Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Montag, 10. Januar 2011
Bevor ich losgehe
nnier | 10. Januar 2011 | Topic In echt
Wenn Sie mich hier liegen sähen, mit meinen wirren Haaren, dem um den Hals geknoteten lila Handtuch, dem glasigen Blick, würden Sie sich übrigens nicht weiter wundern. Aber so ...

Fangen wir mal mit dem Orientierungssinn an. Zu behaupten, ich hätte gar keinen, wäre, so meinte vorhin die Tischgenossin, dann doch übertrieben, aber die will mich bestimmt nur aufbauen. Ich hatte von meinem Traum erzählt, der ging so:

Sie so: Wir müssen los
Ich so: Ist doch noch Zeit
Sie so: Doch, wir müssen los
Ich so: Na meinetwegen

In fremder Umgebung Schuhe anziehen, umständlich minutenlang schnüren und zubinden - das müssen unverarbeitete Traumata aus dem Kindergarten sein -, während sie unten ungeduldig wartet, Treppe hinunterrennen.

Sie so: Wir müssen zum Bahnhof
Ich so: Ist doch noch Zeit
Sie so: Trotzdem
Ich so: Na gut.

Hinaus auf die Straße, sie zielstrebig vorneweg.

Ich so (zu mir selber): Du hast die Tüte mit den Brötchen vergessen! Geh schnell noch mal hoch und hol sie! Dann ist immer noch massig Zeit, um zum Bahnhof zu laufen.

Treppe hoch, Schuhe aus, Tüte mit acht Brötchen holen, Schuhe umständlich wieder an, zurück auf die Straße. Wo sich alles verändert hat. Den simplen Weg zum Bahnhof finde ich nicht mehr. Statt dessen irre ich durch die Geschäfte, wo man mir umständlich den Weg zu ganz anderen Zielen erläutert, während meine Zeit abläuft und sich draußen schon wieder alles verändert hat.


Gut, womöglich habe ich nicht keinen, aber doch einen unterentwickelten Orientierungssinn, sagte ich, gerade vor ein paar Tagen wieder, als ich nur nach V. fahren wollte und hatte erst noch nachgesehen, wie ich innerhalb von V. zum Bahnhof komme, und wie ich dann stundenlang über die Autobahn fahre und mich zu fragen beginne, ob die Abfahrt nach V. nicht schon längst hätte kommen müssen, dann erst noch weiter fahre, um schließlich doch umzukehren, dann eine ganz andere Abfahrt nehme, aus dem Gedächtnis nach irgendwelchen Orten suche, die ich in der Nähe von V. wähne, mich immer tiefer verfranse, schließlich nach absurd langer Sucherei den Ort V. erreiche, allerdings aus ganz anderer Richtung, so dass ich den Bahnhof dann auch nicht so schnell finde - und es sei mir übrigens auch nach weit über zehn Jahren in diesem Haus noch nicht klar, wo Norden sei und wo Osten, wo Westen -

na, sagt sie, da ist Osten, da geht doch die Sonne auf, dann wandert sie nach da und geht da drüben unter -

ja, klar, ich kann mir das auch stundenlang herleiten und im Geiste mit dem Stadtplan übereinbringen, bloß kann ich mir nicht merken, wo die Sonne aufgeht, und in welcher Ausrichtung unsere Straße verläuft, und wie ich mich relativ zu ihr gerade im Haus befinde, und bereits jetzt, da ich dieses schreibe, habe ich es schon wieder vergessen, es ist fast so schlimm wie mit den Musiknoten, da muss ich auch immer erst fragen: Welche ist noch mal das "C", dann hangle ich mich CDEFGAHC irgendwie hoch, aber runter wirds schon schwieriger, und das mir, wo ich sofort höre, wenn es um einen Halbton danebengeht, aber ich finde den Zugang zu den Noten einfach nicht und bin schon mal, da ich mich nicht zurechtgefunden habe, stundenlang in einem riesigen Bogen um Berlin herumgefahren und hatte es doch so eilig, da wegzukommen, aber ich fand mich nicht zurecht, und bei meiner alten Arbeit brauchte ich bloß mal in eine andere Etage zu gehen, schon wusste ich überhaupt nicht mehr, wie ich jetzt wieder zum Fahrstuhl komme.

