Mumien, Analphabeten, Diebe.
Du hast's gut, du hast dein Leben noch vor dir.
Sonntag, 12. April 2009
Es gibt so viele Ideen!
nnier | 12. April 2009 | Topic In echt
Man könnte natürlich Schuhe vermieten. Allerdings fürchte ich, dass auch diese Nische längst besetzt ist. Man soll ja seine Nische finden, sagen sie alle! Sich selbständig machen, sich selbst etwas "schnitzen".



Als Kind schrieb ich übrigens mal "selbstständig", da ich das logisch fand. Man steht selbst, so verstand ich das Wort, nicht aber selb; dann kam ein roter Strich drunter und ich merkte es mir als etymologisches Kuriosum. Heute hingegen, Sie wissen schon: Rechtschreibreform, darf man "selbstständig" schreiben, ja, es wird einem sogar empfohlen. Ich tue es trotzdem nicht. Nuss dagegen, das kommt mir wirklich entgegen. Ich habe mal wider besseres Wissen Nuss geschrieben, weil ich, wie ich meiner Deutschlehrerin mitteilte, fand, dass Nuß "einfach doof" aussehe.

Somit hänge ich insgesamt vermutlich einer äußerst gemäßigt reformierten Rechtschreibung an. Nach kurzem Vokal, gerade bei "dass" und "muss", erscheint mir das "ss" geradezu natürlich. Allerdings ist dadurch auch das spezielle schweizerische Dürrenmattgefühl auf immer perdü, das mich bis vor wenigen Jahren noch unweigerlich beschlich, wenn jemand so schrieb. Deutsch - und doch nicht ganz; etwas altertümlich anmutend, vielleicht ein wenig dem seltsamen Klang der Fraktur ähnelnd.



Man merkt ja recht schnell, wenn eine Neuerung sich als nützlich erweist. Und zwar daran, dass man sich kurz darauf fragt, wie man vorher die ganze Zeit darauf verzichten konnte. Erinnern Sie sich noch an die erste Maus mit Scrollrad? Man hätte das Ding doch nie vermisst und noch ewig mit dem Mauszeiger auf den senkrechten Scrollbalken herumgehakelt. Kaum aber hatte man einen Tag lang eine solche Maus verwendet, sich zu Beginn womöglich noch mokiert: "Was soll denn das Ding da? Hatten wir früher auch nicht!" - schon navigierte man wie ein junger Gott durch die grafischen Benutzeroberflächen moderner Computerprogramme.

[Hier zur Verdeutlichung des Themas noch was über Servolenkung und Viagra schreiben.]



Ein weiteres Mal machte mich die Deutschlehrerin zum Gespött der Klasse, als sie sich mokierte: "Im Nachhinein? Großgeschrieben? Was soll das denn? Etwa: Das Nachhinein? Hahahahaha!"

Tja, könnte ich von heute aus sagen: Ich war einfach meiner Zeit voraus. Denn tatsächlich hatte ich mir überlegt, dass auch "das Nachhinein" vergleichbar mit, sagen wir: "die Vergangenheit", etwas deutlich Nominatives an sich hat. Zumal etwas darin, nämlich im Nachhinein, stattfinden konnte. Aber: falsch, falsch, falsch. Und meiner Zeit voraus möchte ich, was die Rechtschreibung angeht, nun lieber doch nicht sein. Da lasse ich der Deutschlehrerin lieber ihren billigen Triumph. Sie wird schon wissen, was sie davon hat. Schlaflose Nächte, nämlich. Seit ich ihr damals, am Erscheinungstag, den reformierten Duden geschickt habe. Anonym. Mit dem gelben Haftnotizzettel beim Buchstaben "N". Mit dem dick markierten, großgeschriebenen im Nachhinein.

