Einige Wochen zuvor waren wir aufgebrochen, jung, unerfahren, minderjährig, um zu zweit eine Fahrradtour entlang der französischen Atlantikküste zu unternehmen. Die erste Etappe hatte irgendwo am Strand geendet, wo man mit anderen deutschen Jugendlichen den Abend verbracht und sich später irgendwie zum Schlafen zusammengerollt hatte. Zwar war in der Nähe deutliches Gejammer zu hören ("Meine Mutter hat mir gar keinen Schlafsack eingepackt! Die hat mir meine Federdecke eingepackt! Die ist so gemein!"), doch man lieh sich gegenseitig Zeltplanen und Isomatten, und trotz des Nieselregens schlief man irgendwann ein - um im Morgengrauen durch den Ruf: "Die Bullen!" geweckt zu werden. Zwei Polizisten waren mit ihrem Auto herangefahren, hatten ihre Waffen präsentiert und riefen fröhlich: "Aufstehn! Aufstehn! Vite, vite! Ah, ah , ah!!", wedelten mit ihrem Tränengas und fragten grinsend: "Vous voulez un peu?". Dann sammelten sie alle Ausweise ein und setzten sich gemütlich ins Auto, während wir stundenlang im Regen standen. Das ging doch schon mal gut los.
Die Wege durch die Pinienwälder, schmale Betonpisten, von der Wehrmacht gezogen, früher brausten die Motorräder hier entlang. Die Betonbunker, schräg im Atlantiksand steckend.
"Wild campen", immer wieder, "los, komm", und ich ließ mich ein. Regelmäßig gab es Ärger. Einmal hatten wir, ohne es zu merken, das Zelt auf einer öffentlichen Grünfläche aufgebaut, die weit weniger abgelegen war, als es im Dunkeln den Anschein hatte. Mit bösen Worten wurden wir morgens vertrieben. Ein anderes Mal hatten wir uns nachts auf einen Campingplatz geschlichen. Früh morgens weckte mich der Reisegefährte: "Los, lass uns abhauen", wir schoben leise die Räder weg, stiegen auf, traten in die Pedale. Nach einer halben Stunde fuhr ein Auto an mir vorbei. Jemand hatte die Scheibe heruntergekurbelt und schrie mich minutenlang, auf der Gegenfahrbahn neben mir herfahrend, in unverständlichen Worten böse an. "Mir reicht's langsam", meinte ich, Kollege aber lachte nur.
Überhaupt entfremdeten wir uns bei dieser Tour, und die Margarine schmolz und floss über die Klamotten in den Satteltaschen, der eine lacht, der andere kotzt, aber noch waren wir aufeinander angewiesen.
Langer Weg durch dunklen Tann, viel länger als geplant, die Piste unvollständig, Sand in der Fahrradkette, tiefe Nacht. "Lass uns wild campen! Hier irgendwo!", doch gerade lichtete sich der Wald und die Betonpiste mündete in eine breitere Straße. Ich fror und sprach: "Warte kurz", öffnete meine Satteltaschen, suchte ein margarinedurchtränktes Sweatshirt und ebensolche Jeans heraus, der Rest der Wäsche fiel auf die Straße, ich bückte mich und suchte das Zeug zusammen. Irgendwoher kam Licht, Motoren brummten. "Die Bullen!", schrie er, "los! Abhauen!", schnappte sich sein Fahrrad und verschwand in der Dunkelheit. Die grellen Scheinwerfer des Konvois hielten auf mich zu, und ich stand wie gelähmt einfach da. "Erwischt", dachte ich, "selber schuld. Nun holen sie dich."
Gegen das Scheinwerferlicht, gegen das pulsierende Blaulicht sah seine Silhouette äußerst beeindruckend aus. Schwerer Ledermantel. Stahlhelm. Er trat direkt auf mich zu. "Woher kommen Sie?" - "Aus, äh, Deutschland." - "Woher kommen Sie genau?"
Ich nannte meine Heimatstadt. Er schien sie nicht zu kennen. Mein Französisch hatte ich verlernt und brachte kein anständiges Wort heraus. Wer waren diese Männer?
"Woher kommen Sie? Heute!", ich hatte doch gewusst, dass das mit dem ewigen Wildcampen eine blöde Idee gewesen war, ich hatte es die ganze Zeit gewusst, und nun schlug das Schicksal erbarmungslos zu. Ich deutete auf den dunklen Wald: "Daher." - "Haben Sie etwas gesehen da im Wald?" - "N-nein!", ich hatte mich längst aufgegeben. "Haben Sie Feuer gesehen da drin? Nein?", er ging zum Fahrzeug zurück, kletterte ins Führerhaus und der Konvoi machte kehrt. Ich stand noch eine Weile da, hörte das leiserwerdende Brummen der Motoren, dann das Tickern eines sich nähernden, geschobenen Fahrrads und schließlich die Worte: "Los, lass uns hier irgendwo campen."
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