch zu buddeln, so, da müsse jetzt nämlich ein Fundament hin, und man müsse jetzt (Samstagabend) noch eben mit zum Baumarkt fahren, welchen man, ehe man sich's recht versieht, mit so vielen Säcken Split, Sand und Betonmischung wieder verlässt, dass man sich im Auto lieber ganz, ganz leicht macht.









Gut, man hätte noch mal fragen können, ob die Breite des rechteckigen Lochs denn auch rational hergeleitet oder mehr so intuitiv gewählt wurde, aber an und für sich ist das ein ganz schönes Fundament geworden. Und mit etwas Glück lassen sich die beiden Befestigungswinkel für die Treppenwangen ganz außen gerade noch so festdübeln, ohne die Ränder wegzusprengen. Wenn die Treppe überhaupt dahin kann, wo das Fundament ist - ich muss da nämlich erst noch jemanden fragen, wegen des Balkongeländers.

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Donnerstag, 24. März 2011
Inseln
nnier | 24. März 2011 | Topic Musiq
Es ist nun nicht jeden Tag so, dass ich vollauf zufrieden damit bin, Zierfischcontainer durch die Gegend zu fahren, das Wort Underachiever klopft da gelegentlich zart ans Bewusstsein, auch diese Sehnsucht nach der einsamen Insel will nicht vergehen, und wenn sie sich auf einem ganz bestimmten Berg befände. Auf der positiven Seite allerdings ist zu vermerken: Es reicht zum Weiterexistieren und die Magengeschwüre haben ihr Wachstum eingestellt. An manchen Tagen kommt dann noch unerwartet Schönes hinzu, so z.B. in Form eines grandiosen Hörerlebnisses.

Radio Weser.TV nennt sich der Sender, der mir so manchen Tag bereichert, und damit sind die gelegentlich unbeholfen und linkisch, den nordischen Dialekt manchmal nur mühsam unterdrückt sprechenden Sprecher des Bürgerfunks ausdrücklich mitgemeint. Wie gerne höre ich jemandem zu, der unprofessionell, aber mit Interesse und manchmal abseitiger Leidenschaft irgendwelche vergessenen Krautrocklieder oder Heimcomputerklänge spielt. Wie gerne lausche ich, wenn zwei Menschen im unprofessionellen Heimstudio nicht merken, dass das Mikrofon "offen" ist. Wenn unmotivierte Pausen entstehen. Wenn mir etwas über Musikstücke oder Themen erzählt wird, von denen ich keine Ahnung habe! Und wieviel lieber tue ich das vor allem, als mich von den öligen Profisprechern ankumpeln zu lassen, die ihre inszenierten Zweiergespräche auf geradezu ekelerregende Weise inzwischen auch während der Nachrichten fortsetzen: "... soviel zu diesem Thema aus unserer Region, und weltweit geht aber auch noch einiges ab, oder, Torsten?" - "Ja. In Fukushima gibt's weiter heftige Probleme. Bla bla.", man möchte manchmal dreinschlagen.

Längst nicht alles auf dieser kleinen, bürgerfunkigen Insel im schmoddrigen Ozean der Kommerzwellen gefällt mir, und gerade wenn's um Musik geht, gibt es nun mal auch weite Felder, die ich nur mit unangenehmen Gefühlen betreten kann. Geschmack ist nun mal Geschmackssache, und so kann ich den Sender auch nicht pausenlos hören - aber vor einigen Tagen, nachdem mir schon morgens unbekannte, aber äußerst angenehme Franzosenklänge den Frühlingsmorgen verschönert hatten, wählte ich zur rechten Zeit dann doch wieder die rechte Frequenz. Denn was sich da von den eingebauten Lautsprechern in Fahrer- und Beifahrertür den Weg in mein Gehör bahnte, haute mich geradewegs um. Ich fuhr gerade noch so an den Rand, regelte die Lautstärke nach oben, schloss die Augen, ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen und lauschte buchstäblich hingerissen.