Die weiß bestimmt gar nicht mehr, wer ich bin. Aber nachts, da liegt sie da, haha, und ihr Gewissen lässt ihr keine Ruhe! "Im Nachhinein, im Nachhinein - da war doch mal was! Ich entsinne mich! Da habe ich einst jemandem bitter Unrecht getan! Ach, hätte ich doch damals gewusst, was ich heute weiß! Ach, ich muss mich grämen bis in den Tod. Aber nichts Besseres verdiene ich. Ach, ach." Oder so ähnlich.

Nun, wozu in der Vergangenheit festhängen? Nach vorne schauen sollst du! Was war, das war. Sieh, dort! Ein Treffpunkt für Jugendliche!



Ihr jungen Leut, die ihr - und euer Vorrecht ist's gewiss!
Euch noch am Morgen eines langen Lebens wähnt
Gewährt ein Viertelstündchen mir in eurer Gegenwart.
Denn auch wenn sorglos ihr am Borne weilt
Und Stund um Stunde müßig miteinander teilt
Verzeiht mir, wenn ich sage: Es wird hart.

Gar plötzlich ist man alt. Wohin die Zeit?
Wann kam der Tag, als plötzlich man bereit
Zu opfern schnöden Mammon, fahlen Schein
Im Tausche für ein kurzes Stelldichein
Der Jugend, jener längst vergangnen Zeit.




"Ey was will der, will der misch nisch respektieren oder so?"

Gewiss respektiere ich euch, junger Herr, so wie jedes Geschöpf! Gewährt mir einen Schluck des kühlen Trunkes, der hier so überreichlich strömt!

"Eyalter, der trinkt das auch noch! Krass!"



Die Bäckerkunst: Ein wahrlich ehrenwertes Handwerk! Unter dem Zeichen der Brezel Frischgebackenes verkaufen! Gegessen wird immer! Sag ich mal.



Bald, ich sag' es dir!, werden die Menschen genug haben von den Teiglingen aus Spanien, die tiefgefroren und fünfmarkstückgroß in den Heißluftofen geschoben werden, in Tankstellen, Supermärkten und Backshops. Dann stehst du bereit mit deiner Sauerteigbäckerei! Stell schon mal den Teig in den Keller, da sind noch die echten Sporen in den Wänden!

Bald, ich sag' es dir!, haben sie genug von ewiggleichem Einheitsessen. Abenteuer Gastronomie: Wer kennt denn noch Armer Ritter? Wer weiß noch, wie wohl ein Strammer Max tut? Im Herbst: wöchentlich wechselnde Kohlgerichte.



Besinne dich auf deine Stärken. Finde deine Nische. Mit Technik konntest du immer! Die Menschen wollen sich längst nicht mehr in anonymen Megamärkten von Kartonstaplern nutzlosen Nippes aufschwatzen lassen. Längst haben sie begriffen, dass auch im Plasmafernseher und im Format 16:9 kein besseres Programm läuft. Sie sehnen sich nach kompetenter Beratung, einer sinnvollen Produktauswahl und wollen die Gewissheit, dass ihre Geräte auch repariert werden können. Dann sind sie bereit, auch etwas mehr zu bezahlen! Auch Beratung und Service haben ihren Preis, das sieht doch jeder ein, sag ich mal.



Immobilien - das geht immer. Natürlich keine Traumrenditen, aber, ich sag mal, gerade in Zeiten wie diesen wollen die Leute einen reellen Urlaub machen. Man muss nicht mehr übers Wochenende nach New York. Man entdeckt das eigene Land, man wandert, man kommt mit dem PKW oder auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Ich könnte Ihnen da übrigens ein paar sehr günstige Objekte.



Sonst schreiben Sie doch erst mal einen Businessplan zu Ihrer Geschäftsidee und melden sich wieder bei uns - was hatten Sie da zu Beginn noch gleich gesagt?

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Samstag, 11. April 2009
66 + 68
nnier | 11. April 2009 | Topic Musiq
Ich war weg. Doch nur im Geiste: dort.

The act you've known for all these years!