Das mit dem lila Handtuch kommt übrigens so, dass ich meinen Schal, den man auch als Halstuch bezeichnen könnte, bloß bei Männern macht man sowas nicht, das ist wie mit dem Rasierwasser, man hätte Männern nicht mit Parfüm ankommen dürfen, gut, heute löst sich das langsam auf, aber man brauchte was Männlich-Funktionales, einen rational klingenden Grund, um ein Duftwasser aufzulegen, und so ein richtiges Halstuch ist es auch nicht, es sieht schon aus wie ein Schal, ist aber doch sehr angenehm zu tragen, bloß halt nicht so kratzig wie ein Stück Wolle und etwas breiter, so dass man es erst ein wenig zusammendreht, und diesen Schal, bleiben wir bei dem Ausdruck, Baumwolle ist es vermutlich, aber nicht wie so ein Palästinensertuch, den will ich nicht Tag und Nacht am Hals haben, so verschwitzt wie ich bin, sondern da kam mir neulich im Erkältungsbad, vielleicht weil die Handtuchstapel so in meinem Blickfeld waren, diese Idee mit dem Handtuch, und es ist mir egal, wenn ich "aussehe wie ein Kindergartenkind", und vielleicht hat das auch wieder mit dieser Traumstelle zu tun und mit diesen Schuhen, Sie erinnern sich.

Aber die Sache mit den Schuhen hängt auch mit einem anderen Thema zusammen. Ich will ja mein Leben ändern, und ich gelobe hier und heute, Fieberwahn hin oder her, dass ich an dieser Stelle ein Jahr lang regelmäßig Rechenschaft über meine Fortschritte ablegen werde, denn eigentlich hätten wir in diesem Haus genug Platz, bloß ist alles voller Sachen, teils geordnet, teils ungeordnet, und die nehmen mir die Luft zum Atmen, es ist ja kein Wunder, dass ich mich immer gleich viel wohler fühle, wenn ich im Urlaub mal ein karges und leeres Zimmer zur Verfügung habe und sonst gar nichts.

Jahrelang arbeite ich mich daran schon ab, ohne entscheidend voranzukommen, und ich will mich hier nicht als Messie hinstellen, muss aber bekennen, dass es Räume und Gegenden gibt, auf die ich alles andere als stolz bin. Und was man alles machen könnte: Eine Staffelei aufstellen, ein Trampolin, ein Schlagzeug!

Gut, gestern habe ich erst mal die ganzen Pfandflaschen zusammengesammelt und das Altpapier, aber das zählt nicht, denn es kommt immer neues nach. Bloß war das alles, was ich mit einem lila Handtuch um den Hals zwischendurch erledigen konnte. Künftig jedoch werde ich allwöchentlich berichten, was ich verschenkt, weggeworfen oder verkauft habe.

Das mit den Schuhen hängt damit folgendermaßen zusammen: Ich bin ganz sicher kein Schuhfetischist, schon gar nicht bei meinen eigenen, deshalb hält es sich noch in Grenzen, trotzdem habe ich zuletzt gestaunt, wie viele Paare von mir hier herumfliegen, die ich ganz sicher nicht mehr anziehen werde. Höchstens für die Gartenarbeit, aber da geht es schon wieder los, vielleicht kann man sie ja noch mal brauchen, denk nicht drüber nach, es geht um das große Ziel!, und die meisten dieser Paare hatten eines gemein: Sie waren nicht abgelaufen, sie waren nicht kaputt, sondern sie gefielen mir nicht mehr. Denn ich hatte sie nicht gekauft, weil sie mir so gut gefielen, sondern weil ich sie "erst mal" ganz in Ordnung fand und weil sie ja nicht so teuer waren. Ganz im Gegenteil dazu gibt es zwei Paar, eins davon sind meine Wanderschuhe, die vergleichsweise viel Geld gekostet haben, die jetzt schon viele Jahre alt sind und die ich immer noch gerne und regelmäßig trage. Nun stand ich neulich im Schuhgeschäft und sah diese beiden Treter, sie gefielen mir, waren aber für meine Begriffe sehr, sehr teuer. Und ich kaufte sie und freue mich regelmäßig beim Anziehen und weiß schon jetzt, dass ich das viele Jahre lang tun werde. Auch wenn es Schnürschuhe sind, in die man gar nicht so leicht hineinkommt.