Nicht alles an diesem Internet ist ja schlecht, und so suchte ich bei nächster Gelegenheit nach der sogenannten Playlist für den betreffenden Tag um die betreffende Zeit, und was ich fand, las sich so:

Warning: fopen() [function.fopen]: php_network_getaddresses: getaddrinfo failed: Name or service not known in /virtual-servers/www.radiowesertv.de/html/typo3conf/ext/page_php_content/pi1/class.tx_pagephpcontent_pi1.php(55) : eval()'d code on line 15

Eine E-Mail jedoch, freundlich im Ton und dringend in der Sache, wurde ebenso freundlich und auch sehr prompt beantwortet:
Moin nnier
an der Playlist wird gearbeitet. Derzeit besteht die Möglichkeit sich telefonisch bei uns nach der Musik zu erkundigen. Dazu benötigen wir allerdings die genau Uhrzeit zu der die Stücke gespielt wurden.
Im Anhang die Playlist zwischen 13.00 - 14.00 Uhr
Beste Grüße
S. H.
Fiebrig den Anhang öffnend war der Fall sehr schnell klar: Dieser Herr ist es, das Stück stammt von diesem Album aus dem Jahre 1982, und es ist offenbar ganz schön schwer zu spielen. Die Originalversion müssen Sie sich leider selber suchen - und ich mir womöglich mal wieder eine CD kaufen. Und dann ab ins Auto damit! Diese fantastischen, lange gehaltenen Töne der Holzbläser kommen da erst so richtig raus.

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Dienstag, 22. März 2011
Unbekannt
nnier | 22. März 2011 | Topic Gelesn
Sagen wir so, wenn man einen Gegenstand zum Verkauf inseriert, dessen Wert man nicht genau abschätzen kann, und dann trotz später Abendstunde Minuten später das Handy klingelt; wenn der Anrufer am liebsten gleich noch vorbeikommen will und sagt, dass er besagten Gegenstand "für'n Fuffi ohne groß zu handeln" direkt mitnehmen will; wenn er kurz darauf verschwitzt mit dem Fahrrad vor der Haustür erscheint und als erstes wortlos den Fünfziger aushändigt; wenn er dann kaum sein Lächeln im Griff hat und sich suchend, man könnte fast sagen: lüstern, umsieht und fragt: Habt ihr sonst noch was zu verkaufen, dann könnte man auf die Idee kommen, dass man den Preis zu niedrig angesetzt hat.

Schaut man dann bei den E-Mails auch mal wieder in seinen Unbekannt-Ordner, findet man dort vom 14.3.2011 folgende Werbung einer bekannten Wochenzeitung:



Sieh an, denkt man dann, da ist es Montagmorgen und mithin schon drei Tage her, dass Japan von einer furchtbaren Katastrophe heimgesucht wurde, da sitzt man also zusammen im Vertrieb und sagt: Schrecklich, nicht wahr, und das ist ja ein Thema, das auch die Leser bewegt, bzw. auch die potentiellen Leser, also die hoffentlich bald Leser werden, he he, lasst uns doch diese Woche diese Atomgeschichte nehmen, Schema: Ihre Meinung interessiert uns, sind Sie für Katastrophen oder dagegen, drei Wochen umsonst und dann normale Kündigungsfrist. Machen Sie das, Jens-Carsten, und dann raus damit!

Die anderen Nachrichten in Unbekannt hingegen beziehen sich auf oben genannten Gegenstand. Aus ihnen spricht ein gewisses Interesse, auch Formulierungen wie "Ist bestimmt schon weg" finden sich immer wieder, und man löscht erst mal die Kleinanzeige, um nicht noch lange damit konfrontiert zu werden, sowie diese E-Mails. Auf eine davon allerdings antwortet man spaßeshalber doch noch: Ja, ist schon weg, war wohl zu billig!?

Es gibt eine Geschichte mit Pippi Langstrumpf, sie betritt eine Apotheke und sagt zur Apothekerin: Nein!, und nach und nach stellt sich heraus, dass das ihre Antwort auf eine Frage ist, die im Schaufenster auf einem Plakat geschrieben steht: Haben Sie Probleme mit Sommersprossen? Und sie hat zwar Sommersprossen, aber keine Probleme damit, weshalb ich die Antwort sehr angemessen finde und also an die innere Heldin jeder zweiten deutschen Frau denken musste, als ich über der besagten E-Mail vom Vertrieb der großen Wochenzeitung einen kleinen, hellgrauen Hinweis entdeckte: Falls Sie Probleme mit der Darstellung haben, klicken Sie bitte hier.

Ich habe Probleme mit dieser Darstellung, aber der Klick hat gar nichts genützt. Und in meinem Unbekannt-Ordner fand ich kurz darauf eine neue E-Mail, darin stand:


Guten Morgen,

viel zu billig!

Mit freundlichen Grüßen
M. B.

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