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Samstag, 11. April 2009
Statt Karten
nnier | 11. April 2009 | Topic In echt






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Samstag, 4. April 2009
Dese Boots
nnier | 04. April 2009 | Topic In echt
Letzten Donnerstag, so höre ich, seien die Dächer noch weiß gewesen. Ja, ich erinnere mich dunkel. Aber gestern konnte ich die Balkontür öffnen. Draußen war der Frühling.



Bald, müssen Sie wissen, verschwinde ich wieder im dunklen Tann. Ich will nun doch mal sehen, was das Hotel so macht! Der Mann hat gesagt, fünf Riesen bar vorab, er hat da jemanden an der Hand, er ruft mich dann auf jeden Fall an, aber die haben da natürlich auch Funklöcher im Harz, und die sind ja auch total beschäftigt mit den ganzen Arbeiten, alleine schon das Dach und die Fenster, und da werde ich dann einfach mal vorbeischauen und ihnen ein paar Ostereier vorbeibringen.

Ich bereite mich auf eine solche Reise natürlich vor. Gutes Schuhwerk etwa ist im Harz unbedingt vonnöten! Was leider nicht jeder Flachländer beherzigt. Und dann siehst du sie mit ihren Sandalen am Brocken scheitern - Pech gehabt! Dumm gelaufen! Nein, ich kann leider nicht helfen! Aber nehmen sie doch die Rolltreppe! Ha! Ha! Ha! Oder soll ich dem Abdecker bescheid sagen! Ha! Ha! Ha! Also, ich muss weiter! Ich trinke dann im Gipfelrestaurant einen auf Sie!

Ich hingegen besitze ein Paar grobprofilige Wanderschuhe, die ich einst auf der Britischen Insel erstand. Und zwar kurz nach den Doc Martens (eine Erfindung des deutschen Dr. Klaus Maertens, wie ja jeder weiß), die dort vergleichsweise günstig, allerdings nur in ganzen Größen abgestuft feilgeboten wurden, weshalb ich eine fatale Fehlentscheidung traf und mich für das kleinere der beiden infragekommenden Paare entschied. Was noch kein Drama gewesen wäre - für den gepflegten Nachmittagsspaziergang in britischen Industriestädten hätt's allemal gelangt. Gleich am nächsten Tag hingegen eine ehrgeizige Wanderung darin anzutreten - das war die nächste Fehlentscheidung, und noch heute überkommt mich in jedem Schuhgeschäft beim Anprobieren allzu enganliegender Fußbekleidung die schaurige Erinnerung an das rohe Fleisch meiner wundgescheuerten Fersen.



Irgendwann, leider war es längst zu spät, stapfte ich schließlich in blutigen Socken durch die spätwinterlich-hügelige Landschaft, die schwarzen Docs an den zusammengebundenen Schnürsenkeln um den Hals baumelnd, ach, es war ein Elend. Welches aber wiederum zu einer meiner besten Kaufentscheidungen führte (denn es war nicht ratsam, auf die Dauer sockfuß durch England zu laufen, die ließen mich ja schon meiner Hosen wegen nicht ins Restaurant: "Sorry, no ripped jeans here!" - ja, auch ich war einmal jung. Sorry my ass, sucker.)

Was also lag näher, als ein Paar exzellenter und garantiert nicht zu kleiner Wanderschuhe zu erstehen? Man kann bis zu drei Paar Socken übereinander anziehen, findet trotz der zusätzlichen Notbandagierung (extrasaugfähige Papiertaschentücher) immer genug Platz und kann die exzellente Schnürung dennoch so stramm anziehen, dass der Fuß bequem und stabil darin geborgen ist. So gewappnet bezwingt man Mittelgebirge mit einem Lächeln.