Alptraumhaft ist übrigens auch dieser Film, den ich nur jedem ans Herz legen kann, der mal eine Dreiviertelstunde erübrigen kann, denn man weiß das ja eigentlich alles und mag sich doch nur gegen den Kopf schlagen und alles ganz anders machen, und ich gehe jetzt zum Arzt und hoffe, dass ich den Weg finde.

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Samstag, 8. Januar 2011
Zahlreiches Inhalieren
nnier | 08. Januar 2011 | Topic Fernseh
"Verringerung der Atomsprengköpfe", "Halbierung der Arbeitslosen" - auch im neuen Jahr winselt man innerlich, lauscht man den Nachrichten seriöser Radiosender, von den restlichen ganz zu schweigen. Aber es gibt ja auch noch andere Medien - kommen Sie doch kurz zu mir unter dieses ehemals reinweiße Handtuch mit der Aufschrift Krankenhaus Lahr, in der Sauna würde man das Stück Frottee wohl nicht mehr präsentieren, aber es ist von ausreichender Größe und vor allem dick genug, um den heißen Dampf nicht vorzeitig entweichen zu lassen, der mir so ätherisch aus der großen Schüssel entgegensteigt. Und: einatmen.

Da gibt es z.B. die sogenannten "Bücher", nach klassischem Verständis also papiernen Lesestoff in gebundener Form, der sich vor allem dort immer noch palettenweise verkauft, wo man, wie mir eine Brancheninsiderin flüsterte, längst keine Buchhändler mehr anstellt, sondern Einzelhandelskaufleute. Auch Ihnen sind im Vorbeigehen sicher diese großen Stapel roter, blauer und grüner Taschenbücher ins Auge gefallen!? Stieg Larssons drei Reißern konnte ich jedenfalls ebensowenig entkommen wie viele meiner Bekannten, und auch wenn es nun schon wieder einige Jahre her ist, erinnere ich mich noch gut an diesen Lesesog, der mich da zeitweise erfasste, dieses Gefühl, das ich schon zu Drei-???- und Jerry-Cotton-Zeiten gelegentlich hatte: Nur noch ein paar Seiten, nur noch dieses Kapitel, hach, dann eben noch eins, es ist gerade so spannend, und denk nicht zuviel über die Löcher im Plot nach!

Nun sind die ja verfilmt worden und es ergab sich, dass ich die ersten beiden Teile anschaute. Als Erinnerungsstütze ganz gut geeignet, würde ich sagen, einen Fernsehabend trägt es durchaus - gut, es ist nicht Hollywood, es ist gelegentlich hölzern inszeniert und insgesamt eine reichlich brav abgefilmte Geschichte, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Öchö, öchö. Immer genug Taschentücher neben die Schüssel legen!

Nach der skandinavischen Hausmannskost wurde ein brandaktueller Hollywoodstreifen, he he: Streifen - haben Sie das gemerkt, ich denke immer noch in diesen alten, analogen Formaten, es sind ja jetzt Festplatten!, jedenfalls: ein aktueller Hollywoodfilm gegeben. Dort ist man natürlich souveräner, routinierter auch, hat Weltstars zur Verfügung, Drehbuchschreiber vom Feinsten, kann ein enormes Budget verprassen und dafür buntes Augenfutter liefern, man kennt ja dieses Rummelplatzkino, das einfach unterhalten soll, schöne Gesichter, schöne Landschaften, temporeiche Geschichte, es muss ja nicht immer das dunkle Problemkino sein, ich will da niemandem etwas vorschreiben, und nun durfte auch Florian Henckel zu Guttenberg mal ran und so richtig in die Vollen gehen: Johnny Depp, Angelina Jolie, Venedig - das klingt natürlich ein wenig nach Nummer Sicher, da wollte einer nichts falsch machen, aber schauen wir uns den Popcornfilm doch einfach an, es werden schon zwei kurzweilige Stunden werden, ich stell dir noch einen Kräutertee hin, trink ihn so heiß wie möglich!

Ich war schlicht und einfach fassungslos. Ständig wartete ich darauf, dass Uwe Kockisch um die Ecke kommt, das kann doch bestenfalls eine günstige TV-Produktion sein, in die man unbeholfene Depp- und Jolie-Doubles geworfen hat, ohne sich dabei auch nur irgend etwas zu denken! Kein Rhythmus, keine Eleganz, kein Schwung, nicht mal beeindruckende Bilder - einen so hilflos daherrumpelnden Film muss man in dieser Preisklasse erst mal zustandebringen! Öchö-öchö! Nun ist aber gut, viel Schlaf ist wichtig und ich besorg morgen noch mal dieses Echinacin, das kann nicht schaden.

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Dienstag, 4. Januar 2011
Das war 2011
nnier | 04. Januar 2011 | Topic Ja nee
Erinnern Sie sich noch?

- Januar: Guido Westerwelle fordert auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen "mehr Brutto vom Netto", weil ja "eh keiner zuhört", packt dann seine Sachen und wird heimlich reich (ostasiatische Internetaktien).

- Februar: Mario Barth fällt ein (homophobes) Witzchen zum Thema Westerwelle ein, die designierte FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger klopft sich lachend auf die Schenkel und verwahrt sich entschieden, aber nicht schnell genug gegen die sofortige Amtsübernahme ("Das ist mein Laden!") durch Barth.

- März: Herbert Grönemeyer präsentiert den offiziellen Song zur Frauenfußball-WM 2011 ("Weiber in kurzen Hosen / Früher hätt's das nicht") und kommt damit durch, weil ihn eh keiner versteht.

- April: Thomas Gottschalk gerät nach einer erneut blutigen Wetten-Dass-Sendung in die Kritik, kontert diese aber gewohnt souverän ("... im übrigen hat Zwergenwerfen in anderen Kulturen eine lange Tradition.")

- Mai: Facebook wird von allen Regierungen außer Nordkorea offiziell als Kontinent anerkannt.

- Juni: Die UNESCO feiert Bergfest! Twitter samt allen bisherigen und künftigen Tweets sowie dieses eine Spiel, wo man so eine Schlange ist und muss diese Dinger fressen und wird immer länger dabei, werden dem Weltkulturerbe zugeschlagen. Damit sind zum ersten Mal mehr Kulturgüter geschützt als nicht geschützt. Ob's was bringt?

- Juli: "Musse konzentriere, musse hunprozent Tore!" - Freude bei den Werderfans! Gesponsort vom Besitzer einer freien Tankstelle soll "Toni" Aílton das Bremer Torverhältnis (41:204) entscheidend verbessern. Trainer Otto Rehhagel: "Dagegen war Stalingrad ein großer Butterkuchen!" - ein Vergleich, den niemand versteht, aber es traut sich wie üblich keiner, nachzufragen.

- August: Die Bahn mal wieder - tss! Zahlreiche Verspätungen (wegen Störungen im Betriebsablauf.) Siemens verspricht, sich die Züge "demnächst mal genauer anzusehen" und murmelt etwas von "Hitzeproblemen", die "wahrscheinlich von der Temperatur" kommen.

- September: Nach einer Umfrage in deutschen Grundschulen bestreiten 30% aller Kinder, dass man etwas "mögen" könne, ohne dafür einen Knopf zu drücken.

- Oktober: Kou Sangin, der neueste Trend fürs iPhone - natürlich aus Tokyo! Man filmt sich, wie man sich dabei filmt, dass man einen Film ansieht, in dem man filmt, dass man sich einen Film ansieht, in dem man sich dabei filmt, wie man sich dabei filmt, dass man einen Film ansieht, in dem man sieht, wie seine Facebook-Freunde sich dabei filmen, wie sie einen Film ansehen, in dem sie sehen, wie man sich dabei filmt, dass man einen Film ansieht. Trendforscher behaupten jetzt: Danach kann nichts mehr kommen. Hallo!? Trendforscher!? Und 2012!? Hm!? Denkt doch mal logisch!