Weit über eine Dekade liegt der Erwerb jener treuen Wanderstiefel nun zurück, und ich lasse ihnen, das ist nur recht und billig, regelmäßige Pflege angedeihen. Denn auch wenn Monate oder Jahre zwischen den jeweiligen Einsätzen liegen, wollen die braven Gesellen unterdessen nicht gänzlich ignoriert werden. So genügsam ihr Erscheinungsbild, so anspruchslos ihr gesamtes Wesen - man vergesse nie, was man ihnen zu verdanken hat und künftig noch verdanken wird (denn, dessen bin ich sicher, auch weitere Jahrzehnte werden sie mir treulich dienen), und fette sie also gelegentlich ein. Allzu schmerzlich wäre doch der Anblick brüchig gewordenen Leders oder ausgefranster Nähte. Und wie schmiegsam die Laschen! Wie glänzend das robuste Leder! Der ganze Schuh erblüht aufs Neue und sieht aus wie das rotwangig-glänzende Kind auf der Zwiebackpackung.



Frühling ist's! Und was ist da schon ein Stündchen bei geöffneter Balkontür, dieses opfert man doch gerne und putzt endlich mal Schuhe, war ja höchste Zeit, mach die anderen doch auch gleich.

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Donnerstag, 2. April 2009
Tabakwaren
nnier | 02. April 2009 | Topic In echt
Nicht oft betrete ich solche Läden, denn mein Lottoschein läuft im Abonnement. Was das Rauchen angeht, bin ich erstens eher Quartalsraucher und zweitens sind das höchstens so ein paar am Tag, ausgenommen die Tage, an denen es mehr werden.

Die Bewohner solcher Geschäfte passen sich an ihre Umwelt an. Sie absorbieren die Toto-Lotto-Luft, den Tabakgeruch, die Titelbilder der Knallpresse, sie sehen vergilbt und gegerbt und dehydriert aus, sie hören das ewige "Wieder mal kein Glück gehabt, na, einmal muss es ja klappen" längst nicht mehr, sie reichen den Stammkunden wortlos einmal HB und die BILD über den Tresen. Seit dreißig Jahren stehen sie da von morgens bis abends und machen einmal im Jahr zwei Wochen Urlaub.



Ähnlich wie in manchen Kneipen fühlt man sich oft fremd, wenn man einen solchen Laden betritt, man erinnert sich an Aktenzeichen XY, wenn hölzerne Darsteller einander zuraunen: "Den habe ich hier ja noch nie gesehen!", und man hofft, keinen Fehler zu machen, und man sagt "Einmal die roten Gauloises, normale Packung, bitte", dann wird man geduldet und darf bezahlen. Sagt man nur "Einmal die roten Gauloises, bitte", dann wird man angeraunzt: "Welche Größe?", und dann darf man keinen Fehler machen. (Einmal hörte ich, wie jemand einfach nur "eine Packung Gauloises" verlangte - na, das hätten Sie hören sollen!)

Ich brauchte Feuer. Ich wollte sparen. Ich wollte kein weiteres, überteuertes Einwegfeuerzeug mit Sternzeichen oder Werder-Emblem kaufen. Ich betrat den Laden mit dem Plan, eine Schachtel Streichhölzer zu kaufen.

Innerlich auf das Schlimmste gefasst, stand ich in der Schlange, fragte mich, ob man einzelne Streichholzschachteln überhaupt bekäme, was sie wohl kosteten, ob man geringschätzig angesehen würde, wenn man sonst nichts kaufte, und als ich dran war, fragte ich mit klopfendem Herzen: "Bekomme ich bei Ihnen eine Schachtel Streichhölzer?"



Mit strahlendem Lächeln bejahte die freundliche Verkäuferin und fragte: "Wollen Sie bezahlen oder nicht?"

Dies überraschte mich, und ich antwortete: "Na, Sie stellen ja Fragen! Also, wenn ich so gefragt werde, dann würde ich gerne bezahlen!"

Wieder wurde ich aufs Freundlichste angelächelt, bekam eine Schachtel Streichhölzer in die Hand gedrückt, "Geschenkt!", bedankte mich, wünschte einen schönen Tag und ging.



Die Finger habe ich mir dann richtig gerne verbrannt.

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