- November: Die erhoffte Sympathiewelle für Sigmar Gabriel bleibt aus - waren Franz Müntefering (kranke Frau pflegen) und Frank-Walter Steinmeier (Niere für die Ehefrau) irgendwie noch als "menschliche" Politiker durchgegangen, vermag der clevere Niedersachse áus seiner Aktion (Magenverkleinerung) kein Sympathiekaptial zu schlagen. BILD meint: Besser arm dran als Arm ab!

- Dezember: Raclette, da bringt einfach jeder was Nettes mit und man muss nicht ewig vorbereiten.

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Montag, 3. Januar 2011
It takes a hard to be soft
nnier | 03. Januar 2011 | Topic In echt








Die Stadt Liverpool kann einem ganz schön fremdartig vorkommen, so als Tourist, das fängt mit den Geschäften an und hört mit dem exotischen Speisenangebot noch lange nicht auf.













"Dass die Engländer das Kochen einfach nicht lernen, dass die sich das nicht endlich mal von den Deutschen zeigen lassen!", verwunderte sich kürzlich eine liebe Verwandte, die das Kochen tatsächlich beherrscht, und nachdem ich eine kurze Ergänzung ("Oder von den Franzosen!") angebracht hatte, berichtete ich von meinen aktuellen Beobachtungen, denn es gibt da durchaus Fortschritte zu vermelden, man bemüht sich ernsthaft, gießt z.B. kartonweise Christkindl's Glühwein in laue Warmhaltetöpfe oder lässt Bratwürste verkohlen, aber nur auf einer Seite, um das blendende Weiß der anderen Seite besonders ansprechend zur Geltung zu bringen. Und irgendwie hat die entwaffnende Ehrlichkeit der Besitzer auch gehobener Restaurants durchaus Charme, wie ich finde:



Bevor meine eigenen Sitten endgültig verlottern, möchte ich allerseits noch einmal ausdrücklich ein gutes neues Jahr wünschen. Dass ich den regelmäßigen Betrieb dieser kleinen Bratwurstbude hier zuletzt nicht mehr uneingeschränkt und in Vollzeit gewährleisten konnte, haben Sie gemerkt und lässt sich leider momentan nicht ändern. Auch meine Besuche andernorts waren schon mal von höherer Frequenz, derzeit betätige ich mich hauptsächlich als stiller Leser, das aber, geschätzte Mitblogger, immer noch sehr gerne.



Diesen Satz verstehe ich übrigens nicht. Aber ich weiß genau, wie die das meinen und nehme ihn mal als Motto für 2011.

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Montag, 27. Dezember 2010
Stop all that yackety yack!
nnier | 27. Dezember 2010 | Topic Musiq


Der Bahnhof Lime Street liegt auf einem Hügel oberhalb der Liverpooler Innenstadt. Man kann ihn nach drei Seiten verlassen, z.B. zur Innenstadt:



Möchte man Säulen und Löwen anschauen, geht man in diese Richtung:



Was ich nicht ganz verstehe, ist, warum es diesen dritten Ausgang gibt, hügelaufwärts, denn dort oben möchte doch bestimmt niemand hingehen:



Man kommt in eine ziemlich heruntergekommene Gegend, kratzt sich am Kopf, biegt noch einmal um die Ecke und befindet sich in einer wirklich nicht besonders hübsch anzusehenden Seitenstraße:



Paul McCartney ist 68 Jahre alt, Milliardär, und hat auch im vergangenen Jahr viele große Konzerte gegeben. Man sieht hauptsächlich glückliche Gesichter in diesen Konzerten, und wenn zwischendurch ein weniger bekanntes Solostück gegeben wird, gehen die Leute sich ein Bier holen oder schreiben etwas in ihr Smartphone, z.B. dass sie gerade in einem tollen Konzert seien, das Lied jetzt gerade sei zwar nicht so der Bringer, aber davor, The Long and Winding Road, das sei schon echt ergreifend gewesen, und Drive My Car, unglaublich, wie das immer noch rockt!



Wenn man 68 ist und Milliardär und schließlich und endlich seinen Status als Nr. 1 zurückerobert hat, nach den bitteren 80ern, als Phil Collins der Megastar war und John Lennon heiliges Genie, irdischen Maßstäben längst entrückt, nach den 90ern, in denen man langsam und gegen viele Vorurteile der Welt klarmachen konnte, dass man nicht nur der nette und harmlose Balladenschreiber und -sänger war, nein, Get Back und Sgt. Pepper's Loneley Hearts Club Band und Got to Get You Into My Life, mal ganz abgesehen von Helter Skelter, und die Balladen sind nun mal unsterblich, Let It Be und Hey Jude und Yesterday, und wie ungerecht es war, wenn die Leute immer John am tollsten fanden, und fragte man sie mal nach ihrem Lieblingslied von den Beatles, dann nannten sie garantiert eins von Paul, mich hätte das auch genervt, und was für eine Rückkehr das war, 1989/90 - Tochter Mary sagte später, sie habe ja irgendwie gewusst, dass ihr Papa berühmt sei, aber wie berühmt, und wie sehr die Leute ihn liebten, das sei ihr erst auf dieser Tour klargeworden, ich habe sie damals manchmal das Publikum filmen sehen aus diesem Graben vor der Bühne heraus, mit ihrer Videokamera, sie ist etwa so alt wie ich und hat eben im selben Alter die 80er Jahre erlebt, als man wusste, dass es ihn noch gab, und doch schien er so weit weg, und nun filmte sie allabendlich direkt in diese fassungslosen, ergriffenen, heulenden Gesichter.



Wenn man sich also seinen Status zurückerobert hat, und Sie haben sicher gemerkt, dass ich den obigen Satz nicht vollendet habe, spätestens bei der megagroßen und -erfolgreichen Tour 2003 sollte das vollbracht gewesen sein, immer mehr Kritiker leisteten Abbitte, immer öfter wurde sogar sein Solowerk positiv besprochen, die Fans nickten wissend, dann fängt es langsam an, dass diese Fans sagen: Es ist ja schön und gut mit diesen ganzen Beatlesliedern und den paar großen Solohits, nicht wahr, aber richtig toll wäre es doch mal, wenn er That Woud Be Something spielen würde oder Oh Woman, Oh Why, oder auch mal ein Lied aus dem vorletzten Soloalbum, denn sonst wirkt es ja immer so, als seien die Lieder aus dem aktuellen Album halt gezwungenermaßen dabei und würden wieder entsorgt, sobald das möglich ist.



Wenn man also auf dem Roten Platz gespielt hat und im Weißen Haus und eine Übertragung zur Raumstation gemacht hat, wenn man auch diesen Rekord und jene Auszeichnung noch eingefahren hat, wenn Konzerte immer wieder in Minuten ausverkauft sind und man von der Welt insgesamt geliebt wird wie sonst kaum jemand, so stelle ich es mir vor, dann ist man sicherlich frei, zu tun, wozu man Lust hat und vor allem die Lieder zu spielen, die man möchte. Erst recht, wenn man vor 1200 Menschen spielt, die sich einen Ast freuen, dass sie dabeisein dürfen, die z.T. sehr viel Geld ausgegeben haben, um aus Amerika oder Japan anzureisen, und die das alles sicher nicht getan hätten, wenn sie Zweifel daran hätten, dass Let it Be oder Hey Jude große Songs sind.



Anthem Fatigue nennt es der Kritiker in der New York Times, das Thema hat also den Mainstream erreicht, die Fans nicken wissend und wünschen sich manchmal, dass Herr McCartney ihnen etwas mehr zutraute. Und auch wenn ich hier in diesem Blog gerne den Fanboy gebe, der noch einer Telefonbuchlesung begeistert lauschen würde, wäre das etwas, das mich wirklich freuen würde.

There are some listeners curious about, and genuinely interested in, Mr. McCartney’s loose moments and toss-offs, who feel that “Hey Jude” has penetrated deeply enough into the world’s culture, who admire the intuitive outtake-i-ness of records like “Ram” and “McCartney II,” and who wouldn’t mind a little more texture in his shows.
[Q]

Die Füße waren kalt, die Hoffnung am Boden, es gab diesen unangenehm schweinchenhaft aussehenden Schwarzhändler, der mir immer wieder sein Ticket für einen absurden Preis anbot, es gab den Zivilpolizisten, der plötzlich neben mir stand und mir zuraunte, ich solle bloß aufpassen, da seien gefälschte Tickets im Umlauf, er ließ mich dann seine Polizeimarke sehen, es gab die glücklichen Ticketbesitzer und die verzweifelten Sucher, und langsam begann ich einzusehen, dass es diesmal wohl nichts werden würde.

Es kam wie aus dem Kopenhagener Drehbuch abgeschrieben eine Frau daher, die mein Suchschild gesehen hatte. Sie sah mich an, murmelte etwas, ging zum Ticketschalter, holte einen Umschlag ab und kam wieder auf mich zu. Es kann sein, dass ich eines übrig habe, ich muss mal nachsehen, sprach sie, und andere Sucher drängten sich hinzu, mein Sohn konnte nicht mitkommen, sagte sie, zeigte mir das Ticket, und die anderen schrien, dass sie ihr sofort eine Fantastilliarde zahlen, während ich sprach: Was möchten Sie denn dafür haben, ein Vermögen kann ich nicht bezahlen - aber bitte sagen Sie mir, was Sie haben wollen, dann sage ich Ihnen, ob ich es zahlen kann, und sie sagte: Ach, ich habe ja nur soundsoviel bezahlt, und die anderen schrien: Ich zahle zwei Fantastiliarden!, während ich sprach: Kaufen Sie Ihrem Sohn etwas Schönes zu Weihnachten, bot einen moderaten Aufpreis, sie nickte, ich zahlte und nahm das Ticket entgegen, die anderen Sucher sahen mich entsetzt an, ich sagte der Frau: Wissen Sie, dass Sie mich gerade sehr glücklich gemacht haben!, winkte den anderen zu und reihte mich in die Schlange der Wartenden vor dem Eingang in dieser heruntergekommenen Seitenstraße.

Es wurde Let it Be gespielt und Hey Jude und überhaupt alles, da ist er wohl selbst ein Gefangener, und ich war ganz nah an der Bühne und konnte mein Glück wieder nicht fassen, da steht er, ein paar Meter vor dir, ich werde das nie begreifen, und dann geht es auch noch so los!*



"Isn't he amazing?", sagt die Mittfünfzigerin neben mir, auch sie hat dieses glückliche Gesicht, man lächelt sich zu und weiß, dass das alles eigentlich gar nicht wahr sein kann, wir stehen da wie die Teenies und schwitzen und er ist 68 und bräuchte das schon längst nicht mehr zu machen, und wir lassen uns erzählen, dass George ein sehr guter Ukulelenspieler war, als hätten wir das noch nicht gewusst.

Sehr gefreut habe ich mich dann auch über dieses Stück**:



"So you finally got in, mate?", fragte der Mann aus der Pommes- und Kaffeebude, der mich den ganzen Tag beobachtet hatte, ich nickte, er reckte den Daumen nach oben und ich lief zurück ins Hotel.



Ihre Ohrringe habe sie verloren, erzählte mir diese Amerikanerin am nächsten Tag, während sie mühsam etwas von der Wand schabte, ob ich gestern auch dagewesen sei, es sei brillant gewesen, und dieses zerknüllte und steifgefrorene Plakat werde sie mit dem Flugzeug schon nach Hause bringen, irgendwie.

--
*Honey Hush aus dem mal wieder vollkommen ignorierten Album Run Devil Run von 1999, Original von Big Joe Turner 1953
**Don't Let the Sun Catch You Crying, Original von Gerry & the Pacemakers 1964 komponiert von Joe Greene, bekannte Version von Ray Charles 1959/60. Die beiden Lieder werden offenbar nicht nur von mir verwechselt und haben tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit.

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